'Zusammenhalt in Hagen ist beeindruckend'

Westfalen: Präses Annette Kurschus spricht nach der Flutkatastrophe mit Betroffenen und Helfenden


© Christof Wippermann/EKvW

„Es waren erschütternde Eindrücke - und zugleich absolut berührende Geschichten von Hilfsbereitschaft und Solidarität“, sagte Präses Annette Kurschus nach ihrem Besuch im Kirchenkreis Hagen.

Die Spuren der Verwüstung sind nach der Flutkatastrophe allgegenwärtig, auch wenn die Betroffenen gemeinsam mit zahlreichen Helferinnen und Helfern bereits viel Schlamm und Geröll beiseite geräumt haben. In der ältesten Hagener Kirche in Dahl hat das bis 1,2 Meter hoch gestiegene Wasser sogar die Kanzel aus der Verankerung gerissen.

Pfarrerinnen und Pfarrer, Mitglieder von Presbyterien und Feuerwehr berichteten vom unermüdlichen Einsatz der vergangenen Tage. „Der Zusammenhalt in Hagen ist beeindruckend“, so die leitende Geistliche der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW). Sie sprach mit Menschen, die das Ausmaß der Katastrophe immer noch nicht fassen können. „Für die Feuerwehr gibt es nichts Schlimmeres als aufzugeben. In diesem Fall blieb uns nichts anderes übrig, wir konnten nichts mehr machen“, berichtete ein Feuerwehrmann.

In der stark beschädigten Kirche in Dahl ist das Gröbste geschafft: Der Kirchenraum ist entschlammt, die über 300 Jahre alten Holzbänke mit den eingeritzten Familiennamen sind gereinigt und ins Gemeindehaus ausgelagert. Presbyterin Katharina Döring erzählte: „Bundeswehrsoldaten haben die Kirchenbänke mit dem Parkett aus der Kirche getragen. Alte und Kinder reinigten die Bänke, die Starken wurden anderswo gebraucht.“ Die Kirche muss jetzt langsam trocknen, damit das Mauerwerk keinen Schaden nimmt.

Baukirchmeisterin Birgit Stahl erhielt nach dem Unwetter einen Anruf von ihrem Neffen: „Tante Birgit, es sieht ganz grausam aus, erschreck dich nicht.“ Sie steht jetzt vor der Herausforderung, zum zweiten Mal eine Komplettsanierung des Gebäudes zu organisieren und zu finanzieren. Am 1. November 2020 war die Kirche, deren Ursprünge bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, nach langer Bauzeit mit einem Gottesdienst wiedereröffnet worden. „Alles, was gerade restauriert worden ist, ist weggeschwemmt“, sagte Restaurator und Kunsthistoriker Christoph Hellbrügge. Pfarrerin Katrin Hirschberg-Sonnemann berichtete: „Nur die Osterkerze am Altar stand noch. Das war ein Zeichen für uns.“ Die Gemeinde sei fest entschlossen, die Kirche wiederaufzubauen.

Viele Schäden an Gebäuden lassen sich beheben. Der Schock, zuhause nicht mehr sicher zu sein, sitzt tief, wie Betroffene der Präses berichteten. Innerhalb kürzester Zeit hatte das Unwetter Straßen in reißende Flüsse verwandelt. Ein Großteil der städtischen Einrichtungen, darunter das Rathaus, ist wegen der Hochwasserschäden zurzeit geschlossen. Sarah Halverscheid und ihr Mann Dirk betreiben in Dahl Landwirtschaft auf einem historischen Hof an der Volme. „Um 3 Uhr waren wir noch zuversichtlich, mein Mann wollte noch eine größere Pumpe besorgen. Um 5 Uhr hat die Feuerwehr gesagt, dass nichts mehr geht“, erzählte sie von der Unwetternacht. „Wir leben an der Volme und sind es gewohnt, dass es Hochwasser gibt. Dinge werden aufs Fensterbrett oder einfach hochgestellt. Das hat aber nichts geholfen, weil das Wasser 1,30 Meter hoch war.“ Jetzt ist sie froh, dass zumindest die Kinderzimmer in Ordnung sind, Küche und Wohnzimmer im Erdgeschoss sind unbrauchbar.

Andere Betroffene haben erst vor drei Wochen ihr Haus an der Volme bezogen. Bei ihnen stand das Wasser 1,80 Meter hoch. „Wir haben, nachdem wir selbst gut aus dem Haus gekommen sind, älteren Menschen geholfen. Eine Dame reinigte ihre Teller, stand aber selbst noch im Wasser“, schilderten sie eine Szene, die sie dabei erlebt haben.

Nach dem Besuch in Dahl ging es weiter zur Lukaskirche der evangelischen Lydia-Kirchengemeinde, wo Pfarrer Thorsten Maruschke über die Situation im Stadtteil Eckesey berichtete. Auch im überfluteten Keller der Lukaskirche sind die Aufräumarbeiten noch nicht beendet. „Mittlerweile ist das Wasser wieder abgelaufen, aber alles, was im Keller gelagert war, ist jetzt Sperrmüll“, so die erste Bilanz. Die Gemeinde hat zudem eine Ausgabestelle für heiße Geflügelwürstchen, Kaffee und Tee zur Stärkung für die Helferinnen und Helfer organisiert. Die Kirche ist geöffnet, um eine Kerze anzuzünden, für ein Gebet oder ein kurzes Innehalten.

„Die Bilder von den Schutt- und Müllbergen an den Straßen der Stadt gehen unter die Haut; die Geschichten, die Betroffene und Helfende mir erzählten, werde ich so schnell nicht vergessen. Es sind Bilder und Geschichten des Schreckens – und es sind zugleich tief berührende Beispiele von Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt. Die Menschen bleiben nicht bei ihrer Verzweiflung stehen, sie fassen Mut und packen tatkräftig an. Und dabei spielen die Kirchengemeinden eine unverzichtbare Rolle: Mit Trost und Begleitung, mit Rat und Tat, mit Andacht und Gebet“, betonte Präses Annette Kurschus.


Quelle: EKvW