Gesät

Predigt zu Johannes 12, 20-24 zum Sonntag Lätare, 14. März 2021


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Von Kathrin Oxen

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Ein merkwürdiges Gedenken begehen wir an diesem Sonntag. Mitte März vergangenen Jahres begann der Lockdown in Deutschland. Heute wissen, dass er nur der erste war. An einigen Orten konnte am Sonntag danach noch Gottesdienst gefeiert werden. Am Sonntag Lätare dann aber nirgendwo mehr. Dabei ist dieser Sonntag einer, der die Passionszeit eigentlich unterbricht. „Klein-Ostern“ nennt man ihn. Er bringt ein bisschen Freude in ernste, stille Zeiten. Mit den Kindern aus dem Kindergarten habe ich in dieser Zeit, als es noch möglich war, immer Weizenkörner in dunkle Erde gesät. Sorgfältig haben sie mit ihren kleinen Fingern jedes einzelne Korn mit Erde bedeckt, genauso sorgfältig die Körner jeden Tag mit Wasser besprüht, vorsichtig, ja nicht zu viel. Dann haben sie sich an dem Wunder gefreut, dass aus einem trockenen Korn tatsächlich ein saftig grüner Halm herauswächst. Und das alles geschah in einem selbst für ewig ungeduldige Kinder noch erträglichen Zeitraum von wenigen Wochen. Dann war Ostern.

In diesem Jahr bin ich so müde, dass ich nicht einmal ein Weizenkorn mehr aufheben kann. Dabei gäbe es Erde sogar im Supermarkt im Eingangsbereich. Aber ehrlich, Erde kaufen, eine Schale suchen und die Tüte mit den Weizenkörnern, die dann aussäen, das Gießen jeden Tag und das Warten. Ostern dann vielleicht die Schale mit den grünen Halmen auf dem Tisch, aber natürlich nicht wegfahren und keinen Besuch und immer nur als Familie? Ich bin ungeduldig wie ein Kindergartenkind. Ich sehe doch heute schon jeden Tag nach, ob all unsere Bemühungen endlich fruchten. Aber außer schlechter Laune habe ich nichts davon. Infektionszahlen sinken so unendlich viel langsamer als grüne Halme wachsen. An manchen Tagen könnte ich mich auf den Boden werfen wie ein Kleinkind, am besten vielleicht im Eingangsbereich eines Supermarktes. Ich könnte dort bestimmt eine Weile liegen bleiben, solange ich meine Maske trage. Wegen des Abstands. Es würde dauern, bis jemand kommt. Denn alle anderen würden brav stehen bleiben auf den auch schon ganz abgewetzten aufgeklebten Markierungen im Kassenbereich.

So, als gäbe es solche Markierungen damals in Jerusalem auch schon, so stehen diese Griechen da. Nach einem Jahr schon fast vergessen: Nicht nur Abstand erzeugt Abstand, sondern auch das Gedränge, das zu diesem Fest in Jerusalem herrscht. An Jesus ist kein Rankommen. Seitdem er Lazarus von den Toten auferweckt hat, ist er so eine Art religiöser Popstar geworden, alle Welt läuft ihm nach (Joh 12,19).
Seine Jünger haben sich darauf eingestellt, sie haben vielleicht sogar Gefallen gefunden an ihrer neuen Rolle als Tourmanager für Jesus. Sie suchen die Quartiere, organisieren seine Auftritte. Meistens verhindern sie den Zugang zu Jesus, selten gewähren sie ihn. Gerne spüren sie, wie wichtig sie dadurch werden. Jesus ist nur über eine merkwürdige Art von „Stiller Post“ zu erreichen. Die Griechen sprechen Philippus an, weil sie irgendwoher wissen, dass Philippus aus Betsaida kommt und deswegen griechisch spricht. Aber Philippus muss ihre Anfrage erst einmal mit Andreas besprechen. Und dann sagen sie es bei passender Gelegenheit zusammen Jesus, während sich die Griechen draußen die Füße in den Bauch stehen. Oder vielleicht auch längst weggegangen sind, denn ewig kann man ja selbst auf Jesus nicht warten.
Philippus und Andreas müssen sich am Ende allein anhören, was Jesus zu sagen hat. Dass seine Worte manchmal etwas aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen, das wissen sie schon. Sie haben sich abgefunden damit, nicht alles zu verstehen, was er sagt. Und vielleicht haben sie ja schon die Frage der Griechen falsch verstanden? In solchen Momenten lächeln sie einfach und nicken. Und hoffen, dass es keine Frage war.

Was Jesus sagt, hört sich zum Glück nach einer Antwort an. Immerhin ist eine Zeitangabe darin, eine Antwort auf die Frage nach dem „Wann“. Die Stunde soll gekommen sein. Es ist so weit, was auch immer es sein mag. Und „verherrlichen“ hört sich gut an. Es kann eigentlich nur so weitergehen wie in aufgeregten Tagen davor, als Jesus überall im Mittelpunkt stand. Doch wie manchmal bei Jesus, werden die Worte auf einmal merkwürdig dunkel. Statt strahlender Mittelpunkt im Licht aller Aufmerksamkeit zu sein, spricht er auf einmal von Erde und fallen und sterben.
Es ist Frühling, es ist Saatzeit auf den Feldern, sobald die Erde warm genug ist. Die Körner für die Aussaat sind schon gereinigt und gesiebt und zurechtgelegt. Ein gewöhnlicher Vorgang, jedes Jahr. Wer denkt schon an das Korn beim Säen, wer denkt an seine Verlorenheit in der dunklen Erde, an sein Vergehen? Und deswegen wird sorgfältig und schnell die Erde darüber gescharrt. Und dann weg von diesem Körnerfriedhof und erst nach ein paar Tagen wiederkommen.

Jesus ist einer, der vor der Ernte die Körner sieht, jedes einzelne. Er sieht das Weizenkorn allein in der dunklen Erde liegen, das von sich nicht weiß, ob es verloren ist oder gesät. Sieht uns liegen in dieser Zeit, gefühlt wie die Kleinkinder im Eingangsbereich des Supermarktes, nahe an einem sinnlosen Trotzanfall und so müde. Jesus sieht unser Dunkel, unsere Ungewissheit und wie verloren wir uns fühlen. Und sagt: Es muss so sein. Das alles wird Frucht bringen. Und wir stehen da, wie damals Philippus und Andreas neben Jesus, unsicher lächelnd, weil wir ja viel glauben können, aber auch nicht alles. Aber zum Glück ist das, was Jesus sagt, keine Frage, sondern eine Antwort: Es muss sein. Es wird Frucht bringen.
Später werden sie daran denken, als er gestorben ist und sie ihn nicht einmal in die Erde legen können, sondern bloß auf einen Stein in sein Grab und schnell weggelaufen sind von diesem Ort und tagelang nicht mehr wagen, dorthin zurückzukehren. Bis eine, die nicht mehr trauriger werden konnte, doch nachsehen ging. Und er da war im Garten, lebendig, auferstanden, gegen alle Erwartung, selbst in diesem Grab und Stein aufgegangen wie ein grüner Halm. Es musste sein. Es hat Frucht gebracht.

Zu Recht hat sie ihn für den Gärtner gehalten. Denn seit damals tut er nichts anderes, als unter uns Hoffnung zu säen, seine gereinigte, gesiebte Hoffnung: Es gibt das alles, Dunkelheit, Ungewissheit, Verloren-Sein, es ist in jedem Leben. Es muss sein. Und einmal bringt es Frucht. Denn wir sind nicht verloren. Wir sind gesät.

Amen.


Kathrin Oxen
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.