'Diskussionen um einen gerechten Frieden haben sich stark verändert'

Interview mit Tobias Zeeb


© privat

Beim Kirchentag 2023 ist der Theologe zu Gast beim Reformierten Bund in Sankt Martha, mit dem Workshop "Friedensethik nach der 'Zeitenwende'" - vorab sprach er mit uns darüber, wie sich der Friedensdiskurs seit dem Ukrainekrieg gewandelt hat.

Herr Zeeb, der Ukrainekrieg prägt die Friedensdiskussion derzeit in Europa besonders. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sprach Bundeskanzler Scholz gar von einer „Zeitenwende“ – würden Sie das bestätigen?

Im Nachhinein scheint klar: Der russische Angriff ist ein Kipppunkt. Plötzlich hatte sich etwas in Europa deutlich verändert, wir mussten uns neue Fragen stellen. Vielleicht ist ein Begriff wie „Zeitenwende“ aber auch eine Zuschreibung, die erst aus der Rückschau sinnvoll wird. Andererseits brauchen wir etwas, um diesen Kipppunkt zu benennen, eine Art Label also, etwas, das wir später als Ausweis des damaligen Empfindens wiedererkennen.

Ab wann lässt sich von einer „Zeitenwende“ sprechen?

Das ist schwierig zu sagen. Der Ukrainekrieg hat eine Vorgeschichte, es geht hier um eine fortschreitende Bewegung. Schon der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg warnte 2014 vor einer Eskalation zwischen Russland und Europa. Er betonte, schon damals dass mit der Annexion der Krim eine „Friedensepoche in Europa“ ende. Da hat man gemeinhin auch nicht von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Der Angriffskrieg aber stellt für viele eine symbolische Grenze dar. Der Begriff „Krieg“ hat sich außerdem stark verändert.

Inwiefern?

Lange schien klar: Es gibt praktisch keine klassischen Kriege mehr: Staat gegen Staat, das ist vorbei. Stattdessen wurde vielmehr von asymmetrischen Kriegen gesprochen, wo oft innerhalb eines Staates unterschiedliche Gruppen miteinander kämpfen. Jetzt aber sehen wir wieder einen Krieg zwischen souveränen Staaten. Ein Szenario, das in weite Ferne gerückt war. Das macht es vielleicht heute schwieriger für die Menschen, Kriege zu erfassen.

Trotzdem erregt gerade der Ukrainekrieg seit 2022 große Aufmerksamkeit in Deutschland.

Kriegerische Auseinandersetzungen wie in Afghanistan oder Sudan sind uns oft fremd. Die Bilder aus der Ukraine schon weniger. Dort sehen wir Panzer, die über europäischen Boden rollen. Die Bilder rufen damit Assoziationen vom Zweiten Weltkrieg wach, Geschichten, die man noch von den eigenen Großeltern kennt.

Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs wurde auch die Diskussion um einen „gerechten Frieden“ neu angefacht. Gibt es eine Legitimation friedensethischer Gewalt?

Ich habe das Gefühl, dass sich die Diskussionen um einen gerechten Frieden seit dem russischen Angriff 2022 stark verändert haben. Frühere Vorstellungen eines durch internationales Recht gesicherten Friedens gelten mit heutigen Erfahrungen oft als zu optimistisch. Die Diskussion verschiebt sich dabei von eher theoretischen Aspekten hin zu Fragen, die auf nicht gekannte Weise nahe gerückt sind: Wie verhalte ich mich zum in unmittelbarer Nähe vorhandenen Krieg, wie sollten wir damit konkret umgehen? 2005 versuchte man die Problematik des Eingreifens anderer Staaten in einen Konflikt bei den Vereinten Nationen mit dem Konzept der „Responsibility to Protect“ einzufangen. Staaten haben demnach eine bestimmte Schutzverantwortung gegenüber ihrer Bevölkerung. Sind sie dazu nicht willens oder in der Lage, darf die internationale Staatengemeinschaft eingreifen, auch militärisch. Vielleicht ließe sich ein solches Konzept trotz der damit verbunden Schwierigkeiten auch im Blick auf den Ukrainekrieg weiterentwickeln.

In Ihrer Forschung haben Sie sich mit der Friedensethik bei Emmanuel Levinas beschäftigt. Was macht seinen Ansatz heute aus Ihrer Sicht für uns besonders interessant?

Frieden ist bei Levinas kein Zustand, er ist ein Ereignis. Frieden beginnt demnach nicht erst mit einem internationalen Vertrag, sondern schon mit dem gesellschaftlichen Austausch. Levinas bezieht sich hier besonders auf den demokratischen Rechtsstaat. Frieden und Gerechtigkeit funktionieren dabei nur auf der Basis von Verantwortung. Menschen sind in der Gesellschaft aufeinander bezogen, es gilt also, dem anderen gegenüber Verantwortung zu zeigen.

Was heißt das für uns in Deutschland in einem internationalen Konflikt wie dem Ukrainekrieg?

Frieden bleibt immer eine Aufgabe, so hat es auch der EKD-Rat in seiner Denkschrift im Jahr 2007 festgehalten: Friede ist etwas Prozesshaftes. Es gibt zwar den Zustand des Friedens als Vertrag. Ich kann mit einem Friedensvertrag also bestimmte Rechtsvorschriften schließen. Voraussetzung ist aber ein gemeinsames Grundverständnis: Wir sind alle miteinander verantwortlich, dass dieser Vertrag funktioniert. Es geht also nicht um den Vertrag an sich, sondern darum, dass der Vertrag seinen Zweck erfüllt. Frieden, der Gerechtigkeit mit einschließt, beginnt deshalb schon vorher und geht gleichzeitig weiter.

Aktuell arbeiten Sie als Pfarrer und Seelsorger in einer Gemeinde in Kaufbeuren. Wie erleben Sie die Friedensdiskussionen um den Ukrainekrieg dort?

Das Thema beschäftigt die Menschen hier sehr. Kaufbeuren ist eine Vertriebenenstadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten hier vor allem Sudetendeutsche. Auch später wurde die Stadt immer wieder zu einer Anlaufstelle für Migranten. Viele hier lebende Protestanten stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Im März 2022 gab es hier intensive Diskussionen, auch unter Kindern. Mein Eindruck ist, dass das Meinungsbild aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe auf eine bestimmte Art und Weise diverser ist. Manche erzählen mir von Schwierigkeiten: In Russland, so sagen sie, war ich nur die Deutsche. Hier bin ich nur die Russin. Das wirkt sich auf die eigene Identität aus – mittelbar so auch auf die Haltung zum Krieg. Wir erleben aber auch bereichernde Diskussionen: Warum haben Menschen ihr Land verlassen, wie geht man mit Flüchtlingen um? Die persönlichen Geschichten hier vor Ort sind oft von Brüchen gekennzeichnet. Für Menschen, die selbst vor dem Krieg geflohen sind und für Menschen, die durch ihre kulturelle Identität oft zwischen den Kriegsparteien stehen, stellt sich die Frage nach Frieden nochmal auf ganz andere Art und Weise.


RB
10. Juni 2023, 15-17 Uhr

Die Friedensforscher Dr. Christine Schliesser, Tobias Zeeb, Prof. Christo Thesnaar und Micael Grenholm diskutieren zu aktuellen friedensethischen und friedenstheologischen Herausforderungen.

Übersicht über unser Programm:

Vom Hauptbahnhof in Richtung Innenstadt ist die St. Martha Kirche eine der ersten Stationen. Mit dem Abend der Begegnung möchten wir Sie willkommen heißen.

Hugenottenfrühstück

8. Juni 2023, 8.30-10.30 Uhr
Ein Morgenritual, das verbindet: Starten Sie mit uns gemeinsam in den Kirchentag, mit Kaffee und dem wohl berühmtesten Frühstücksleckerbissen aus Frankreich.

Gebet mit der from...App

8. Juni 2023, 8.30-9 Uhr
Wir starten mit der reformierten „From...“-App mit einem morgendlichen Gebet in den Tag. Weitere Informationen und Download: https://www.fromapp.org

Mittagessen

8. Juni, 12.30-14.30 Uhr
Machen Sie gemeinsam mit uns Mittagspause! Die „Männer am Herd“ servieren um 12.30 Uhr ein vegetarisches Gericht.

Liebe teilen - Frauen laden ein

8. Juni 2023, 13.00-13.30 Uhr
Ein Agapemahl für alle! Die Arbeitsgemeinschaft Weltgebetstag in Bayern lädt ein zu einer gemeinsamen Tradition.

Offenes Singen mit der Band 'Autumn Leaves'

8. Juni 2023, 13.30-14.30 Uhr
Aus dem Kirchentags-Liederbuch und zum Mitsingen sind die Songs, die 'Autumn Leaves' präsentiert. Die Band hat sich auf neue geistliche Lieder spezialisiert und hat ihren hauptsächlichen Aufführungsort in Nürnberg-Eibach.

Teestube im Kirchhof

8. Juni 2023, 14.30-17.30 Uhr
Der Sitz der Evangelisch-reformierten Kirche ist in Leer/Ostfriesland. Hier aber auch in Bremen und Oldenburg wird der Tee ausgeschenkt – nein zelebriert. Wer das erleben will, kommt nachmittags zu Teatime.
Klimawandel kennt keine Grenzen: Zusammen mit Klimaexpert*innen sprechen wir über darüber, warum wir für Klima(un)gerechtigkeit gemeinsam Verantwortung tragen müssen.
Kirchenpräsidentin Dr. Susanne Bei der Wieden (Ev.-ref. Kirche), Bischof Thomas Adomeit (Oldenburg), Schriftführer Dr. Bernd Kuschnerus (Bremen). Mit Musik von Christian Lühder.

Alkoholfreier Biergarten

8. Juni 2023, 18-24 Uhr
Eine Breze oder eine andere Kleinigkeit zum Abend gefällig und dann bis in die Nacht zusammensitzen und aus einem breiten Angebot regionaler, nicht-alkoholischer Getränke auswählen. So sieht fränkische Gemütlichkeit aus!
Das Projekt "Blue Church - Jazz in der Kirche" verbindet traditionelle Klänge mit der Freiheit des Jazz. Zu Gast sind die dänische Sängerin Janne Mark mit Band und das Laura Detterbeck Quintett aus Nürnberg.

Politisches Gebet zur Nacht

8. Juni 2023, 22-23 Uhr
Susanne Bei der Wieden, Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche, ist bei uns zu Gast mit einem theologischen Diskurs über Kirche und Politik, zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Julian Pahlke (B90/Grüne).

Hugenottenfrühstück

9. Juni 2023, 8.30-10.30 Uhr
Ein Morgenritual, das verbindet: Starten Sie mit uns gemeinsam in den Kirchentag, mit Kaffee und dem wohl berühmtesten Frühstücksleckerbissen aus Frankreich.

Gebet mit der from...App

9. Juni 2023, 8.30-9 Uhr
Wir starten mit der reformierten „From...“-App mit einem morgendlichen Gebet in den Tag. Weitere Informationen und Download: https://www.fromapp.org

Feiern, was nicht möglich ist

9. Juni 2023, 11-12 Uhr
Eine Veranstaltung des Deutschen Evangelischen Kirchentags: Das Evangelische Dekanat Fürth und das Katholische Dekanat Fürth laden ein zum ökumenischen Schweigemahl.

Mittagessen

9. Juni 2023, 12.30-14.30 Uhr
Machen Sie gemeinsam mit uns Mittagspause! Die „Männer am Herd“ servieren jeden Mittag ein vegetarisches Gericht.

Liebe teilen - Frauen laden ein

9. Juni 2023, 13-13.30 Uhr
Ein Agapemahl für alle! Die Arbeitsgemeinschaft Weltgebetstag in Bayern lädt ein zu einer gemeinsamen Tradition.
Musik hat bei Reformierten eine besondere Tradition: Wer die Tonkunst liebt und gerne singt, ist eingeladen mit uns einzustimmen.

Teestube im Kirchhof

9. Juni 2023, 14.30-17.30 Uhr
Der Sitz der Evangelisch-reformierten Kirche ist in Leer/Ostfriesland. Hier aber auch in Bremen und Oldenburg wird der Tee ausgeschenkt – nein zelebriert. Wer das erleben will, kommt nachmittags zu Teatime.
We will simulate the confrontation in Europe with populism, anti-tolerant movements and authoritarian currents in Europe in a simulation game from a European Perspective. The workshop will be held in English.

Orgel-Intermezzo

9. Juni 2023, 18-18.30 Uhr
Mit einem musikalischen Zwischenspiel an der Orgel begleitet uns Andy Tirakitt, Kantor an St. Martha und Leiter des Figuralchors Nürnberg, durch den frühen Abend.

Alkoholfreier Biergarten

9. Juni 2023, 18-24 Uhr
Eine Breze oder eine andere Kleinigkeit zum Abend gefällig und dann bis in die Nacht zusammensitzen und aus einem breiten Angebot regionaler, nicht-alkoholischer Getränke auswählen. So sieht fränkische Gemütlichkeit aus!

Feierabendmahl

9. Juni 2023, 18.30-19.30 Uhr
Das Feierabendmahl wurde im Rahmen des Kirchentags das erste Mal 1979 in Nürnberg gefeiert und war das Ergebnis einer liturgischen Arbeitsgruppe. Insofern hat es "back in Town" eine besondere Bedeutung. Wir Reformierten feiern es unserem Ruf angemessen eher schlicht, aber als eine große gemeinschaftliche Feier, zu der alle eingeladen sind: Predigt: Bernd Becker (RB), Liturgie: Simon Froben (ErKiB), Stefania Scherffig (St. Martha)
In seinem "Opitianischen Orpheus" (Nürnberg 1642) veröffentlichte Johann Erasmus Kindermann seine Vertonungen von Gedichten des Lyrikers Martin Opitz, dessen "Buch von der Deutschen Poeterey" (Breslau 1624) wegweisend war für viele Dichterzirkel wie dem "Pegnesichen Blumenorden" in Nürnberg.

Politisches Gebet zur Nacht

9. Juni 2023, 22-23 Uhr
"Leben in Fülle": Was heißt das? Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt, spricht dazu mit und James Bhagwan (Generalsekretär der Pazifischen Kirchenkonferenz).

Hugenottenfrühstück

10. Juni 2023, 8.30-10.30 Uhr
Ein Morgenritual, das verbindet: Starten Sie mit uns gemeinsam in den Kirchentag, mit Kaffee und dem wohl berühmtesten Frühstücksleckerbissen aus Frankreich.

Gebet mit der from...App

10. Juni 2023, 8.30-9 Uhr
Wir starten mit der reformierten „From...“-App mit einem morgendlichen Gebet in den Tag. Weitere Informationen und Download: https://www.fromapp.org

Gottesdienst: Trotz allem

10. Juni 2023, 11-12 Uhr
Eine Veranstaltung des Deutschen Evangelischen Kirchentags: Als Teil des Thementags "Macht - Missbrauch - Verantwortung" richtet sich dieser Gottesdienst ausschließlich an Frauen.

Mittagessen

10. Juni 2023, 12.30-14.30 Uhr
Machen Sie gemeinsam mit uns Mittagspause! Die „Männer am Herd“ servieren jeden Mittag ein vegetarisches Gericht.

Liebe teilen - Frauen laden ein

10. Juni 2023, 13-13.30 Uhr
Ein Agapemahl für alle! Die Arbeitsgemeinschaft Weltgebetstag in Bayern lädt ein zu einer gemeinsamen Tradition.
Musik hat bei Reformierten eine besondere Tradition: Wer die Tonkunst liebt und gerne singt, ist eingeladen mit uns einzustimmen.

Teestube im Kirchhof

10. Juni 2023, 14.30-17.30 Uhr
Der Sitz der Evangelisch-reformierten Kirche ist in Leer/Ostfriesland. Hier aber auch in Bremen und Oldenburg wird der Tee ausgeschenkt – nein zelebriert. Wer das erleben will, kommt nachmittags zu Teatime.
Die Friedensforscher Dr. Christine Schliesser, Tobias Zeeb, Prof. Christo Thesnaar und Micael Grenholm diskutieren zu aktuellen friedensethischen und friedenstheologischen Herausforderungen.

Friedensgebet zum Abend

10. Juni 2023, 17-18 Uhr
Ein Gebet, das die Diskussion des Nachmittags aufnimmt. Mit Landessuperintendent Dietmar Arends, Pfarrer Dieter Bökemeier und der ökumenischen Mitarbeiterin Faraja Mwakapeje aus Detmold/Lippische Landeskirche.

Alkoholfreier Biergarten

10. Juni 2023, 18-24 Uhr
Eine Breze oder eine andere Kleinigkeit zum Abend gefällig und dann bis in die Nacht zusammensitzen und aus einem breiten Angebot regionaler, nicht-alkoholischer Getränke auswählen. So sieht fränkische Gemütlichkeit aus!

Chorabend in St. Martha

10. Juni 2023, 19-22 Uhr
So unterschiedlich kann Chormusik sein: Gleich vier Chöre aus Deutschland und Italien begleiten durch den Abend, von Klassik, über a Capella bis hin zu zeitgenössischer Musik.

Politisches Gebet zur Nacht

10. Juni 2023, 22-23 Uhr
Ende gut - alles gut? Zwischen Apokalypse und Lebensfreude. Impulse von Jörg Alt (Jesuitenpater und Klimaaktivist), Anna-Nicole Heinrich (Synodenpräses) und Georg Rieger (Pfarrer in St. Martha)