Christi Himmelfahrt nach dem Heidelberger Katechismus

Predigt von Martin Hoffmann

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"Was nützt uns die Himmelfahrt Christi?"

Liebe Schwestern und Brüder! 

Als der damalige sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew über Himmelfahrt in Deutschland zum Staatsbesuch war, da ließ er über seinen Dolmetscher fragen, welcher Feiertag begangen würde. Dieser erkundigte sich und übersetzte ihm: „Sie feiern den ‚Internationalen Tag der Raumfahrt’!“

Ja, nicht nur ein russischer Dolmetscher hat Schwierigkeiten zu erklären, was denn damals in Jerusalem geschehen ist. Fragen wir heute die Menschen auf der Straße, so bekommen wir ähnliche Antworten, die verraten, dass die meisten mit „Christi Himmelfahrt“ nichts mehr anzufangen wissen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass dieser entscheidende Tag im christlichen Glauben immer mehr zum „Vatertag“ verkommt –  sogar bis in den offiziellen Sprachgebrauch der Medien hinein. Himmelfahrt ist zu einem Tag geworden, an dem die Väter in feuchtfröhlicher Sause so richtig „mal einen drauf machen können“, ohne abends zu Hause all zu viel Stress erwarten zu müssen.

Und auch die Kirchen passen sich auf ihre Weise dem Zeitgeist an und halten vielerorts schöne Gottesdienste in freier Natur, wo man sich dem Schöpfer besonders nahe weiß, zugleich aber oft das Unfassbare der Himmelfahrt seines Sohnes aus dem Blick gerät.

Da kommt die Frage 49 im Heidelberger Katechismus gerade recht, wenn auch für viele wie ein Fossil aus alter Zeit.

„Was nützt uns die Himmelfahrt Christi?“

Also – allein die Frage ist schon super. „Was nützt“? Mit anderen Worten: Nicht nur, was glaubst du von der Himmelfahrt, wenn überhaupt – mit allen möglichen Erklärungsversuchen, die der gesunde Menschenverstand zu geben vermag oder auch nicht. Nein, keine abgehobene theologisch-philosophische Diskussion ist angesagt, sondern ganz pragmatisch fragt der „Heidelberger“ nach dem Nutzen. Die leidige Frage „Was bringt mir das?“, die wir allenorten immer wieder hören – hier kann sie nicht laut und unverhohlen genug gestellt werden. Was haben wir davon, wenn wir in der Apostelgeschichte den Bericht des Lukas lesen: von Jesu Abschied aus der sichtbaren Nähe zu den Jüngern  hin in die unsichtbare himmlische Sphäre?

Für mich ist das sehr tröstlich und hilfreich, bei allem Sorgen und Machen, bei allem Kreisen um mich selbst hier eine himmlisch gute Perspektive eröffnet zu bekommen. Denn sowohl Lukas als auch die Frage 49 führen in die Weite. Um es mit einem der schönsten Liebeslieder Udo Lindenbergs zu sagen: „Hinterm Horizont geht’s weiter.“

Und was mir persönlich von Nutzen sein will, das gilt gerade auch für die Anderen.

Nicht von ungefähr zieht sich das „wir“ der Gemeinde wie ein roter Faden durch die Antwort:

„Unser“ Fürsprecher, „unseren“ Bruder Jesus Christus, „uns“ seine Glieder, seinen Geist zu „uns“, der „uns“ die Kraft gibt.

Wo Germanisten sicherlich viel rote Tinte brauchen, um immer wieder an den Rand ein „W“ für langweilige Wiederholung zu schreiben, da wird die Frage 49 nicht müde, stetig vom Nutzen für seine Gemeinde zu sprechen. Also nicht religiöse Nabelschau ist angesagt, sondern am Himmelfahrtstag wird deutlich, dass er als das Haupt die Glieder der Gemeinde im Blick hat in seiner „never ending love“ - Geschichte mit uns allen.

Und so gibt uns Frage 49 dreifach Antwort auf „unseren“ Nutzen dieses unfassbaren Geschehens damals am Ölberg.

Erstens:

Er ist im Himmel

vor dem Angesicht seines Vaters

unser Fürsprecher.

„Wohin gehst du?“ – wie oft stellen Kinder diese Frage, wenn Vater oder Mutter aus dem Haus gehen. „Wohin gehst du?“ – so werden die Jünger beim Abschied gedacht haben, wohl ahnend, dass jetzt die eigentliche Zeit beginnt, die wir „nach Christus“ nennen. „Und als sie ihm nachsahen….“  Martin Niemöller hat Recht: „Abschiednehmen lernt sich nicht.“ Da ist immer der gleiche Schmerz und vor allem die Frage: Wann sehen wir uns wieder? „Zwei Männer in weißen Gewändern“ geben Antwort: „Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“  Mit anderen Worten: Die Zeit „ohne ihn“ wird begrenzt. Er wird wiederkommen. Wann? Das bleibt Gottes Geheimnis. „Aber das“ – das ist Gottes Versprechen. In dieser Zeit zwischen „Gekommen“ und „Kommen werden“ ist Christus, so sagt es Frage 49 kurz und knapp: „im Himmel vor dem Angesicht seines Vaters.“ Bleibt dort auch und kehrt nicht dauernd in „Brot und Wein“ bei Eucharistie und Abendmahl auf die Erde zurück. Das würde, so Calvin, die Einmaligkeit und „Herrlichkeit seiner Himmelfahrt zunichte“ machen. Nein, anderes wird über ihn im Himmel gesagt: Er ist dort „unser Fürsprecher“. Also nicht fern und distanziert, sondern als einer, der seine Stimme für uns erhebt. Gerade dort, wo so vieles gegen uns spricht, im Kleinen wie im Großen der Weltgeschichte, spricht er „für“ uns. Wer sich auch nur einen Rest von Selbstkritik bewahrt hat, der weiß, dass dieses Amt des Fürsprechers ein „fulltime-job“ sein muss.

Den als himmlischen Star-Anwalt zu wissen, der Weltenrichter und Weltenheiland in Personalunion ist - das lässt uns aufatmen. Das will es uns zugleich leichter machen, zu eigenen Fehlern und Versäumnissen zu stehen. Da muss ich nicht mehr dauernd  vertuschen, eigene Schuld relativieren oder meine Hände in Unschuld waschen, sondern es wächst der Mut einer offenen Selbstreflexion.

Petrus kommt mir nahe, der so bitterlich über sich zu weinen beginnt, als er merkt, wie er in seiner Angst hinter eigenen Erwartungen zurück geblieben ist.

Bei diesem Fürsprecher im Himmel werden unsere Tränen buchstäblich zu „tears in heaven“, wie es Eric Clapton in einem seiner Lieder besingt.

„All unsere Weisheit …“, so beginnt Calvin seine „Institutio“, „umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis.“

Zweitens -  so Frage 49 weiter:

Wir haben durch unseren Bruder Jesus Christus

im Himmel die Gewissheit,

dass er als das Haupt uns, seine Glieder,

auch zu sich nehmen wird.

Das wird ja immer schöner!

Unser Fürsprecher ist zugleich unser Bruder. Er das Haupt - wir seine Glieder. Wie besingt es Paul Gerhardt in seinem Osterlied: „Ich hang und bleib auch hangen / an Christus als ein Glied / wo mein Haupt durch ist gangen / da nimmt er mich auch mit.“ Paul Gerhardt benutzt dieses großartige Bild einer Geburt, um das Unfassbare auszudrücken, dass unser Fürsprecher im Himmel seine Brüderlichkeit auch darin zeigt, dass er uns dort einen Platz reserviert. Der Tod verliert seinen letzten Schrecken, weil er gleichsam zum Geburtskanal eines Lebens in seiner himmlischen Nähe wird. „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten“, wie es bei Johannes im 14. Kapitel heißt, oder wie der Heidelberger Katechismus in seiner Frage nach dem „Nutzen“ der Auferstehung Christi antwortet, dass sie „uns ein verlässliches Pfand unserer seligen Auferstehung“ ist.

So und vielleicht nur so, konnten die ersten Christen in Rom das „Christianos ad leones“, „Christen vor die Löwen“ durchleiden, weil nichts, so Paulus in seinem Brief an sie, uns trennen kann von seiner Liebe. „Christus Jesus ist hier, der gestorben, ja vielmehr, der auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt“ – so schreibt er an die kleine verfolgte Gemeinde.

So, und vielleicht nur so, konnten später die Väter und Mütter unserer Hamelner Gemeinde Galeeren und Folterkammern aushalten und den Verlust ihrer schönen Heimat Frankreich. Wie lautete ihr Trost in schwerer Zeit: „Teneo quia teneor“ – „Ich halte durch, weil ich gehalten werde.“

Mit der Inschrift gesagt, die wir auf den Spuren der Hamelner Hugenotten in Les Baux-de Provence fanden: „Post tenebras lux“ – Nach der Finsternis kommt Licht.

Aber wir brauchen gar nicht so weit zurück zu gehen: Am letzten Samstag sagte ein hemmungslos weinender Florian Fromlowitz, Torhüter bei Hannover 96, nach dem Abstiegskrimi in Bochum vor einem Millionenpublikum an den Bildschirmen: „Wir haben für einen Mann gewonnen, der ist oben im Himmel, und der heißt Robert Enke.“ Auch dieses ein Ausdruck der Gewissheit, dass Er auch uns „zu sich nehmen wird“?!

Und

Drittens:

Er, sitzend zur Rechten Gottes

sendet seinen Geist zu uns

der uns die Kraft gibt,

zu suchen, was droben ist

und nicht das, was auf Erden gilt.

Mit anderen Worten: Weil wir ihn im Himmel zur Rechten Gottes als unseren brüderlichen Fürsprecher wissen dürfen, bei dem wir zugleich auch unsere himmlische Heimat haben, darum können wir uns ganz getrost der Welt zuwenden, ohne dauernd ängstlich oder berechnend zum Himmel schielen zu müssen.

„Da kehrten sie nach Jerusalem zurück, … stiegen hinauf in das Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten, … stets beieinander einmütig im Gebet.“ Lukas macht sich viel Mühe, die einzelnen Namen der Jünger zu benennen. Auch Maria wird genannt, die „samt den Frauen“ in jener ersten Himmelfahrtsgemeinde zugegen ist. Ja, es ist gut, wenn die Männer nicht unter sich bleiben.

Noch gehen sie nicht hinaus in alle Welt. Dazu reicht der Mut noch nicht. Dazu musste es erst Pfingsten werden. Dazu musste erst der himmlische Fürsprecher „seinen Geist zu uns“ senden, „der uns die Kraft gibt“. Wichtige Wenden und Neuanfänge in unserem Leben brauchen wohl die Interimszeit der Vorbereitung. Manchmal dauert sie 40 Jahre einer Wüstenwanderung, um ins gelobte Land zu kommen, manchmal  40 Tage wie beim Fasten Jesu in der Wüste , wo er „bei den Tieren war“, bevor er öffentlich zu predigen begann. Manchmal auch 3 Tage zwischen Tod und Auferstehung oder 3 Tage der Blindheit wie bei der Bekehrung des Paulus.

„Einmütig beieinander im Gebet“. So nutzen sie diese Zeit. Und zugleich hoch „konzentriert“, wie das griechische Wort auch übersetzt werden kann, um „zu suchen, was droben ist, und nicht auf das, was auf Erden gilt“. Das gilt es, immer wieder neu zu entdecken - in einer Welt, die an der Maßlosigkeit ihrer „ego-trips“ zu zerbrechen droht.

Vom Himmel aus sich „Auftrag, Weg und Ziel“ weisen zu lassen für ein Miteinander, so wie Gott es gewollt hat von Anfang an. Im gemeinsamen Suchen werden dann die Grenzen fließend zwischen der Himmelfahrtsgemeinde damals in Jerusalem und der Himmelfahrtsgemeinde heute Morgen hier in der Hugenottenstraße. Und natürlich in der gemeinsamen Bitte um seinen Geist, der uns „Geistes-gegenwärtig“ reden und handeln lässt.

„Sie feiern den „Internationalen Tag der Raumfahrt“.

Ja, „international“ ist richtig, denn, so haben wir zu Beginn mit den Worten des 47. Psalms gesungen:„Herr der ganzen Welt / allen Völkern fällt / deine Gnade zu / auch ihr Gott bist du…“

So wünsche ich uns einen gesegneten Himmelfahrtstag und einen behüteten Vatertag im eigentlichen Sinn: denn „Er ist im Himmel – vor dem Angesicht seines Vaters“.

Amen


Pastor Martin Hoffmann, Hameln