Krieg stinkt zum Himmel

Rede am Antikriegstag 2012 in Bremen - von Martin Warnecke, Pastor und Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche

''Wer will schon genau wissen, was die Bundeswehr in Afghanistan tut? Wer betet schon abends um Frieden? Viele Menschen in unserem Land haben sich daran gewöhnt, mit dem Krieg zu leben.''

Am 1. September, dem Antikriegstag, fand in Bremen eine "antimilitaristische Fahrradtour" statt. Auf dem Marktplatz des Rüstungsstandorts Bremen sprach Pastor Martin Warnecke wider "die Gewöhnung an die militärische Gewalt, die auch immer mehr in unseren Alltag drängt". Über das "Radfahren für den Frieden" berichtete Radio Bremen, weitere Infos zum Bremer Friedensforum bietet www.bremerfriedensforum.de, auf reformiert-info lesen Sie die "Antikriegsrede" im Wortlaut:

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ein Song des US-amerikanischen Sängers Neil Young heißt „Living with war“. „Ich lebe mit Krieg jeden Tag“, singt er, „ich lebe mit Krieg in meinem Herzen und in meinem Bewusstsein jeden Tag, ich lebe mit Krieg jetzt gerade.“ Er beschreibt, wie er im Fernsehen die Bilder sieht von den Kriegen im Irak und in Afghanistan. „Und auf dem Bildschirm töten wir und werden getötet.“ Er sieht die Raketen und Bomben, die dafür sorgen, dass „unsere Fahne auch über Nacht immer noch da ist.“ „Und wenn die Nacht kommt, dann bete ich für Frieden, dann versuche ich Frieden zu erinnern.“

Neil Young leidet darunter, dass sein Land Krieg führt. Er engagiert sich für den Frieden und erlebt gleichzeitig, dass der Krieg immer weiter geht. Er verweigert es, sich an den Krieg zu gewöhnen. Das ist ziemlich schwer, vor allem dann, wenn der Krieg weit weg ist. Die Gewöhnung lässt einen abstumpfen.

So las ich vor längerer Zeit einen Artikel über die zukünftige Leiterin einer Kläranlage in einer Kleinstadt. Darin erzählte sie von ihrer Arbeit an den Sickergruben. Wie sie den ewigen Gestank aushält, wurde sie gefragt. Sie antwortete: „Irgendwann riecht man nichts mehr.“

Man gewöhnt sich an alles, auch an Gestank und an Krieg. Dabei stinkt Krieg zum Himmel. Die Bundeswehr wurde zu einer weltweiten Interventionsarmee umstrukturiert. Seit über 10 Jahren führt unser Land Krieg in Afghanistan. Dieser Krieg wird auch in unserem Namen geführt. In unserem Namen werden dort Menschen umgebracht und verletzt an Leib und Seele. Das Massaker, dass der deutsche Oberst Klein fast genau vor drei Jahren dort in der Nähe von Kundus anrichten ließ, kostete bis zu 140 Menschen das Leben. Das Angebot des Bomberkommandos schlug er aus, die Menschenansammlung erst einmal durch Überfliegen ohne Bombenabwurf zu warnen. Er befahl: „Vernichten!“ Bereits im Mai 2009 hatte er angekündigt: „Wir werden mit der Härte, die geboten ist, zurückschlagen.“ Die Bundesanwaltschaft erklärte, sein Verhalten sei »rechtmäßig« gewesen. Er wurde nie vor Gericht gestellt und verblieb in der Bundeswehr ohne Disziplinarverfahren. In Anerkennung seiner Leistungen wird er demnächst zum Brigadegeneral befördert.

Der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Calw, Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, sagte vor zwei Jahren: „Unsere Soldaten müssen regelmäßig töten. Darum herumzureden, erscheint mir verkehrt“. (20.5. 2010 in einem Interview mit der Rheinischen Post online)

Wie sagte die Leiterin der Kläranlage: „Irgendwann riecht man nichts mehr.“ Das ist ja vielleicht auch ein Schutzmechanismus unseres Körpers und unseres Bewusstseins, weil wir den Gestank, auch im symbolischen Sinne, auf die Dauer nicht aushalten. Wer will schon genau wissen, was die Bundeswehr in Afghanistan tut? Wer betet schon abends um Frieden? Viele Menschen in unserem Land haben sich daran gewöhnt, mit dem Krieg zu leben.

Und gleichzeitig steigt uns doch von Zeit zu Zeit der Gestank aus den „Jauchegruben“ in die Nase, weil immer neue „Jauchegruben“ eröffnet werden. Seit etlichen Jahren drängt die Bundeswehr immer mehr in den öffentlichen Raum. Sie tritt auf Kirchentagen auf, veranstaltet Militärkonzerte in Kirchen und geht in die Schulen.

Nach der Aussetzung der Wehrpflicht am 1. Juli 2011 verstärkte die Bundeswehr  ihre Aktivitäten zur Nachwuchsrekrutierung in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Ein Schwerpunkt liegt dabei in dem Bereich von Bildung, Ausbildung und Berufsorientierung. Die Bundeswehr versucht durch Kooperationsverträge mit den Kultusministerien der Länder ihre Werbung in Schulen und Lehrerbildungsinstituten fest zu verankern. Es soll die Akzeptanz einer Sicherheitspolitik erreicht werden, die den Einsatz militärischer Gewalt selbstverständlich vorsieht. Die Schüler und Schülerinnen sollen sich daran gewöhnen, dass militärische Gewalt ein probates Mittel ist, um Konflikte zu lösen. Sie sollen sich an den Gedanken gewöhnen, dabei selbst einmal mitzuwirken.

Dazu brauchen sie natürlich Waffen und militärische Geräte. Unser Land ist der weltweit drittgrößte Hersteller und Exporteur von Waffen. Auch hier in Bremen wird der Krieg vorbereitet und das Töten von Menschen immer mehr perfektioniert. Mit der Produktion und dem Handel von Waffen wird sehr viel Geld verdient. Ungezählte Menschen haben durch in Bremen hergestellte Produkte ihr Leben verloren oder wurden beschädigt an Leib und Seele. Auch das stinkt zum Himmel.

Damit wir uns besser an diesen ganzen „Gestank“ gewöhnen, werden uns „Duftnoten“ gesetzt von den dafür Verantwortlichen und den Medien. Sie sollen den „Gestank“ übertünchen und stattdessen einen lieblichen „Geruch“ erzeugen.

Schon seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 versucht man uns einzureden, dass der Krieg nicht aus ökonomischen und machtpolitischen Gründen geführt wird, sondern nur, um Gutes zu tun. Auch der Krieg in Afghanistan wird vorgeblich geführt für den Aufbau des Landes, für Menschenrechte, für Frauenrechte, für die Demokratie und für den Weltfrieden. Der Krieg wird Friedensmission genannt, oder eine humanitäre, das heißt menschenfreundliche, Intervention. Es wird gelogen, wie in jedem Krieg. Heute vor 73 Jahren hieß das: „Ab 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.“

Eine weitere „Duftnote“ ist der Nationalismus, der in unserem Land immer stärker wird. Schon der Schriftsteller Hermann Hesse sah den fatalen Hang der Deutschen zum Nationalismus als Grundübel, das zu zwei Weltkriegen geführt hatte. Er glaubte nicht an einen wirklichen Bruch mit dieser fatalen Linie in der deutschen Geschichte. Was hätte er wohl dazu gesagt, wie dieser Nationalismus sich heute wieder zeigt, zum Beispiel bei großen Sportereignissen.

Schwarz-Rot-Gold werden Autos, Häuser und Menschen dekoriert, wie bei der Fußball-Europameisterschaft vor ein paar Monaten. Das Singen der Nationalhymne wurde zur staatsbürgerlichen Pflicht der Fußballspieler erklärt. Die Zeitung mit den vier großen Buchstaben rief ein „Heimspiel“ in Danzig aus. Oliver Bierhoff, der Manager des DFB, meldete gehorsamst aus Danzig: „Das Stadion ist in deutscher Hand.“ Und der Co-Trainer der deutschen Mannschaft, Hans-Dieter Flick, sagte vor dem Spiel gegen Portugal im ukrainischen Lwiw zu den Spielern: „Da heißt es einfach Stahlhelm aufsetzen und großmachen.“ Als Lwiw 1941 zu Lemberg geworden war, hatten die Deutschen in der Stadt und ihrer Umgebung 400.000 Juden und 140.000 russische Gefangene ermordet.

Nationalistische Stimmungen sind in vielen Bereichen spürbar, auch in Politik und Wirtschaft. So wie „wir“ die Griechen beim Fußball geschlagen haben, so weigern sich mittlerweile viele Menschen in unserem Land, für „die Griechen und die Spanier“ zu bezahlen. Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer Brüderle, behauptet, dass unsere europäischen Nachbarn uns Deutsche anzapfen wollen. Originalton Brüderle: „Es ist nicht vermittelbar, dass die deutsche Oma mit ihrem Sparbuch für die Schulden von Investmentbanken in anderen Ländern haften soll.“ Nationalistischer kann man es wohl kaum sagen.

Nationalistische Stimmungen – Deutschland den Deutschen – zeigen sich schon lange auch als Rassismus. Schon vor 20 Jahren, bei dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, wurde deutlich, dass diese Haltung auch Gewalt akzeptiert.

Krieg wird auch in den Köpfen und Herzen vorbereitet. Und zu dem Nationalismus kommt oftmals mit dem Antisemitismus noch eine weitere „Duftnote“ dazu. Wie sagte die Leiterin der Kläranlage: „Irgendwann riecht man nichts mehr.“

Heute, am Antikriegstag, machen wir uns und anderen dies alles bewusst. Wir unterbrechen die Normalität der Gewöhnung. Wir schärfen unsere eigene Wahrnehmung für vieles, was zum Krieg gehört.

Und wir helfen anderen, auch deren Wahrnehmung zu schärfen, zum Beispiel durch eine Fahrradtour zu einigen der Bremer Rüstungsbetriebe. Unterwegs wird es auch Informationen geben. Das Friedensforum hat alles organisiert. Habt Dank dafür. Es geht darum, die Gewöhnung an die militärische Gewalt, die auch immer mehr in unseren Alltag drängt, zu unterbrechen, und bewusst zu machen, was da stinkt. Dazu tragen auch Euer aktuelles Buch über die Rüstungsproduktion in Bremen und die regelmäßigen Mahnwachen vor Rüstungsbetrieben bei.

Je stärker wir die Gewöhnung an den Krieg unterbrechen, desto mehr Energie wird für den Frieden frei. Dann wird der „Gestank“ nicht mehr ertragen, sondern aktiv verändert. Dann protestieren wir, dann reden wir darüber. Dann zeigen wir den Nationalisten und Rassisten die bunte Karte menschlicher Vielfalt und üben uns in Solidarität. Dann schauen wir genau hin, wer an Krieg und Wirtschaftskrise verdient.

Dann tragen wir dazu bei, Frieden vorzubereiten, indem wir in die Schulen gehen, und den Schülerinnen und Schülern dabei helfen, für sich eine menschenfreundliche und liebevolle Haltung zu entwickeln. Das Friedensforum bietet dafür kompetente Frauen und Männer an. Und die Bremische Evangelische Kirche hat entschieden, dass sie sich ebenfalls in dem Bereich der Friedensbildung an Schulen engagieren wird. Und es wäre doch wunderbar, wenn Schülerinnen und Schüler nach dem Unterricht sagen: „Ich habe gelernt, dass Frieden militärisch nicht hergestellt werden kann. Ich habe gelernt, dass Krieg nicht sein darf und dass unser Land trotzdem mit Waffen Geschäfte macht. Ich habe für mich entschieden, dass ich keinen Menschen töten werde.“

Der Apostel Paulus bezeichnet ein Handeln, welches auf Gemeinschaft, auch mit Fremden zielt, welches auf Verbundenheit und Würde, auch der fernsten Menschen, zielt, welches auch darauf zielt, die Armen und Leidenden wahrzunehmen und ihre Situation zu verbessern, solch ein Handeln bezeichnet er als „einen lieblichen Geruch“.

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit.


Martin Warnecke, Bremen, Pastor und Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche, 1. September 2012