''Ich will mich rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.'' - 2. Korinther 12,9

Morgenandacht von Superintendentin Christiane Nolting, Detmold

Andacht auf der 5. Tagung der 11. Synode der EKD, Timmendorfer Strand, 1. bis 7. November 2012

07. November 2012

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn man gebeten wird, hier auf der Synode eine Morgenandacht zu halten, dann schaut man – jedenfalls ich – erst einmal, was Losung und Lehrtext so ‚hergeben‘... Und den heutigen Lehrtext empfinde ich als ein Geschenk für mich – und für Sie. Dort schreibt Paulus im 2. Kor.12,9: Ich will mich rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.

Und damit lesen wir die Fortsetzung des Verses, aus dem die leider meistens so fragmentarisch zitierte Jahreslosung entnommen ist, in der es heißt: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Seine Kraft und Schönheit entfaltet der Vers aber m.E. nur in seiner Ganzheit des Verses 9:
Und er hat zu mir gesagt (schreibt Paulus): Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.

Wie aber halten Sie es mit der Jahreslosung? In der ersten Woche des Jahres vielfach gehört, gelesen und vielleicht sogar selbst darüber gepredigt – verschwindet sie über den vielen anderen Losungen des Jahres in der Versenkung. Jedenfalls bei mir ist das meistens so. Haben Sie eine Geschichte mit dem Wort des Jahres? Wo und wann taucht es wieder auf?

Ich war dankbar über die Erinnerung heute Morgen. Und ich möchte Sie teilhaben lassen an einer unerwarteten Begegnung mit dem Vers im Laufe des Jahres. Es passierte während unseres Urlaubs in Kanada dieses Jahr im Spätsommer. Alles war neu für uns, Land, Leute und ihre Geschichte. Und ich war neugierig, hatte Zeit – ja eben Urlaub. Und – ich glaube nicht an Zufälle, auch im Urlaub nicht. Nun also zu der Begegnung: In einem wunderschönen Kunstgewerbeladen in Kingston lernten wir einen alten Herrn irischer Abstammung kennen, der ein Buch geschrieben hat. Ein Buch über den Missbrauch von indianischen Kindern (ich nenne sie so, weil auch er sie so genannt hat) in kirchlichen Kinderheimen in Kanada. Ein Buch über die Härte des Herzens, wie er im Vorwort schreibt. Und er erzählte uns von seinen Erlebnissen und Begegnungen mit Menschen indianischen Ursprungs, wie er sie aufgesucht hatte, wie sie ihm ihre Kindheitsgeschichten anvertraut hatten. Und immer wieder kamen ihm die Tränen, weil er die Menschen vor sich sah, als Kinder, klein, hilflos, verängstigt, allein. Ich hatte nicht gewusst, dass es zwischen 1883 bis 1996 ein staatliches Programm gab, das den Indianereltern systematisch ihre drei- bis vierjährigen Kinder entzog und in Heime steckte, die zu der Zeit meist kirchliche Heime waren. Über 150.000 Kinder werden es gewesen sein. In diesen Heimen sollten die Kinder, dem schädlichen Einfluss der Eltern entzogen, zuerst einmal eine ordentliche Sprache lernen (also Englisch oder Französisch) und gleichzeitig einen ordentlichen Glauben beigebracht bekommen. Ihre indianischen Namen wurden durch europäische Namen ersetzt, ihre Muttersprache ihnen verboten, sie wurden neu erfunden. Und der alte Herr sagte: Und dann wurde vielen von ihnen eingeprügelt, dass Gott alle Menschen gleich lieb hat und der christliche Gott ein Gott der Liebe ist.... und er sagte zum Schluss: Und seitdem ich das alles weiß, weiß ich auch, dass der Glaube der Indianer mein Glaube ist, die Ehrfurcht vor der Natur und die Ehrfurcht vor jedem Menschen, ob groß oder klein. Und er fuhr fort: Und ich habe den Glauben der Indianer angenommen, denn der Gott der Indianer braucht kein Geld, keine Häuser und keine Institutionen. Und mein Glaube braucht auch kein Geld, keine Häuser und keine Institutionen.

Wohlgemerkt, der Mann wusste nicht, dass er es mit mir als einer Frau der Kirche zu tun hatte – bis zum Schluss nicht   und das hat einiges vereinfacht, denn als er das so pointiert sagte, fühlte ich mich ziemlich schlecht. Eigentlich hätte ich doch jetzt zu einer flammenden Rede anheben müssen, um die Schönheit vieler Gotteshäuser zu preisen, und wie not-wendig Geld sein kann und auch wie hilfreich eine Institution wie die Kirche ist. Aber ich sagte nichts – zum Glück, denn es hätte wohl nur gezeigt, dass ich nichts von dem, was er uns hat sagen wollen, verstanden hätte.

Dieses Erlebnis hat mich nicht losgelassen. Zum einen natürlich die Geschichten der Indianerkinder. Ich habe später das Buch gelesen (Robert Wells, Wawahte), und es ist erschütternd und unglaublich, unglaublich traurig. Und ein anderes Thema ist auch wie die Kirchen mit diesem Teil ihrer Vergangenheit umgehen, sehr unterschiedlich eben. Aber besonders die Aussage: Gott braucht kein Geld, keine Häuser und keine Institution, diese Aussage ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Und ich wusste sehr bald sehr klar: Ja, mein Gott, der Gott und Vater Jesu Christi, erfahrbar durch den Heiligen Geist, dieser Gott braucht auch kein Geld, keine Häuser und keine Institution. Er hat das alles nicht nötig.

Aber wenn er das alles nicht nötig hat, warum gibt es sie denn dann? Warum verteidigen wir das alles und bauen weiter, bauen aus, bauen darauf, dass das alles wichtig und richtig ist, ja meinen manchmal vielleicht sogar, dass das alles von Gott gewollt sei.
Nein, unser Gott braucht das nicht – aber ich. Ich brauche das – und andere mit mir. Wir Menschen brauchen das. Aber warum?

Und da legte sich mir wie eine Folie die Jahreslosung über diese Frage – als Antwort sozusagen: Wir brauchen das Geld, die Kirchen und die Institution Kirche - um unserer Schwachheit willen.

Diese Dinge – so unterschiedlich sie auch sind – zeigen uns unsere Schwachheit auf, menschliche Schwachheit, und manchmal verdecken sie sie auch, und manchmal decken sie sie auf. Und je mehr wir unser Herz an sie hängen, umso deutlicher tritt unsere Schwachheit zutage. Je fester wir sie umklammern, befestigen, verfestigen, umso bedürftiger und schwächer werden wir.

Und Gott lässt sich auch darauf ein. Gott sei Dank. Selbst in diese Niederungen menschlicher Schwachheit kommt er hinein und wir vertrauen darauf   und manchmal erfahren wir es auch, dass er mitten unter uns ist: in den Mauern unserer Kirchen, in dem, was wir mit unserem Geld machen und in der Institution Kirche, in der wir versuchen, dem Glauben eine Ordnung zu geben. Wie gesagt, er hat das alles nicht nötig, aber unser schwacher Glaube braucht sichtbare Anker.

Bewahre uns Gott vor dem Hochmut, dies sei gottgewollt. Schenke uns Gott die Einsicht unserer Schwachheit, damit seine Kraft in uns mächtig sein kann.

Morgenandacht, Superintendentin Christiane Nolting (26,72 kB)

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