Jesus zurückgewinnen

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger


Most Rev. Michael B. Curry, Vorsitzender der Bischöfe der Episcopal Church of America, die zur weltweiten Anglikanischen Kirche gehören. (Quelle: sojo.net)

Ein begeisterter Hochzeitsprediger und Donald Trumps 'America First'. Was haben die miteinander zu tun?

Nur weil mir eine Freundin von dem Brauch erzählt hat, bei jeder königlichen Hochzeit in großer Runde gemeinsam fernzusehen und dazu Sandwiches, Cheesecake und Scones zu genießen, habe ich letzten Samstag den Fernseher laufen lassen und - mehr nebenbei als aufmerksam - die Hochzeit von Meghan und Henry verfolgt. Das endlose Warten und die Kommentare zu den Hüten, die heranfahrenden Kutschen und Karossen, die steife Zeremonie.

Bis dann Michael B. Curry mit seinem Tablet ans Rednerpult trat und zu reden begann. Zuerst verhalten und dann immer begeisterter. Als er den heiligen Bogen vom Verbrennungsmotor zur Liebe Gottes spannte, fühlte ich mich an eine Szene aus Blues Brothers erinnert. Dazu die leuchtenden Augen von Meghan und die versteinerten Gesichtszüge von Königin Elisabeth. Was wird dieser Frau in ihrem Leben wohl alles zugemutet!

Doch meine Aufmerksamkeit war plötzlich gebannt. Nicht nur, dass da jemand der Situation wohltuend unangemessen locker und lebendig sprach. Auch der Inhalt von Currys Predigt hatte es ja in sich. Nicht intellektuell und originell wie ich es sonst durchaus mag, sondern bodenständig und sogar ein bisschen einfältig. Und doch die christliche Botschaft auf den Punkt gebracht. Und immer wieder: Die Liebe Gottes gilt für alle unsere Lebensbereiche. Wie vorher Harry seiner Braut Meghan, hob Curry den Schleier, der im Alltag die Liebe vernebelt.

Dass die Begeisterung für die Liebe eine verändernde Kraft sein kann, das predige ich auch ab und zu. Es so vorzuführen, ist für uns Mitteleuropäer nicht üblich. Muss es ja auch nicht. Wir haben andere Qualitäten. Aber es darf uns doch begeistern, wenn Andere das so können, oder?

Noch am selben Nachmittag des 19. Mai bekam ich eine Nachricht von Pfarrer Matthias Schmidt aus der Lippischen Landeskirche – den Hinweis auf eine Erklärung US-amerikanischer Kirchenleute mit dem Titel ‚Reclaiming Jesus‘. Dass der anglikanische Bischof Curry da unter den Unterzeichnern steht, ist für dieses Bekenntnis ein Segen. Denn es wäre ansonsten hier in Europa wahrscheinlich kaum zur Kenntnis genommen worden.

Dabei führt es eine durchaus europäische Tradition fort. ‚Reclaiming Jesus‘ ist ganz im Stil der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 verfasst, beginnt mit dem, was wir als Christinnen und Christen glauben, beschreibt die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und zeigt deren Widerspruch zur biblischen Botschaft auf. Ob es um Armut und Reichtum, um die Behandlung von Geflüchteten, um Sexismus oder nationalen Egoismus geht: Widerspruch ist angesagt!

Die Bezeichnung als „Confession of Faith“ (Bekenntnis des Glaubens) ist deshalb berechtigt, weil es tatsächlich nicht einfach um eine bestimmte Meinung geht, sondern um die Umsetzung dessen, was wir alle wissen aber gerne aus den Augen verlieren. Die jeweils ersten Sätze der sechs Abschnitte beginnen mit „We believe“ und beschreiben, was eigentlich unbestritten ist. Zum Beispiel, dass Grenzen zwischen Ländern ganz bestimmt nicht zum Heilsplan Gottes gehören. „America first“ und die damit verbundene nationale Überheblichkeit kann also nicht für sich beanspruchen „christlich“ zu sein. Das Bekenntnis will Jesus zurückholen (reclaiming Jesus). Das trifft es irgendwie ganz gut, auch wenn solche Titel natürlich immer auch plakativ sind.

Der Erklärung wünsche ich, dass sie in den USA aber auch über die Grenzen hinweg, Aufmerksamkeit gewinnt. Verändern wird sie vielleicht nicht viel können. Aber vielleicht ja doch dem einen und der anderen zu denken geben: Wenn wir es schon nicht immer schaffen so zu leben wie es unser Glaube uns eigentlich aufgibt, dann sollten wir jedenfalls einer Politik und einem Denken in unserer Gesellschaft widerstehen, die uns genau das Gegenteil einreden wollen.

Text der Erklärung (Übersetzung Marcus Tesch, EKiR)

Homepage der Initiative (englisch)

Video, in dem die Erklärung vorgestellt wird (englisch)

Georg Rieger

Der Prediger von Schloss Windsor ist Initiator eines Textes im Geiste der Barmer Erklärung

Der oberste Bischof der Anglikanischen Kirche der USA und Vertreter/innen anderer Kirchen, Glaubensgemeinschaften und Hochschulen erheben ihre Stimmen gegen die Politik der Ausgrenzung und rufen zu einer Kerzenandacht vor dem Weißen Haus auf.