Hat die Kirche noch Zukunft?
Jetzt aber hat Gott gleichsam sein Wort wiederauferweckt. Das ist, weil er seine Verheißung erfüllt hat. Denn als er einmal seinen Bund über die ganze Welt ausgebreitet hat, hat er ihn erneuern wollen – aufgrund der Verheißung, die er einstmals gegeben hat. Und wenn man fragt: Warum hat Gott gewollt, dass sein Evangelium auf die Art gepredigt wurde? Weil er denen nahekommen wollte, die zu der Zeit gelebt haben, darum dass er sie erwählt hatte, bevor sie geboren wurden. Und dann müssen wir erkennen, dass die Erfüllung dieser „Zeit der Überflusses“, von der die Schrift spricht (Ga 4, 4), nicht auf den Menschen gegründet ist, sondern auf dem guten Rat Gottes. Dahin müssen wir kommen: Gott hat es angeordnet in seinem ewigen Rat, dass uns sein Evangelium verkündet wird, und dass wir heute – in der Kraft dieses unveränderlichen Beschlusses – in den Besitz eines solchen Gutes gekommen sind. Weil – bevor wir geboren wurden – er unsere Väter berufen hat, und sie sich unwürdig gezeigt haben, und sie sich vom Himmelreich ausgeschlossen haben, soweit es an ihnen lag – dennoch hat Gott sie berufen wollen, und das alles durch seine unverdiente Güte.
Im übrigen war Abraham allein, wie es der Prophet den Juden vorhält. Es ist wahr, er ermahnt sie, guten Mutes zu sein, wie sehr sie auch hier und dort ausgeschlossen waren und gleichsam am Ende. Er aber sagt ihnen: Seht euch den Steinbruch an, von dem ihr genommen worden seid, und euer Ursprung – was ist damit? Ist das ein großes Volk, ein unendliches? Da ist ein armer Mann, ganz allein und schon alt, und ohne Kinder oder Stammbaum. Da ist Sara, eure Mutter, die ihr ganzes Leben lang unfruchtbar gewesen ist, in einem Alter, in dem sie nicht mehr empfangen konnte – Gott hat sie aber aus diesem Elend herausgerissen, durch einen Mann allein.
Wenn ihr jetzt gänzlich zerrinnt – was fürchtet ihr? Gott aber wirft ihnen ihre Undankbarkeit vor, weil sie immer auf ihre Göße vertrauten, und dass es ein gewisses Erscheinungsbild gab - das hat sie ständig hochmütig werden lassen. Wir aber lernen aus diesem Abschnitt in erster Linie, dass wenn Gott unsere Väter erwählt hat, dann nicht aus Würde oder Ansehen, das bei ihnen war, sonden weil er Erbarmen mit ihnen hatte, und dieses Erbarmen schloss ein, dass sie armselig waren und gänzlich verloren – wenn sie nicht Gott gesammelt hätte in dieser Hoffnung, die sie nicht aus sich selbst bekommen konnten. Das zum Einen.
Zum Anderen: Wenn wir die Kirche Gottes verstreut sehen, wenn wir in einer kleinen Anzahl sind, es sogar scheint, dass es nichts Gewisses und Sicheres für uns gibt, und im Handumdrehen wird alles im Durcheinander sein – das soll uns doch nicht erstaunen! Und warum? Denn als Gott Abraham erwählt hat, hat er sehr wohl seine Nachkommenschaft groß gemacht, wenn er auch ein alter und hinfälliger Mann war, und ohne Stammbaum. So auch jetzt, da wir nur eine Handvoll Leute sind, auch verachtet, die weder Kraft noch Mittel haben, uns zu erhalten – dennoch kann uns Gott groß machen, und hat uns groß gemacht – er wird uns bewahren.
Und so lernen wir, voll und ganz auf Gottes Güte zu achten, wenn die Frage nach dem Zustand der Kirche kommt, und dass wir überhaupt nicht verloren sind, wenn wir die Kirche nach der Denkweise der Menschen schon geschlagen sehen und dass sie so klein geworden ist, dass sie gleichsam nichts ist. Wir aber lassen nicht nach, immer guten Mutes zu sein und warten darauf, dass unser Gott vollendet, was er zu aller Zeit getan hat. Denn es muss wohl so sein, dass die Art, die Kirche wieder auf die Beine zu stellen und sie zu bewahren, wundersam ist – was die Menschen betrifft.
Johannes Calvin in der Predigt über Dt 4, 36-38 am 5.6.1555
Albrecht Thiel, Castrop-Rauxel