Trauern in der Weihnachtszeit

''Ich lebe, und ihr sollt auch leben'' - Johannes 14,19

Eine Traueransprache wenige Tage vor Weihnachten von Martin Braukmann, Oberfischbach

Traueransprache

Kasus: Rechtsanwalt, 74 Jahre, verstirbt nach langer Krankheit. Der Verstorbene war dem Glauben gegenüber sehr distanziert. Die Angehörigen bitten aber um seelsorgerliche Begleitung.

Text: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ (Joh 14,19)

Liebe N.N, liebe Angehörige und Freunde von N.N., liebe Trauergemeinde,

wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von N.N. Wenn es überhaupt einmal eine passende Zeit zum Sterben und Trauern gibt, so scheint der momentane Zeitpunkt der unpassendste zu sein. Um uns herum bereitet sich alles auf Weihnachten vor. Viele Menschen sehnen sich nach Geborgenheit und sind mit einer großen Erwartungshaltung unterwegs. Alles, was sonst im Jahr nicht zusammen passt, soll jetzt passen. Alles was sonst eher auseinander läuft, soll nun zusammenfinden. Die Sehnsucht gerade an Weihnachten nach gelingendem Leben, nach Frieden und Ruhe und auf der anderen Seite die Trauer scheinen irgendwie nicht zusammen zu passen. Aber passt der Tod überhaupt einmal in unser Leben und Denken?

Was N.N. betrifft, so kann man nur sagen: er wollte leben. Er wollte noch nicht sterben und hatte auch noch so manchen Plan. Noch so viele „Wenn, dann“ standen ihm vor Augen. Doch diesem Planen und Sinnen ist ein Ende gesetzt worden. Nach einer für ihn doch sehr beschwerlichen Zeit konnte er nun sterben. Ich sage das bewusst so. Für euch als Angehörige ist es immer deutlicher geworden, dass es so nicht weitergehen konnte. Es wurde immer klarer, dass aus einem Lebensweg so langsam ein Sterbeweg geworden ist. Und diesen Weg seid ihr in treuer Liebe mitgegangen. Was Ihr N.N. tun konntet, das habt Ihr ihm getan.

In Trauer und zugleich in Dankbarkeit blicken wir nun auf das zurück, was N.N. Euch sein konnte. Und es ist gut, dass wir das erinnern. Denn genau das brauchen wir, um in Dankbarkeit das langsame Loslassen zu lernen. Und jeder von uns hier, hat wohl sein Bild von N.N.; geprägt durch das, was das gemeinsame Leben ausgemacht und bestimmt hat.

Der Bergmann, der durch viel Fleiß und Mühe den Kohleflöz gegen die Kanzlei als Arbeitsplatz getauscht hat. Der gerne die Segel gesetzt hat, auch wenn Sturm angesagt war. In dessen Leben sich wie überall auch Gelingen und Scheitern fanden. Wo mancher Törn nicht seinen Zielhafen fand aber andererseits sich manche Flaute zu einer erlebnisreichen Segeltour entwickelte. Ein Leben, in dem vieles gelang und manches offen, unvollendet, fragmentarisch blieb.

Wir würden gerne das gemeinsam Angefangene vollenden, abschließen und in den Hafen bringen. Doch es scheint, als habe N.N. vorher das Schiff verlassen müssen.

In unserem Abschiednehmen und Trauern fragen wir nach Halt, Perspektive und Hoffnung. Aber können wir es denn lernen, mit dem Tod umzugehen? Zu leben, angesichts des Todes? Und wie passt das in die Vorweihnachtszeit? Wie passt das unter den Christbaum?

Bevor ich darauf eingehe möchte ich Euch folgende Geschichte erzählen: Der Tod und der Gänsehirt (ein Märchen der Brüder Grimm, nacherzählt von Janosch)

"Einmal kam der Tod über den Fluss, wo die Welt beginnt. Dort lebte ein armer Hirt, der eine Herde weißer Gänse hütete.

„Du weißt, wer ich bin, Kamerad?“, fragte der Tod.

„Ich weiß, du bist der Tod. Ich habe dich auf der anderen Seite hinter dem Fluss oft gesehen.“

„Du weißt, dass ich hier bin, um dich zu holen und dich mitzunehmen auf die andere Seite des Flusses.“

„Ich weiß. Aber das wird noch lange sein.“

„Oder wird nicht lange sein. Sag, fürchtest du dich nicht?“

„Nein“, sagte der Hirt. „Ich habe immer über den Fluss geschaut, seit ich hier bin, ich weiß, wie es dort ist.“

„Gibt es nichts, was du mitnehmen möchtest?“

„Nichts, denn ich habe nichts.“

„Nichts, worauf du hier noch wartest?“

„Nichts, denn ich warte auf nichts.“

„Dann werde ich jetzt weitergehen und dich auf dem Rückweg holen. Brauchst du noch etwas, wünschst du dir noch was?“

„Brauche nichts, hab alles“, sagte der Hirt. „Ich habe eine Hose und ein Hemd und ein Paar Winterschuhe und eine Mütze. Ich kann Flöte spielen, das macht lustig. Meine Gänse verstehen nicht viel von Musik.“ (>>> weiter in der Erzählung)

"Und als der Tod ihm die Hand auf die Schulter legte, stand er auf, ging mit über den Fluss, als wäre nichts, und die andere Seite  hinter dem Fluss war ihm nicht fremd. Er hatte Zeit genug gehabt, hinüberzuschauen, er kannte sich hier aus, und die Töne waren noch da, die er immer auf der Flöte gespielt hatte; er war sehr fröhlich. Das war schön für ihn (...)" (Janosch)

Wie kann das für uns gelingen, auf die andere Seite zu schauen? Eine Möglichkeit ist die scheinbar rational Haltung, dass mit dem Tod sowieso alles aus sei. Aus vorbei. Wenn der große Gleichmacher kommt, dann ist alles an ein Ende gekommen. Dann bleibt uns nur die Erkenntnis, dass wir mit dem Leben noch nicht fertig waren.

Ich möchte an dieser Stelle von meinem Glauben reden, denn der gibt mir Halt. Und ich möchte die zwingende Frage in den Raum stellen, ob wir am Wochenende nur ein schönes Traditionsfest feiern, oder das Fest des Lebens. Auf diese Frage sollten wir eine ehrliche Antwort finden, denn das hat weitreichende Konsequenzen für uns.

In der Todesanzeige habt ihr über dem Leben von N.N. geschrieben: gehofft, gekämpft und doch verloren. Ja so scheint es. Aber ich möchte nicht dabei stehen bleiben, denn nach biblischem Verständnis trägt Leben noch eine ganz andere Dimension in sich; nämlich die der Ewigkeit. Ich glaube fest daran, dass dieser Satz nicht über einem Leben stehen muss. Da, wo ich bei meinen Möglichkeiten stehen bleibe, da gibt es an dieser Stelle keinen Fortschritt, kein Weiterkommen. Da bleibt es dabei: gehofft, gekämpft und doch verloren. Ganz anders sieht das Lebensfazit christlicher Hoffnung aus: gehofft, gekämpft und dann gewonnen!

Ein Wort aus dem Johannesevangelium bündelt christliche Glaubens- und Lebenshoffnung in einem Zitat Jesu so: Ich lebe und ihr sollt auch leben!

Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst einmal klar machen, dass die Bibel unter Leben etwas ganz anderes versteht als wir es umgangssprachlich tun. Leben und Glauben werden verstanden als Beziehungsbegriffe. Leben ereignet sich im Wesentlichen im Glauben und als Glauben an Gott. Leben wird verstanden als in-Beziehung-sein  zu Gott. Und eben dieses Leben wird nicht aufhören. Das bleibt, auch über den Tod hinaus. Das bleibt, weil Gott sich in seiner unverbrüchlichen Treue dafür verbürgt. Das bleibt, weil Gott mich hält und niemals preisgibt.

Prof. Hans-Joachim Eckstein sagte einmal im Hinblick auf christliche Zukunftshoffnung: Die Hoffenden genießen schon gegenwärtig das Glück der zukünftigen Erfüllung, von der Hoffnungslose nicht einmal ahnen, dass sie kommen wird. Das bezeichnet für mich den Perspektivwechsel, den wir brauchen, um beispielsweise hinter Weihnachten nicht nur ein Traditionsfest zu sehen. In der Weihnachtsgeschichte ist vielmehr schon exemplarisch die gesamte christliche Heilsgeschichte verborgen. Das Kreuz von Golgatha und die Krippe sind aus dem gleichen Holz geschlagen. Und die Windeln, in die Maria Jesus wickelt sind aus dem gleichen Stoff, wie die Leichentücher, in die Jesus später eingeschlagen wird. Schon beim Beginn der Menschwerdung Gottes zeichnet sich ab, dass sich hier etwas ereignet, was die Welt langfristig verändern wird.

Von dem Neuen, das begonnen hat und kommen wird, können wir aber nur in Bildern und Vergleichen reden. Genauso wie ich von Gott im Hinblick auf unsere Wirklichkeit nicht 1 : 1 reden kann, so gilt das auch für die christliche Auferstehungshoffnung. In der Auferstehung Jesu Christi fand der Tod seinen Tod. Auf der anderen Seite des Flusses steht neues, ewiges Leben, aber keineswegs die Fortsetzung dessen was war. Die christliche Hoffnung redet von einer Neuschöpfung, von gänzlich neuem Leben. Und denjenigen, die daran glauben, wird zusagt, dass sie daran Teil haben werden; heute schon. Dem Glaubenden beginnt das ewige Leben schon heute.

Wer einmal den Zweifel überwunden hat und sich darauf einlässt, das wir eben nur in Bildern unsere Hoffnung beschreiben können, der gewinnt zugleich eine ungeheure Freiheit.

(Beispiel erzählen: Ich stelle im KU den Konfis die Aufgabe, sie sollen einem „Eskimo“ erklären, was eine Sonnenblume ist. Die oftmals recht schnell vorgebrachten Vergleiche passen nicht, da der „Eskimo“ diese in seiner Umwelt nicht vorfindet, nicht kennt. Letztendlich bleibt nicht viel mehr übrig als eine Sonnenblume in den Schnee zu malen und entsprechend zu erklären. Jedem sollte klar werden, das das aber unendlich weit vom dem entfernt ist, was etwa ein Frau empfindet wenn man ihr einen Strauß Sonnenblumen schenkt. Diesen Überhang kann man aber nicht erklären. Ähnlich ist es doch auch, wenn Paulus, rsp. die Bibel von der Auferstehungshoffnung und dem neuen Leben redet. Das neue Leben, die neue Schöpfung sind qualitativ unendlich mehr als bloß eine Fortschreibung dessen, was ist. Aber wir können nur in Bildern davon reden).

„Ich lebe und ihr sollt auch leben“, das ist die ins Leben gekommene Botschaft von Weihnachten, wenn es heißt: "Freut euch, denn euch ist heute der Heiland geboren." Das aber haben nur die entdeckt, die sich auf den Weg gemacht haben. Sie haben in dem Kind in der Krippe Gott selbst entdeckt, der in die Widerwärtigkeiten, Zweifel, Ängste und Nöte der Welt kommt.

Anfangs habe ich die Frage gestellt, ob unsere Trauer über dem Sterben von N.N. jetzt nicht gänzlich unplatziert ist. Ganz im Gegenteil. Genau darauf will Weihnachten ja eine Antwort geben. In aller Lebensfeindlichkeit, Dunkelheit und Ohnmacht wird es Weihnachten. Nicht weil die Menschen sich vorbereitet haben, sondern weil Gott es will. Das Leben wird sich durchsetzen. Wohl dem, der daran glaubt.

Wenn wir jetzt in Dankbarkeit Abschied nehmen von N.N., dann befehlen wir ihn und uns der Gnade Gottes an. Möge Gott es schenken, dass es auch für ihn Weihnachten wird; wo Gott und Mensch zusammenfinden. Uns schenke und erhalte er den Glauben dem gesagt ist: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Amen


Martin Braukmann, Pfarrer in Oberfischbach, Dezember 2011