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Was Lukas noch erzählt
Predigt zu Lukas 2, 21-40 / Galater 4,4

Die Weihnachtsgeschichte ist ein Bestseller. Vielleicht sogar der bekannteste auf der Welt. Und ihr Autor ist ein begnadeter Schriftsteller. Begnadet im vollen Umfang des Wortes. Aber er teilt mit Shakespeare und Goethe das Schicksal, den meisten nur durch Ausschnitte oder Zitate bekannt zu sein. Dabei kann er genial erzählen. Ganz anders als sein Kollege Paulus. Der entwirft hohe Gedankengebäude. Entsprechend knapp fällt sein Weihnachtstext aus:
4Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan. (Galater 4)
Jesus, von einer Frau geboren. Einer wie wir alle. Nicht aus dem Kopf des Zeus entsprungen oder aus einem Riesenei geschlüpft wie griechische Götterkinder. Jesus, von einer Frau geboren. Einer wie wir alle. Wahrer Mensch. Nicht ort-und zeitlos abgehoben Wirklicher Mensch. Aufgewachsen in Galiläa. Erzogen nach den Normen der Thora. Unter das Gesetz – die Regeln der judäischen Tradition – getan.
Wunderbare Weihnachtsgeschichten – falls es die Mitte des 1. Jahrhunderts schon gab – interessieren den Apostel nicht. Keine Engel. Und kein Stern über Behlehem. Geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan … Mehr braucht der Apostel nicht, um eine komplizierte Folge von Gedanken zu entwerfen. Mit denen kann man freilich keine Krippen bauen. Keine Weihnachtstücke spielen. Keine Weihnachtslieder dichten. Dafür braucht man den großen Theatraliker Lukas.
Leider nehmen wir uns normalerweise nicht die Zeit, alle Akte seines Drama zu beachten. Da muss dann schon ein Sonntag zwischen Heiligabend und Silvester fallen. Schön, dass Sie da sind. In vielen Gemeinden fällt der heutige Gottesdienst aus.
Nehmen wir uns also den ganzen Lukas vor: Jesu Namengebung. Jesu Beschneidung. Marias Reinigung. Jesu Weihe an Gott. In den Krippen der katholischen Kirchen werden auch diese Ereignisse nachgebaut. Bis Mariae Lichtmess am 2. Februar.
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Szene Jesu Name
Auch wenn es am heutigen Sonntag erst 5 und nicht 8 Tage nach Jesu Geburt ist. 8 Tage nach der Geburt: Das ist ein wichtiger Termin für einen Knaben, der unter das Gesetz getan ist. Lukas schreibt:
21Und als acht Tage vorüber waren und er beschnitten werden sollte, da wurde ihm der Name Jesus: gegeben, der von dem Engel genannt worden war, bevor er im Mutterleib empfangen wurde.
Lukas erinnert mit dieser Szene an den Anfang seines Weihnachtsdramas: die Verkündigung durch den Engel und den Auftrag an Maria: du sollst ihm den Namen Jesus geben. Jesus – Jehoschua – Gott hilft. Der Name war weit verbreitet. Aber Lukas spinnt darum herum ein Netz von biblischen Bezügen, mit denen er zurück- und vorausweisen will. Zurück in die alten Messias-Visionen. Und Voraus auf die Deutungen Jesu als Christus und Sohn Gottes. Aus dem Munde des Verkündigungsengels erhielt Maria den Auftrag:
du sollst ihm den Namen Jesus geben. 32Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben, 33und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.
Hosianna, Davids Sohn …
Lied 13 Strophe 3
Hosianna, Davids Sohn / Sei gegrüßet König mild!
Ewig steht dein Friedensthron,
du des ewgen Vaters Kind!
Hosianna, Davids Sohn, Sei gegrüßet König mild!
Auch Matthäus erzählt von Jesu Namen bereits vor seiner Geburt. Bei ihm erscheint der Verkündigungsengel dem Josef.
Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria … wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von ihren Sünden retten.
Und der Evangelist kommentiert:
22Dies alles ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: 23Siehe, eine junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben. Das heißt: ‹Gott mit uns›.
GOTT HILFT GOTT MIT UNS Jesus Immanuel
Lied 542 Strophe 1 und 3
Wir singen dir, Immanuel,
du Lebensfürst und Gnadenquell,
du Himmelsblum und Morgenstern,
du Jungfraunsohn, Herr aller Herrn.
Von Anfang, da die Welt gemacht,
hat so manch Herz nach dir gewacht,
dich hat gehofft so manche Jahr
der Väter und Propheten Schar
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Szene Jesu Beschneidung
Paulus, Matthäus und Lukas – allen dreien ist die Verankerung in der Tradition ganz wichtig. Sie sind Juden, die in die Nachfolge Jesu getreten sind. Sie verleugnen ihre Herkunft nicht. Und nicht die Herkunft Jesu: unter das Gesetz getan. Dabei wird es nicht lange dauern und die ersten dann schon Christen Genannten werden sich von diesen Wurzeln abwenden. Es entbrennt Anfang des 2. Jahrhunderts ein heftiger Streit, ob denn die hebräische Bibel überhaupt zu den Heiligen Schriften zu zählen sei. Und die Abgrenzung vom Judentum nimmt danach immer harschere und gewalttätigere Formen an. Bis hin zu Arisierung Jesu im Antisemitismus. Zwar hat sich die antike Kirche nicht vom Alten Testament entfernt. Aber sie hat es den Juden enteignet. Da wurden die alten messianischen Hoffnungstexte ausschließlich als prophetische Vorverweise auf Jesus gedeutet. Und auch wir singen ziemlich gedankenlos – wie ich meine – von der Tochter Zion, als ob da von uns die Rede wäre. Jakobs Haus, das Volk Gottes – das sind jetzt wir. Nur noch wir.
Und hat nicht auch Paulus …
Ja, ich habe seinen Satz über die Beschneidung Jesu nur halb zitiert. Vollständig lautet er: Jesus wurde von Gott unter das Gesetz getan, 5damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Ein echter Paulussatz: in sich paradox. Jesus hat das Gesetz erfüllt, damit er vom Gesetz befreien wird. Das Abrahams-Ritual der Beschneidung war und ist ein äußeres Zeichen für die Ver-bund-enheit mit Gott. Aber Jesus verkündet nicht das Ende dieses Bundes, sondern die Erweiterung auf alle Menschen, wie dies vorher schon im Buch Jesaja zu lesen ist. Erlösung / Befreiung für die Kinder Gottes. Juden und Nichtjuden. Männer und Frauen. Auf der ganzen Welt. Das Gesetz erfüllen und es dabei verwandeln. Welch ein Grund zur Freude!
Lied 66 Strophe 1
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude;
A und O, Anfang und Ende steht da.
Gottheit und Menschheit vereinen sich beide;
Schöpfer, wie kommst du den Menschen so nah!
Himmel und Erde, erzählet’s den Heiden:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freuden.
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Szene Marias Reinigung
Eher beiläufig erwähnt Lukas das:
22Und als für Maria die Tage der Reinigung, die das Gesetz des Mose vorschreibt, vorüber waren
Die weiblichen Blutungen. Ein Tabu. Noch heute dürfen Musliminnen nicht in die Moschee kommen, wenn sie ihre Tage haben. Und das befremdet uns: religiöse Rituale, gebunden an den Körper. Beschneidung des Penis. Reinigung der Vagina. Ganz fürchterlich: die Genitalverstümmelungen von afrikanischen Frauen. In der Frühzeit der Menschheitsgeschichte entstanden solche sakralen Handlungen unter dem Eindruck des Rätsels der Fortpflanzung. Und Maria erfüllt die Regeln und steigt in sicher wohltuende Bad – 40 Tage nach der Niederkunft. Dazu wird die vorgeschriebene Tempelgabe gespendet, allerdings nach der Regel für arme Leute. Kein Lamm, wie es für Wohlhabende Pflicht war, sondern zwei Tauben. Lukas führt so weiter, was er in der Krippenerzählung begonnen hat – Jesus ist das Kind armer Leute.
LIED 27 Strophe 2
Er kommt aus seines Vaters Schoß
und wird ein Kindlein klein,
er liegt dort elend, nackt und bloß
in einem Krippelein.
Bleiben wir mit Lukas noch bei Maria. Im Tempel trifft sie auf einen frommen alten Mann, Simeon, der sofort erkennt, welche heilige Familie da vor ihm steht.
34Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, … Dieser hier ist dazu bestimmt, viele in Israel zu Fall zu bringen und viele aufzurichten, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, 35damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden - ja, auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen.
In prophetischer Rede blickt Simeon auf das zukünftige Wirken Jesu: ein Zeichen, dem widersprochen wird, an dem sich die Geister scheiden werden. Und ein Kind, um das Maria trauern wird. Sie kennen vielleicht Gretchens Gebet vor dem Altar der mater dolorosa aus Goethes Faust. „Ach neige du Schmerzensreiche dein Antlitz gnädig meiner Not! Das Schwert im Herzen in tausend Schmerzen blickst auf zu deines Sohnes Tod.“ Die schmerzensreiche Maria … Lukas richtet mit diesem kleinen Einschub die Perspektive von Weihnachten auf Karfreitag.
LIED 30 Strophe 2 und 3
Das Blümlein, das ich meine, davon Jesaja sagt,
hat uns gebracht alleine Marie, die reine Magd;
aus Gottes ewgem Rat hat sie ein Kind geboren,
welches uns selig macht.
Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß.
Mit seinem hellen Scheine vertreibt‘s die Finsternis.
Wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide,
rettet von Sünd und Tod.
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Szene Jesu Darbringung im Tempel
Archaisch muten uns die Rituale der Beschneidung und des Reinigungsbades an. Aber es geht noch urzeitlicher. Wir wissen aus alten Mythen und aus der Archäologie, dass es in der Frühzeit Menschenopfer gab. Überall auf der Welt. In der Bibel lesen wir die Geschichte von Abraham and Isaak. Sie spiegelt diese Frühzeit. Und überwindet sie zugleich. Im letzten Moment sendet Gott einen Widder, der das Erstlingsopfer ersetzt. Das Ritual der Darbringung im Tempel erinnert auch daran – und natürlich an das Passahfest.
sie brachten den Knaben nach Jerusalem hinauf, um ihn dem Herrn zu weihen, 23wie es im Gesetz des Herrn geschrieben steht.
Von einem Ersatzopfer, wie es am Tempel üblich war, erzählt Lukas nicht. Vielleicht will er andeuten, dass Jesus, der später immer wieder von Gott als seinem Vater sprechen wird, keiner Weihe an Gott bedarf.
Und ich muss an das wunderbare Buch des Atheisten Saramago denken, mit dem Titel Das Evangelium nach Jesus Christus. Sein Jesus bekommt in Jerusalem ein kleines Lamm geschenkt, damit er es am Passahfest am Tempel schlachten lassen kann, wie es Gesetz ist. Und was tut er? Er trägt es auf seinen Schultern wie ein guter Hirte und entlässt es letztendlich in die Freiheit. Ende aller Opfer.
Das Gesetz erfüllen und es dabei verwandeln. Alle Religionen müssen diesen Weg gehen, wenn sie im Wechsel der Zeiten wahrhaftig und glaubwürdig bleiben wollen. In der Taufe reichen ein paar Tropfen als Zeichen, dass wir in Gottes Augen rein sind. Liberale jüdische Gemeinden erkennen an, dass Frauen wie Männer teilhaben am Gottesbund und ordinieren Rabbinerinnen. Die meisten Muslime schlachten am Opferfest keine Lämmer mehr, sondern spenden großzügig für die Bedürftigen. Das Gesetz erfüllen und es dabei verwandeln.
LIED 449 Strophe 3
Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen Güter und Gaben.
Was wir nur haben, alles sei Gotte zum Opfer gesetzt.
Die besten Güter sind unsre Gemüter.
Dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.
Schlussszene
Von einer Frau geboren und unter das Gesetz getan – wir haben Jesus begleitet auf seinem Weg ins Leben. Wirklicher Mensch und erzogen nach den Normen der Thora. Dass beides sein Leben ausmacht, hat uns Lukas erzählt. Aber auch Paulus wird zum Poeten, wenn er davon spricht. Hören Sie sich seinen Weihnachtssatz auf Griechisch an
γενόμενον ἐκ γυναικός, γενόμενον ὑπὸ νόμον
Gynä – die Frau, nomos – das Gesetz. Und für beides am Anfang das gleiche Verb: genómenon – geboren / entstanden. Man kann das im Deutschen nicht wörtlich wiedergeben. Zweifach geboren: von einer Frau und in die Tradition hinein. Und ganz folgerichtig wird uns Lukas nach der Weihnachtsgeschichte den 12Jährigen im Tempel wiederfinden lassen – heftig diskutierend unter den Schriftgelehrten: 32ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis [s]eines Volkes Israel. Maria muss ihn da gehen lassen.
Zuvor aber beschließt der Evangelist seine Weihnachtsgeschichte mit Lobgesängen. Sie sind komponiert aus vertrauten Worten der hebräischen Bibel. Damit führen sie zurück in die Tradition. Aber sie greifen aus den alten Texten die Hoffnung auf von der Erleuchtung der Heiden. Damit weisen sie voraus auf die Apostelgeschichte des Lukas und die Verkündigung des Evangeliums in aller Welt.
Lied 42 Strophe 2 und 3
Die Völker haben dein geharrt, bis dass die Zeit erfüllet ward;
Da sandte Gott von seinem Thron das Heil der Welt,
dich, deinen Sohn.
Wenn ich dies Wunder fassen will, so steht mein Geist
vor Ehrfurcht still. Er betet an und er ermisst,
dass Gottes Lieb unendlich ist.
26Simeon war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
29Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, 32ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.
33Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. …
36Und es war eine Prophetin, Hanna, … Sie war hochbetagt. … Die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
39Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.
40Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade lag auf ihm.
AMEN
Gudrun Kuhn