Ist Weihnachten „zerzählt“?

Ein Gespräch mit Kurt Marti

Weihnachten sei ihm durch den Konsumrausch vergällt, sagte der reformierte Pfarrer und Dichter Kurt Marti in einer Sendung des Südwestrundfunks. Im Gespräch erläuterte er seine ökologische Deutung des „Gott wird Mensch“.

Damals

Als gott
Im schrei der geburt
Die gottesbilder zerschlug

dichtete Kurt Marti in „weihnacht“ und verkündigte schon vor Jahren, er schreibe keine Weihnachtsgeschichten mehr, weil Weihnachten „zerzählt“ sei.

Das „Gemüthafte von Weihnachten“, das besonders in der deutschen Tradition so stark geworden sei, das mag der Literat und Pfarrer nicht. Der Weihnachtsvers in seinen „Preisungen“ ist auch als „Überdruss“ an einer stimmungsgeladenen, sentimentalen, winterlich weißen Weihnacht zu verstehen:

Preise den tag da warm und wie sommer
Weihnachten ausbrechen wird auf erden

Auch „Konsumrausch“ und „Vermarktung“ des Festes gefallen Kurt Marti nicht:

Die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht.

In einem Gespräch der Sendung „Glaubensfragen“ des Südwestrundfunks (SWR 2) erläuterte Kurt Marti im Dezember 2004 sein Verständnis von Weihnachten.

Eine „Tätigkeit Gottes“ habe mit der Geburt Jesu begonnen, die heute noch Gott zeige als den, „der uns hineinnehmen will in eine andere weltverträgliche Denk- und Lebensweise“.

Wieso eigentlich werde Gott Mensch in Jesus von Nazareth, fragt Marti sich und findet eine ungewöhnliche Antwort: Das sei keine „Auszeichnung des Menschen“, dass Gott Mensch werde, im Gegenteil, das sei eigentlich eine „Notaktion“ Gottes. Der Mensch nämlich sei die „Schwachstelle“ der Schöpfung. Er ist derjenige, der die Schöpfung bedroht. In Raub- und Profitgier zerstören und verschmutzen wir Menschen Luft, Wasser und Boden, die Meere und die Wälder. Mit der Menschwerdung zu Weihnachten greife Gott ein, um uns Menschen davon abzuhalten so weiterzumachen.

In dieser ökologischen Deutung haben Ochs und Esel an der Krippe eine ganz besondere Bedeutung. Die Tiere „schauten zu, sozusagen voller Hoffnung“, denn sie dachten, nun könne Gott den Menschen doch noch auf einen guten Weg bringen, so Marti im SWR: „Die Tiere sind Symbole der ökologischen Weihnachtsauslegung, die da Zeugen sind der Geburt. Wenn von Jesus steht, nach seiner Taufe sei er in die Wüste gegangen und er war bei den Engeln und Tieren. Er hat Distanz genommen zu den Menschen, Abstand genommen von den Menschen, die sich so katastrophal verhalten (...) Der Mensch ist der Störfaktor in der Schöpfung von Engeln und Tieren, der Mensch ist der Unruheherd, der Störfaktor, deshalb wird Gott Mensch, um da eine Korrektur zu ermöglichen, eine Umkehr zu ermöglichen. Aber da Gott in Jahrtausenden denkt, geht das offenbar nicht so schnell. Vielleicht hätte Gott die Elefanten als Herren der Schöpfung einsetzen sollen, dann wäre es besser gekommen.“

Das Manuskript der Sendung Ist Weihnachten „zerzählt“? Kurt Marti – Prediger und Lyriker vom 26. Dezember 2004, SWR 2: Glaubensfragen, Autorin Eva Christina Zeller, Redaktion Jörg Vins zum Download im Archiv des SWR.

Zur Person Kurt Marti

Kurt Marti Pfarrer, Dichter, geb. 1921.
Studierte zunächst Jura und anschließend Theologie in Bern und Basel, wo er maßgeblich von Karl Barth geprägt wurde. Im Auftrag des Ökumenischen Rates der Kirchen war er nach dem Krieg ein Jahr lang Gefangenenseelsorger in Paris. Bis 1983 war er Pfarrer verschiedener Gemeinden.

1967 verweigerte ihm der Regierungsrat des Kantons Bern aus politischen Gründen einen Professur für Homiletik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bern.

Seit 1983 ist Kurt Marti freier Schriftsteller. Sein umfangreiches literarisches Werk umfasst Erzählungen, einen Roman, Gedichte, Tagebücher, Essays. In seinen Predigten und Aufsätzen, Gedichten und Aphorismen erweist sich Marti als ein engagierter und kritischer Literat. Einige seiner Texte wurden als Neue geistliche Lieder vertont. Er ist zudem Mitbegründer der Schriftsteller-Gruppe Olten und der Erklärung von Bern, einer Organisation, die sich für die Solidarität der Schweiz gegenüber benachteiligteren Ländern einsetzt.

Marti sieht sich als „eine Art Zwitter“ zwischen Kirche und Theologie einerseits und der Literatur andererseits. Auf kirchlicher Seite werde nur wahrgenommen, was er über Kirche sage. Und in der Literatur bespricht man ihn rein literarisch.

Vielfach ausgezeichnet, 1997 mit dem Kurt-Tucholsky-Preis für sein Gesamtwerk, 2002 mit dem Karl-Barth-Preis für sein „theopoetisches“ Werk, 2005 mit dem Berner Buchpreis und dem Predigtpreis der Deutschen Wirtschaft AG 2005 für das Lebenswerk, gehört er heute zu den bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren.

Neuere Veröffentlichungen (Auswahl)
Kurt Marti, Notizen und Details 1964–2007,
hg. von Klaus Bäumlin, Bernard Schlup, Hektor Leibundgut, Zürich 2010
Du. Eine Rühmung, Radius-Verlag, 2007
Gott gerneklein, Radius-Verlag 2006
Gott im Diesseits, Radius-Verlag, September 2005
Leichenreden, dtv, November 2004
Ungrund Liebe, Radius-Verlag, August 2004
Fromme Geschichten, Radius-Verlag, August 2004
Die gesellige Gottheit, Radius-Verlag, August 2004

Quelle der Angaben zur Person (bearb.): Homepage des Predigtpreises

Mehr über Kurt Marti www.ref.ch

Hommage an Kurt Marti zum 85. Geburtstag 2006 www.kathbern.ch


Barbara Schenck