Kurzgeschichten
Sie wandern den Strand entlang. Links das Meer, rechts die Steilküste. Sie haben Ferien und Zeit. Sonne scheint, ein paar Wolken ziehen, Möwen schreien. / Da sieht er ihn von weitem und weiss auch sofort, dass er es nicht verhindern kann, so sehr er noch möchte. Ein einzelner Turm aus Fels steht mitten auf dem Strand. Irgendwann muss er sich aus der Steilküste rechts von ihm gelöst haben. Oben trägt er drei kleine Kiefern und ein paar Büsche. Romantisch. Nein, er wird es nicht verhindern. Hoch und steil wie die Küste ist er. Eine schottische Fahne flattert oben im Wind. / Schon als kleiner Bub hat er jeden grösseren Stein erklimmen müssen, bald einmal auf jeden Baum klettern. Nichts ist unbestiegen geblieben. Kurz vor der Pubertät haben sie ihn in den Alpenclub geschickt, damit er das Klettern lernt, vor allem Verantwortung zu übernehmen für andere und sich. Und ja, er ist ein grosser Bergsteiger geworden. Angst ist für ihn ein Fremdwort. / Bereits zweihundert Meter vorher setzt er sich in Bewegung und trabt dem Felsbrocken zu. Wie der Wind klettert er hoch, meistert alle Schwierigkeiten, winkt und ruft. / Er aber steht unten, erfüllt von Angst und Sorge, und versteckt sich hinter seiner Sonnenbrille. Er legt den Kopf so in den Nacken, dass es aussieht, als habe er ihn gut im Blick. Dann schliesst er die Augen. / Toll, ruft er hinauf. Klasse, wie du das kannst! / Inwendig aber brodelt es. Weder hat er Bergschuhe an, die er dafür braucht, noch Seil und Hacke dabei, wie er es gelernt hat. Wie um Himmels Willen wird er wieder herunterkommen? Rauf geht ja noch, aber runter? / Phantastisch, wie schnell du das geschafft hast, wunderbar! / Er behält seine Augen geschlossen und die Sonnenbrille auf der Nase, senkt langsam den Kopf entsprechend der mutmasslichen Höhe, die er an seiner Stimme erkennt. Er ruft und schreit und krakeelt vor jugendlicher Lust. Erst, als er wieder unten ankommt, gesund und wohlbehalten, öffnet er seine Augen wieder, nimmt die Brille ab und umarmt ihn. / Schön, dass du wieder da bist. / Stolz zeigt der Sohnemann nach oben zu den drei kleinen Kiefern. / Hast du sie gesehen? Nimm deinen Feldstecher! / Da sieht er sie, noch immer mit klopfendem Herzen, aber auch mit ruhigem Atem, sieht, wie oben auf der kleinsten Kiefer eine kleine Schweizerfahne flattert. Die hat man als habitué für solche Fälle immer im Sack. Erster August!
2003
MK