Zwischen Einrosten und Ausrasten: Loswandern! - Meditation zur Jahreslosung 2013:

Auf Pilgerreise mit Hebräer 13,14: ''Wir haben hier keine bleibende Stadt ...''

von Barbara Schenck

Wir haben hier keine bleibende Stadt ...

"Ich bin dann mal weg!" Bleibe ade! Draußen vor dem Tor fängt die Freiheit an. Hinaus, hinaus. Es kribbelt mir in den Füßen. Vier Wochen muss ich mich noch gedulden bis zur nächsten Wandertour. Zeit, die Sehnsucht zu nähren nach neuen Wegen, Städten, Landschaften, Begegnungen, Gesprächen mit meiner Pilger-Freundin.

"Wir haben hier keine bleibende Stadt ...", "Gäste und Fremdlinge auf Erden" sind wir, sehnen uns nach der himmlischen Heimat (Hebr 11,13.16). In meinen Ohren klingt so der "Startpunkt christlichen Pilgerns" (1). Unter der Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde zu leben, das heißt auch, sich nicht abzufinden mit allem, was da ist, und immer noch etwas - von Gott - zu erwarten. Unruhig das Herz der Glaubenden. Verheißungsvoll das Zukünftige. Beim Aufbruch zum Freizeit-Pilgern laufen wenigstens schon einmal die Füße, auch wenn später kein neuer Exodus im home, sweet home folgt.

Ob es der antiken Gemeinde der "Hebräer" wohl auch so ergangen ist, als sie die Verse las, den Brief als Predigt hörte? Spürten "die Hebräer" das Kribbeln in ihren Füßen, unruhig, auf Absprung Neues zu entdecken?
Wohl kaum, muss ich erfahren: Ihre Hände waren müde, ihre Knie wankten. Zu sicheren Schritten ermahnt die Predigt sie (Hebr 12,12f.), stößt aber auf harthörige Ohren und träge Gemüter (Hebr 6,12). Zweifel hat sich breit gemacht: Die Gemeinde wankt (Hebr 10,23), steht in akuter Gefahr, auch den letzten Rest an Vertrauen wegzuwerfen (Hebr 10,35). Der Zusammenhalt bröckelt. Einige verlassen die Versammlungen (Hebr 10,25). Die Gemeinde ist müde, mag das "Bekenntnis der Hoffnung" (Hebr 10,23) nicht mehr sprechen, umso lauter tönt die Resignation: Er kommt ja doch nicht, der Tag des Herrn. Zu lange schon haben wir gewartet. Der Messis Jesus kommt nicht wieder. Sein Werk bleibt unvollendet, die Welt unerlöst ...

Glaubensburnout in einer antiken Gemeinde. Und obendrein noch handfestes Elend: Schmähungen, Gefangenschaft, Raubüberfälle (Hebr 10,33f.). Da mag es tröstlich sein zu hören: "Wir haben hier keine bleibende Stadt ..." Jenseits dieses Elends wartet noch etwas andres auf uns.

Vor dem Trost zurück ins Elend. Zurück zum Glaubensburnout und ins 21. Jahrhundert: Den Frust, dass der hoffnungsvoll erwartete Messias Jesus auch nach rund 2000 Jahren noch nicht wiedergekommen ist, den haben wir längst hinter uns gelassen. Jede Zeit hat ihre eigene Depression, ihr eigenes Burnout, ihre eigene Glaubenskrise. Zwei Varianten fallen mir zur Zeit ein: "Zukunftskrise" und "Sinnkrise". Es scheint nicht an der Zeit zu sein, große Hoffnung auf die Zukunft zu setzen - und um nicht noch einmal ausgiebig an Klimakatastrophe und Disaster der Wirtschaftssysteme zu erinnern, an dieser Stelle eine Variante aus dem kleinen privaten Reich: Die Ankunft einer frisch gebackenen Rentnerin in der Seniorenresidenz - erzählt im Roman von Anita Augustin:
"Du sagst. Ich war früher immer eher unglücklich und würde jetzt lieber glücklich sein, wenn sich das machen lässt. Keine Reaktion. Dann fragen sie dich, ob du noch alleine aufs Klo gehen kannst, wie dein Waschwasser temperiert sein soll und ob du für deine Bestattung vorgesorgt hast. So viel zum Thema Zukunft." (2)

Und einmal abgesehen von der Zukunft: Welchen Sinn hat das Leben hier und jetzt?

"Das Leben hat keinen Sinn, außer dem, den wir ihm geben", singt die Gruppe Culcha Candela. Ihre Zeitanalyse: "Alle rennen, alle machen, keiner weiß warum (...) mal macht es Sinn, dann wieder nicht (...) Einer rostet ein, einer rastet aus" (3).

Zwischen Einrosten und Ausrasten höre ich die Jahreslosung 2013 als Tipp fürs bessere Leben: Mach' dich auf den Weg, wandere los! Pilgern gegen Glaubensburnout, das ist: Aufbruch, die gewohnten Rollen verlassen, "sich selbst fremd gehen". Noch einmal mit dem Anfang anfangen: den Garten Eden verlassen, von Schuld gezeichnet durchs Land streichen wie Kain, aus der ägyptischen Knechtschaft befreit mit Israel ins gelobte Land ziehen, nach Jerusalem wallfahren wie Jesus - und, ja auch das: mit dem Auszug aus dem gemütlichen Lager vor den Toren der Stadt die Schmach des Kreuzes auf sich zu nehmen (Hebr 13,13).

Den Pilgernden, die die bewährten Strukturen und die gewohnten Rollen verlassen, gibt der Hebräerbrief ein Vademecum. Ihnen ist gesagt, was sie auf ihrem Weg zu tun und zu lassen haben:

"Gutes zu tun und mit andern zu teilen" (Hebr 13,16), nicht geldgierig zu sein, sich an dem zu genügen, was da ist (Hebr 13,5).
Noch eine Aufgabe - Wo bleibt der Trost?
So genügsam zu leben, das macht zufrieden, sagt der Hebräerbrief: "Unser Trost ist, dass wir ein gutes Gewissen haben" (Hebr 13,18).

... sondern die zukünftige suchen wir

Zu dem guten Gewissen hier und jetzt gesellt sich die zukünftige Stadt. Wie wird sie aussehen? Glänzend wie das goldene Jerusalem? Fruchtig-süß wie das Land, in dem Milch und Honig fließen? Friedvoll-sanft wie der Ort, wo Wölfe und Lämmer beieinander wohnen?
Die bewährten Metaphern lässt der Brief hinter sich. Er spricht schlicht von einer "besseren und bleibenden Habe" (Hebr 10,34). Eine bessere Heimat ist den Glaubenden versprochen. Sie sollen zu Gottes Ruhe kommen (Hebr 4,1). Die Ruhe Gottes am siebten Schöpfungstag, dem Schabbat, die werden auch die Glaubenden genießen.
Ruhe, das wissen wir auch aus unserer menschlichen Erfahrung: Ruhe ist ein Geschenk. Auch nach der schnellsten Lauferei, dem kraftvollsten Abstrampeln, der größten Plackerei am Arbeitsplatz muss sie sich nicht einstellen. Ruhe ist ein Geschenk. Ein zerbrechliches, schnell zerstört durch Klingelton oder Wutgebrüll.

Aber "wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen" (Hebr 4,10). Das ist die Ruhe, die sich einstellt nach dem Blick auf das Geschaffene:
"Siehe, es war sehr gut."

Bescheiden klingt nach dieser Verheißung das weltliche Versprechen des Pilgerns:
"Man kommt nie zu Hause an, wenn man sich nicht davon entfernt" (4).

(1) Linau, Detlef, Sich fremd gehen. Warum Menschen pilgern, Ostfildern 2009, 171.

(2) Augustin, Anita, Der Zwerg reinigt den Kittel, Berlin 2012, 8.

(3) Zitate aus dem Lied "Morgen fliegen" der Gruppe Culcha Candela. Der gesamte Text auf: http://www.songtextemania.com/morgen_fliegen_songtext_culcha_candela.html

(4) Hape Kerkeling im Vorwort zu: Losgehen , um anzukommen. Die Faszination des Pilgerns, hg. von Bettina Feldweg, München, Zürich 2009 (2008), 14.

 


Barbara Schenck, September 2012