Keine Märchen: Vom Vertrauen in Gott

Predigt zu 1. Buch der Könige, 1-16, zum 7. Sonntag nach Trinitatis


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Von Stephan Schaar

Liebe Gemeinde, auch erwachsene Menschen mögen Märchen.

- Oder etwa nicht?

Bitteschön, hier ist eines:
Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wußte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: "Töpfchen, koche," so kochte es guten, süßen Hirsebrei, und wenn es sagte: "Töpfchen, steh," so hörte es wieder auf zu kochen.

Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, sooft sie wollten.
Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: "Töpfchen, koche," da kocht es, und sie ißt sich satt; nun will sie, daß das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und dann die Straße, als wollt's die ganze Welt satt machen, und ist die größte Not, und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim und spricht nur: "Töpfchen, steh," da steht es und hört auf zu kochen, und wer wieder in die Stadt wollte, der mußte sich durchessen.

...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute - mit diesen Worten verläßt der Märchenerzähler normalerweise die Welt der Phantasie wieder und läßt seine Zuhörer ebenfalls zurückkehren in ihre Alltagswelt, da Erfahrung und Vernunft herrschen. Unsere heute zur Auslegung empfohlene biblische Geschichte hat nicht nur ebenfalls etwas mit Hunger zu tun und mit Sättigung, sondern sie klingt auch ganz schön märchenhaft.

Ich sehe tatsächlich eine Gemeinsamkeit mit den von den Brüdern Grimm gesammelten Volksmärchen, und zwar, wie wir gleich sehen werden, bei dem pädagogischen Gehalt einer Erzählung. Manche meinen, auch die biblischen Wundergeschichten seien im Grunde nichts anderes als Märchen - im abschätzigen Sinne des Wortes: unglaubwürdige Wunschphantasien.

Na, dann hören Sie mal besonders aufmerksam und kritisch zu! Ich lese aus dem 1. Buch der Könige im 17. Kapitel die Verse 1-16:

1Elija, der Tischbiter aus Tischbe im Gilead, sprach zu Achab: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, vor dem ich diene: In diesen Jahren wird kein Tau fallen und kein Regen, es sei denn auf meinen Befehl!
2Und das Wort des Herrn erging an ihn:
3Geh fort von hier und wende dich nach Osten. Halte dich verborgen am Bach Kerit, der jenseits des Jordan fließt.
4Und aus dem Bach kannst du trinken, und den Raben habe ich geboten, dich dort zu versorgen.
5Und er ging und handelte nach dem Wort des Herrn. Er ging und blieb am Bach Kerit, der jenseits des Jordan fließt.
6Und die Raben brachten ihm am Morgen Brot und Fleisch und auch am Abend Brot und Fleisch, und aus dem Bach trank er.
7Nach einiger Zeit aber trocknete der Bach aus, denn es fiel kein Regen im Land.
8Da erging an ihn das Wort des Herrn:
9Mach dich auf, geh nach Zarepat, das zu Sidon gehört, und bleibe dort. Sieh, einer Witwe dort habe ich geboten, dich zu versorgen.
10Und er machte sich auf und ging nach Zarepat. Und als er an den Eingang der Stadt kam, sieh, da sammelte dort eine Witwe Holz. Und er rief ihr zu und sagte: Hole mir doch einen Krug mit etwas Wasser, damit ich trinken kann!
11Und sie ging, um es zu holen, und er rief ihr nach und sagte: Hole mir doch auch einen Bissen Brot.
12Sie aber sagte: So wahr der Herr, dein Gott, lebt, ich habe nichts vorrätig, außer einer Handvoll Mehl im Krug und ein wenig Öl im Krug. Und sieh, ich bin dabei, zwei, drei Stücke Holz zu sammeln; dann werde ich gehen und für mich und für meinen Sohn zubereiten, was noch da ist, und wir werden es essen, dann aber müssen wir sterben.
13Da sagte Elija zu ihr: Fürchte dich nicht. Geh, tu, wie du es gesagt hast; doch bereite davon zuerst einen kleinen Brotfladen für mich zu und bringe ihn mir heraus; für dich aber und für deinen Sohn kannst du danach etwas zubereiten.
14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Krug wird nicht ausgehen, und der Ölkrug wird nicht leer werden, bis zu dem Tag, an dem der Herr dem Erdboden Regen gibt.
15Da ging sie und handelte nach dem Wort Elijas, und sie hatten zu essen, sie und er und ihr Haus, tagelang.
16Das Mehl im Krug ging nicht aus, und der Ölkrug wurde nicht leer, nach dem Wort des Herrn, das dieser durch Elija gesprochen hatte.

...und wenn sie nicht gestorben sind, liebe Gemeinde - und sie sind natürlich nicht gestorben, das ist ja gerade die Botschaft dieses Textes: Vertraue auf Gott und du wirst leben! Amen und Ende, könnte man beinahe sagen.

Der Unterschied zum Märchen - bei aller verdächtigen Ähnlichkeit auch in der Dramaturgie - liegt für mich auf der Hand: Es geht hier nicht um einen Zauber, um Magie, um die Außerkraftsetzung von Erfahrungswerten und Naturgesetzen, sondern um nichts anderes als das Vertrauen in die Zusagen, die Gott gegeben hat. Daß die wahr werden, ist mir Wunder genug, ja ist so wunderbar, daß ich gar nicht zu sagen vermag, wie das übertroffen werden sollte.

Gewiß: Auch der biblische Erzähler ist ein Erzähler - gerade er, der Orientale, der am Feuer sitzt und sich auch daran wärmt, daß man ihm mit Spannung lauscht. Und so wird ausgeschmückt und aufgebauscht, was mit der eigentlichen Erzählung wenig bis gar nichts zu tun hat: Wozu dienen beispielsweise - erzählerisch - die Raben? Allenfalls zur Ausschmückung und zur Veranschaulichung der wundersamen Wege des Herrn, der den Propheten erst aus dem Bach trinken heißt und diesen dann doch vertrocknen läßt.

Okay: Das Vertrocknen des Baches ist natürlich symptomatisch für die Trockenheit im Land - und ohne diese Trockenperiode hätte es keine Knappheit an Lebensmitteln gegeben; so markiert also ein Detail der ersten Hälfte unseres Abschnitts die Rahmenbedingungen dessen, was anschließend im Vordergrund steht. Dieser zweite Teil beginnt damit, daß Elija das Land am Jordan verlassen und in den Libanon hinaufziehen soll.  Die Witwe, der er bald darauf begegnet, ist keine Frau aus dem jüdischen Volk, sondern eine Phönizierin.

Bibelkundigen Hörerinnen und Hörern unserer Geschichte fällt vermutlich eine Parallele aus dem Leben Jesu ein: Johannes erzählt von jener Frau am Brunnen, die erst mühsam schöpfen wollte, dann aber doch bat: “Gib mir von dem lebendigen Wasser!”; und auch sie sah sich genötigt, bislang Geheimgehaltenes preiszugeben. Wir erfahren nicht, wie es kommt, aber ohne jeden Umstand erfüllt die phönizische Witwe den Wunsch des Fremden, der von ihr verlangt, daß sie im etwas zu trinken geben solle.

Nun gut - dies kann und sollte man wissen: Die Gastfreundschaft war im Altertum und besonders im Nahen Osten stark ausgeprägt, stellte eine Verpflichtung dar, der man sich nicht entzog, wenn man nicht gesellschaftliche Ächtung riskieren wollte. So erklärt sich, was auf uns doch befremdlich und dreist wirkt: daß ein dahergelaufener Mann einer ortsansässigen Witwe den Befehl erteilen kann, ihm zu trinken zu geben. Beim Essen allerdings widerspricht sie zunächst und macht geltend, daß ihre Vorräte gerade noch für eine letzte Mahlzeit ausreichen, bevor sie mitsamt ihrem Sohn wohl verhungern werde.

Mit Chuzpe entgegnet der Prophet, erst solle sie ihm etwas zu essen bereiten, dann würden auch sie und ihr Sohn gesättigt - und es folgt eine sagenhaft anmutende Ankündigung, daß ihre Vorräte nie und nimmer zur Neige gehen würden. “Schöne Geschichte, leider völlig unglaubwürdig”, mögen Sie jetzt denken - aber das kommt womöglich daher, daß wir zu viele Kinderbibelgeschichten gehört und die dazugehörigen Bilder gesehen haben, die uns glauben machen wollten, hier würde gezaubert.

Auch was der Evangelist Johannes über die Speisung der 5000 Menschen berichtet, geht in diese Richtung, denn die von Jesus mit Brot und Fischen gespeisten Menschen hielten diese Mahlzeit für eine Art Brotzauber und wollten eben deshalb den wunderbaren Brot-Vermehrer  zum König machen.

Elija aber sagt zu der Witwe: “Fürchte dich nicht! Vertraue auf Gott!” Er sagt ihr zu, was in so vielen Psalmen besungen wird, nämlich: Gott sorgt für Witwen und Waisen, er macht die Hungrigen satt und nimmt sich der Bedürftigen an.

Eigentlich bedarf es dazu keines Wunders, nicht nur die Witwen und Waisen und überhaupt alle Bedürftigen satt zu kriegen; denn unter normalen Bedingungen wächst ja genug Getreide auf der Erde, um daraus “Brot für die Welt” machen zu können, und zwar für alle Welt. Nur eben - und das ist relativ neu - sind die Bedingungen nicht mehr normal, sondern ähneln der Szenerie aus unserer Geschichte: Die Klimakatastrophe ist täglich zu spüren mit Starkregenfällen da und Dürre dort.

Und selbst, wenn wir das doch noch in den Griff bekommen durch eine konsequente Politik der Eindämmung, die auch Kritik nicht scheut, weil ein Umsteuern nun mal unausweichlich ist, bleibt das alte Problem der ungerechten Verteilung der Güter dieser Erde, daß das Gute, das Gottes Güte gibt, nicht allen zugute kommt.

Die Witwe aus Zarepat ist keine Jüdin und hat nicht einmal ein Zeichen zu sehen bekommen von dem, was Gott tut - und doch vertraut sie auf den Gott der Bibel und sagt zu Elija: So wahr der Herr, dein Gott, lebt..., nachdem dieser ihrer Skepsis eben mit den Worten entgegengetreten war: So spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Krug wird nicht ausgehen, und der Ölkrug wird nicht leer werden, bis zu dem Tag, an dem der Herr dem Erdboden Regen gibt.

“Was soll ich heute meine Henkersmahlzeit zu mir nehmen und dann sterben”, mag sie sich angesichts solcher Worte gefragt und dazu aufgerafft haben, doch noch einmal Hoffnung aufzubringen, daß Rettung naht, daß es regnen und die Hungersnot ein Ende finden wird. Dieser - im Grunde unbekannte - Gott könnte die letzte Rettung sein, wer weiß. So wie Elija ihn ins Spiel gebracht hat - als Herrn und Helfer -, kann sie ihm vertrauen.

Als ich am vorigen Sonntag in der Götzstraße war und den Garten betrachtete, fielen mir einige neue Pflanzungen auf. Als ich merkte, daß es sich um Apfelbäume handelt, dachte ich unwillkürlich: “Ist es schon so weit?” Aber womöglich lautete die Botschaft gerade andersherum, so wie die Legende es Luther in den Mund legt: “Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.”

Die Witwe aus Zarepat pflanzt nicht, aber auch sie vertraut. Sie gibt ihren letzten Bissen her in der Hoffnung, gerade dadurch nicht zu verhungern.
Herr, schenke uns einen solchen Glauben: Klein womöglich wie ein Senfkorn - und doch so groß, daß er Berge versetzen kann.

Amen.


Stephan Schaar