Altwerden

Predigt in Pandemie-Zeiten


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Von Sylvia Bukowski

Liebe Gemeinde,

was Sie soeben in der Lesung gehört haben beschreibt das Alter mit all seinen möglichen Gebrechen, die sich z.T. auch schon  früher einschleichen: Die Fenster werden trübe – sprich die Sehkraft lässt nach und plötzlich braucht man eine Brille, die Müllerinnen – die Zähne machen Probleme und der Zahnarzt ist zu Höchstleistungen gefordert und immer öfter ärgert man sich, dass alle anderen – natürlich vor allem die Jugendlichen - so nuscheln, dass man kaum etwas richtig versteht, weil sich die „Türen an der Gasse verschließen“, die Ohren immer weniger gut hören. Man sucht zwar nach den besten Möglichkeiten, sich möglichst lange geistig und körperlich fit zu halten.  Aber irgendwann muss man sich der Tatsache stellen, dass man alt ist, dass die Grenzen der Kraft enger werden, und dass man auch nur noch begrenzte Lebenszeit hat.

Alt werden wollen alle, aber alt sein?

In unserer Gesellschaft ist Altsein in jeder Hinsicht ein Makel – Bei Gebrauchsartikeln gilt: Verlockend ist nur das Neuste vom Neuen, nur damit kann man erfolgreich werben. Und bei Menschen ist es ähnlich: Nur wer jung und dynamisch ist, bekommt Aufmerksamkeit, nur wer mithalten kann mit dem Tempo der Veränderungen hat Chancen. Die Alten, vor allem die gebrechlichen und pflegebedürftigen unter ihnen werden gern übersehen. Die Coronakrise hat das auf erschreckende Weise deutlich gemacht. In vielen Ländern wurden Heimbewohner vernachlässigt und ihr Tod an Covid 19 in Kauf genommen. Und in der Diskussion über die sogenannte Triage, die Entscheidung, welche Patienten im Notfall bevorzugt behandelt werden sollten, kamen betagte Menschen oft schlecht weg.

Alt werden – ja. Aber alt sein?

Was sagt die Bibel darüber?

Zum einen etwas ganz Banales: Alter ist relativ.

Der älteste Mensch der Bibel ist – Sie wissen es natürlich – Methusalem mit 969 Jahren, dicht gefolgt von Noah mit 950 Jahren und Adam mit 930 Jahren. Dagegen ist Abraham mit seinen schlappen 175 direkt ein Jungspund.

Aber muss man das als frommer Mensch glauben? Nein, muss man nicht. Diese Altersangaben gehören zu einem Lebensverständnis, das für uns nicht mehr relevant ist. Realistischer ist der 90.Ps wo es heißt: Des Menschen Leben währet 70 Jahre und wenn`s hoch kommt 80...

Das war damals übrigens – anders als heute wirklich hoch gegriffen, denn die durchschnittliche Lebenserwartung betrug in Israel damals 40-50 Jahre. D.h. Man war schon mit 30 ziemlich alt, genau wie wir das als Jugendliche immer vermutet haben. Trau niemand über 30, war unser Slogan.

Zweitens lehrt die Bibel – auch im Blick aufs Alter: Früher war auch nicht alles besser

An mehreren Stellen der Bibel wird eindringlich zum Respekt vor alten Menschen aufgefordert: „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen, eine greise Person sollst du ehren, heißt es beispielsweise in 3 Mos 19,23....

Wenn eine solche Aufforderungen nötig ist, kann man vermuten, dass die Achtung vor alten Menschen schon damals nicht selbstverständlich war. Und in der Tat sind auch derbe Frechheiten gegenüber Alten überliefert. Da verspotten z.B. einige Jungen den ehrwürdigen Propheten Elischa und rufen ihm „Glatzkopf, Glatzkopf“ nach. Oder ein Jugendlicher prahlt mit seiner Potenz: 1 Kön 12,10: Mein kleiner ist dicker als meines Vaters Lenden, was bei Luther allerdings schamhaft zu „mein kleiner Finger“ ist dicker als meines Vaters Lenden wird...Jedenfalls: Alte Menschen mussten sich schon immer so Manches gefallen lassen


3.Aber ermutigend finde ich, was die Bibel zu den Quislingen sagt, die uns im Alter manchmal plagen: Wer braucht mich denn noch? Für wen bin ich noch nütze? Die Bibel macht ganz klar:  für Gott gehören alte Menschen nicht zum alten Eisen. Für ihn sind sie nicht unbrauchbar. Im Gegenteil:

Immer dann, wenn Gott einen neuen Abschnitt in seiner Geschichte mit den Menschen beginnt, spielen alte Menschen eine entscheidende Rolle.

Als Gott nach der Sintflut seine Geschichte mit einem einzelnen Volk, dem Volk Israel beginnt, um exemplarisch zu zeigen, was es bedeutet, mit Gott im Bunde zu sein, da sucht er dazu nicht junge, dynamische Leute als Pioniere, sondern den alten Abraham und seine Frau Sara. Ausgerechnet dieses altgewordene Paar, von dem kein Mensch mehr Neues erwarten würde – und sie selbst wahrscheinlich auch nicht, ausgerechnet die macht Gott zu den Stammeltern  Israels.

Und als Gott später in seiner Bundesgeschichte mit Israel ein neues Kapitel beginnt, stehen am Anfang wieder alte Menschen: Zacharias und Elisabeth werden zu Eltern von Johannes dem Täufer, dem Vorboten Jesu, und als Jesus mit 8 Tagen wie alle jüdischen Jungen beschnitten wird, sind es Simeon und Hanna, beide hochbetagt, die in dem kleinen Kind den ersehnten Messias erkennen.

Ich vermute, Gott beginnt gerade mit alten Männern und Frauen das entscheidend Neue in seiner Geschichte mit den Menschen, weil sie besser als die Jungen wissen, dass nicht alles, was sie erleben, Ergebnis der eigenen Kraft und des eigenen Könnens ist, sondern ganz allein Gottes gnädiges Werk. Das Kind, das Abraham und Sara oder auch Zacharias und Elisabeth nach langen Jahren der Kinderlosigkeit bekommen ist nicht das selbstverständliche Produkt menschlicher Fruchtbarkeit, sondern ein echtes Wunder, ein Geschenk Gottes, ein Zeichen seiner Gnade, die auch da, wo nach menschlichem Ermessen alles vorbei ist und nichts mehr zu hoffen bleibt, neue Anfänge schafft.

Alte Menschen können das vielleicht eher erkennen, weil sie ihre Grenzen besser kennen als junge Leute. Denn wenn man jung ist, und noch nicht völlig desillusioniert ist, denkt man, man könnte doch irgendwie alles in den Griff kriegen, wenn man sich nur richtig anstrengt. Und jetzt in der Coronakrise verhalten sich manche jungen Leute so, als seien sie unverwundbar und unsterblich, bräuchten sich also nicht an die Regeln zu halten...Aber das sind wirklich nicht alle!  

Die lange Lebenserfahrung macht alte Menschen jedenfalls – hoffentlich! – scharfsichtiger dafür, wieviel sie anderen verdanken, und wie oft Gottes in ihrem Leben am Werk war. Im Alter bekommt man hoffentlich einen besseren Blick für Gottes Gnade.

Von Gottes Gnade erzählen, anderen die Hoffnung weitergeben, dass Gottes Wege nicht zuende sind, auch wenn wir uns am Ende glauben – das ist auch für uns Ältere heute eine wichtige Aufgabe. Viele brauchen diese Ermutigung – Gleichaltrige, die viele Verluste hinnehmen müssen von Gewohnheiten, von Anerkennung, von Menschen, die zu ihrem Leben gehört haben, und daran zu zerbrechen drohen. Aber auch Jüngere brauchen die Bestätigung, dass sie etwas wert sind unabhängig von dem, was sie leisten und sich leisten können. Denn gerade die Jüngeren stehen oft unter gnadenlosem Druck und müssen schwere Krisen meistern!

4. Eine ganz praktische Lebensregel, die auch und gerade im Alter gilt gibt die Bibel im 103. Psalm, der dazu auffordert: Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.  Vergesslich für das Gute wird man allerdings nicht erst im Alter. Viele Menschen – und ich glaube vor allem wir Deutsche – sind groß darin, immer zu sehen, was nicht so gut ist. Wir nörgeln an allem möglichen herum, jammern jetzt besonders über die Coronaeinschränkungen und übersehen dabei, wie gut es uns immer noch geht im Vergleich zu vielen anderen, vor allem im Globalen Süden, wo kein soziales Netz Geschädigte auffängt.

Count your blessings, hilft zu jeder Lebenszeit, und vielleicht besonders im Alter, kein Miesepriem zu werden, sondern dankbar und wertschätzend für das Leben, selbst, wenn nicht alles immer gut ist.

Aber ich weiß natürlich auch: wenn die Beschwernisse im Alter zunehmen ist so eine positive Haltung nicht jedem und auch nicht zu jeder Zeit möglich. Da darf man auch mal klagen und sich an den Grenzen zu reiben, die das Alter uns setzt. Ich denke dabei nicht nur an die körperlichen Einschränkungen und Schmerzen, die einem wirklich schwer zu schaffen machen können. Fast noch schlimmer ist es, wenn man auf sein Leben zurückblickt und sieht, was man alles versäumt oder falsch gemacht hat. Manches kann man vielleicht noch richten, für manches noch um Entschuldigung bitten. Für anderes dagegen ist es zu spät. Es bleibt, es drückt auf das Gewissen, liegt schwer auf der Seele und verfolgt einen bis in die Träume. Wie wichtig ist es da, dass wir Gott bitten können, uns zu vergeben und zu heilen, was sich unseren Möglichkeiten entzieht.  

Bitten sollten wir Gott auch um ein großes Herz für die jungen Leute. Vieles an ihnen mag uns Alten fremd und unverständlich erscheinen. Im Kinderhospiz haben z.B. fast alle im Pflegedienst und auch viele Eltern Tattoos und Piercings, die mich zuerst total abgeschreckt haben, weil sie bei mir alle möglichen Vorurteile hervorgerufen haben. Aber dann habe ich die jungen Leute kennengelernt als wunderbare, liebevolle und höchst engagierte Menschen und ich war total beschämt. Also nicht nur auf das Äußere sehen, nicht pauschal urteilen, sondern immer näher hinsehen und hinhören, ehe Sie über die Jugend von heute reden!

In einer Welt, die durch so vieles gefährdet ist, brauchen gerade junge Leute Menschen, die ihnen mit Respekt, Neugier, Zutrauen und Großherzigkeit begegnen und ihnen Mut machen, sich den Aufgaben zu stellen, die eine lebenswerte Zukunft erfordert.
Ich finde, solche Menschen sollten wir sein.

Nicht zuletzt weil zum Alter auch die Frage gehört: was für Spuren wollen wir hinterlassen. Woran sollen die Jüngeren sich erinnern, wenn sie an uns denken? Was haben wir ihnen von unserem Glauben vorgelebt? Noch können wir die Antwort beeinflussen. Gott gebe uns dazu seinen heiligen, seinen heilsamen Geist, der wie es bei dem Propheten Maleachi heißt: das Herz der Väter und Mütter bekehrt zu den Kindern, und das Herz der Kinder zu ihren Vätern und Müttern, damit unsere Erde nicht untergeht.


Sylvia Bukowski