Feindschaft als Weigerung, die Versöhnung anzunehmen

Isaaks Opferung und die Schrecken des Ersten Weltkriegs


© Pixabay

In Jesus Christus hat Gott die Welt mit sich versöhnt und uns die Versöhnung untereinander als Aufgabe angetragen. Unfriede, Hass, Drohung leugnen die Wirklichkeit der Versöhnung. Wer unversöhnt bleibt, verweigert die Annahme der von Gott gewirkten Versöhnung.

Dass das christliche Europa die von Gott angebotene Versöhnung mit Blick auf den Ersten Weltkrieg ausgeschlagen hat, hat in drastischer Weise der junge britische Dichter Wilfred Owen in seinem Gedicht: „The Parable of the old man and the young“ zum Ausdruck gebracht. Owen kämpfte für die Briten in Frankreich. Seine Gedichte halten die Schrecken des Kriegs fest. Er fiel 1918 eine Woche vor dem Waffenstillstand. Am 10. November 1918 erfuhr seine Mutter, dass ihr Sohn gefallen war.

In „The Parable of the old man and the young“ erzählt Owen die Geschichte der sogenannten Opferung Isaaks nach (Gen 22,1-14). Die Schützengräben tauchen an einer Stelle gespenstig auf (And builded parapets and trenches there). Owen dichtet die Erzählung aber an entscheidender Stelle eindrucksvoll um: Abraham („the old man“) wollte den ihm von Gott als stellvertretendes Opfer angebotenen Widder nicht annehmen, sondern zog seinen Plan durch und opferte stur seinen Sohn und mit ihm „die halbe Saat Europas“ („But the old man would not so, but slew his son, - And half the seed of Europe, one by one.“)

Wilfred Owen (1893-1918): „The Parable of the old man and the young“1

So Abram rose, and clave the wood, and went,
And took the fire with him, and a knife.
And as they sojourned both of them together,
Isaac the first-born spake and said: My Father,
Behold the preparations. fire and iron;
But where the lamb for this burnt-offering?
Then Abram bound the youth with belts and straps,
And builded parapets and trenches there,
And stretched forth the knife to slay his son.
When lot an angel called him out of heaven,
Saying, Lay not thy hand upon the lad,
Neither do anything to him. Behold,
A ram, caught in a thicket by its horns;
Offer the Ram of Pride instead of him.
But the old man would not so, but slew his son, -
And half the seed of Europe, one by one.

(Und Abraham erhob sich, spaltete das Holz
und ging, und nahm das Feuer mit sich und
ein Messer. Und als sie beide miteinander gingen,
sprach Isaak, der Erstgeborene, und sagte:
Mein Vater, siehe die Vorkehrungen, Feuer
und Eisen, wo aber ist das Lamm zum Brandopfer?
Da band Abraham den Jüngling mit Gürteln
und Riemen, und baute daselbst Wälle und
Schützengräben, und hob das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Doch siehe, ein Engel rief ihn vom Himmel
Und sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben
Und tu ihm nichts, siehe,
Ein Widder mit seinen Hörnern in einer Hecke
hängend; opfere den Widder des Stolzes an seiner Statt.
Doch der alte Mann wollte nicht,
sondern schlachtete seinen Sohn, und die halbe
Saat Europas. einen nach dem anderen.)

Owens Gedicht wurde von Benjamin Britten in sein War Requiem aufgenommen und vertont.

Seine Umdeutung von „Isaaks Opferung“ ist umso erstaunlicher, wenn man die geläufige Deutungslinie daneben hält. In der Erzählung Abrahams wird der Gehorsam und die Bereitschaft, den eigenen Sohn zu opfern, zum Vorbild. Eine Deutungslinie, die sich mühelos zur theologischen Legitimierung des Kriegs als eines von Gott gebotenen Opfergangs ausschlachten lässt. Dafür bietet die Predigt über Gen 22 des jungen Pfälzer Vikars August Kopp zu Erntedank 1914 ein Beispiel2:

Liebe Gemeinde!

In schweren Tagen geht die Erinnerung gerne zu denen zurück, die einst selbst so schwere Stunden über sich hereinbrechen sahen. Wenn wir jene alle vor unsrem geistigen Auge vorbeiziehen lassen, dann steht von einem Siegeskranze bekränzt ein großer Mann vor uns, der Gemeingut aller christlichen Stationen geworden ist, der Erzvater der Juden Abraham. Ein alter Mann, dessen Erbensonne untergehen wollte bekam noch einen Sohn. Seines Herzens innigstes Sehnen ging in Erfüllung. Nicht lange sollte die Freude dauern, die ihn so überstolz gemacht hatte. Er sah sich gezwungen seinen Einzigen zu opfern. Der Alte war bereit. – Das wurde ihm hoch angerechnet. Dieser Opfergeist sollte belohnt werden: Ihm galt das Wort: „Ich habe bei mir geschworen, spricht der Herr, dieweil du solches getan hast und hast deines eigenen Sohnes nicht verschont, daß ich deinen Samen segnen und mehren will, wie Sterne am Himmel, und wie den Sand am Ufer des Meeres und dein Same soll besitzen die Tore des Feindes.“

Und nun meine Lieben! […] Sind wir nicht alle in der gleichen Lage, daß wir wie der alte graue Abraham das hergeben müssen was uns am nächsten steht. Wir opfern die Stärke unseres Volkes auf dem Altar des Vaterlandes. Der eine gab dem scheidenden Sohn die Hand, die Braut dem Bräutigam, die Kinder dem Vater, die Frau dem Mann. Und immer ging ein Stück von unserm Herzen mit. Wenn es gleich zerreißen wollte, wir haben es gegeben und werden das letzte geben. Wenn da am Ende auch uns jene Verheißung des Abraham gelten würde? „Ich will dich mehren wie die Sterne am Himmel und dein Same soll besitzen die Tore deiner Feinde!“ „Ich will dich zum großen Volke machen!“

Impulsfragen:

  • In der Bibel stellt Gott Abraham mit der Aufforderung Isaak zu opfern auf die Probe. Was empfinden Sie bei dieser Geschichte?
  • Warum glauben Sie, wollte Gott Abraham auf die Probe stellen? Warum gerade so?
  • Wie geht es Ihnen mit Interpretationen wie die Benjamin Brittens? In der Bibel kam es zwar nicht zum Opfer Isaaks. Ein Engel forderte Abraham auf es zu lassen. Wo sehen Sie trotzdem Schwierigkeiten? Und wie lässt sich der Text trotzdem als eine Form der Versöhnung lesen?

------

1 Wilfred Owen 1893-1918, Die Erbärmlichkeit des Krieges, Berlin 2015, S.71.
2 August Kopp, Predigtsammlung 1912-1915, Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz, Abt. 150,24, Nr. 1, vgl. Andrea Hofmann, „Jesus im Schützengraben“, Kriegspredigten in Nachlässen pfälzischer und hessischer Pfarrer, in: Matthieu Arnold und Irene Dingel (Hg.), Predigten im Ersten Weltkrieg, 2017, S. 31-44.

Jürgen Kaiser
Neubesinnung nach dem Ersten Weltkrieg

Direkt nach dem Ersten Weltkrieg spielten Kategorien wie Schuld und Versöhnung noch kaum eine Rolle. Stattdessen ging es in dieser Zeit vor allem um das Bedürfnis nach Gerechtigkeit.
Kirchliche Impulse zur Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg

Die deutsch-französische Aussöhnung kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Gang. Sie wurde durch einen kirchlichen „Besinnungsprozess“ vorbereitet
Wegmarken der deutsch-französischen Versöhnung

„Versöhnung“ und „Verständigung“ wurden zu zentralen Begriffen des Freundschaftsvertrags.