Blick von Israel in die Welt

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 78. Kapitel


Von Tobias Kriener

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Nun sind schon so viele Wochen ins Jahr gegangen und ich habe immer noch nix geschrieben. Es hat halt nichts "Sensationelles" gegeben, was mich zum Schreiben getrieben hätte ...

Zum Jahreswechsel waren wir in Berlin bei den Töchtern und Schwiegersohn und dem Enkel. Wir hatten ein schönes Weihnachtsliedersingen mit Brüdern und Neffen und Nichten. Danach war ich ein paar Tage zum Zocken in Mühlheim, und schließlich waren wir bei der Tagung von "Studium in Israel" in Hofgeismar.

Nach unserer Rückkehr hörten wir, dass es in Nes Ammim die ganze Zeit geregnet hatte - und auch seitdem ist viel Regen gefallen, was dazu führte, dass wir einen day-trip verschoben haben, weil es einfach zu ungemütlich gewesen wäre an dem Tag. Gut für das ausgedörrte Land, so dass ich jetzt ohne schlechtes Gewissen die Dusche morgens ein paar Minuten länger laufen lasse ...

In Nes Ammim geht das Leben seinen Gang: Volos gehen - neue Volos kommen. Ein ausgesprochener Höhepunkt noch vor unserem Jahreswechselurlaub war am 25. Dezember die Einladung zum Weihnachtsdinner für die Freund_innen und Partner_innen von Nes Ammim: Beinahe 100 Menschen waren unserer Einladung gefolgt und haben den Abend mit leckerem Buffet und von den Volos gestaltetem kleinem Kulturprogramm sehr genossen.

Rundherum bewegt mich einerseits im fernen Europa die Tragödie des Brexit. Und hier natürlich die für den 9. April angesetzten Wahlen zur Knesset. Listenverbindungen spalten sich, neue Parteien gründen sich, und bis zum 20. Februar, wenn die endgültigen Wahllisten eingereicht sein müssen, ist jetzt ein heftiges Gebalze und Gezerre im Gange.

Derzeit sind die Fragen, die die größte Bedeutung zu haben scheinen, einerseits, ob Netanjahu noch vor den Wahlen wegen Bestechung angeklagt werden wird. Dagegen hat er eine Kampagne losgetreten, mit der nun - nach der Polizei, die aufgrund ihrer Ermittlungen eine Anklageempfehlung ausgesprochen hatte - auch der Generalstaatsanwalt Mendelblit ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Die Presse sowieso: Im ganzen Land sind vom Likud Plakate aufgehängt worden, auf denen 4 Journalisten abgebildet sind, die in dieser Sache eifrig recherchiert haben, mit dem Slogan: "Sie entscheiden nicht: Ihr entscheidet!" (über Netanjahus politisches Schicksal).

Das andere ist die Ankündigung des ehemaligen Generalschabschefs Benny Gantz, für die Knesset zu kandidieren. Seine erste öffentliche Äußerung war, dass er das "Nation-State-Law" ändern werde, um die Verärgerung der Drusen aufzufangen - was ihm prompt von der politischen Rechten den Vorwurf eintrug, "links" zu sein. Diesen Eindruck versuchte er dann mit seinen ersten Werbespots entgegenzutreten, in denen er sich damit brüstete, über 1300 "Terroristen" getötet und Gaza weitgehend zerstört zu haben - mit entsprechenden Bildern von der Zerstörung in Gaza während der Operation "Protective Edge" im Sommer 2014 (als er der Generalstabschef war) unterlegt. Das trug ihm dann in Windeseile die drei kritischen Artikel in Ha'areetz ein, die nach Meinung eines der Ha'aretz Kommentatoren unverzichtbar sind, damit seine Wahlkampagne überhaupt eine Chance hat im israelischen Wahlvolk (bzw. genauer gesagt in dessen jüdischem Teil) ...

Nun ist die Frage: Mit wem wird er zusammen gehen: Jesch Atid (mit Jair Lapid - der sich selbst als chancenreichsten Herausforderer Netanjahus sieht), Zippi Livni, Ehud Barak, Mosche Kahlon, Gabi Ashkenasi (ein weiterer ehemaliger Generalstabschef), Orly Levi-Abekassis, Arbeitspartei? Wer wäre in dieser "political landscape of Mt. Rushmore-grade egos" (Bradley Burston von Ha'aretz) bereit, einem/r anderen die Spitzenkandidatur zu überlassen?

Wie sagte uns Moshe Zimmermann, den wir letzten Donnerstag besuchten: Vor dem 20. Februar (dem Stichtag für die Einreichung der Wahllisten) kann man gar nichts sagen ...

Nur eins ist klar: Die Palästinenser_innen - seien sie israelische Staatsbürger, seien sie Bewohner der Westbank oder des Gazastreifens oder Ostjerusalems - und ihre Lebensbedingungen sind für keine der aussichtsreichen Parteien (außer natürlich für die sog. "arabischen" und für Meretz) ein Thema. Im Gegenteil: Jede Äußerung, die sich mit ihrer Situation befassen, gar um ihre Stimmen werben würde, wird als absolut toxisch gefürchtet und gemieden. Und jeder Gedanke an Wege zur Beendigung der Besatzung bzw. einem Frieden zwischen Israel und Palästinensern ebenso.

Ach ja - den Shutdown in den USA gab's ja auch noch - und den Show-down zwischen Trump und Nancy Pelosi: Große Bewunderung für diese Frau!


Tobias Kriener