Südafrika: Calvin-Studium, Aids, Gewalt in den Townships und Estates für die Reichen, Kirchengemeinden der URCSA vor neuen Herausforderungen

Stefanie Rieke-Kochsiek berichtet aus Pretoria

Die Südafrikabeauftragte der Lippischen Landeskirche, Stefanie Rieke-Kochsiek, ist seit September als Pfarrerin in der Gemeinde Melodi-ya-Tshwane tätig und lehrt am Northern Theological Seminary in Pretoria. Mit ihrem Ehemann, dem Arzt Dr. Uli Kochsiek, und ihren beiden Kinder Marius und Onalenna wird sie drei Jahre lang in Südafrika leben und arbeiten. Für reformiert-info berichtet Stefanie Rieke-Kochsiek von ihren ersten Eindrücken aus der Hauptstadt Südafrikas.

Stefanie Rieke-Kochsiek schreibt:

Seit September sind wir nun in Südafrika, wir sind froh, dass es nach langem Hin und Her mit den Behörden geklappt hat!

Wie es zu diesem Aufenthalt kam
Seit wir 1996/97 in Südafrika waren (mein Mann im Rahmen des Praktischen Jahres, ich als Auslandsvikarin in Alexandra bei Dr. Sam Buti und Beyers Naudé), haben wir überlegt, dass wir, wenn wir in unseren Berufen ausgebildet sind, gern noch einmal für eine etwas längere Zeit, etwa drei Jahre, hier leben und tätig sein möchten. Unsere Berufe schienen dafür gut geeignet. Ärzte werden in Südafrika aufgrund der HIV/Aids-Krise dringend benötigt, und ich wollte als Pastorin in unserer Partnerkirche arbeiten, was ja im Rahmen der Partnerschaftsvereinbarungen auch vorgesehen ist.
Die Leiter der Kirchen, Dr. Martin Dutzmann und Prof. Dr. Thias Kgatla, haben diese Idee auch sofort aufgenommen und unterstützt, die Landeskirche, indem sie mich mit einem halben Gehalt hier beschäftigt, die Partnerkirche vor allem mit organisatorischer und logistischer Hilfe.
Es wurde angedacht, dass ich nicht nur in einer einzelnen Gemeinde, sondern auch übergemeindlich tätig sein sollte, zum Beispiel am theologischen Seminar, dem Northern Theological Seminary in Pretoria. Pretoria erschien als Wohnort auch günstig wegen der Nähe zu einer deutschen Schule, die unsere beiden Kinder, Marius (11 Jahre) und die im Alter von fünf Monaten aus Südafrika adoptierte Onalenna (5 Jahre), besuchen können. Außerdem sind von Pretoria aus die beiden Gemeinden mit Partnerschaften in Lippe, Alexandra und Orlando, gut zu erreichen.
Für meinen Mann stellte sich der Weg der behördlichen Genehmigungen als schwieriger heraus als erwartet; da ich eine Arbeitserlaubnis bekommen hatte, konnte er aber als begleitender Ehemann mit ausreisen.

Die erste Zeit und das Leben hier als Familie
Als wir am Sonntagmorgen, den 20. September ankamen, holte Prof. Klippies Kritzinger, einer meiner Kollegen am Seminar und in der Gemeinde, ab und wir fuhren direkt zum Gottesdienst in die Melodi-ya-Tshwane Gemeinde, wo wir herzlich begrüßt wurden. Die bewegten und bewegenden Lieder sind uns aus Alexandra zum Teil vertraut, die Gemeinde macht einen offenen, lebendigen Eindruck, der Gottesdienst ist gut besucht und wird von vielen mitgestaltet. Klippies Kritzinger und seine Frau Alta luden uns nach dem Gottesdienst zum Mittagessen ein und fuhren uns dann zu einem kleinen, möblierten Haus, das die URCSA uns für die ersten drei Monate angemietet hat. So konnten wir uns vor Ort ein Haus suchen, während wir auf unsere Möbel warteten.
Meine Kollegen haben uns zunächst Zeit zum Eingewöhnen gegeben: so konnten wir einiges erledigen (Anmelden bei der Botschaft, Autokauf, Internetanschluss, Konto eröffnen und was dergleichen mehr ist), die Umgebung kennen lernen und mit den Kindern, während sie noch Ferien hatten, Ausflüge machen, z.B. in nahe gelegene Naturschutzgebiete und Tierparks. Auch Alta Kritzinger und Kornelia Schauf, Pastorin aus Lippe, die mit ihrem Mann, dem südafrikanischen Pfarrer Kees Appelo, seit Jahren hier lebt, haben uns beim Erkunden der neuen Umgebung begleitet und immer wieder ihre Hilfe im Alltag angeboten.

Seit dem 7. Oktober gehen die Kinder zur Deutschen Schule Pretoria, die auf uns einen guten Eindruck macht. Sie ist „buntgemischt“, da sie zu 70% von Südafrikanern besucht wird - zum ersten Mal also eine Umgebung, in der keines unserer Kinder durch die Hautfarbe auffällt! Beide Kinder haben schon Freundschaften geknüpft.
Unser Eindruck ist allerdings auch, dass viele Deutsche an der Schule hier ein sehr „deutsches“ Leben führen, die Kontakte vor allem untereinander pflegen und einen relativ hohen Lebensstandard haben. Wir sind darum froh, dass wir alle an die Gemeinde angebunden sind: mein Mann und ich singen im Chor, das macht viel Spaß und eröffnet Kontakte, und die Kinder gehen sonntags während des Gottesdienstes zur „Sunday school“, wo sie sich tapfer schlagen, was die Verständigung betrifft.

Unsere beruflichen Aufgaben
Meine Aufgaben sind vielschichtig: Zum einen ist da die Mitarbeit in Melodi-ya-Tshwane im Bereich Gottesdienst, Arbeit mit Gruppen und Seelsorge. Hier kann ich mit dem herzlichen und kompetenten Pfarrer Jacob Nthakhe zusammenarbeiten. Nthakhe ist als Pfarrer der Hauptverantwortliche in der Gemeinde, Klippies Kritzinger kann neben seiner Professorenstelle nur Teilzeit in der Gemeinde arbeiten.
Zum Zweiten werde ich ab Januar am theologischen Seminar mitwirken. Bis jetzt habe ich dort Kontakte geknüpft, zum Beispiel, indem ich gelegentlich die Abendgebete der Studierenden besuche, mit ihnen auf Anfrage hin Calvin durchgesprochen und an einer Abschlussfeier sowie einer sehr interessanten Planungskonferenz fürs nächste Jahr teilgenommen habe.
Das Theologiestudium findet hier im Norden vor allem an der UNISA, einer Fernuniversität statt, nur in den letzten zwei Jahren an der University of Pretoria. Die URCSA bietet außerdem für ihre Studierenden sogenannte „In-house-courses“ an in den Bereichen Predigt, Liturgie, Bekenntnisse, Seelsorge, Kirchenrecht und Verwaltung. Bei der Durchführung dieser Kurse und in der Kontaktpflege zu den vielen Teilzeitstudenten/innen wird voraussichtlich auch meine Tätigkeit liegen, wie genau, besprechen wir noch.
Ein dritter Bereich meiner Arbeit sind Besuche in anderen Gemeinden zu Gottesdiensten, Bibelarbeiten, Workshops. Bis jetzt war ich einige Male in Alexandra, zumal im Oktober eine Delegation aus Lippe dort zu Besuch war (eine sehr gelungene Begegnung von Jugendlichen!). Außerdem werde ich dieses Jahr noch nach Mabopane fahren (ein Township im Norden Pretorias), zur Gemeinde von Orlando, die ihre zehnjährige Gemeindepartnerschaft mit Heiden (Detmold) feiert und wahrscheinlich nach Polokwane, zur Gemeinde von Thias Kgatla.

Da ich die Südafrikabeauftragte der Lippischen Landeskirche bleibe (in Lippe werden die anfallenden Aufgaben nun von Sabine Hartmann, Referentin für ökumenisches Lernen, weitergeführt), bin ich hier auch weiterhin Ansprechperson für den Kontakt zwischen der URCSA und Lippe, werde regelmäßige Berichte senden und von hier aus die Partnerschaft auf verschiedenen Ebenen weiter begleiten.

Mein Mann konnte inzwischen verschiedene Kontakte knüpfen und an einer interessanten Fortbildung im Bereich HIV/Aids Therapien teilnehmen. Eine kleine NGO-clinic direkt neben der Kirche würde ihn gern anstellen, und wir hoffen, dass er dort bald anfangen kann. Durch eine Organisation (AHP = Africa Health Placement), die speziell ausländischen Ärzten hilft mit der Zulassung, ist er jedenfalls schon ein Stück weiter gekommen. Vermutlich wird er keine ganze Stelle haben und möchte das nutzen, um sich ebenfalls gemeindlich einzubringen, z.B. auch im Rahmen von Workshops zum Thema HIV/Aids.

Einige Eindrücke vom Land und der Situation der URCSA
Da wir erst zwei Monate hier sind, möchte ich mich nur vorsichtig äußern: im Vergleich zu der Situation vor zwölf Jahren erscheint uns das Miteinander der verschiedenen Kulturen und Hautfarben als sehr viel selbstverständlicher. Im städtischen Bereich hat sich da wohl auch viel getan, allerdings soll es auf dem Land ganz anders sein.

Bedrückend ist nach wie vor die große Spanne zwischen arm und reich. Die Gegensätze prallen hart und ständig sichtbar aufeinander. Auch der Präsident Jacob Zuma, der nach der neoliberalen Wirtschaftspolitik Mbekis mit dem Ziel antrat, die Armutsbekämpfung wieder an die erste Stelle zu setzen, konnte daran noch nicht viel ändern. Durch die eher noch wachsende Ungleichheit kommt es auch immer wieder zu Unruhen und Protesten in den Townships, die zum Teil nur mit Polizeigewalt beantwortet werden.

Auch die Kriminalität in den Städten ist nach wie vor ein großes Problem. Die Zeitungen sind voll mit negativen Schlagzeilen, dazu kommen ständig persönliche Geschichten aus der Gemeinde, der Schule, dem Bekanntenkreis. Die Polizei ist überfordert, dadurch gibt es viele private Sicherungsorganisationen. Der Trend der Wohlhabenden, sich in sogenannten Estates anzusiedeln (Wohnanlagen mit starken Kontrollen, die trotzdem oft nicht die erhoffte Sicherheit bieten), steigt. Es gibt auch die gegenläufige Bewegung, die versucht, Wohnanlagen und öffentliche Gebäude wieder offener zu gestalten: Das Goethe-Institut in Johannesburg hat zum Beispiel im Rahmen der Erinnerung an „20 Jahre Mauerfall“ eine interessante Parallele gezogen und hat am 9. November die Außenmauer ihres Geländes eingerissen, um sie zukünftig durch Zäune zu ersetzen, unter dem Motto: Mauern geben keine Sicherheit, sondern sorgen nur für Abgrenzung.
Wir persönlich fühlen uns bis jetzt in Pretoria eher etwas sicherer als 1996 in Johannesburg und sind froh, dass wir ein Haus in einer nicht zu gehobenen Wohngegend gefunden haben (Meyerspark), das wir mit anderen zusammen bewohnen werden.

Zur Situation der Kirchengemeinden
Auch in den Gemeinden der URCSA sind die Probleme des Landes ständig präsent. Es gibt inzwischen eine schwarze Mittelschicht. Nicht selten unterstützen diejenigen, die den Aufstieg geschafft haben, großzügig die Kirchengemeinden finanziell. Allerdings gibt es Stimmen innerhalb der URCSA, die auch eine Gefahr darin sehen, dass sich die Gemeinden zu Mittelklasse-Gemeinden entwickeln und ärmere Gemeindeglieder sich ausgeschlossen fühlen, bzw. soziale Belange aus dem Blick geraten, wenn sie innerhalb der Gemeinde nicht mehr so stark sichtbar sind. Das stellt die Kirchen und die einzelnen Gemeinden vor Herausforderungen, ebenso wie die Unruhen in den Townships. Auf einer Planungskonferenz des theologischen Seminars wurde gefragt: „Was sagen wir, wenn in unserer Gemeinde jemand von der Polizei erschossen wurde, und sowohl die Angehörigen als auch der Polizist zur Gemeinde gehören? Früher (zu Apartheidszeiten) hatten wir einen gemeinsamen Feind, und wenn jemand erschossen wurde, war es klar, dass wir bei der Beerdigung gegen das System predigen würden. Und nun?“

In all diesen Herausforderungen ist es zugleich bedauerlich, dass die Energien der Gesamtkirche weiterhin gebunden werden durch den stagnierenden Vereinigungsprozess mit der weißen Kirche. Eine Delegation des Reformierten Weltbundes hatte unter anderem versucht, die Dutch Reformed Church zu Schritten von „restorative justice“ zu verpflichten, aber ich sehe bis jetzt nicht, dass das an irgendeiner Stelle geschehen würde.

Soviel an dieser Stelle! Wir sind gespannt auf das, was vor uns liegt, und freuen uns, zu spüren, dass unser Schritt von vielen hier so positiv begrüßt wird.

Stefanie Rieke-Kochsiek, Pretoria, 20. November 2009

Bilder: (1) Planungsgruppe des Theologischen Seminars
(2) Gruppe aus der Lippischen Landeskirche, die in Alexandra war; im Vordegrund im Rollstuhl: Sam Buthi

 

 

 



Stefanie Rieke-Kochsiek, Pretoria, 20. November 2009

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