Mitgefühl

pixel.theologie – Theologisches anhand eines Wortes. Wort XIV

Foto: Livia Korandy / freeimages.com

Von einem Gefühl und seiner Mathematik

Papst Franziskus hat in seinem Schreiben zur „Freude der Liebe“ (Amoris Laetitia), die Hirten, sprich Bischöfe und Priester, die den Gläubigen das „vollkommene“, also das katholische „Ideal der Ehe“ nahelegen, aufgefordert, ihnen auch zu helfen, „die Logik des Mitgefühls mit den Schwachen anzunehmen und Verfolgungen oder allzu harte und ungeduldige Urteile zu vermeiden“. Der Papst erinnert daran, „dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn“ sei und die Eucharistie „nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“, so bereits im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium von 2013 gesagt. In diesem Sinne, so kann man aus dem Schreiben zur „Freude der Liebe“ lesen, könne die Eucharistie auch Menschen gewährt werden, denen die ideale Norm dies verweigern würde.

Diese „Ethik des Mitgefühls“, die die „barmherzige Liebe nicht abstrakten moralischen Normen“ opfere, lobte der EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm.
Das Mitgefühl – sei’s Gottes, sei’s der Menschen - und der Lobpreis auf dieses Gefühl verbindet Menschen über Religions-, Kultur- und Staatsgrenzen hinweg. „Verlasst euch auf Gottes Mitgefühl“, mahnt der Apostel Paulus die Gemeinde in Rom, der Koran kennt ebenfalls das Mitgefühl Gottes: al-Ḥalīm, der Nachsichtige, der Mitfühlende ist einer der 99 Namen Gottes im Koran. Im Buddhismus wird das menschliche „Mitgefühl“ ganz großgeschrieben. „Es ist Zeit für ein Jahrhundert des Mitgefühls“, sagt der Dalai Lama und sieht eine Basis dafür in einer säkularen Ethik, ohne Religion.

Ein Gefühl als Grund der Ethik - das klingt sympathisch, reicht aber nicht als einziges „Leitbild“ für menschliche Gemeinschaft. Warum? Zwei Gründe seien hier genannt:
1) der merkwürdige Umgang des Mitgefühls mit großen „Zahlen“ leidender Menschen
und 2) der menschliche Makel: Wir sind schwach auch beim Fühlen.
1) Eine große Zahl, etwa 120 getötete Soldaten, löst kein Mitgefühl mehr aus. Die Null am Ende mache die Zahl der Getöteten zu einer Abstraktion, die unsere Vorstellungskraft übersteige, so der Dichter Zbigniew Herbert in seinem Gedicht „Herr Cogito liest die Zeitung“. Aber das eine Kind, das tot an den Strand gespült wird, lässt nicht nur die Eltern weinen. Dieses Phänomen nennt Zbigniew Herbert die „Arithmetik des Mitgefühls“. Mitgefühl lässt sich nicht zu einer größer werdenden Summe addieren. Die „Arithmetik des Mitgefühls“ passt nicht zum Anspruch einer „Ethik für alle“.
2) Mitgefühl mit einer leidenden Kreatur in allen Ehren, aber warum soll – um auf das Beispiel vom Anfang zurückzukommen – die Teilnahme am Mahl des Herrn abhängen vom Mitleid eines Bischofs mit Partnerin und Partner in einer konfessionsverschiedenen Ehe, die gemeinsam die Eucharistie feiern möchten?

Das Sakrament ist „eine Nahrung für die Schwachen“ ja, aber auch das Recht, eine klare gesetzliche Regelung, sei’s eine kirchliche, sei’s eine staatliche, hilft unseren schwachen Gemütern. Wenn das Gefühl erschlafft oder vor der großen Zahl Leidender kapituliert, dann hilft das in der Verfassung verankerte Menschenrecht. Schlimm ist nur, wenn „das Recht“ menschenverachtende Gesetze enthält.

Barbara Schenck, 15. April 2016

Liste der Worte aus pixel.theologie

(Stand 15. April 2016)

Barmherzigkeit

Flüchtling - Fremdling

Fragment

Geduld

Genießen

Hase

Hoffnung

Mitgefühl

Nahung

Ohrfeige

Scham

Schnee

Wunder I

Wunder II

 

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