''Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen'' (Mt 6,13b).

Eine Predigt zum Lobpreis des ''Vaterunsers''


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Das „Vaterunser“ ist eine Anleitung Jesu zum Beten, bei der der abschließende Lobpreis den Beter von sich selbst weg, hin zu Gott und schließlich zum Nächsten und zum wahren Selbst führt.

Liebe Gemeinde,

das „Vaterunser“ wird uns in der Bibel an zwei Stellen überliefert. Zum einen bei Matthäus in der Bergpredigt (Mt 6,9–13) – und zwar als dessen Mitte – und zum anderen beim Evangelisten Lukas im 11. Kapitel (Lk 11,2–3). Es ist spannend zu sehen, wie das „Vaterunser“ an beiden Stellen unterschiedlich eingeführt wird. Bei Lukas beobachtet ein namentlich nicht genannter Jünger, wie Jesus betet, und er tritt an ihn heran und bittet ihn: „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11,1). Er möchte von Jesus für sich und die übrigen Jünger gewissermaßen Unterricht, eine Unterweisung bekommen, wie man beten soll.

Um diese Frage geht es auch bei Matthäus. Hier beginnt Jesus im Rahmen der Bergpredigt seine „Anleitung“1 zum Gebet zunächst mit einer Unterweisung, wie nicht zu beten sei – nicht vor den Leuten als „Show“, auch nicht durch „Plappern wie die Heiden“, sondern als Reden mit Gott im „stillen Kämmerlein“:2

„Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet“ (Mt 6,5–8).

Damit ist nun auch bei Matthäus das Thema gesetzt: Es geht um Gebetsunterricht. Wie man beten kann, versteht sich offenbar nicht von allein. Es muss erlernt werden. Es ist ein „eigenes genuines Sprachspiel, das seine eigene unverwechselbare Logik hat.“3 Doch wie kommt man hinein in dieses Sprachspiel, in diese Logik? Es ist interessant zu sehen, dass Jesus nun sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas die Jünger nicht weiter über das Beten belehrt, sondern ihnen durch ein Gebet zeigt, was beten heißt:

„Und mehr noch, er lässt sie mit diesem Gebet an seinem eigenen Beten teilhaben. Jesus gibt nicht nur ein besonders gutes Beispiel für ein Gebet, sondern lässt die Jünger mit einem bestimmten Gebet anfangen – sie werden dann mit diesem Gebet, im Gebrauch dieses Gebetes, erfahren und erkennen, was Beten heißt. Sie lernen beten durch Beten.“4

Halten wir fest: Lernen, was beten heißt, lernen wir, indem wir beten, also durch Praxis, weniger durch Theorie, indem wir distanziert und aus sicherem Abstand auf das Gebet schauen. Doch auch die Theorie kann uns helfen, wenn sie den Vorrang der Praxis sieht und sich auf diese bezieht. Denn bei genauer Betrachtung können wir erkennen, wie in jeder Zeile des „Vaterunsers“, in der Anrede am Beginn, den sechs darauffolgenden Bitten und schließlich dem Lobpreis Gottes am Schluss, der sog. Doxologie, „indirekt eine Regel enthalten“5 ist, die für jedes Gebet gelten soll.

Um den abschließenden Lobpreis soll es heute Morgen gehen und wir fragen, welche Regel, welche wichtige Anleitung für unser Gebet wir ihr entnehmen können: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Ich habe diesem Halbvers drei Anleitungen entnehmen können, die ich entfalten möchte. Diese Anleitung lässt sich aus dem Umstand ableiten, dass das „Vaterunser“ am Schluss hineinmündet in einen „Lobpreis“ Gottes. Das ist erstaunlich und keineswegs selbstverständlich! Denn ist nicht bereits vorher alles gesagt worden? Der oder die Betende hat doch schon alle sechs Bitten formuliert, die er oder sie loswerden wollte. Und: Leitet sich der Lobpreis Gottes nicht bereits aus dem Umstand ab, dass man ihn als „unseren Vater“ bekennt, um dessen Namensheiligung und Reich und Willenserfüllung man bittet? Zudem findet sich die Doxologie doch nur in einigen Handschriften des Matthäusevangeliums. Warum also dieser gravitätische Abschluss mit diesen theologisch ungeheuer aufgeladenen Begriffen, von denen jeder eine eigene Predigt wert wäre: „Reich“ (gr. basileia), „Kraft“ (gr. dynamis), „Herrlichkeit“ (gr. doxa), „Ewigkeit(en)“ (gr. aionēs) und schließlich das „Amen“?

Nun, hier wird der oder die Bittende abschließend in drei Richtungen gelenkt: 1. weg von sich selbst, 2. hin zu Gott und 3. hin zu dem Nächsten und zurück zu sich selbst.6 Ich erlaube mir bereits hier den Hinweis: Erst der vermeintliche Umweg weg von sich, zu Gott und zum Nächsten führt eigentlich zu sich selbst. Mit den drei genannten Richtungen sind jedenfalls die drei Anleitungen benannt, die ich der Schlussdoxologie, unserem Predigttext entnehme.

1. Weg von sich selbst

Wir kennen das: Wenn sich jemand für etwas total begeistert, sich etwa in einen anderen Menschen verliebt, so sagen wir: Er oder sie ist „hin und weg“.7 „Hin und weg“ ist auch der Betende des „Vaterunsers“: Er oder sie ist hin zu Gott, dem allein das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit und die Ewigkeit gehört und gebührt und der allein das Wahrmachen kann, was im Gebet mit „Amen“ bestätig wird. Und er oder sie ist weg von sich selbst – dem eigenen Brot, der eigenen Schuld, den eigenen Schuldigern, der eigenen Versuchung, um die es vorher in der vierten, fünften und sechsten Bitte des „Vaterunsers“ ging.

Es geht schließlich im „Vaterunser“ nicht in erster Linie um uns, sondern um Gott: „Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ – sein und nicht mein. Ginge es nur um mich, dann wäre es mehr desselben Falschen in der Ausrichtung meines Lebens. Denn genau das wäre Sünde. Sünde ist ihrem Wesen nach „Selbst-herr-lichkeit“.8 Luther sagt: Der Mensch als Sünder ist „incurvatus in se ipsum“9, „ist in sich selbst ‚eingekurvt‘ und eingekrümmt, dreht sich wie ein Karussell stets um die eigene Achse, wobei ständig ein schrilles ‚Ich – Meiner – Mir – Mich‘ ertönt als Ausdruck der Anmaßung, dass alles und alle, die ganze Welt und selbst Gott um mich rotieren sollte.

Dieser ‚in sich eingekurvte‘ Mensch gleicht – in einem anderen Bild – einem Menschen im Boot, der nur auf einer Seite das Ruder zu betätigen vermag. Auch der größte Eifer, die stärkste Anstrengung bringen ihn nicht vom Fleck; er rotiert unablässig um sich selbst.“10 Er hält sich selbst für das Zentrum, für den Mittelpunkt, für den Nabel der Welt. Im „Vaterunser“ indes wird der Mensch heilsam dezentriert und von dieser seiner selbstbezüglichen Haltung befreit.

Liebe Gemeinde, was heißt das nun für unser Gebet? Es ist verdächtig im Sinne dieses „Kreisens um sich selbst“, wenn sich alle unsere Gebete nur in Bitten erschöpfen. Gewiss gehört die Bitte wie die Klage und die Danksagung zum Gebet, aber wenn sich das Gebet nur in einem „Gib, hilf, mach, sorge dafür, verhindere, bewahre, stärke“11 reduziert? Sicher, es ist gut und tapfer gebetet, wenn von Gott alles erwartet wird. Das sei keineswegs in Abrede gestellt. „[A]ber wenn das Beten allein wäre, dann stünde es im Zwielicht des Nur-Haben-Wollens, im Zwielicht der eigenen Wünsche.

Es könnte dann sein, dass die vielzitierten ‚leeren Hände‘, die wir Gott beim Beten entgegenstrecken, sehr habgierige, sehr raffgierige Hände sind. Hände also, die 1. immer sehr genau wissen, was gut für sie ist; die 2. dieses Gute immer haben wollen; die 3. erwarten, dass der liebe Gott ihre Ansichten über das, was gut ist, teilt, und die 4. danach Ausschau halten, wo und wann genau dieses Gute sich wohl einstellt.“12 Indem nun das „Vaterunser“ nicht mit einer Bitte schließt, sondern mit dem Lobpreis Gottes, wehrt es dieser Gefahr der Selbstzentrierung, korrigiert das „Kreisen“ um das falsche Zentrum und bringt gewissermaßen „selbstvergessen“13 das Lob eines anderes, nämlich Gottes, zur Sprache. Halten wir fest: „Gott die Ehre zu geben, bewahrt das Gebet davor, nur um sich selbst zu kreisen.“14

2. Hin zu Gott

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht keineswegs um ein Verbot des Bittens um eigene Belange. Das wäre gesetzlich! Es hat aber durchaus etwas Befreiendes an sich, wenn sich die eigenen Belange und Nöte im Lobpreis Gottes relativieren: „Die jüdische Praxis, jedes Gebet mit einem Lobpreis zu beenden, könnte hier ein hilfreicher Hinweis sein. Auch ein noch so berechtigtes Klagegebet muss nicht in Schwermut versinken. Auch es ist ja grundsätzlich auf Hoffnung hin gesprochen“15 – eine Hoffnung, die auf Gott setzt:16Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Das kleine Wörtchen „denn“ zeigt dabei an, dass diese Hoffnung begründet ist.17 Sie hat ihren Grund in Gottes Handeln, das sein Wesen zu erkennen gibt:18 in seiner Herrschaft, in seiner Kraft und in seiner Herrlichkeit.

Darauf zu hoffen und darauf zu vertrauen, kann und wird hilfreich sein, gerade auch in solchen Momenten unseres Lebens, wo uns ganz und gar nicht zum Lobpreis zu Mute ist, sondern das Lob Gottes im Halse stecken bleibt. Gerade wenn wir dann nicht auf uns selbst und unser eigenes Angeschlagen-Sein zurückverwiesen sind, sondern auf einen Anderen hingewiesen werden, dessen Reich, Kraft, Herrlichkeit auch in der Anfechtung trägt,19 so ist das tröstlich. Nicht ohne Grund hat man vom seelsorglichen Sinn der Doxologie gesprochen.20 In der Verwiesenheit auf Gott, der stärker, kräftiger, herrlicher ist als wir selbst sind, ja, der sogar als unser Vater weiß, was wir bedürfen, noch bevor wir ihn bitten (Mt 6,8), – darin liegt der Trost. Wir sind nicht auf uns selbst zurückgeworfen in Angst, Not und Schwäche. Wir müssen nicht wider unser eigenes Empfinden und Bedürfnis stark sein, uns als vermeintlich Starke selbst neu erfinden, sondern dürfen uns schlicht seiner Stärke anvertrauen.21

Luther hat dies schön auf den Punkt gebracht: „Und das ist die Weise, durch die unsere Theologie ihre Gewissheit hat: weil sie uns von uns selbst wegreißt und außerhalb von uns selbst stellt, damit wir uns nicht stützen auf unsere Kräfte, Gewissen, Erfahrung, Person, Werke, sondern damit wir uns stützen auf das, was außerhalb von uns ist, das ist die Verheißung und Wahrheit Gottes, die uns nicht täuschen kann.“22

Der mächtige doxologische, allein auf Gott bezogene Schlussakkord hilft uns, auch die übrigen Inhalte der „Vaterunsers“ zu verstehen, insbesondere die Bitten in ihrer Ausrichtung. Denn es geht auch dort um Gott und die Ausrichtung der Bitte auf ihn, an dem alles hängt. Die Betonung, der Akzent der Bitten dürfte damit klar sein: „Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib du uns heute. Und vergibt du uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe du uns nicht in Versuchung, sondern erlöse du uns von dem Bösen.“ – So lautet der theo-logische, der auf Gott bezogene Richtungssinn des Gebets Jesu.23

3. Hin zum Nächsten und hin zu „mir“

Doch nun noch ein Letztes: Heißt das nun, dass der Mensch klein gemacht wird zugunsten Gottes? So nach dem Motto: „Du, Mensch, bist nichts und Gott ist alles“? Wir haben zwar gesehen, wie problematisch es ist, wenn der Mensch – zumal als der um sich selbst kreisende Sünder – auf Kosten Gottes und dann auch des Nächsten groß gemacht wird.24 Aber der Satz, dass der Mensch nichts sei, ist spätestens seit Weihnachten, als Gott Mensch wurde, und mehr noch seit Karfreitag und Ostern (der Mensch ist Gott seinen Sohn wert!), ein gänzlich unchristlicher Satz. Im Epheserbrief heißt es, dass wir zu Erben Christi eingesetzt worden sind, „damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,12).

So übersetzt Luther und stellt damit klar: Wir sind nicht nichts! Keineswegs! Und auch der Genfer Reformator Johannes Calvin kann dies entschieden betonen: „Wo Gott erkannt wird, kommt auch die Menschlichkeit zur Ehre.“25 Wo Gott erkannt wird, da tritt auch der Nächste mit in den Blick. Wo wir Menschen Gott in unserem Leben die Ehre geben, wie es im Schlussakkord des „Vaterunsers“ geschieht, da richtet sich das keineswegs gegen die Freiheit und Humanität des Menschen, sondern bringt diese erst in rechter Weise zur Geltung. Der Gott die Ehre gebende Mensch ist der wahrhaft freie Mensch.

Calvin sagt: „[W]enn wir Gott dienen, schmälert jenes nicht unsere Freiheit. Im Gegenteil!“26 Ich liebe die Eröffnung des „Kleinen Westminster Katechismus“ (Westminster Shorter Catechism) von 1647: „What is the chief end of man? Man’s chief end is to glorify God, and to enjoy Him forever.”27 – „Was ist das höchste Ziel des Menschen? Das höchste Ziel des Menschen ist, Gott zu verherrlichen und sich ewig an Ihm zu erfreuen.“ Der Sinn unseres menschlichen Lebens besteht darin, Gott die Ehre zu geben, aber das schließt menschliche Freude keineswegs aus, sondern ein, ja bringt sie sogar zur Vollendung.

Halten wir also fest: Dort, wo Gott in unserem Leben zu seinem Recht kommt, da ist auch uns Menschen unüberbietbar geholfen! Es geht bei der Doxologie also um kein Nullsummenspiel, bei dem die Summe der Gewinne aller Spielenden bei jedem möglichen Spielausgang gleich Null ist, also entweder auf Kosten Gottes oder auf Kosten des Menschen geht. Die Wegwendung von sich selbst, von der wir am Anfang unter erstens sprachen, und dann zweitens die Hinwendung zu Gott – bilden keine Einbahnstraße, sondern sie betreffen dann auch wieder den Menschen – aber präzise in dieser Reihenfolge. Zu dem ersten „Weg von sich selbst“ und dem zweiten „Hin zu Gott“ tritt nun gewissermaßen als Resultat das „Hin zum Menschen“ in Gestalt des Mitmenschen, des Nächsten und mir selbst – genauer meinem wahren Selbst in Christus28 – hinzu.

Dies geschieht in der Liebe. „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Mt 22,34–40; Mk 12,28-31; Lk 10,25-28) – das ist das höchste Gebot. Jesus kann dies in einzigartiger Weise pointieren, indem er sich in seiner „Rede vom Weltgericht“ ausgerechnet mit dem geringsten Bruder identifiziert: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Wenn wir Gott ehren, Gott in Christus, denn in Christi Angesicht erkennen wir – wie Paulus sagt – die Herrlichkeit Gottes (2Kor 4,6),29 dann betrifft dies auch den Menschen – unseren Bruder, unsere Schwester und auch uns selbst.

Hier schließt sich der Kreis. Das Amen umfasst uns alle. Das Amen, was nach Luther heißt: „Ja, ja, so soll es geschehen“30 bzw. „es werde wahr“31, schließt keinen aus. So wie wir nicht beten: „Mein Vater“, sondern „Unser Vater“,32 so geht es nun im „Amen“ auch darum, „dass er [Gott] uns erhören will“.33 Calvin bemerkt dazu wegweisend: „Der Christenmensch muss also seine Gebete nach der Regel richten, dass sie auf die Gemeinschaft bezogen sind und alle umfassen, die in Christus seine Brüder sind! Damit schließt er nicht nur die ein, die er gegenwärtig als seine Brüder um sich sieht, sondern alle Menschen, die auf der Erde leben. Er weiß nicht, was Gott über uns beschlossen hat, aber das weiß er: dass es ebenso fromm wie menschlich ist, für sie das Beste zu wünschen und zu erhoffen!“34

Damit bezeugt Calvin nichts anders als die „Menschenfreundlichkeit Gottes“ (Tit 3,4), „welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1Tim 2,4). Wir antworten darauf mit: Amen und schließen mit der letzten Strophe von Luthers „Vaterunser“-Lied von 1539: „Amen, das ist: es werde wahr. / Stärk unsern Glauben immerdar, / auf dass wir ja nicht zweifeln dran, / was wir hiermit gebetet han / auf dein Wort, in dem Namen dein. / So sprechen wir das Amen fein.“35


1 Von „Anleitung“ spricht auch Okko Herlyn, Das Vaterunser. Verstehen, was wir beten, Neukirchen-Vluyn 2017, 17. Vgl. auch Calvins Rede vom „Herrengebet“ als dem „einzigen Maßstab rechten Betens“ (unicam rite orandi normam). So im „Genfer Katechismus“ von 1545 (CStA 2, 108f.).

2 Vgl. Hans G. Ulrich, Ethik lernen mit dem Vaterunser. Das Gebet als paradigmatische Praxis einer Lebensform, in: Johannes von Lüpke / Edgar Thaidigsmann (Hg.), Denkraum Katechismus. Festgabe für Oswald Bayer zum 70. Geburtstag, Tübingen 2009, (435–448) 436: „Das Beten vor den Leuten ist sinnlos, sofern es im Gebet einzig darum gehen kann, mit Gott zu reden, Gott zu loben und von ihm etwas zu erbitten. So tritt im Gebet einzigartig hervor, was es heißt, mit Gott zu leben, so gibt das Gebet im Besonderen das menschliche Leben mit Gott wieder.“

3 Ebd. Vom Gebet als „Sprachspiel“ spricht bereits Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Ludwig Wittgenstein Werkausgabe Bd. 1, 10. Aufl., Frankfurt a.M. 1995, 250.

4 Hans G. Ulrich, Kennwort „Gebet“, in: Glaube und lernen 1 (1986), (13–21) 13.

5 Ebd.

6 Eberhard Jüngel, Glaube und Freiheit: Mensch, wo bist Du? Vortrag am 22.05.2009 auf dem 32. Deutschen Evangelischen Kirchentag Bremen, formuliert im Blick auf diese Bewegung meisterhaft: „Fragen wir nun noch einmal: ‚Mensch Wo bist Du?‘ so lässt sich für den glaubenden Menschen sehr schlicht antworten: Er ist – wie der Berliner sagen würde – hin und weg. Weg von sich selbst und insofern von sich selbst befreit. Weg von sich selbst, weil er glaubend hingerissen ist von Gott und zu Gott, um sich dann, ohne Gott hinter sich zu lassen, abermals hinreißen zu lassen zu denen, die seine Liebe brauchen. Der Glaubende ist also ständig unterwegs, und kommt auf diesem Weg und nur auf ihm in immer neuer Weise dann auch zu sich selbst, so dass er sich selber immer wieder neu kennen lernt. Und so ist er hin und weg vor Freude über Gott, vor Freude über Gottes Schöpfung, vor Freude aber auch über sich selbst.“ https://jochenteuffel.com/wp-content/uploads/2022/11/juengel-glauben-und-freiheit.pdf (abgerufen: 8.10.2025).

7 Vgl. ebd.

8 Martin Luther, Disputatio contra scholasticam theologiam (1517), These 17: „Non potest homo naturaliter velle: deum esse deum. Immo vellet se esse deum et deum non esse deum.“ Übersetzung: „Der natürlich Mensch kann nicht wollen, dass Gott Gott sei; vielmehr will er, dass er selbst Gott sei und dass Gott nicht Gott sei.“ WA 1,225,1f.

9 Vgl. Martin Luther, Lectura in Epistolam ad Romanos (1515–1516), WA 56,193,25ff.

10 Siegfried Kettling, Die Rechtfertigung des Gottlosen, in: ders., Typisch evangelisch. Grundbegriffe des Glaubens, Gießen/Basel und Wuppertal 1992, (7–31) 9.

11 Holger Finze-Michaelsen, Vater Unser – Unser Vater. Entdeckungen im Gebet Jesu, BThS 24, Göttingen 2004, 134.

12 Ebd.

13 Vgl. Ernstpeter Maurer, Selbstvergessenheit, in: ders., Geistreiche Vernunft. Dogmatik als lebendiges Denken, hg. von Clara Aurelia Schneider und Larissa Carina Seelbach, Göttingen 2018, 210–225.

14 O. Herlyn, Das Vaterunser, 129.

15 A.a.O., 131.

16 Martin Nicol (Mehr Gott wagen. Predigten und Reden zur Dramaturgischen Homiletik, Göttingen 2019) weist darauf hin, dass es sich bei der Doxologie um eine „Sprache der Hoffnung“ (a.a.O., 182) handelt: „In ihr [der Doxologie], hat, so meine ich, die Kirche einen genuinen Redemodus für die Zukunft Gottes. Freilich fällt sie in der Liturgie, wo die Doxologie dazugehört und der Wortlaut meist festliegt, leichter als in der Predigt, bei der zunächst niemand Doxologie erwartet. Ungeachtet mancher Schwierigkeiten muss die Doxologie auch homiletisch probiert werden. Denn die Sehnsucht braucht ein Ziel oder mindestens eine Richtung, in die sie sich wenden kann. Doxologie stellt die Sprache bereit, mit der wir uns des Zieles versichern. Wir brauchen die Doxologie, ihre Sprache, ihre Bilder. Wir brauchen ihren Mut, mit dem sie es wagt, die Zukunft Gottes im Indikativ der Gegenwart darzustellen. Ohne doxologisches Reden verkümmert die Sehnsucht“ (a.a.O., 183f.). Gewiss ist mit einer Predigt über die Doxologie des „Vaterunsers“ noch nicht doxologisch gepredigt worden. Gleichwohl steht zu hoffen, dass mit ihr die Einsicht in die Notwendigkeit doxologischer Rede befördert wird, der dann auch das Wagnis doxologischer Rede in der Predigt folgen mag.

17 Vgl. Gerhard Sauter, Begründete Hoffnung. Erwägungen zum Begriff und Verständnis der Hoffnung heute, in: ders., Erwartung und Erfahrung. Predigten, Vorträge und Aufsätze, ThB 47, München 1972, 69–107.

18 Nach Johannes Calvin, Inst. (1559), III,20,47, kommt den Heiligen „die Zuversicht, etwas gewährt zu erhalten, einzig und allein aus Gottes Wesen“.

19 Zu den Problemen des „Herrlichkeitsjargons“ vgl. Magdalene L. Frettlöh, Wider den Herrlichkeitsjargon in der Gottesrede. Dogmatischer Einfalt mit biblischer Vielfalt begegnen, in: dies., Der Schrift zugeneigt. Kleine theologische Stücke geteilter Textlust, Erev-Rav-Hefte / Biblische Erkundungen Nr. 13, Uelzen 2023, 37 – 41.

20 So Jan M. Lochman, Unservater. Auslegung des Vaterunsers, Gütersloh 1988, 141.

21 Vgl. Johannes Calvins Bemerkung im „Genfer Katechismus! (1545): „Wir werden hier [im Schlusssatz; M.H.] noch einmal daran erinnert, auf Gottes Macht und Geist als Grundlage für unsere Gebete zu vertrauen und in keiner Weise auf uns.“ CStA 2, 107.

22 Martin Luther, Galaterbriefvorlesung (1531), WA 40/I, 589,25–28 zu Gal 4,6.

23 Dieser Richtungssinn kann homiletisch gewiss auch als Impuls verstanden werden, in der Predigt „mehr Gott zu wagen“. Vgl. Martin Nicol, Mehr Gott wagen. Zur Sprachgestalt der Predigt, in: PTh 94 (2005), 262–272; ders., Mehr Gott wagen. Predigen und Reden, 13f.; 19–26.

24 Vgl. Karl Barth, Die Menschlichkeit Gottes. Vortrag, gehalten an der Tagung des Schweiz. Ref. Pfarrvereins in Aarau am 25. September 1956, ThSt 48, Zollikon-Zürich 1956, 5.

25 CO 38,388 (Komm. Jer 22,16): „Ubi cognoscitur Deus, etiam colitur humanitas.“

26 CStA 5/1, 341 (Komm. Röm 7,4). Vgl. auch Karl Barth, KD IV/3, 383: Gott will uns „als selbständig tätige, freie Subjekte dabei haben“. Er will „die ganze Welt […] nicht übergehen, nicht überfahren, sondern in ihrem eigenen freien Werk an seiner Seite, in seiner Nachfolge haben, weil er die Freude, den Dank und das Lob der Kreatur nicht verachten, sondern erwarten, ja in seiner ganzen Niedrigkeit begehren und also nicht ausschließen, nicht unterdrücken wollte“. A.a.O., 384.

27 BSRK 643,9f.

28 Nach Luther ist das wahre Selbst „extra nos […] et in Christo“. WA 56, 158,9 (Scholion zu Röm1,1). Zur Verborgenheit dieses Selbst vgl. Gerhard Sauter, Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie, Gütersloh 2011, 150; 306; 335 u.a. Glänzend formuliert Hans Joachim Iwand, Christologie. Die Umkehrung des Menschen zur Menschlichkeit, Iwand Nachgelassene Werke N.F. 2, hg. von Eberhard Lempp / Edgar Thaidigsmann, Gütersloh 1999, 376f.: „Mit dem ‚für uns‘ dieses Todes [Jesu] und dieser Auferstehung ist dem Menschen ein neuer, ein außerhalb seiner selbst gelegener Mittelpunkt gegeben. […] Sein [Jesu] Tod für uns ist das über alle ergangene Todesurteil. Aber dieses Todesurteil ist zugleich die Freilegung unseres Lebens für ihn, von ihm her, ist die ungeheure Verlagerung meiner Existenz aus der Mitte meines Ich-Sein-Wollens hinein in Jesus Christus, so dass ich an ihm ablesen kann, wer ich bin und wohin mein Weg geht.“

29 Vgl. dazu Otfried Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: ders., Paulusstudien, WUNT 51, 2. Aufl., Tübingen 1994, (148–174) 161ff.

30 BSLK 515.

31 EG 344,9. Es dürfte zu wenig sein, nur das „Noch nicht“ dieses „Werdens“ zu betonen und von „Zukunftsmusik“ zu sprechen. Er ist ja bereits adventlich „im Kommen“, wenn auch noch nicht erfüllt. Vgl. Friedrich-Wilhelm Marquardt, Amen – ein einzig wahres Wort des Christentums, in: Jochen Denker u.a. (Hg.), Hören und Lernen in der Schule des NAMENS. Mit der Tradition zum Aufbruch. Festschrift für Bertold Klappert zum 60. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 1999, (148–159) 155. Dazu auch: Magdalene L. Frettlöh, Das adventliche „Amen“ auf Gottes „Ja“: ein Resilienzwort, in: GPM 80 (2025), 29–38.

32 Treffend bemerkt Daniel L. Migliore, Faith Seeking Understanding: An Introduction to Christian Theology, 4. Aufl., Grand Rapids 2023, 287: „The Lord’s Prayer is striking in its frequent use of the pronoun ‘our.’ Mature prayer is prayer in concert with and concern for the well-being of others as well as our own.”

33 BSLK 515. Hervorhebung: M.H.

34 J. Calvin, Inst (1559), III,20,38.

35 EG 344,9.


Marco Hofheinz