Die harten Schnitte

Predigt zu Joh 15, 1-8 zum Sonntag Jubilate, 3. Mai 2020


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Von Kathrin Oxen

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch.

Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.

Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. Die harten Schnitte liegen hinter uns. Alle hoffen, dass es so ist. Nach den Wochen, in denen die Freiheiten und Möglichkeiten unseres Lebens auf das Allernotwendigste beschnitten und gekürzt worden sind, soll es jetzt bitte genug sein. Die Lockerungen sollen endlich kommen und sie sollen bleiben. Mit dem Gedanken, dass es irgendwie bis zu den Sommerferien dauert, haben sich viele notgedrungen schon angefreundet. Wer noch an seinen Plänen für den Sommerurlaub festgehalten hat, wird das Loslassen üben müssen. Ohnehin wird gerade die Überzeugung, ein Sommerurlaub gehöre zu den unverzichtbaren Dingen im Leben, bei uns grob zurechtgestutzt.

So viele Menschen sind in Kurzarbeit und verlieren ein Drittel ihres Einkommens, Kinder können nicht zur Schule gehen, ältere Menschen sind isoliert und einsam – wer mag da überhaupt noch daran denken, entspannt Urlaub zu machen? Und damit geraten uns wiederum die Menschen aus dem Blick, die mit dem Tourismus und in der Gastronomie ihr Auskommen haben. Harte Schnitte haben wir hinter uns, harte Schnitte stehen uns noch bevor. Und niemand weiß, ob und wie das alles Frucht bringen wird.

Schon zweifeln die ersten, leise und laut, an der Wirksamkeit oder der Notwendigkeit. Es wird offen darüber gesprochen, ob der Schutz der einen um den Preis großer Einschränkungen für die anderen aufrechterhalten werden soll. Die harten Schnitte trennen uns nicht nur von unserem normalen Leben. Sie trennen uns auch voneinander. „Ich bin der wahre Weinstock“, sagt Jesus zu denen, die mit ihm gehen, „ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben“. Die Situation, in der diese Worte gesprochen werden, ist weniger idyllisch, als es sich anhört. Um schöne grüne Blätter und reife Trauben geht es nicht. Jesus spricht kurz vor seinem Tod noch einmal lange mit seinen Freunden, es sind seine ausführlichen letzten Worte.

Denn bald wird er aus ihrer Mitte weggehen. Ihnen allen steht ein harter Einschnitt bevor. Und die größte Angst Jesu ist, dass sie sich danach vereinzeln und trennen, so als wären sie jeder für sich ein eigener Weinstock, vielleicht noch lose in eine Reihe gepflanzt, vielleicht auch nicht.

„Ich bin der wahre Weinstock“ sagt Jesus deswegen. Und ihr seid die Reben, verbunden mit mir. Wer bei Jesus ist, der hat schon Einschnitte hinter sich. Das Leben und die Maßstäbe, die man daranlegt, die sollten sich schon verändert haben. Das mit dem Urlaub ist ein gutes Beispiel. Gibt es noch einen Maßstab dafür, was wirklich nötig ist im Leben und oder sind da Auswüchse, die nicht sein müssen? Wie ist das Verhältnis zum Materiellen, zum Besitz, was braucht man wirklich?

Nicht länger zu glauben, dass man selbst der Weinstock ist, die Mitte, um die sich alles dreht, das schafft eine Verbindung zu den anderen, den Nächsten, besonders zu den Schwächsten. Wer zu Jesus gehört, ist schon gereinigt und geeinigt.

Wenn etwas von den harten Schnitten der vergangenen Woche gut war, für mich selbst, dann ist es dies: Ich habe ein neues Bewusstsein für alles Gute in meinem Leben bekommen, für die Menschen, die zu mir gehören, dafür, wie gut es mir geht, für den Wert meiner Sicherheit und Freiheit. Ich habe besser verstanden, dass niemand auf Dauer so leben kann, als ginge es immer zuerst nur um ihn. Im Vergleich zu sehr vielen Menschen in unserem Land. Und erst recht im Vergleich zum Rest der Welt.

Auch in meinen persönlichen Beziehungen hat sich deutlicher als vorher gezeigt, mit wem ich wirklich verbunden bin. Im Leben und auch im Glauben, ausgerichtet auf den, den uns verbindet. All den Einschnitten und Beschränkungen zum Trotz ist das gewachsen. Und bevor es zu idyllisch klingt: Es hat sich auch gezeigt, wo keine wirkliche Verbundenheit da ist. In den guten Momenten dieser seltsamen Zeit fühle ich mich tatsächlich selber so: Gereinigt und geeinigt.

Wer zu Jesus gehört, hat schon harte Schnitte hinter sich. Sie sind so sorgfältig gesetzt worden wie bei einem guten, kundigen Weingärtner. Vor seinem scharfen Messer muss niemand Angst haben. Er schneidet nur weg, was überflüssig ist und Kraft nimmt. Niemals würde er die Verbindung zum Weinstock durchtrennen.

In dieser Zeit der harten Schnitte wird der Wunsch groß und beinahe übermächtig, dass dies alles Frucht bringen möge. Aber niemand muss dafür auf Herbst warten, auf die Ernte und die Lese. Denn wir sind schon gereinigt und geeinigt. Und „wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“

Amen.


Kathrin Oxen
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.