''Gottes starker Arm''

Predigt zu Ex 7–11


"Die siebte Plage" (John Martin) © Wikicommons, Museum of Fine Arts Boston

Von Stephan Schaar

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.

Liebe Gemeinde, ein wahrscheinlich heute nicht mehr sagbarer flapsiger Spruch lautet: “Lieber arm dran als Arm ab” - und der wird vermutlich nur von Leuten in den Mund genommen, die einerseits alle Gliedmaßen besitzen und andererseits das Wort “Armut” erst googeln müssen, die also keineswegs arm dran sind und außerdem beide Arme dran haben.

Bei meinem internen Ranking, mit welchem Gag ich die Predigt eröffne, hat nun also dieses Zitat die Nase vorn vor jenem alten Gewerkschafts-Slogan, der es auf den zweiten Platz geschafft hat: “Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.”

Über die Armen erfahren wir in der Bibel eine ganze Menge - darunter auch, dass Gott ein Faible für sie hat.

Was nicht heißen soll, dass Armut erstrebenswert wäre - allenfalls eine Reduktion vom Überfluss auf Normalmaß, auf das, was genügt.

Die Arme werden - anders als die Hände - in der Heiligen Schrift nicht oft erwähnt, und eigentlich immer geht es dann um den starken Arm Gottes; und das, obwohl Gott nicht abgebildet werden möchte und sich dagegen verwahrt, als Mensch, gar als Mann gesehen zu werden.

Aber starke Arme hat Gott, und wenn es darauf ankommt, dann macht er davon auch Gebrauch. In der Regel bedeutet das nichts Gutes; denn Gottes starker Arm wirkt gewaltvoll: schlägt, straft, tötet.

Während - je nach dem - in den Schöpfungsgeschichten Gott wie ein Töpfer vor sich hin werkelt, um den Menschen, die Tiere und die Pflanzen zu machen oder aber einfach nur zu sprechen braucht, dass es dasein möge - und schon ist es da, wird der Arm Gottes entweder drohend oder verheißungsvoll angekündigt.

Es kommt ganz auf die Perspektive an, ob man den Arm Gottes herbeisehnt oder fürchtet.

Wir haben uns jüngst im Konfirmandenunterricht mit der Mosegeschichte bis zum Auszug durch das Schilfmeer beschäftigt und also auch die zehn Plagen kennengelernt, mit denen Gott indirekt seinen Arm gegen die Unterdrücker erhebt: Zuerst wird das Wasser des Nil zu Blut, alles, was darin lebt, geht zugrunde - sehr beeindruckend! Aber nur für kurze Zeit.

Nach einer Woche schickt Gott Frösche, die sich überallhin ausbreiteten, bis in den letzten Winkel der Häuser. Pharao scheint einzuknicken, bittet um Verschonung, bietet die Freilassung an - aber kaum ist die Krise überstanden, schert den Pharao sein Geschwätz von gestern nicht mehr.

Es folgen Mücken, Stechfliegen, Viehpest, Geschwüre, Hagel und eine Heuschreckenplage - die wir uns vielleicht am besten vorstellen können, weil es solche Phänomene auch heute gibt, dass Milliarden dieser Viecher im Norden und Osten Afrikas über die Felder herfallen und nichts, aber auch gar nichts übrigbleibt.

Nach der neunten Plage, einer dreitägigen Finsternis, ist Pharao nicht etwa weichgeklopft, sondern im Gegenteil stinksauer auf Mose: Ihm, den Pharaos Tochter aus dem Nil gefischt und großgezogen hatte, der in seinem Hause aufgewachsen war, droht er sogar den Tod an, sollte er es noch einmal wagen, bei ihm vorzusprechen und die Freilassung seiner Leute zu fordern.

Also kommt es zum großen Showdown, der zehnten Plage: Alle männliche Erstgeburt muss sterben, den Sohn des Königs von Ägypten eingeschlossen. Um zu vermeiden, dass es zu einem “Kollateralschaden” kommt und versehentlich auch hebräische Jungen getötet werden - die doch, so wie Mose selbst auch, vor dem Mordbefehl des Pharao hatten gerettet werden müssen, werden die Pfosten der Häuser der Israeliten am Vorabend des Massakers mit Blut bestrichen.

Die Israeliten übrigens waren aus Sicht der Ägypter das, was manche heute “Armutsflüchtlinge” nennen: Wegen einer Hungersnot waren sie einst aus Kanaan herübergekommen und hatten sich in Gosen angesiedelt - auf Einladung des damaligen Staatschefs. Aber das wusste inzwischen niemand mehr und sah lediglich, wie “diese Ausländer” sich immer breiter machten, und das auch noch im fruchtbarsten Gebiet des ganzen Landes.

Weil bei dieser Aktion so viele Menschen starben - und zwar wegen der Hartherzigkeit des Ägypterkönigs -, wird bei dem bis zum heutigen Tag einmal jährlich begangenen Passafest auf Jubelrufe und Hallelujagesänge verzichtet.

Und doch wird gefeiert, selbstverständlich wird gefeiert - und dafür gibt es auch guten Grund: Gottes starke Hand und sein ausgereckter Arm haben sein Volk Israel aus der Sklaverei befreit.

Haben nicht auch wir die Befreiung von der Tyrannei der Nazis gefeiert? Trotz völkerrechtswidrigem Angriffskrieg, den Russland gegen seinen Nachbarn führt, wurde nicht unterschlagen, dass es die Rote Armee der damaligen Sowjetunion war, der wir unsere Freiheit und das Ende eines barbarischen Krieges verdanken.

Weshalb also rümpfen manche die Nase über einen Gott, der vorgeblich “der Gott des Alten Testaments” sei, weil dieser für seine Leute Partei ergreift?!

Aber wo war dieser starke Arm Gottes, als in Deutschland die Synagogen brannten, als man Millionen Juden ins Ghetto und in die Vernichtungslager schickte?

Warum regte sich Gottes Arm nicht am 7. Oktober 2023?

Und nein: Dass jetzt die “Feinde” Israels - einschließlich der Säuglinge und Greise - bombardiert und ausgehungert werden, darin vermag ich Gottes Arm nicht am Werk zu sehen.

Gottes starker Arm, wie er in der Bibel bezeugt wird, schafft Gerechtigkeit, setzt Recht durch, sorgt für Ordnung, gebietet den Starken Einhalt, schützt die Schwachen, befreit aus der Unterdrückung.

Das kann Gott freilich auch anders bewirken: Ohne Gewalt anzuwenden, allein dadurch, dass Gott-in-Christus Gewalt erleidet, bis hin zum Tod.

Das allerdings hat sehr viel weniger Eindruck gemacht als sein machtvolles Eingreifen.

Ja, ein paar Tränen sind geflossen bei den Frauen unter dem Kreuz.

Aber die Machthaber sahen sich dadurch nicht infrage gestellt, obwohl immerhin ein Offizier bekannte: “Dieser war in Wahrheit Gottes Sohn.”

Bei Kaiser Konstantin, als es wieder einmal um die Macht ging und Gewalt als erlaubtes Mittel zur Erlangung eben dieser Macht galt, hieß es: “In hoc signo vinces - In diesem Zeichen wirst du siegen.”

Arm Gottes? - Staatsreligion wurde das Christentum, Staatsräson!

Kyrios Christós, Christus ist der Herr - so durfte man seither ungestraft sagen und singen.

Im Hochmittelalter behauptete der Papst sogar, er habe von Gott zwei Schwerter empfangen - eines für sich selbst und eines für den Kaiser; aber er, der Bischof von Rom, sei es, der dem Kaiser die gottgegebene Macht aushändigt - oder auch nicht.

Auf dem Stuhl Petri saßen keineswegs immer friedfertige Fromme, und auch im vermeintlichen Namen Gottes wurden Waffen gesegnet und Kriege gerechtfertigt, durchaus nicht nur die Kreuzzüge.

Heute, da Kirche so gut wie keine weltliche Macht mehr besitzt, wenngleich noch immer viel Vermögen und Einfluss vorhanden sind, schlägt ein offenbar ratloser Möchtegern-Alleinherrscher vor, der Große Brückenbauer in Rom möge zwischen Putin und Selenskyj vermitteln:

Herr im Himmel, lass deinen Arm machtvoll wirken, dass endlich Frieden werde!

Amen.


Stephan Schaar