Wo Frieden und Gerechtigkeit sich küssen

Marco Hofheinz im reformiert-info-Gespräch

Interview rund um die Frage: Welchen Pazifismus brauchen wir?

Pünktlich zur Ökumenischen Friedensdekade ist ein neues Buch von dir und Frederike van Oorschot erschienen, ein Sammelband mit Texten zum christlich-theologischen Pazifismus im 20. Jahrhundert. Neben Tolstoj, Ragaz, Sölle u.a. wird auch Barth genannt.
Das überrascht, ist Karl Barth doch bekannt für seinen Brief an den Prager Kollegen Josef Hromádka im September 1938, in dem er auch den militärischen Widerstand gegen Hitlerdeutschland als eine Notwendigkeit sieht, sowie für seinen Vorwurf, der christliche Pazifismus säkularisiere Christus.
Seit wann ist Karl Barth ein Pazifist?

Legt man einen enggeführten Begriff von Pazifismus im Sinne eines prinzipiellen Pazifismus zu Grunde, wäre diese Einordnung Barths in der Tat unzutreffend. Denn Barth kennt in der Tat einen Grenzfall legitimer Gewaltanwendung. Freilich muss man bedenken: Historisch betrachtet, wurde der Pazifismusbegriff in der bürgerlichen Friedensbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts salonfähig und zwar im Sinne eines weiten Pazifismusbegriffs. An diesen knüpfen wir in unserem Band an. Danach ist der Begriff „Pazifismus“ nicht auf den individuellen, unbedingten Gewaltverzicht beschränkt. Er umfasst vielmehr nach der Definition des Historikers und Friedensforschers Karl Holl die Gesamtheit derjenigen Bestrebungen, „die eine Politik friedlicher, gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragung propagieren und den Endzustand einer friedlich organisierten, auf das Recht gegründeten Staaten- und Völkergemeinschaft zum Ziel haben.“ Solche Bestrebungen sind ganz eindeutig auch bei Barth zu finden.

Welcher der pazifistischen Denker inspiriert dich besonders – außer Karl Barth?

Im Grunde genommen die gesamte Bandbriete der in unserem Band vertretenen pazifistischen Positionen. In jüngster Zeit, insbesondere seit der US-Präsidentenwahl in der letzten Woche wird mir aber der legal pacifism immer wichtiger. Er beruht auf der Kantschen Idee eines „Friedens durch Recht“. Die Ideen des legal pacifism führten nach dem Ersten Weltkrieg zum Völkerbund. Das völkerrechtliche Kriegsverhütungsrecht und das humanitäre Kriegsrecht wurden darauf aufgebaut. Das Recht hat demnach schützende Funktion, wie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts betont wurde, und zwar auch und gerade gegenüber nationalstaatlichen Alleingängen. Diese sind insbesondere für die Zukunft zu befürchten. Da ist es umso wichtiger zu betonen: Nein, es gibt ein in Geltung stehendes Völkerrecht. Und die internationale Rechtsordnung als Grundlage des bestehenden Systems einer kooperativ verfassten Weltordnung (freilich ohne Weltregierung!) darf nicht einfach durch einen Unilateralismus umgangen werden. Das gilt für Moskau ebenso wie für Washington wie für alle übrigen „vereinten Nationen“.   

Das friedensethische Denken des 20. Jahrhunderts wurde maßgeblich geprägt durch den Ost-West-Konflikt und das neue vernichtende Potential von atomaren Waffen. Im 21. Jahrhundert werden wir mit einer neuen Art von Kriegsführung konfrontiert, etwa in der „multipolaren Hölle“ des Krieges in Syrien, wo eine Unzahl von Konfliktparteien gegen oder miteinander kämpft bzw. alles zerstört, war ihr im Weg steht, sowie mit dem Einsatz von Drohnen, dem gezielten Töten von Menschen ohne „formale“ Kriegserklärung.
Was bleibt an „alter“ friedensethischer Erkenntnis in der neuen Situation wichtig?

Die grundlegende Erkenntnis, dass der Frieden der „Ernstfall“ ist, wie Barth gesagt hat. Bereits im Frieden will alles dafür getan werden, dass der Friede mehr ist als ein „kalter“ Friede, der die Wurzel eines kommenden Krieges bereits in sich trägt. Die Ausgestaltung des Friedens im Sinne eines „gerechten Friedens“ ist politisch geboten. Davon zeugt bereits die biblische Botschaft. Man denke nur an Jesaja 32,17: „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“. Oder auch Psalm 85,11: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“ Unter anderem im Sinne von Terrorismusprävention hat die hinter der Rede vom „Ernstfall Frieden“ stehende Erkenntnis große Bedeutung gewonnen. Von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon stammt der Satz: „Bomben töten einen Terroristen, aber nur gute Politik beseitigt Terrorismus.“

Und dein „Lieblingszitat“ zum Thema „Krieg und Frieden“ – gerne auch ein Satz in eigenen Worten…

Direkt an die Rede vom “Ernstfall Frieden” anschließend, liebe ich die von Barth geprägte Formel: „Si vis pacem, para pacem“ („Willst du den Frieden, bereite den Frieden vor“). Sie wendet sich gegen die seit der Antike verbreitete „Zauberformel“: „Si vis pacem, para bellum“ („Willst du den Frieden, rüste zum Krieg“). Der Frieden, der dabei anvisiert wurde, war ein „Siegfrieden“, setzte also die Niederlage eines Gegners voraus. Damit wurde aber ein Revanchismus freigesetzt, in einem nächsten Krieg die Niederlage in einen Sieg umzumünzen. Von dieser Kriegstreiberei grenzt sich die neue Formel Barths wegweisend ab.

Literatur:

Hofheinz, Marco / Oorschot, Frederike
Christlich-theologischer Pazifismus im 20. Jahrhundert
Aschendorff Verlag, Nomos Verlag 2016

6 Fragenkaskaden anhand eines Diskussionspapiers des Friedensausschusses der Evangelisch-reformierten Kirche

von Prof. Dr. Marco Hofheinz, Hannover
hrsg. von Marco Hofheinz und Frederike van Oorschot

Studien zur Friedensethik Bd. 56