Adventszeit - Zeit der Umkehr, Beichte, Buße

Markus 1, 1-15 - 3. Advent

„Der einsame Baum“ © Markus Zahnd / www.piqs.de

"Umkehr, Beichte und Buße, Sünden bekennen – welche dieser Worte gehören auf die Liste der bedrohten Wörter, d.h. zu den Wörtern, die kaum mehr ausgesprochen und geschrieben werden und allmählich in Vergessenheit geraten?" Von Pfarrerin Claudia Malzahn, Köln

Liebe Gemeinde!

„Kehrt zum Leben um und vertraut der frohen Botschaft!“ (Bibel in gerechter Sprache) oder, wie wir es eben in der Lutherübersetzung hörten: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Mk1,15)

Diese Worte aus den ersten Versen des Markusevangeliums passen gut in die Adventszeit. Denn Advent ist ja eine der beiden klassischen Vorbereitungs- und Bußzeiten im Kirchenjahr. Die Passionszeit als Bußzeit zwischen Karneval und Ostern ist sicher bekannter. Denn dass die Adventszeit als eine Zeit der Besinnung besonders auch als Zeit der Buße und der Umkehr zum Leben gedacht ist, scheint so schwer zugänglich inmitten der Geschäftigkeit, der Jahresabschlüsse, der vielen Erledigungen und Besorgungen, der Freude auf die Feiertage und der Befürchtungen um die Tage voller besonderer Emotionen, die auch 2008 mit Weihnachten und Jahreswechsel für viele Menschen verbunden sind.   

Kehrt zum Leben um und vertraut der frohen Botschaft!

Die ersten Verse des Markusevangeliums verweisen uns unmissverständlich auf Buße, Umkehr zum Leben und auf das Vertrauen auf die frohe Botschaft Gottes für alle Menschen. Das Markusevangelium als das älteste und kürzeste der vier Evangelien ist schlicht und klar. Die Erzählungen über das Leben und Handeln Jesu wurden bis dahin nur mündlich erzählt. Nun, so um das Jahr 70 herum, wird der Versuch unternommen, die Geschichten Jesu aufzuschreiben, eine Form zu finden, die später auch als literarische Gattung Eu-angelion, gute, frohe Botschaft, genannt wird. 

Und um die Erzählungen von Jesus in eine Traditionslinie zu stellen, wird gleich am Anfang das verwendet, was als heilige Schrift vorliegt: die Schriften des ersten Testaments, die hebräische Bibel. 

Wir hören Prophetenworte am Anfang des Evangeliums:

„Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her,
der da bereite deinen Weg.
Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste:
Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige richtig!“

Aus dem 2. Buch Mose, aus dem Prophetenbuch Maleachi und aus Jesaja wird hier unter der Überschrift „wie schon Jesaja sagt“ zitiert.

Und dann werden wir bekannt gemacht mit einem aktuellen Propheten, einem Rufer in der Wüste: Johannes, der in der Wüste lebt und die Taufe verkündet, die Taufe der Umkehr zum Leben und der Befreiung von Sünden. „Alle ließen sich von ihm im Fluss Jordan taufen, wobei sie ihr ungerechtes Handeln gegen Gott und die Menschen aussprachen.“
Die Taufe ist hier ganz eng verknüpft mit Buße und Umkehr zum Leben. Unser Familienfest mit dem Säugling, der von Erwachsenen zur Taufe gebracht wird, hat mit diesem klar beschriebenen Handeln der Menschen nicht allzu viel zu tun. Erwachsene Menschen verlassen ihre alltägliche Umgebung, machen sich bewusst auf dem Weg, und bedenken, was gut und was schlecht war in ihrem Leben bisher. Bei der Taufe sprechen sie ihre Sünden laut aus, sagen, welches ungerechte Handeln gegen Gott und gegen Mitmenschen sie zu büßen haben. Sie rechnen mit einem baldigen Ende der Welt. In dieser Zeit lebten viele Menschen mit der Erwartung des Weltendes. Und es war durchaus üblich, sich möglichst spät taufen zu lassen und rein zu sein, wenn der Tod kam.

Johannes wird in der Wüste mit dem Tierfell und dem Gürtel so beschrieben, dass Kundige darin Parallelen zu Elia erkennen können, der Prophetengestalt aus dem Buch der Könige, die am Ende der Zeiten wiederkommen soll. Und  nachdem das Taufhandeln und die Gestalt des Johannes beschrieben sind, folgen auch die Worte seiner Predigt: „Nach mir kommt jemand machtvoller, als ich es bin. Verglichen mit dieser Person bin ich nicht gut genug, dass ich mich bücke und ihren Schuhriemen löse. Ich habe euch mit Wasser getauft, sie aber wird euch in heiliger Geistkraft taufen.“ Johannes, zu dem die Menschen in großer Zahl strömten, nimmt sich ganz zurück und verweist einzig auf den, der da kommt.  

Und nun folgt – im ersten Kapitel des Markusevangeliums schon – der erste Höhepunkt der Erzählungen von Jesus: eine Audiophanie, Gott lässt sich aus dem geöffneten Himmel hören. Jesus kommt zu Johannes, Johannes tauft ihn im Jordan  und als Jesus getauft ist, öffnet sich der Himmel, die Geistkraft kommt über ihn wie eine Taube und eine Stimme tönt: „Du bist mein geliebtes Kind, über dich freue ich mich!“  So schnell geht das bei Markus: keinerlei Erklärungen vorab wer Jesus ist, welcher Stammbaum, welche Geburtsgeschichte, welche Bedeutung Jesus als das Wort Gottes haben wird, sondern Jesus aus Nazareth in Galiläa kommt wie alle anderen auch zu Johannes, bittet um die Taufe im Jordan und dann beginnt das Besondere: Die Himmel öffnen sich. Jesus wird mit der Geistkraft in Form einer Taube beschenkt und er wird angesprochen als Gottes Sohn, der Grund zur Freude ist.

Ohne irgendeinen Hinweis, wie diese Worte aus dem geöffneten Himmel aufgenommen wurden -  eine von drei gehörten Gotteserscheinungen, sogenannten Audiophanien, im Evangelium des Markus (Taufe, Verklärung, Engel am Grab) – werden wir sofort in eine neue Umgebung geworfen. Weg vom Jordan, weg von Johannes, weg von allen anderen, führt die Geistkraft Jesus in die Wüste hinaus. Und dort bleibt Jesus die lange Spanne von 40 Tagen – die Zahl ist wieder ein Zitat und erinnert an die vierzig Jahre, die das Volk Gottes durch die Wüste zog, weg vom Sklavenhaus hin ins gelobte Land. Und die Wüste ist nicht unbelebt. Jesus begegnet dem Satan, der ihn auf die Probe stellt. Und er lebt mit wilden Tieren und Engeln, die ihn umfassend versorgen. Die satanischen Versuchungen werden bei Markus nicht weiter beschrieben. Um so bildhafter erscheint das gemeinsame Leben mit Tieren und Engeln und das Versorgt-Werden.

Und nun erfolgt wieder so ein Sprung in unserem Predigtabschnitt: Die Wüstenzeit liegt hinter Jesus. Nun ist er in Galiläa. Johannes ist im Gefängnis – warum, das braucht zu Zeiten von Verfolgung gar nicht weiter erklärt zu werden. Und Jesus, noch bevor er Simon und Andreas am See Genezareth trifft,  beginnt zu predigen: „Der Augenblick ist gekommen, die Zeit erfüllt. Die Gottesherrschaft ist nahe gekommen! Kehrt um und vertraut dem Evangelium!“

Umkehr zum Leben und Vertrauen auf Gott – darum geht es in den ersten Worten, die das Markusevangelium von Jesus berichtet. Vorbereitet sind diese Worte durch das Taufhandeln des Johannes, der genauso von Umkehr zum Leben und Befreiung von Sünden spricht. Und erste Worte sind in der Regel von besonderem Gewicht.

Umkehr, Beichte und Buße, Sünden bekennen – welche dieser Worte gehören auf die Liste der "bedrohten Wörter" [1], d.h. zu den Wörtern, die kaum mehr ausgesprochen und geschrieben werden und allmählich in Vergessenheit geraten? Sicher außerhalb kirchlicher Räume, aber auch in unseren evangelischen Gottesdiensten und Veranstaltungen ist wenig Deutlichkeit zu spüren, wenn es um Beichte und Buße geht, wenn Menschen versuchen, in der Sprache von heute und für Menschen von heute Sünden konkret zu benennen und zu bekennen. „Ungerechtes Handeln gegen Gott und die Menschen“ bekannten die Täuflinge im Jordan laut. Wie wäre das hier und jetzt vorzustellen? –

Die Versöhnungslitanei von Coventry aus dem Jahr 1959 (EG 879) haben wir in der Liturgie zusammen gesprochen. Sie benennt ganz konkrete Sünden: Rassenhass, Klassenhass, habsüchtiges Besitzstreben, Ausbeutung von Menschen und Erde, Neid, Teilnahmslosigkeit am Schicksal von Flüchtlingen und Heimatlosen, tödliche Suchterkrankungen, egozentrischer menschlicher Hochmut. Diese Themen waren vor fünfzig Jahren aktuell zu füllen mit konkreten Ereignissen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Sie sind auch heute mit Beispielen konkret zu machen:

Dormagen gilt bundesweit als die Stadt, die mit einem Frühförderangebot für Kleinkinder beste Ergebnisse erzielt, wenn es um Stärkung sozial Schwacher geht. Aber kaum eine andere Kommune oder ein Land sagt: ja, wir nehmen frühe Förderung als Hauptaufgabe an, für die wir uns einsetzen, damit Chancen gerechter verteilt werden hier bei uns! Sünde heißt hier: Resignation, da kann man eh nichts machen! Hauptsache, ich selber komme durch. Und Umkehr zum Leben bedeutet, auf der Suche zu bleiben nach Wegen, die besseres möglich machen, die auch in der Wüste das Land der Verheißung noch im Blick behalten. Gute Beispiele sind dazu da, für die eigene Situation übersetzt zu werden.

Dass es in der evangelischen Tradition auch die Beichte gibt, ist Vielen unbekannt. Wer aber davon Gebrauch machen durfte, wie entlastend es ist, unter dem Schutz des seelsorglichen Beichtgeheimnisses aussprechen zu können, was mich an schuldhaftem eigenen Handeln von Gott und von Menschen trennt, der weiß etwas von der Befreiung durch die Sündenvergebung und vom Zuspruch eines neuen Anfangs, den wir Menschen immer wieder nötig haben.

Für Umkehr, Beichte und Sündenbekenntnis brauchen wir Menschen diese kirchlichen Bußzeiten. Manchmal ist es nötig, durch die Wüste zu gehen, sich nicht ablenken zu lassen von den vielen Aufgaben und Anforderungen, Ablenkungen und Anregungen. Manchmal ist es gut, sich erinnern zu lassen, dass es Zeit ist anzuhalten und zu kontrollieren, ob die Richtung stimmt, wo die Fehler und wo die guten Entscheidungen lagen in der Wegstrecke, die hinter mir liegt und in Blick auf die Wegstrecke, die sich vor mir auftut. Manchmal erfahren Menschen in Wüstenzeiten, wie unerwartet wilde Tiere und Engel umfassend für sie sorgen. 

Der Augenblick ist gekommen, die Zeit erfüllt. Die Gottesherrschaft ist nahe gekommen!

Von der Gottesherrschaft, von der Zeit, die erfüllt ist und vom Augenblick spricht Jesus in seinem ersten Satz im Markusevangelium. Die Herrschaft Gottes, das Königreich Gottes auf Erden, das Reich der Himmel – so viele Bilder und Übersetzungen der griechischen „Basileia tou theou“ gibt es. Es ist viel darüber gedacht und geschrieben worden, was mit diesem zentralen Wort in Jesu Verkündigung gemeint ist. Dass das Reich Gottes schon angebrochen ist und doch noch nicht vollendet ist – das berühmte „schon jetzt und noch nicht“ – beschreibt das Rätselhafte dieses Begriffes besonders gut. 

Wenn alle Menschen befreit sind zum Leben, wenn alle satt werden, wenn jede und jeder Würde und Wert spürt und achtet, wenn Wolf und Lamm beieinander liegen – es ist möglich, diese Beispiele für eine Beschreibung des Gottesreiches weiter zu spinnen ohne Ende.

Wir haben mit dem aktuellen Projekt der reformierten Gottesdienste, das Markusevangelium ein ganzes Jahr hindurch als Predigtreihe zu lesen, reichlich Zeit und Gelegenheit, dem auf die Spur zu kommen, was Jesus meint, wenn er von der Gottesherrschaft spricht, für die er mit seinem Leben einsteht.

Aus dem heutigen Text sind mir die Begriffe Augenblick und erfüllte Zeit dabei wertvolle Hinweise zum Verstehen. Jetzt ist der Augenblick! Es gibt das Reich der Himmel ganz offensichtlich nicht zum Festhalten. Und doch: Es gibt  Momentaufnahmen des offenen Himmels. Es gibt Erzählungen, wie die Stimme vom Himmel Jesus als seinen geliebten Sohn anspricht. Es gibt Erfahrungen, in denen Menschen spüren, dass es eine Freude ist, geliebt zu sein von Gott und von Menschen. Da erfüllt sich eine Zeit, und Menschen kommen zu Gott und beginnen, neu zu leben.

Kehrt um und vertraut dem Evangelium!

Glauben und Vertrauen ist unsere Aufgabe, wenn wir zum Leben umkehren wollen. Niemand hat gesagt, dass das ein Leichtes sei... Und doch: Das Evangelium bleibt die frohe Botschaft, dass wir Gottes Kinder sind. Wir sind in der Lage zu leben und zu lieben, Gott, unseren Nächsten wie uns selbst. Wir sehen auf Jesus, Gottes geliebten Sohn, aus dessen Leben auf Erden wir im Markusevangelium wesentliche Stationen aufgeschrieben bekommen haben. Die Umkehr zum Leben in der Adventszeit in den Blick zu nehmen, ist keine Übung uns klein zu machen oder zu schädigen. Zum Leben umzukehren bedeutet, sich zu klären, Schweres abzulegen, Vertrauen neu einzuüben. Dazu ist es gut, sich Zeit zu nehmen. So kann eine neue Lebendigkeit wachsen aus dem Vertrauen auf Gott und seine gute Botschaft für jede und jeden von uns.
AMEN.

[1] Hinrich C.G. Westphal schreibt im Kalender "Der andere Advent 2008 zum 6. Dezember: "Wann müssen Wörter sterben? Wenn sie nicht mehr ausgesprochen oder geschrieben werden und allmählich in Vergessenheit geraten. Vor einem Jahr wurde in einem Wettbewerb nach dem schönsten bedrohten Wort gefragt...."

Predigt in der Reihe: "Der einfache Gottedienst", reformierte Predigten zum Markusevangelium, Melanchthon-Akademie Köln


Pfarrerin Claudia Malzahn, Köln