Die eigentliche Sensation

2. Mose 14 (in Ausschnitten) - eine Predigt im Dialog


© Georg Rieger

Der Durchzug Israels durch das Schilfmeer ist eine bombastische Geschichte, deren tieferen Sinn Pfarrer Schaar zusammen mit einer Kirchenältesten aufschlüsselt.

Ostern - das ist, liebe Gemeinde, das Hauptfest der Christenheit, auch wenn Weihnachten ohne Frage populärer ist. Aber der Tod - und dann vor allem die Auferstehung - Jesu Christi stellt nun mal die Basis der christlichen Verkündigung und so auch unseres Glaubens dar: “Für uns gestorben - für uns vom Tode erweckt.” Viele Christenmenschen finden es von da her überflüssig, sich die Mühe zu machen, in das Erste Testament hineinzuschauen - da steht ja gar nichts über Jesus geschrieben!

Und doch ist uns für diesen Ostersonntag ein Text zur Auslegung empfohlen, den wir mitten in der Kern-Erzählung des Alten Testaments finden, im zweiten Buch Mose, wo von der Rettung des Gottesvolkes aus der Sklaverei in Ägypten berichtet wird. Diese Geschichte ist viel zu lang für einen Gottesdienst. Wir müssen uns daher mit Ausschnitten aus dem 14. Kapitel des Buches Exodus begnügen, steigen also sozusagen mittendrin in den Erzählstrang ein, als die dramatische Handlung schon in vollem Gang ist:

8 Er verstärkte den Starrsinn Pharaos, des ägyptischen Königs, so daß er Israel nachsetzte. Das Volk war unter mächtigem Schutz fortgegangen. 9 Die ägyptische Truppe verfolgte sie und erreichte sie an ihrem Zeltplatz ..... am Meeresufer; die Streitmacht umfaßte die Elitetruppe Pharaos und die regulären Einheiten. 10 Pharao kam näher. Die Israeliten und Israelitinnen erblickten das heranrückende Heer; Ägypten war ihnen auf den Fersen. 

Da bekamen sie große Angst und schrieen zu Ihr um Hilfe. 11 Sie sagten zu Mose: »Gab es keine Gräber für uns in Ägypten? Mußtest du uns in der Wüste sterben lassen? Warum hast du uns das angetan, uns aus Ägypten zu befreien? 12 Habenwir das nicht schon in Ägypten gesagt: ›Laß uns in Ruhe, wir wollen hier arbeiten. Es ist für uns besser, in Ägypten zu dienen als in der Wüste zu sterben.‹« 13 Mose aber antwortete dem Volk: »Keine Angst! Habt Zuversicht! Ihr erlebt die Rettung durch Ihn, die er heute an euch vollziehen wird. Was ihr heute mit der ägyptischen Armee erleben werdet, könnt ihr nie wieder sehen. 14 Sie wird für euch kämpfen, ihr werdet zuschauen.«

19 Der Engel Gottes, der sonst den Heerzug Israels anführte, wechselte seine Position und ging jetzt am Schluß. So auch die Wolkensäule, sie war vorne gewesen und stand jetzt hinten, 20 zwischen dem ägyptischen Heerhaufen und den Kolonnen Israels. Die Feuersäule war dunkel, erleuchtete aber trotzdem die Nacht. Die beiden Seiten waren also getrennt, keine konnte sich während der Nacht der anderen nähern. 21 Mose streckte seinen Arm zum Meer hin, da ließ Er einen starken Ostwind kommen, der wehte die ganze Nacht und trieb das Wasser zurück. Die Wasser spalteten sich und der feste Boden kam zum Vorschein. 22 Israel ging trockenen Fußes durch das Meer, das Wasser stand rechts und links von ihnen wie eine Mauer. 23 Die ägyptische Armee setzte ihnen nach, mit aller ihrer königlichen Kavallerie, mit Streitwagen und Elitekriegern jagten sie mitten ins Meer hinein.

28 Die Gewässer kehrten zurück und bedeckten Streitwagen, Mannschaften und das ganze Heer Pharaos, das dem Volk Israel ins Meer gefolgt war. Kein Einziger der Verfolger kam mit dem Leben davon. 29 Die Scharen Israels dagegen gingen trockenen Fußes durch das Meer, die Wassermassen standen rechts und links von ihnen wie eine Mauer. 30 So rettete Sie an jenem Tage Israel vor der ägyptischen Macht.

Was für eine bombastische Geschichte!

Aber ist es auch eine österliche Erzählung? Ich habe darauf durchaus eine Antwort, aber bevor ich etwas über den Text sage, möchte ich meiner Gesprächspartnerin Anke Brunner das Wort erteilen - denn wir haben uns gemeinsam Gedanken gemacht über das Osterfest und den Auszug aus Ägypten:

Der Herr wird für euch kämpfen, ihr selbst braucht gar nichts zu tun.

Was für eine verlockende Botschaft! Gott wird für mich/Gerechtigkeit/Frieden kämpfen und ich brauche nichts zu tun. Und er zeigt sich nicht zimperlich im Umgang mit den Ägyptern, die man kurz austauschen möchte mit den Ausbeutern und Unterdrückern der heutigen Zeit. Welch eine Erleichterung, wenn so das Böse besiegt werden könnte. Aber meint es das wirklich: dass ich mich zurück lehnen kann und Gott richtet es?

Etwas ist ja zentral in dieser Geschichte: Mose unterwirft sich Gottes Vorgaben, trotz aller Zweifel, ob das gut gehen kann. Gottesfürchtig, nicht unbedingt vertrauensvoll. Und es gelingt. Welchen Kampf ficht Gott da aus? Was macht er?

So ganz verstehe ich es nicht, es sind drastische Bilder (Leichen am Strand, ein vernichtetes Volk), nicht das, was ich “mal eben so“ gut finden kann. Was bei mir ankommt, ist Gottes Zusage, dass er sich für uns einsetzt. Vielleicht auch, dass wir nicht eigene Kämpfe führen müssen, sogar keine führen sollen. Was wir sollen (das wird nicht direkt gesagt, das verstehe ich so mit Mose als Vorbild), ist seine Botschaft zu empfangen und uns danach zu richten. Unser Leben auf Gott auszurichten und die Konflikte, die wir wahrnehmen (in der Welt, um uns herum)in seine Hände zu legen.

Ist das gemeint? Soll/muss ich mich als Christin nicht einmischen und kämpfen?

Hoppla! “Unterwerfung” - ist das nicht die korrekte Übersetzung des Wortes “Islam”? Und ob uns “als Christenmenschen” hier irgendeine Norm vorgegeben wird - das sehe ich auch nicht, oder wenn, dann höchstens indirekt.

Aber deine anderen Fragen greife ich sehr gern auf: Ja, Gott “macht etwas” für seine Leute; ich lasse das zunächst mal im Ungefähren. Gott macht etwas, er greift machtvoll ein - in einer Weise, die mich so sehr an Actionfilme aus Hollywood erinnert, daß es schon wieder schwierig wird, beim Ernst der Sache zu bleiben - dabei geht es wirklich nicht um Unterhaltung, sondern ist bitterer Ernst: die Befreiung der Hebräer aus der Sklaverei, ein Urdatum der Geschichte Israels.

Und was machen diese Leute, von denen uns hier erzählt wird? - Sie legen ja nicht einfach die Hände in den Schoß. - Ja, sie vertrauen auf Gott.

Aber es bleibt nicht beim Händefalten. Denn dann werden sie aktiv: Sie wagen es nämlich, einzig und allein auf das Wort des Mose hin ihren geschützten Raum zu verlassen. Wobei es sich bei diesem “geschützten Raum” in Wahrheit natürlich um ein Gefängnis handelt, ein Arbeitslager, wo sie bei Wasser und Brot schuften mußten, ein KZ.

Sie nehmen also gar nicht mal wahr, was es in ihrer Welt alles an Problemen gibt, sondern sie selbst stehen im Mittelpunkt biblischen Erzählens, es geht um ihre ureigenen Belange. Das ist nicht egoistisch, sondern absolut legitim. Es ist nichts anderes als das gelebte Gottesverhältnis, um das es in der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite geht: Ich will eurer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein. Dieses “soll” ist hier selbstverständlich kein Sollen im Kant’schen Sinne, sondern ein Blick in die Zukunft, eine Verheißung.

Jetzt bist du wieder dran!

Das wollte ich wirklich nicht gesagt haben, dass dieser schwere Weg der Hebräer ein „die Hände in den Schoß legen“ war. Ich hatte wohl zu schnell versucht ,die Geschichte in unsere Zeit zu übertragen und das aus heutiger Sicht nahezu Unfassbare, dass sie Mose folgen  und ihr Leben in Gottes Hände legen in eine Art „Handlungsanweisung“ für die Gegenwart umzuformulieren. Weil, ehrlich gesagt, ich versuche mir das vorzustellen, was du als „gelebtes Gottesverhältnis“ bezeichnest : mich ganz in den Schutz Gottes zu begeben und nichts anderes, kein „Plan B“, den ich schnell aus der Tasche ziehe (weil es mir vielleicht zu lange dauert oder ich doch selber auch sehr gute Ideen habe),kein Widerspruch. Nur Vertrauen. Das klingt für mich nach der eigentlichen Sensation! 

Ich freue mich immer, wenn es mir gelingt, solche Antworten herauszukitzeln. Ich kenne deine Denkweise inzwischen gut genug, meine ich; aber ich wollte um der anderen Leute willen, die uns zuhören, auf das Problem eines Mißverständnisses hinweisen.

“Gelebtes Gottesverhältnis” hört sich vielleicht gut an - aber du machst zu recht darauf aufmerksam, daß es im konkreten Lebensvollzug schnell passiert, daß man hehre Grundsätze über Bord wirft und sich an jeden Strohhalm klammert, der sich einem gerade bietet. 

Weil wir Angst haben um unser kleines bißchen Leben. Weil wir - wie die Schlange auf das Kanninchen - mit großen Augen dem Tod in seine Fratze gucken. In dem Moment ist es dann oft nicht weit her mit dem Gottvertrauen. Ob das je anders war?

Die Hebräer, die eben noch laut protestiert haben, daß Gott ihre Klagen nicht hört, sind noch gar nicht in der Wüste angekommen, ja sie haben noch nicht einmal das Schilfmeer durchquert, da jammern sie schon, sie wären lieber in Ägypten geblieben, als auf der Flucht zu sterben.

Das erinnert mich an einen Satz meines Vaters, der bei Kriegsende 11 Jahre alt war und berichtete, die Leute hätten, trotz Bombennächten und Hunger, Angst gehabt vor dem, was kommt, und gaben die Parole aus: “Leute, genießt den Krieg - der Frieden wird fürchterlich!”

Sag mir bitte schnell, ob es noch Fragen gibt, die wir gemeinsam klären sollten - insbesondere im Hinblick darauf, daß wir heute Ostern feiern!

Wieso dieser Text ausgerechnet an Ostern? “Schwerter zu Pflugscharen” stand als Forderung immer wieder auf den Transparenten der Ostermärsche und nun lesen wir heute diesen eher gewaltigen Text. “Der Herr wird für euch kämpfen. Ihr braucht garnichts zu tun.” Nein, ich verstehe den Zusammenhang zu Ostern nicht! Da freue ich mich von dir mehr zu hören!

Na ja - friedlich geht es in unserer Geschichte nicht eben zu! Da gibt es Tote reihenweise. “Der Herr wird für euch kämpfen” - das kann man bei “der Herr” betonen, aber man kann es auch bei “kämpfen” betonen. Hier wird gekämpft, auf Leben und Tod.

Wenn ich an “Ostermarsch” denke, dann nicht an bedingungslosen Pazifismus, sondern an ein entschlossenes, mitunter sogar gewaltbereites Vorgehen gegen eine Politik, die sich auf Militarismus stützt und mit Macht gegen Menschen vorgeht, denen fundamentale Rechte vorenthalten werden.

Und genau hier sehe ich eine Verbindung zu unserem Bibeltext, dessen Aufnahme in den Kanon des österlichen Predigttexte mich ebenso verwundert wie erfreut hat.

Um es nicht noch einmal mit denselben Worten zu sagen - vielleicht gelingt es mir nicht, die richtige Formulierung zu finden -, möchte ich abschließend das “Andere Osterlied” von Kurt Marti zitieren, das gewiß bei zahlreichen christlichen Ostermärschen angestimmt worden ist und womöglich noch immer gern gesungen wird:

Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme,
erst dann die Herrschaft der Herren,
erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer!

Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechteso weiterginge wie immer.

Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren!

Halleluja!

Pfr. Stephan Schaar