Wider den Zynismus gegenüber Hartz IV-Empfängern

Predigt und Gebet zum Thema ''Armut im Stadtteil''


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Anschließend Eindrücken und Informationen der Stadtteilmanagerin und der Leiterin der Familienbildungsstätte.

Gebet:

Gnädiger Gott,
wir danken dir, dass es den meisten von uns hier so gut geht.
Wir nehmen das oft viel zu selbstverständlich
oder bilden uns ein,
wir hätten uns das alles verdient.
Das macht uns manchmal unbarmherzig mit denen,
die nicht so gut dran sind,
die nicht zurechtkommen in unserer Gesellschaft.
Wir suchen die Schuld oft nur bei ihnen,
wir setzen uns über ihre Probleme leichtfertig hinweg
oder bieten viel zu einfache Lösungen.
Gott, treib uns alle Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit aus!
Öffne unseren Blick für die wahren Gründe von Armut und sozialem Scheitern.
Lass uns den Betroffenen mit Achtung begegnen
und wecke in uns die Bereitschaft, sie zu unterstützen
in allem, was sie brauchen,
um ihre Lage zu verbessern.
Gott, halte in uns die Visionen wach
von der menschenfreundlichen, gerechten Welt, die du zum Ziel hast
und gib uns Elan und Beharrlichkeit,
dafür mit Worten und Taten öffentlich einzustehen. Amen

Gott, dein Wort schenkt Hoffnung den verzweifelten,
neue Kraft den Müden
und Orientierung allen,
die sich zu verlieren drohen
in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt.
Lass dein Wort an uns wirken
Und seine heilende Kraft unser Leben erneuern. Amen

Deine Sache ist es, für Recht zu sorgen. Sprich für alle, die sich nicht selbst helfen können, sprich für die Armen und Schwachen, nimm sie in Schutz und verhilf ihnen zu ihrem Recht.

Liebe Gemeinde!

Das Thema Armut und soziale Gerechtigkeit wird in unserer Gesellschaft immer wieder heftig diskutiert – oft mit einer unglaublichen Arroganz von Nadelstreifenträgern, die selber nie einen Mangel kennengelernt haben. Sie fällen von oben herab und äußerst medienwirksam Pauschalurteile wie der Neuköllner Bürgermeister, der behauptet hat: „die deutsche Unterschicht versäuft die Kohle ihrer Kinder“, oder wie der auch schon durch andere menschenverachtende Äußerungen auffällig gewordene Vorsitzende der Jungen Union, der zu wissen meint: „Die Erhöhung von Hartz IV ist ein Anschub für die Spirituosen und Zigarettenindustrie.“

Mit solchen abfälligen Verallgemeinerungen beleidigen diese Politiker die Vielen, die sich redlich bemühen, mit dem wenigen, das sie haben, einigermaßen über die Runden zu kommen und fördern darüber hinaus eine stammtischtaugliche Geringschätzung der Probleme, mit denen Hartz IV Empfänger und Geringverdiener zu kämpfen haben. Und damit meine ich nicht nur deren materielle Auskommen, sondern auch die persönliche Anerkennung und die Würdigung ihrer ganz eigenen Lebensleistung. Denn Armsein ist schließlich kein Kinderspiel! Und wer so viel soziale Kälte verbreitet wie der ehemalige Finanzsenator Sarrazin, soll doch erst mal selber im dicken Pullover bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur ausharren, wie er es Hartz IV Empfängern empfohlen hat.

Als Christinnen und Christen können wir den Zynismus, der auch die gegenwärtige Debatte über Armut und Hartz IV mit Schlagwörtern wie „spätrömischer Dekadenz“ prägt, auf keinen Fall unwidersprochen hinnehmen, sondern müssen uns öffentlich auch hier vor Ort in die Diskussion einmischen! Du sollst den Geringen nicht beschämen! Darauf laufen viele Gebote der Bibel hinaus und wir sollten diesem Grundsatz nach Kräften Geltung verschaffen – bei uns und in der Öffentlichkeit. Denn vielen Betroffenen ist es eh peinlich genug, nicht ausreichend für sich und die eigene Familie sorgen zu können und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein – vor allem unter alten Menschen gibt es viel verschämte Armut. Und es tut weh, darauf immer wieder gestoßen und in seinem geringen Selbstwertgefühl noch zusätzlich gekränkt zu werden! Dazu hat niemand, auch unser Außenminister kein Recht!

Um der Beschämung der Armen wirksam entgegenzutreten ist schon in der Bibel deren Unterstützung nicht vom guten Willen anderer Menschen abhängig gemacht worden, sondern als Rechtsanspruch verankert, und Gott selbst klagt das Recht der Armen immer wieder mit großer Leidenschaft ein. Denn unser Gott ist ein Gott, der sich immer mit denen verbündet, die sich selbst nicht gegen Stärkere durchsetzen können und die mit ihren Wünschen und Sehnsüchten oft auf der Strecke bleiben. Er ist ein Gott der Armen und nur als solcher auch für alle anderen zu haben. Das macht er deutlich, indem er die wirtschaftlich Erfolgreichen und politisch Mächtigen streng in die soziale Pflicht nimmt. Nicht an ihren frommen Worten und großartigen Absichtserklärungen werden sie bei ihm gemessen, sondern an ihrem konkreten Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit.

So lässt Gott durch den Propheten Amos ausrichten: „Ich mag eure Versammlungen nicht riechen…Tut mir weg das Geplärr eurer Lieder. Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Und Jesus sagt:“ Nicht alle, die Herr, Herr zu mir sagen, werden in das Himmelreich kommen, sondern die, die den Willen meines Vaters im Himmel tun!“ An anderer Stelle macht Jesus seine Identifikation mit den Armen noch deutlicher: „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan!“

Allerdings weiß Gott auch sehr genau, dass die Armen nicht automatisch die besseren Menschen sind. Er selbst braucht viel Geduld mit den hebräischen Sklaven, die sich immer wieder in das vertraute und verklärte Elend der Knechtschaft zurücksehnen, statt sich einfach nur dankbar in die Freiheit führen zu lassen. Und Gott erlebt auch immer wieder, dass Not nicht nur beten lehrt, sondern auch fluchen, und dass sie sehr anfällig macht für allen möglichen Aberglauben, der Glück und Erfolg verspricht, wie es im alten Israel der Baalskult tat.

Nein, Gott romantisiert Armut so wenig, wie er die davon Betroffenen idealisiert. Er kennt deren Schwächen sehr genau, aber er nagelt sie nicht allein darauf fest. Gott würdigt auch ihre Stärken: die Tapferkeit, mit der viele von ihnen ihr schweres Leben meistern, die Beharrlichkeit, mit der sie eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder ersehnen und die Großzügigkeit, mit der sie oft das wenige, das sie haben, mit anderen teilen.

Von der Fürsorglichkeit guter Hirten sollen die Könige Israels im AT lernen, was gutes Regieren bedeutet. Ganz einfache Leute werden da also zum Vorbild für die hohen Herrschaften gemacht. Oder denken Sie daran, mit wie viel Hochachtung Jesus die Witwe beobachtet, die ihren letzten Cent in den Opferstock legt und wie er diese Freigiebigkeit seinen Jüngern als vorbildliche Glaubenspraxis vorhält gegenüber der Tendenz vieler Wohlhabender, alles zu berechnen oder zu funktionalisieren nach dem Motto: was bringt mir das, was habe ich davon!

An anderer Stelle erzählt Jesus noch einmal von einer Witwe, die zu der ärmsten und sozial am wenigsten abgesicherten Bevölkerungsgruppe in Israel gehört, wie sie in einem Rechtstreit einen Richter tagelang bestürmen muss, bevor er ihr endlich ihre Forderungen erfüllt. Und ich denke dabei an die vielen Bedürftigen, die sich heutzutage durch einen regelrechten Bürokratiedschungel durchbeißen müssen, um das, was ihnen zusteht, zu bekommen. Der Leiter der ARGE hat neulich auf unserem Pfarrkonvent öffentlich zugegeben, dass er selbst die Antragsformulare für AG II nicht ohne fremde Hilfe ausfüllen könnte. Da kann man sich vorstellen, was das für einfache Leute bedeutet!

Anders als viele, die heute das große Wort schwingen, lässt das harte Leben der Armen Jesus nicht kalt. Er betrachtet es nicht aus sicherer Entfernung von oben herab. Er teilt es. Und immer wieder lässt er sich anrühren, nicht nur von der Not der Menschen, sondern auch von der menschlichen Größe gerade der kleinen Leute.

Und so verwundert es eigentlich auch nicht, dass er auf die Frage, wer wohl der Größte in Gottes Augen ist, ein Kind an die Hand nimmt und sagt: „wer es auf sich nimmt, vor den Menschen so klein und unbedeutend dazustehen, wie dieses Kind, der ist in Gottes neuer Welt der Größte.“

Ich finde es wichtig für uns als Christinnen und Christen, Jesus in seiner Wertschätzung der kleinen Leute zu folgen und nicht immer nur auf die Defizite der sozial Schwachen zu starren und sie damit zu beschämen. Armut ist eine Schande für unsere reiche Gesellschaft, aber sie ist keine Schande für die Betroffenen!!. In ihrem täglichen Existenzkampf zeigen gerade sie oft eine bewundernswerte Stärke und Zähigkeit.

Und selbst wenn sie nach unserem kirchlichen Maßstab nicht besonders fromm sind und eine ganz andere Sprache mit ihrem Herrgott sprechen als wir das hier tun, bin ich sicher: Gott versteht sie. Und er lässt sie auch mit den speziellen Irrungen und Wirrungen, die zu ihrem Leben gehören nicht fallen. Die Armen bleiben Gottes liebste Kinder.

Amen


Pfr. Sylvia Bukowski, Wuppertal
Moderator des Reformierten Bundes Peter Bukowski kritisiert die gegenwärtige Hartz IV - Debatte

Hannover, 1. März 2010 – In einem Gespräch mit dem reformierten Quartalsmagazin ''die reformierten.update'' hat sich jetzt der Moderator (Vorsitzende) des Reformierten Bundes, D. Peter Bukowski (Wuppertal), zur gegenwärtigen Diskussion um Hartz IV geäußert.