Zauberwort Beteiligung

Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 4


Ausschnitt aus der Holzdecke, die konstruktiv, optisch und akustisch funktional ist. (Foto: G. Rieger)

Der Wiederaufbau der St. Martha Kirche war ein Prüfstein für die presbyterial-synodale Organisationsform. Die Kirchengemeinde in Nürnberg war für alles verantwortlich und trotzdem nicht überfordert.

Dass die Kirche nach dem Brand am 5. Juni 2014 wiederaufgebaut werden sollte, war sehr schnell klar. Noch am selben Tag gingen die ersten Spenden ein, die öffentliche Aufmerksamkeit und Solidarität war enorm. Und auch wenn die Aufgabe zunächst unlösbar aussah, war die Entscheidung bald gefallen: Wir bauen St. Martha wieder auf.

Wie für die geplante Sanierung war das Presbyterium (der Kirchenvorstand der evangelisch-reformierten Gemeinde) für den Wiederaufbau selbst verantwortlich. Noch am darauffolgenden Abend fand eine Sitzung statt. Ein Krisenstab wurde gebildet, zu dem ich ein paar weitere Tage später dazustoßen durfte – mit dem Auftrag des Presbyteriums, den Wiederaufbau zu koordinieren.

Dem Presbyterium hatte ich selbst 12 Jahre lang angehört und hatte einige Monate an einer wissenschaftlichen Arbeit über die presbyterial-synodale Kirchenordnung gearbeitet. Zunächst sah es nach einer ganz andersartigen Herausforderung aus, sich um eine abgebrannte Kirche zu kümmern. Doch am Ende ist aus einer theoretischen Abhandlung über eine Kirchenordnung ein Praxisbeispiel für Gemeindeorganisation geworden.

Unterstützung hat es natürlich gebraucht und auch gegeben. Die Synode der süddeutschen reformierten Gemeinden war von Anfang an mit eingebunden, auch die Landeskirche in Leer immer wieder kontaktiert. Die Unterstützung aus der Ökumene war ebenso groß. Alleine war die Nürnberger Kirchengemeinde überhaupt nicht. Doch die Entscheidungen fielen ausnahmslos im Presbyterium – und das waren keine einfachen.

Streit war zu erwarten

Bekanntermaßen ist Bauen ein Konfliktfeld enormen Ausmaßes. Im privaten Bereich zerbrechen Ehen daran, in der Öffentlichkeit verteidigen Menschen ihren Geschmack und ihre Vorstellungen. Wie beim Fußball jeder zum Trainer mutiert, gibt es auf fast jeder Baustelle viele Architekten, die zwar nicht beauftragt sind, sich aber berufen fühlen. Mir war bei der bevorstehenden Aufgabe vor allem darum bang, dass die Gemeinde nicht zerbrochen ist, wenn die Kirche wieder steht.

Statt den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, haben wir die Diskussion gesucht. Kaum waren Schutt und Asche weggeräumt, gab es zwei Workshops zum Thema: Was wünschen wir uns von der wiederaufgebauten St. Martha Kirche? In der ersten Runde gab es zu verschiedenen Themen Arbeitsgruppen, in denen alles an Ideen gesammelt wurde. Die Ergebnisse wurden in einem Heft veröffentlicht und an alle Interessierten verteilt.

Diese Ideen wurden in einer zweiten Runde auf konkrete Anliegen fokussiert und in einem Ausschuss zu zehn Leitsätzen formuliert. Allen Beteiligten war zum Abschluss der gemeinsamen Arbeit klar, dass alle weiteren Entscheidungen das Presbyterium zu treffen hat und dass den Architekten auf dieser Grundlage die Entwurfsplanung überlassen werden muss. Die Beteiligung hatte ihren Platz und nun war Vertrauen gefordert.

Zu dem folgenden Wettbewerb – die korrekte Bezeichnung für die gewählte Form ist: Planungsgutachten – wurden auch prominente Architekturbüros eingeladen. Eine Jury aus Fachleuten und Gemeindevertretern hat sich nach einer langen Abwägung von Argumenten einstimmig für den Entwurf des Münchener Architekten Professor Florian Nagler entschieden.

Am Tag nach der Entscheidung sollte dieser seinen Entwurf nach dem Gottesdienst der Gemeinde vorstellen. Die Fachleute hielten das für eine verrückte Idee und befürchteten wohl jene Art von unerquicklicher Diskussion, die bei solchen Themen oft entsteht. Doch die Gemeinde sah ihre Wünsche gut aufgenommen und war beeindruckt, dass Nagler mit Kritik umgehen konnte. So war eine vertrauensvolle Basis für die weiteren Schritte und den gesamten Wiederaufbau geschaffen.

Runde Tische, die eigentlich eckig waren

Die ganze Bauzeit über gab es in regelmäßigen Abständen zu den anstehenden Fragen große Runden mit allen Beteiligten: Bauleitung, Statiker, Fachingenieure, Architekt und Handwerker*innen. Auch die Sachverständigen saßen oft dabei, die die Schadenshöhe für die Versicherung zu begutachten hatten.

Die Gemeinde war durch den Wiederaufbau-Ausschuss vertreten, dessen Mitglieder alle wichtigen Angelegenheiten besprachen, bevor sie dem Presbyterium zur Entscheidung vorgelegt wurden. Zu den Gesprächen im Gemeindesaal hat nicht nur die Gemeinde eingeladen und für reichlich Kaffee und manchmal auch Mittagessen gesorgt, sondern durch die Gesprächsleitung auch für ein um Verständigung bemühtes Gesprächsklima gesorgt.

Auch bei den wöchentlichen Jour fixes mit Bauleitung, Architekt und den jeweiligen Fachleuten zum anstehenden Thema gab es für mich als Vertreter des Bauherrn erstaunlich viel mitzureden. Als Sohn eines Bauingenieurs waren mir manche Themen nicht ganz unbekannt, doch der Reichtum an Details ist faszinierend und die Kompetenzen der Fachleute beeindruckend. Viele handwerkliche Berufe stehen akademischen an Fachwissen und Verantwortung in nichts nach.

Bauen hat viel mit Kommunikation zu tun

Ein doppelter Gewinn waren die regelmäßigen BAUCAFÉs mit Vorträgen zu den Themen, die auf der Baustelle gerade aktuell waren. Die Planenden oder Handwerker/innen, die da ihre Tätigkeiten vorstellen konnten, trafen auf interessierte Gemeindemitglieder und fühlten sich und ihre Arbeit gewürdigt. Und im Gegenzug waren alle Interessierten in der Gemeinde bestens informiert. Natürlich gab es immer auch Raum zum Diskutieren, so dass das Presbyterium Meinungen aus der Gemeinde kennenlernte.

Die St. Martha Kirche in Nürnberg ist nach ihrem Wiederaufbau kommunikativer geworden. Das war die erklärte Absicht und es wird der Gemeinde immer deutlicher bewusst, wie gut das gelungen ist. Wenn es nicht unabhängig voneinander immer wieder von Anderen geäußert würde, würde ich es mich nicht trauen zu behaupten. Es ist der Kirche anzumerken, wie sie entstanden ist.

Georg Rieger

Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 3

Diese Wendung passt auf viele Stationen, die die St. Martha Kirche betreffen. Aber es gibt auch noch andere Ambivalenzen zwischen Zerstörung und Neuanfang.
Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 2

Am 5. Juni 2014 brannte die St. Martha Kirche in Nürnberg – jetzt ist sie fertig und wieder in Gebrauch. Georg Rieger hat den Wiederaufbau im Auftrag der evangelisch-reformierten Gemeinde koordiniert. In fünf Kapitel beschreibt er, wie es geworden ist.
Die Jahre des Wiederaufbaus – ein Rückblick / Teil 1

Am 5. Juni 2014 brannte die St. Martha Kirche in Nürnberg – jetzt ist sie fertig und wieder in Gebrauch. Georg Rieger hat den Wiederaufbau im Auftrag der evangelisch-reformierten Gemeinde koordiniert. In fünf Kapitel beschreibt er, wie es geworden ist.