Materialien, Formen, Farben

Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 2


Foto: Georg Rieger

Am 5. Juni 2014 brannte die St. Martha Kirche in Nürnberg – jetzt ist sie fertig und wieder in Gebrauch. Georg Rieger hat den Wiederaufbau im Auftrag der evangelisch-reformierten Gemeinde koordiniert. In fünf Kapitel beschreibt er, wie es geworden ist.

Kaum ein Thema ist so umstritten wie Architektur. Als ich die Aufgabe des Koordinators für den Wiederaufbau der St. Martha Kirche übernahm, sah ich es als größte Herausforderung an, zwischen verschiedenen Entwürfen und Gestaltungsideen, zwischen dem Wunsch nach Neuem und der Sehnsucht nach dem Alten zu vermitteln. Doch es sollte ganz anders kommen.

Das Wort „Wiederaufbau“ legt den Gedanken nahe, dass soweit möglich alles wieder wie vor der Zerstörung aussehen soll. Wie auch sonst? Trotzdem machten so ein paar Ideen der Veränderung dennoch nach einigen Wochen die Runde: Müssen die Seitenemporen wieder sein, die eh fast nie genutzt wurden und den Raum dunkel und eng machten? Sollten die Bänke wieder eingebaut werden? War die beschädigte steinerne Kanzel nicht immer schon im WegKK

Interessanterweise gab ein Gespräch in großer Runde mit dem Amt für Denkmalpflege den Anstoß, mutig in verschiedene Richtungen zu denken. Nach dem Motto „Was verbrannt ist, ist verbrannt“ wurde die Idee einer Kopie der alten Kirche abgelehnt. Ein zeitgemäßer und stimmiger Wiederaufbau solle es werden, der die erhaltenen Bauteile integriert. Und es sollten auch namhafte Architekturbüros in die Auswahl genommen werden.

In zwei Workshops formulierte die Gemeinde ihre Anforderungen – teils eher grundsätzlich bis ganz konkret. In zehn Leitsätzen finden sich Aussagen zur wünschenswerten Atmosphäre und Akustik des Kirchgenraums, aber auch ganz konkrete Anliegen zur Anzahl der Sitzplätze und zur Ressourcen schonenden Energieversorgung.

Für ein Auswahlverfahren reichten sieben Büros ihre Vorschläge ein. Eine Jury entschied sich Anfang 2015 nach intensiver Besprechung aller Entwürfe einmütig für den Architekten Florian Nagler als Entwurfsplaner. Für die Bauleitung blieb das bereits vorher beauftragte Architekturbüro Zeiser im Boot, was sich ebenfalls als gute Entscheidung herausstellte.

Denn zunächst ging ja die Wiederherstellung des Übriggebliebenen weiter. Die Restaurierung der durch den Brand stark beschädigten Mauern, Säulen und Bögen zog sich – von zwei Unterbrechungen abgesehen – im Prinzip über die gesamte Bauzeit.

Stein

Aus Sandstein war die Kirche im 14. Jahrhundert gebaut worden. Auch wenn er zur Bauzeit nicht sichtbar gelassen wurde, spätere Generationen schätzten die Optik des „bunten“ Steins. Der Nürnberger Burgsandstein ist rötlich und stark changierend. Zum Ersatz der stark beschädigten Partien musste Auswahl nach einem heute noch zugänglichen Sandstein gehalten werden, der allerdings eine ganz andere Färbung hat. Und die vielen mit Sandsteinmörtel ergänzten Flächen sahen nach der Bearbeitung nochmal anders aus. Deshalb wurde der Auftrag einer pigmentierten Kalkschlämme an einigen Probeflächen begutachtet und schließlich übergreifend aufgetragen.

Die dahinterstehende Überlegung ist: Auf den ersten Blick sind die Wände gleichmäßig und strahlen Ruhe aus. Beim genauen Hinsehen entdeckt aber auch der Laie, dass hier etwas passiert sein muss. Alte und neue Steine lassen sich unterscheiden, die Reparaturstellen werden erkennbar – aber eben erst auf den zweiten Blick. Die Katastrophe, die hier passiert ist, drängt sich nicht auf, aber sie wurde auch nicht vergessen gemacht.

Holz

Das zweitwichtigste Material in der St. Martha Kirche ist – wie schon vor dem Brand – das Holz. Decke und Seitenwände sind aus Weißtanne. Das Muster aus diagonalen Bretterschichten an der Decke hat nicht nur einen optischen Effekt, der von manchen als „maurisch“ beschrieben wird. Die Anordnung hat auch statische Gründe: Die Decke ist gleichzeitig die Dachkonstruktion, auf die die Dachbalken quasi nur angelehnt sind. Damit lagert das Gewicht des Dachs viel gleichmäßiger auf den Mauerenden als vorher und die Form hat eben auch eine Funktion. formfollowsfunction

Decke und Dach geben der Kirche aber auch eine neue Dimension. Durch die Vergrößerung der Kirche nach den Seiten im 19. Jahrhundert stimmten die Proportionen der Seitenschiffe zum Hauptschiff nicht mehr. Die drei Meter höhere Decke vergrößert die Kirche zwar nach oben, macht aber dennoch keine Kathedrale aus der ehemaligen Pilgerkirche.

Lehm

Einen Lehmboden innovativ zu nennen, ist eigentlich paradox, handelt es sich doch um eine der ältesten und weltweit immer noch weit verbreiteten Bauweisen. Doch in unseren Breitengraden gibt es außer in alten Kellern kaum mehr Lehmböden. Im Fall der St. Martha Kirche ist die Idee auch zunächst aus der Not geboren worden. Der nachgiebige Untergrund, ein auf Sand gelagerter historischer grober Steinboden und der Wunsch nach dem Einbau einer Fußbodenheizung schienen zunächst ein unlösbares Problem. Jeder andere Fußbodenaufbau hätte zu Rissen oder Brüchen geführt. Gestampfter Lehm dagegen geht Bewegungen mit und ist dennoch fest und beständig. Und sieht noch dazu sehr gut aus: natürlich, zeitlos, lebendig.

Gute Architektur

Der Münchener Architekt Florian Nagler hat es verstanden, die verbliebene Bausubstanz mit dem Chorraum und den historisch wertvollen Glasmalereien mit Neuem zu kombinieren, das aber nicht in erster Linie neu ist, sondern einfach schön. Es ist ein in sich stimmiger Raum entstanden. Das Ergebnis sieht den Plänen und den virtuellen Ansichten aus der Planungsphase erstaunlich ähnlich. Dennoch sind an vielen Stellen Entscheidungen lange diskutiert, ins Detail geplant, manchmal auch wieder umgeplant worden. Und es haben viele gute Ideen von vielen Menschen, die beteiligt waren, zu dem beigetragen, was wir heute erleben dürfen.

So langsam gewöhne auch ich mich daran, die St. Martha Kirche nicht mehr als fertige Baustelle zu sehen, sondern kann den Raum auf mich wirken lassen und ihn spüren. Und es gefällt meiner reformierten Seele, dass sich da nichts aufdrängt oder die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern diese Stimmigkeit dem Geist und den Gedanken Raum gibt. Dass zudem die gute Akustik und eine gut ausgesteuerte Mikrofonanlage das Wort Gottes gut hörbar machen, tut ein Übriges. Die neue Kanzel von Werner Mally gestaltet symbolisiert durch ihre Form – ebenfalls unaufdringlich und erst auf den zweiten Blick – den alten Kanzelspruch der Marthakirche „ Gottes Wort ist ewig“.

Georg Rieger

Eine Mauerpassage mit neuen Steinen, Reparaturen und alten Oberflächen
Decke und Seitenwände sind aus HWeißtannenbrettern
Die Kanzel an der Stufe aus Stampflehm
Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 4

Der Wiederaufbau der St. Martha Kirche war ein Prüfstein für die presbyterial-synodale Organisationsform. Die Kirchengemeinde in Nürnberg war für alles verantwortlich und trotzdem nicht überfordert.
Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 3

Diese Wendung passt auf viele Stationen, die die St. Martha Kirche betreffen. Aber es gibt auch noch andere Ambivalenzen zwischen Zerstörung und Neuanfang.
Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 1

Am 5. Juni 2014 brannte die St. Martha Kirche in Nürnberg – jetzt ist sie fertig und wieder in Gebrauch. Georg Rieger hat den Wiederaufbau im Auftrag der evangelisch-reformierten Gemeinde koordiniert. In fünf Kapitel beschreibt er, wie es geworden ist.