Bekennen heißt: Sich nicht mit Stellungnahmen zufriedengeben

Vier Fragen an Professor Dr. Georg Plasger, Siegen

Prof. Dr. Georg Plasger, Siegen

Zum 80. Jubiläum der Barmer Theologischen Erklärung am 31. Mai 2014

reformiert-info: Wie steht es um das aktuelle Bekennen der Reformierten heute?

Plasger: Es gibt unter den Christen sowohl eine Vernachlässigung des Bekennens – und das geschieht vor allem da, wo man die Gnade Gottes eher für sich behalten möchte und meint, dass es nicht nötig sei, sie „an alles Volk“ (Barmen VI) auszurichten.
Es gibt aber unter den Christen auch eine Überschätzung des Bekennens, die eine Überhöhung eigener Einsichten und manchmal sogar Rechthaberei bedeuten kann, wenn man das Wagnis des Bekennens nicht voraussetzt.

Die Reformierten waren nach meiner Auffassung in den letzten Jahrzehnten jedoch mehr in der zweiten Hinsicht gefährdet. Gleichwohl ist es nötig, dass die Barmer Theologische Erklärung nicht nur als historische Erinnerungskultur gepflegt und gehegt wird, sondern dass sich die Kirche den Herausforderungen und Wegweisungen stellt. Dazu gehört sicher auch die Frage nach der Gerechtigkeit, die die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und viele Kirchen und Gemeinden bewegt, nicht nur im Zusammenhang mit der Erklärung von Accra. Bekennen heißt aber eben auch, sich nicht mit Stellungnahmen zufrieden zu geben, sondern auch Schritte des Miteinanders bei der sicher nur bruchstückhaften Umsetzung des Bekennens zu gehen.

Geistlich-theologische Elementarnahrung

Die Barmer Theologische Erklärung sei „gewissermaßen ein Gradmesser der theologischen Debatten innerhalb des deutschen Protestantismus“, was „besonders zu den entsprechenden Jubiläen deutlich wurde“, heißt es zum 75. Jubiläum. Die Arbeitshilfe von 2009 konzentrierte sich mit ihrer Bestimmung von Wesen und Auftrag der Kirche auf These III.
Zum Jubiläum 2014 ist eine Gottesdiensthilfe erschienen mit Essays zum politischen Predigen, Beten, Singen und Essen. Was sagt das über das aktuelle Theologietreiben?

Plasger: Zunächst einmal ist ganz nüchtern zu sagen, dass die Konzentration auf politische Fragestellungen in der 2014 erschienenen Gottesdiensthilfe den Themenjahren innerhalb der Reformationsdekade zu verdanken ist: Da ist für 2014 „Reformation und Politik“ angesagt und da passen Erkenntnisse der Barmer Theologischen Erklärung gut hinein.
Aber darüber hinaus sehe ich in der ja für die Gottesdienste der Gemeinden gedachten Arbeitshilfe einen wichtigen Akzent: Da ist der geistliche Mittelpunkt der Gemeinde, da gehört die Besinnung auf Barmen zuallererst hinein. Und wenn es, wie in der Hilfe vorgesehen, dazu kommt, dass die dort versammelten Christinnen und Christen geistlich-theologische Elementarnahrung bekommen, kann das unserer Kirche nach innen und nach außen helfen – bei der Vergewisserung des eigenen Seins und bei der Wahrnehmung des Auftrags der Weltverantwortung.
Allerdings wage ich gar nicht zu hoffen, dass diese Einsichten im Zentrum „der theologischen Debatten innerhalb des deutschen Protestantismus“ stehen – schön wäre es. Ob die Konzentration auf Schwerpunktthemen der Kirche insgesamt guttut oder ob sie ihr durch das Weglassen anderer Akzente eher schadet, ist eine für dieses Gespräch zu große Frage. Aber es ist sicher hilfreich, dass sich die Kirche im schweren Reformprozess gerade auf der Ebene der Gemeinden nicht ausschließlich mit sich selber beschäftigt.

Kirche sollte nicht sich sebst feiern

Was wäre eine angemessene Jubiläumsfeier?

Plasger: Auf jeden Fall wäre es nicht gut, wenn die Kirche mit dem Jubiläum sich selber feiert. Denn auch wenn man sich über die Theologische Erklärung freuen kann, ja wenn man es sogar als Wunder bezeichnen kann, dass dieses gemeinsame Wort entstanden ist und bisher weltweit als hilfreich erlebt wird, so wird man das doch nur im Eingeständnis der Schuld sagen können, die auch unsere Väter und Mütter im Glauben auf sich geladen haben: Die Bekennende Kirche zerbrach faktisch wenige Zeit nach der Barmer Theologischen Erklärung, weil ein Teil der Evangelischen Kirche die Konsequenzen nicht tragen wollte; die sogenannten „intakten Kirchen“ zogen damals die Zusammenarbeit mit dem NS-Staat und vielerorts auch den Deutschen Christen der Treue zur Barmer Theologischen Erklärung vor.

Das in der Konsequenz der Barmer Theologischen Erklärung liegende und leider nicht explizit ausgesprochene Nein zur Diskriminierung der Juden und Jüdinnen darf ebenfalls nicht ausgeblendet werden. Mir ist nicht daran gelegen, der Vergangenheit allein mit Schuldgefühlen zu begegnen, aber zur Würdigung eines Bekenntnisses gehört immer auch die Wahrnehmung seiner problematischen Wirkungsgeschichte.

Verstehen und Weiterdenken

Gleichwohl ist die Barmer Theologische Erklärung ein Meilenstein in der Geschichte der Evangelischen Kirche des 20. Jahrhunderts – und wohl auch darüber hinaus. Eine angemessene Jubiläumsfeier hat vor allem die Aufgabe, zu verstehen und weiterzudenken – beides ist nötig.

Als „bleibenden Ruf nach vorwärts“ verstand Barth eine Aktualisierung der Barmer Erklärung.
In welche Richtung könnte die Kirche vorwärts gehen?

Plasger: Karl Barth hat die Barmer Theologische Erklärung als notwendige theologische Klärung zwischen zwei die Kirche auch von innen bedrängenden Häresien verstanden: Die des römischen Katholizismus und die des Neuprotestantismus. Die Häresie des römischen Katholizismus besteht nach Barth in der hierarchischen Lehrautorität, in die Gott eingebunden werde; die Häresie des Neuprotestantismus in der Vereinnahmung Gottes durch menschliche Vorverständnisse – und hier sieht Barth den Pietismus, Schleiermacher und die Deutschen Christen in theologischen Grundentscheidungen nahe beieinander.

Vielleicht können wir Barths hartes Urteil so nicht mehr übernehmen, weil unsere Situation eine andere ist und auch weil wir z.B. die römisch-katholische Kirche heute ganz anders wahrnehmen. Aber einfach daran vorbeigehen können wir auch nicht.
Die Konzentration auf die erste These der Barmer Theologischen Erklärung und also die Zentralstellung des Christusbekenntnisses ist eine bleibende Herausforderung. Das gilt auf der einen Seite für den ökumenischen Dialog mit Israel, das gilt auch für den Dialog mit anderen Religionen und das gilt nicht zuletzt für die Lehre der Kirche nach innen.
Nicht selten höre ich, dass wir von einem allgemeinen Gottesverständnis auszugehen hätten, um größtmögliche Offenheit zu erzielen. Oder dass wir von der Aussage, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch sei, doch abzusehen hätten, weil das eine altkirchliche und der Bibel eigentlich unangemessene Redeweise sei. Solche Plattitüden führen nicht weiter, weil sie sachlich zumeist unangemessen sind und einem Relativismus Vorschub leisten, der der Barmer Theologischen Erklärung frontal widerspricht.

Herausgefordert dialogfähig zu werden

Bekennen bedeutet keine apodiktische Redeweise, die das Gespräch mit Andersdenkenden abbricht. Sondern Bekennen erfordert Verstehen. Und Verstehen kostet Mühe. Um zu bekennen, brauchen wir christliche Elementarbildung in unseren Gemeinden – auf allen Ebenen. Barmen fordert uns im 21. Jahrhundert heraus, dialogfähig zu werden.

Mai 2014

1934 - 2014

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