Calvin und die Genfer Konventionen - Calvin und der Umweltschutz

Vierte Predigt des Reformators zu 5. Mose 20,16-20

Originaldokument der ersten Genfer Konvention, 1864 © Kevin Quinn / Wikimedia commons

Am 12. August 1949 wurden nach den Erfahrungen des 2. Weltkrieges die Genfer Abkommen unterzeichnet. Ziel war es, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmenden Personen zu schützen. Der Genfer Reformator Calvin hat bereits 400 Jahre zuvor für Humanität im Kriegsfall plädiert.

„... Lasst uns jetzt einmal näher betrachten, was Moses noch hinzufügt. Er sagt, wenn eine Stadt längere Zeit belagert wird, darf man einige Bäume, die zum Bau von Bollwerken notwendig sind, fällen. Kriegführende Armeen führen stets ihr Kriegswerkzeug mit sich, und in jenen Tagen hatte man, anstelle von Artillerie, mauerbrechende Maschinen. Bedurfte man zu deren Bau Holzstämme, dann sollten keine Fruchtbäume zu diesem Zweck gefällt werden, sondern nur Bäume, von deren Früchten der Mensch nicht isst. Fruchttragende Bäume, deren Früchte essbar sind, sollten erhalten bleiben — das ist das in diesem Passus enthaltene Gebot.

Ein Satz darin ist allerdings ein wenig unklar und wird verschieden interpretiert. Verbleiben wir also einen Augenblick bei ihm. Wörtlich übersetzt lautet der Satz wie folgt: Sind Bäume auf dem Feld Menschen, dass du sie belagern müsstest? Einige Exegeten verstehen diesen Satz so, Gott belustige sich hier über Menschen, die es unternehmen, Bäume auf diese Weise umzuhauen. Was soll das? Sind Bäume etwa Feinde, die gegen dich marschieren und dich anzugreifen drohen? Wer Bäume fällt und das Land verwüstet, begeht einen Akt der Vergeltung, der eines Kindes würdig ist. So verstehen also einige diesen Abschnitt. Sie sagen, mit diesen Worten wolle der HERR diejenigen, die solche Schäden verursachen, beschämen, denn sie zerstören dadurch die Nahrungsmittelbasis der Landesbewohner. Das sind doch nicht deine Feinde! Gegen wen führst du eigentlich Krieg? Gegen Holz und leblose Dinge? Was für tapfere Männer Ihr doch seid!

Andere sind der Ansicht, diese Deutung sei ein wenig bei den Haaren herbeigezogen. Die Aussage sei vielmehr, dass die Bäume auf dem Feld den Menschen gehören; Bäume sind für Menschen da. Wenn Gott einen Baum dazu geschaffen hat, Früchte zu tragen, dann doch wohl in der Absicht, dass jene Früchte der Ernährung des Menschen dienten, die in diesem Land wohnten. Denn selbst, wenn die Bewohner im Krieg besiegt würden, hätten sie immer noch genug zum Leben und wären sogar in der Lage, als Unterlegene dem Sieger einen Tribut zu entrichten.

Andere Exegeten verstehen die Worte dahingehend, dass die Bäume für die Belagerer der Stadt nützlich seien, denn was werden sie wohl ausrichten können, wenn sie selbst unter Hunger leiden? Sie wären gezwungen, die Belagerung abzubrechen und abzuziehen, wenn sie ihre Armee nicht ernähren können. Die Bäume könnten ihnen also sehr wohl von Nutzen sein. Nach dieser Deutung gibt unser HERR hier zu verstehen, es wäre sehr unklug von ihnen, sich der Bäume als Nahrungsmittelquelle für sich selbst zu berauben.

Aber da die Hebräer Gleichnisse und Vergleiche lieben, dürfen wir wohl diese Stelle so deuten, dass sie aussagt, der Belagerer habe es auf Menschen, nicht auf Bäume als belagerte Feinde abgesehen. Dieser Sinn scheint uns hier der angemessene und natürliche zu sein und so können wir die Diskussion dabei bewenden lassen. Sonst verlören wir damit unsere Zeit; behalten wir lediglich das im Auge, was für alle von uns bedeutsam ist und wovon wir etwas lernen können.

Nach dem Erlass seines Verbots, Fruchtbäume abzuhauen, sei es in Kriegszeiten, fügt Gott den Grund dafür hinzu: dieses Verbot gilt, weil hier das Leben von Menschen auf dem Spiel steht, wenn von den Fruchtbäumen auf dem Feld die Rede ist; die Aufmerksamkeit muss sich auf erstere, die Menschen richten, und der kriegerische Eifer müsse denen gelten, die die eigentlichen Feinde sind. Wozu das? Weil sie es sind, die Euch belagern und bekriegen können. Kurz gesagt (und wir haben dies bereits berührt, als wir von einer anderen wörtlichen Deutung sprachen, doch es kommt alles auf das Gleiche hinaus), Gott spricht, in Kriegszeiten sei kriegerischer Eifer nicht gegen Bäume im Feld zu richten, sondern gegen den Feind, denn die Feinde sind es, die Böses anzurichten beabsichtigen. Ihnen gilt es zu widerstehen.

Schauen wir nun, was sich aus diesem Gebot lernen lässt. Es besagt, dass wir in Kriegszeiten keine Fruchtbäume niederhauen sollen. Für uns heißt das, dass selbst dann, wenn wir das Schwert ziehen, wir dennoch nicht autorisiert sind, alles, was uns einfällt, zu tun und jede Art von Grausamkeit zu begehen. Merken wir auf: Gott spricht hier von gerechten Kriegen, denen er zustimmt. Obwohl er das Töten von Menschen zulässt, verlangt er dennoch von uns, Humanität walten zu lassen, und er will nicht, dass das ganze Land zugrunde gerichtet wird.

Lasst uns also festhalten, dass niemand Krieg so zu führen legitimiert ist, dass damit jede Lebensgrundlage zerstört wird und völlige Verwüstung entsteht. Und lasst uns nicht vergessen, dass selbst bei Übung größter Zurückhaltung (der Krieg führenden Parteien), der entstandene Schaden immer noch alles Vorstellbare überschreitet. Selbst wenn nur eine Person ihr Leben einbüßt, ist es immer noch ein nach dem Bild Gottes geschaffener Mensch, dessen Leben vernichtet wurde.

Und wenn eine große Anzahl von Menschen getötet wird, verbleiben ebenso viele Witwen und Waisen; und selbst wenn man Güter und Hausbesitz schont, werden viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und misshandelt werden, sodass manche der Kälte und andere der Krankheit zum Opfer fallen. Selbst wenn wir uns in Kriegszeiten so fair wie möglich verhalten, würde der Krieg dennoch viel Not und Übel nach sich ziehen, denn das ist unvermeidlich. Ein Grund mehr also, sich jeder bösen Tat zu enthalten und Grausamkeiten jeder Art zu vermeiden.

Wenn also unser HERR von den verfeindeten Parteien ein derartiges Maß an Zurückhaltung verlangt, obwohl in diesem Fall ein Recht auf Tötung des Feindes zugelassen ist, wie steht es dann um unser Verhalten zu Freunden? Im Freundschaftsverhältnis haben wir nicht einmal das Recht, den Finger gegeneinander zu erheben, noch unseren Mund zu öffnen, um schlecht von jenen zu reden, die uns Unrecht getan haben. Denn selbst wenn jemand uns zürnt oder uns beschimpft, erlaubt uns unser HERR nicht, gegeneinander Krieg zu führen, sondern erwartet von uns, dass wir unsere Seelen festigen und in Geduld üben und uns bemühen, Böses mit Gutem zu überwinden.

Wenn wir die Freundschaft zu jenen, die uns gegenüber im Unrecht sind oder uns beschimpfen, aufrecht erhalten wollen, wenn wir darauf bedacht sind, etwas zu ihrem Heil beizutragen, wenn es uns nicht erlaubt ist, uns in irgendeiner Weise zu rächen, dann frage ich euch: Wie kann uns je vergeben werden, wenn wir denen, die uns nie Unrecht zugefügt oder uns irgendwie angegriffen haben, ein Leid zufügen, während sie uns nie ein Leid zufügten? Wir ersehen daraus, dass dieses Gebot nicht nur für Polizeiaufseher gilt, sondern dass unser HERR uns alle im Blick hat, wenn er uns gebietet, soweit dies menschenmöglich ist, mit Mäßigkeit zu handeln, sodass niemand sich beklagen kann, er habe von uns Unrecht erfahren. Das ist die Lektion, die wir von diesem Gebot lernen können.

Wenn dem so ist, dass wir die Fruchtbäume schonen sollen, die doch nur seelenlose Gegenstände sind, um wie viel mehr müssen wir dafür sorgen, dass Menschenleben verschont werden? Es stimmt schon, was hier gesagt wird, zielt nicht auf die Verschonung von Obstbäumen als solcher ab, sondern auf die Bewahrung der Menschen, die sich dank der Früchte dieser Bäume ernähren und erhalten können; man sollte Bäumen keine größere Bedeutung beimessen als Menschenwesen. Doch worauf läuft es hinaus, wenn alles der Vernichtung preisgegeben wird und nichts mehr erhalten bleibt? Ist das nicht eine Verachtung Gottes? Und das scheint mir die zweite Lehre, die wir hier zu befolgen haben.

Gehen wir einen Schritt weiter. Wenn der Text hier sagt, „du sollst sie nicht zerstören", ruft er uns ins Gewissen, dass wir stets alles, was Gott eingerichtet und geordnet hat, erhalten müssen, umso mehr als wir uns seiner Güte und väterlichen Liebe zugunsten des menschlichen Geschlechts bewusst sind. Gott übergab den Menschen die Erde, damit sie sie bewohnten, er hat sie dort zur Einrichtung niedergelassen.

Wenn wir auf Erden derartige Zerstörungen verursachen, dass die armseligen Bewohner daraus vertrieben werden, und wenn sie dann, nach Einkehr des Friedens, wieder in ihre Heimat zurückkehren dürfen, wo sie nichts als Verwüstung vorfinden, sodass das einst fruchtbare und bestellte Land jetzt unfruchtbar und verwüstet brachliegt, ohne jeden Baum, von dem man einen Apfel pflücken könnte, haben wir dann nicht die Güte Gottes missachtet, die Gott dem Menschengeschlecht bekundet hat? Gewiss hat uns unser Zorn und Eifer blind gegen die Gnade Gottes gemacht, die doch ganz im Gegenteil unsere Herzen, und wären sie steinhart, milde gestimmt haben sollte.

Es gibt eine allgemeine Regel, die wir gut täten zu beachten. Wann immer man uns auffordert, einen Schaden oder eine Zerstörung anzurichten, sollten wir Folgendes bedenken: nicht wahr, unser HERR hat uns in diese Welt gestellt und uns mit allem versehen, was ihm für unser Leben notwendig erschien. Wenn ich nun das Land dessen beraube, was Gott ihm zur Ernährung der Menschen verliehen hat, macht mein Handeln Gottes Güte, mit der er das Menschengeschlecht erhält, zunichte und unwirksam. Bin ich dann noch würdig, von der Erde getragen und erhalten zu werden, wenn mein Tun so die Gnade Gottes aufhebt, die sowohl für meinen Nächsten wie mich selbst bestimmt ist? Will ich nicht mehr, dass sie uns umgibt und uns ihren Schutz verleiht? Bin ich dann nicht ein Unmensch?

Das ist es, was uns zurückhalten sollte, wenn wir versucht sind, uns aus Boshaftigkeit oder zerstörerischer Absicht an Bäumen, Häusern und ähnlichen Gegenständen zu vergreifen. Dann gilt es, sich zurückzuhalten und zu bedenken: Gegen wen führen wir hier eigentlich Krieg? Nicht gegen Kreaturen, sondern gegen den, der uns hier einen Spiegel seiner Güte vor die Augen hält; nicht bloß gegen einen bestimmten Menschen, sondern gegen alle und jeden, uns selbst inbegriffen. Hätten wir dies korrekt begriffen, würde man nicht einen Krieg nach dem anderen führen, wie dies heute der Fall ist, denn wenn erst einmal Krieg ausgebrochen ist, bleibt nichts mehr verschont und das Land wird der Verwüstung preisgegeben.

Heute werden unter denen, die sich Christen nennen, größere Grausamkeiten begangen, als dies in früheren Zeiten im Krieg gegen die armen Ungläubigen geschah. Denn heutzutage geht man daran, das Land zu verwüsten und Felder zu verbrennen, was noch schlimmer als gegenseitiges Ermorden ist. Was sollen die armen Bewohner tun, wenn ihnen nichts als verbrannte Äcker übrig lassen? Man wird sie dort dem sicheren Tod überlassen, unter Hecken und Büschen, und sie werden auf der nackten Erde verkommen; es wäre weniger schlimm, ihnen gleich die Kehle zu zerschneiden. Doch solche Untaten scheinen heute legitim geworden zu sein, weil wir uns an sie gewöhnt haben. Und woher sonst stammt dies wenn nicht von unserem menschlichen Versagen, auf Gott und sein Wort zu hören?

Wir Menschen haben uns von Gott entfernt und infolge dessen wurden wir immer brutaler. Es ist erschreckend, wenn man sieht, wie jene, die sich selbst Christen und Katholiken nennen und sich für die Säulen des Christentums halten, so extrem geworden sind, dass wahre Barbarei unter ihnen herrscht. Es genügt ihnen nicht mehr, das Land des Feindes der Verwüstung anheimzugeben, sie kennen auch gegenüber ihren eigenen Untertanen keine Gnade mehr.

Heute geht es unter Christen wie nach dem Gesetz der Türken zu: Solange sie siegreich sind, macht es nichts aus, wenn das Land verwüstet daliegt. Müssen sie befürchten, dass der Feind vordringt, wird der Befehl erteilt, alles zu verbrennen. Und was wird verbrannt? Sogar die ergebenen Untertanen, die unter dem Schutz des Königs stehen. Es gibt eine Bibelstelle, in der folgende Aussage über die Pflichten eines gerechten Königs, in Anspielung auf die Person Hiskias, zu lesen ist, „er wird sein wie eine Zuflucht vor dem Wind" (Jes 32:2).

Der Prophet Jesaja sagt also, für seine Untertanen sei ein guter König wie ein Ort der Zuflucht und Geborgenheit, wenn sich ein Sturm erhebt und alles am Boden zerstört zu werden droht. Der König wird seine Flügel zum Schutz derer ausbreiten, die unter seiner Obhut stehen. Er wird ihr Beschützer sein und sein Leben für ihre Sicherheit einsetzen. Das ist, meiner Ansicht nach, die rechte Weise, wie ein Herrscher sich zum Schutz seiner Untertanen verhalten sollte. Doch hier stehen wir vor einer entgegengesetzten Einstellung: ein Herrscher, der in seiner Blindheit befiehlt, alles zu verbrennen und zu vernichten, dass auch nicht das geringste Getreidekorn mehr übrigbleibt. Das aber heißt, dass die armen Leute verhungern müssen. Es gibt keinen Ausweg: Verschont nichts, zerstört alles, solange ich siegreich bin.

Gott muss in der Tat völlig vergessen sein, wenn die Dinge einen solchen Gang nehmen. Wir brauchen nicht nach Beispielen aus der Vergangenheit zu suchen, was dort vor sechzig Jahren geschah, oder unsere Vorfahren zu befragen, wir kennen genügend Beispiele für derartiges Verhalten aus den letzten zwanzig Jahren in unserer nicht allzu fernen Umgebung. Und was noch schlimmer ist, diese Untaten werden nicht nur ständig verübt, sondern greifen immer weiter um sich. Und weshalb ist dem so? Dazu kommt es, wenn und weil Gottes Wort verachtet wird. Ein Herrscher braucht nur zur Beichte zu gehen und auf dem Rücken das Zeichen des Kreuzes zur Absolution zu empfangen, und damit hat's sich. Es wird einen Haufen Zeremonien geben, und wenn er eine genügende Zahl von agios rezitiert hat, ist er von Schuld freigesprochen.

Sollte jedoch jemand versuchen, ihn an seine Pflichten zu erinnern, indem er ihn auf das Wort Gottes hinweist, wird der Herrscher nichts davon hören wollen. Er will sich nicht auf seine Pflichten Gott gegenüber oder gegen die Menschen festlegen lassen, und noch weniger will er sich sagen lassen, wie man Krieg führt oder Grenzen und Beschränkungen respektiert, die ihm auferlegt sind, statt zu versuchen, sich mehr als das anzueignen, was Gott ihm zugeteilt hat. Von all dem will er nichts hören; es wäre eine Respektlosigkeit gegenüber seiner Majestät. Er begnügt sich mit ein paar religiösen Zeremonien, mit denen er Gott lästert, als wollte er damit ein kleines Kind zufriedenstellen.

Was uns betrifft, wollen wir ernst machen mit dem, was uns erlaubt ist, weil wir nichts mit denen gemein haben, die sich Gottes Zorn und seinen Fluch zuziehen. Wir danken Gott, uns vor einer so großen Verwirrung bewahrt zu haben, und wir werden nicht zu diesen Schandtaten zurückkehren, um nicht Gottes strenges Urteil zu verfallen. Was auch immer geschehe, selbst in unserer Eigenschaft als Privatpersonen, das folgende Gebot bleibt in Kraft: Richtet keinen Schaden an.

Wir wissen, dass unser HERR die Erde dazu bestimmt hat, unsere Nährmutter zu sein, und wenn sie ihren Schoss öffnet, um uns zu ernähren, dann ist das, als öffne Gott selbst seine Hand für uns, um uns ein Zeugnis seiner Güte zu schenken. Behalten wir das im Sinn, dann sind wir fähig, daraus die Konsequenz zu ziehen, nicht nur in Kriegszeiten, sondern auch mitten im Frieden.

Gebe Gott, dass man dieses Gebot sorgfältig befolge. Aber heutzutage gibt es nur noch Berichte von gegangenem Unrecht, jeden Tag haben wir die Ohren voller Nachrichten davon, sodass wir abgestumpft dagegen werden. Die Beispiele dafür sind Legion. Da sind Leute, die ihr Getreide lieber in der Scheune verrotten lassen oder es dem Ungeziefer zum Fraß überlassen, statt es denen zum Kauf anzubieten, die es dringend benötigen (denn jene ziehen es vor, die Armen hungern zu lassen). Ist das nicht dasselbe wie das Abhauen von Obstbäumen?

Da ist Getreide, das durch die Ernte eingebracht wurde. Siehe, der HERR hat seine Güte und seinen Segen über die Armen ausgeschüttet, damit sie ihren Hunger stillen können. Doch dieses Getreide wird in Scheunen gespeichert und dort verschlossen aufbewahrt, bis die Preise steigen und der Hunger die Menschen in die äußerste Not treibt, wo sie sich nicht mehr zu helfen wissen. Und was passiert dann? Das Getreide verdirbt und wird ungenießbar. Es stimmt, dass unser HERR sich bisweilen derer belustigt, die glauben, sie hätten viele Schätze gehortet; er zeigt ihnen gleichnishaft, dass dies kein zukunftsträchtiges Vorgehen ist. Und doch sind dies zugleich die Leute, die alles unternehmen, um die Gnade Gottes unwirksam zu machen, als versteiften sie sich darauf, Gottes Güte und väterliche Liebe, die allen Menschen gilt, zu bekämpfen.

Doch indem sie so handeln, pervertieren sie die gesamte Naturordnung, als wollten sie Obstbäume niederhauen und vernichten. Was tut dann aber not? Erinnern wir uns daran, dass es der Wille unseres HERRN ist, im Fall von Feindseligkeiten immer ein Maß von Humanität walten zu lassen. Für uns, die wir das Vorrecht haben, miteinander friedlich und geschwisterlich umgehen zu dürfen, lasst uns das Möglichste tun, in Harmonie und Freundschaft miteinander auszukommen. Und wenn Gott uns seine geistlichen Gaben zuteilwerden lässt, die weitaus kostbarer als alles sind, was die Welt uns bieten kann, dann wollen wir versuchen, diese Gaben mit unseren Nächsten zu teilen, damit sie nicht durch unsere Bosheit daran gehindert werden, sich der Güte Gottes zu erfreuen.

Denn wenn zur Erlangung materieller Güter soviel Mühe aufgebracht werden muss, wie viel mehr Sorgfalt sollten wir den geistlichen Segnungen widmen, die unser Seelenheil angehen. Lasst uns deshalb dafür Sorge tragen, keine Fruchtbäume auszureißen. Denn da das Wort Gottes eine Saat des Lebens ist, wollen wir uns bemühen, dieses Saatgut breit zu streuen, damit es feste Wurzeln fasst und daraus ein Baum heranwächst, der nicht fruchtlos bleibt, sondern Früchte trägt.

Das wäre es also, was wir zu unserem Heil aus dieser Bibelstelle lernen können, auch wenn bei uns kein Krieg herrscht. Doch da Gott uns zu seinem Volk auserwählt hat, zeigt er uns hier eine Form rechten Handelns, die für alle Lebenssituationen gilt.

(aus: Das Vermächtnis Johannes Calvins. Denkanstöße und Handlungsvorschläge für die Kirche im 21. Jahrhundert, hrsg. vom Reformierten Weltbund und dem Internationalen Reformierten Zentrum John Knox, [Genf] 2008, 58-62)


Johannes Calvin