Entfluchtung
Gibt es das? Ja, im Fachjargon. Wer verwendet ihn? Sicherheitsleute bei Grossereignissen oder in Notfällen. Und worum geht es? Um die ordentliche Fortführung von Menschenmengen aus einer Gefahrenzone. Wer weiss das? Der Duden im Netz.
Wie Einrichtung von einrichten kommt und Versammlung von versammeln, müsste Entfluchtung von entfluchten kommen. Zwar gibt es flüchten und entfliehen, aber entfluchten gibt es nicht: ein Indiz für bürokratische Wortbildung am Schreibtisch und fürs Register. Man stelle sich die Konjugation vor: ich entfluchte, du entfluchtest, sie entfluchtet. Oder: wir entfluchteten, ihr entfluchtetet, sie entfluchteten. Der Konjunktiv ich entflüchtete wäre verwirrlich. Ein Schreibtischmonstrum. Es geht darum, Durcheinander, Panik und Flucht zu verhindern, damit niemand stürzt, zertrampelt wird und womöglich daran stirbt. Um wieviel einfacher wäre zum Verb Flucht vereiteln das Substantiv Fluchtvereitelung gewesen parallel zu Flucht ergreifen und Fluchtergreifung.
Allerdings wäre das einfachere Wort auch das politisch heiklere. Man stelle sich nur vor, alle, die einst zu Hause die Flucht ergriffen hatten, um ihre Haut vor Armut und Hunger oder Krieg und Verfolgung zu retten, sollten nun ordentlich fortgeführt werden, aber mit Fluchtvereitelung, denn sie wollen ja bleiben und sicher nicht nach Hause zurück. Fluchtvereitelung wäre strategisch ein Teil ordentlicher Ausschaffung und Rückführung, noch zwei solcher Wörter. Da wäre Entfluchtung, nur verstanden am Schreibtisch und im Register, nicht aber im Alltag von Hinz & Kunz, das bessere Wort, denn es würde verhüllen, was passiert.
Gerade bei bürokratischen Neologismen lohnt sich zivilgesellschaftliche Wachsamkeit: Wer verwendet Entfluchtung in welchem Kontext? Es wäre nicht das erste Mal, dass bürokratische Sondersprache verhüllt auch ideologische Propagandasprache ist. L.T.I. hiess jene des Tausendjährigen Reichs: Lingua Tertii Imperii.MK