'Wir ermutigen die Menschen zu bleiben'

Reformierte Kirche in Ungarn: Flüchtlingsprojekt 'Kalunba' kämpft um Fördermittel


Zum Programm von Kalunba gehört der Sprachunterricht. 20 Flüchtlinge lernen derzeit Ungarisch, um in Alltag und Beruf leichter Anschluss zu finden © Thomas Einberger/ Brot für die Welt

Seit die ungarische Regierung im Sommer 2018 die Ausschreibung von EU-Fördermitteln zurückzog, ist die weitere Finanzierung des Integrationsprojekts "Kalunba" gefährdet. Im Interview spricht Mitbegründerin Dóra Kanizsai über den aktuellen Stand - und wo die Mittel am meisten fehlen.

Im Sommer 2018 riefen wir zu Spenden für die Flüchtlingsarbeit in Ungarn auf. Mit der Organisation Kalunba unterstützt die Reformierte Kirche in Ungarn seit Jahren Integrationsprojekte. Zum Juli 2018 ist ein Großteil der finanziellen Mittel weggebrochen. Die Mehrheit der Projekte war zuvor über EU-Fördermittel aus dem sogenannten AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfond) finanziert worden. 2018 zog die ungarische Regierung ihre Ausschreibung für AMIF-Mittel zurück. Seitdem hat sich die Flüchtlingsarbeit in Ungarn deutlich erschwert. Wir steht es um Kalunba? Wir sieht die Zukunft der Flüchtlingsarbeit aus? Wir sprachen mit Dóra Kanizsai, Mitbegründerin der Flüchtlingsorganisation Kalunba und Leiterin der Abteilung für die Flüchtlingsintegration bei der Diakonie der Reformierten Kirche in Ungarn.

reformiert-info.de: Im Sommer 2018 sind für Kalunba AMIF-Fördermittel in Millionenhöhe weggebrochen. Wie hat sich die Situation entwickelt, wie sieht das Programm heute aus?

Dóra Kanizsai: Alle Programme laufen weiter. Wir bieten nach wie vor Schlafplätze, geben Sprachunterricht, helfen bei Problemen mit Bürokratie, Gesundheitsangelegenheiten. Dennoch mussten wir den Service stark zurückfahren. Bis Juni 2018 konnten wir beispielsweise mit dem Projekt „Netovább” 200 Flüchtlingen Unterkunft in 15 Wohnungen finanzieren. Seitdem das EU-Programm auslief, konnten wir insgesamt nur noch 100 Menschen Unterkunft bereitstellen. Ein bis zweimal pro Woche betreuen wir Kinder. 30 von ihnen begleiten wir nachmittags nach der Schule bei den Hausaufgaben, um ein paar kümmern wir uns, während die Eltern bei uns lernen. 20 Flüchtlinge bekommen bei uns ungarischen Sprachunterricht. Mehr ist mit unseren Ressourcen nicht mehr drin.

Wie lange noch sind Ihre Projekte finanziell abgesichert?

Dóra Kanizsai: Die Organisation „Brot für die Welt“ unterstützt uns mit einem Wohnungsprojekt. Das läuft noch bis Ende 2020. Mit HEKS (Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz) können wir bis Ende 2021 Schulprojekte und Sprachunterricht mitfinanzieren. Leider aber reicht das nicht aus, um alle notwendigen Services zu finanzieren. Wir suchen deshalb nach weiteren Einkommensquellen.

Wo zum Beispiel?

Dóra Kanizsai: Im letzten Sommer waren wir guter Hoffnung. Wir hatten den Plan einen Teil unserer Einrichtung zu einer Sprachschule zu machen. Wir hatte sehr gute Lehrer, mit Hochschulausbildung und viel Erfahrung. Die Gelder aus AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfond) aber fehlten uns, wir konnten keine festen Verträge zusichern. Also sind einige Lehrer gegangen. Wir bekamen neue Mitarbeiter, aber sie haben nicht die gleiche Erfahrung. 20 Einwanderer nehmen bei uns aktuell Sprachunterricht gegen Bezahlung. Für eine Sprachschule reicht das aber bislang nicht.

Wo fehlt das Geld am meisten?

Dóra Kanizsai: Wir bräuchten generell mehr Personal. Schon ein bis zwei feste Mitarbeiter mehr würden uns helfen. Nur wenige Helfer sind bei uns festangestellt. Wenn, dann arbeiten sie normalerweise in Teilzeit. Die meisten Mitarbeiter helfen uns unbezahlt: allein 20 permanente Ehrenamtliche aus Ungarn, außerdem vier Helfer aus dem Ausland. Zwei von ihnen kamen über Kirchenprogramme zu uns, zwei andere über das Erasmus-Programm. Sie arbeiten als Mentoren, geben Sprachunterricht, helfen bei Alltagsfragen, helfen in der Organisation. Arbeit aufteilen geht nicht. Man kann sagen, jeder von uns macht alles.

Wie hoch ist der Bedarf an Hilfe für Flüchtlinge in Ungarn derzeit?

Dóra Kanizsai: Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen und Unterstützung suchen, hat abgenommen. Das heißt aber nicht, dass es keinen Bedarf gäbe. Der Zugang zu Ungarn über die Grenzen ist nur heute fast unmöglich. Viele Flüchtlinge gehen. Die Menschen geben auf, sehen in Ungarn keine Perspektive.

Sind die Perspektiven tatsächlich so schlecht?

Dóra Kanizsai: Die Stimmung ist angespannt. Trotzdem raten wir Flüchtlingen, die ungarische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ungefähr fünf Klienten unterstützen wir gerade in diesem Prozess. Für ein paar Jahre, sagen wir ihnen, könnt ihr hier in Ungarn bleiben. Danach könnt ihr euch frei bewegen. Gerade ist es recht leicht in Ungarn Jobs zu finden. Wir vermitteln Stellen, helfen den Flüchtlingen ihre ungarischen Sprachkenntnisse zu verbessern. Arbeitgeber in Ungarn scheinen heute offener und flexibler als noch vor ein bis zwei Jahren. Vielen ist es inzwischen auch egal, ob jemand Ungarisch kann oder nicht. Mir macht mehr die Zukunft der Menschen Sorgen, die nach Westeuropa weiterziehen. Was erwartet sie dort? Ein Wirrwarr voller Hoffnungen, dass ein Land ihnen irgendwann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gewährt? Wie lang kann dieser Prozess dauern? Wichtige Jahre ihres Lebens gehen damit verloren. Ich finde, wir sollten das nicht zulassen. Deshalb ermutigen wir die Menschen zu bleiben und jetzt schon auf ihren Füßen zu stehen. Hier gibt es Jobs, es ist immer noch leichter für sie als zuvor. Das klingt surreal, aber so sieht die Situation aus.

Im Sommer 2018 hat sich die gesetzliche Lage für Flüchtlingsarbeit in Ungarn verschärft. NGO-Mitarbeiter, die „Beihilfe zur illegalen Migration“ leisten, können sich seitdem strafbar machen. Welchen Einfluss hatte das Gesetz auf Ihre Arbeit?

Dóra Kanizsai: Grundsätzlich hat sich an unserer Arbeit nicht viel geändert. Ich habe bislang noch von keinem Flüchtlingshelfer gehört, der auf der Basis des neuen Gesetzes verfolgt wurde. Trotzdem macht die Politik vielen Menschen Angst. Im letzten Sommer hatten wir mit unseren Mitarbeitern von „Kalunba“ ein Treffen und berieten uns: Müssen wir uns Sorgen machen? Am Ende haben wir vorsorglich alle Namen unserer Helfer von der Webseite gelöscht. Die Haltungen der Menschen aber haben sich nicht geändert. Sie haben sich eher noch verschärft. Einige Leute trauen sich nicht mehr uns zu helfen. Sie wollen mit dem Gesetz keine Probleme bekommen. Andere sehen sich mit dem Gesetz aber auch bestärkt. Die Hilfe für Flüchtlinge ist für sie eine Art von Rebellion.

Wie sicher sehen Sie die Zukunft von Kalunba?

Dóra Kanizsai: Vor wenigen Tagen kam eine Vertreterin von UNHCR zu uns, um sich von unserer Arbeit ein Bild zu machen. Sie zeigte sich positiv und lobte unsere Arbeit. Sie sagte uns: Versucht das aufrechtzuerhalten, was ihr habt. Wir fragen uns, wie lange noch. Für dieses Jahr sieht es mehr oder weniger sicher aus. In ein oder zwei Jahren aber: keine Ahnung. Wir müssen uns Gedanken machen, wie es es weitergehen soll. Selbst wenn Europa mit AMIF Finanzierungsmittel zur Verfügung stellt: Die Regierung verhindert den Zugang. Wir hoffen deshalb, dass die EU künftig mehr politische Verantwortung übernimmt und die Finanzierung der Flüchtlingsarbeit nicht den Ländern überlässt.

Was wünschen Sie sich von Ihren internationalen Partnern?

Dóra Kanizsai: Wir freuen uns über Besuche von Mitgliedern der Weltgemeinschaft, auch von jungen Leuten, Studenten. Für uns ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit informiert ist über unsere Situation der Flüchtlingsarbeit. Wir erfahren auch viel Unterstützung. Das motiviert uns sehr. Im Sommer findet das Jugendfestival in Ungarn statt. Ich hoffe, auch deutsche Kirchen nutzen die Gelegenheit um uns zu besuchen und in Kontakt zu kommen.

Spendenkonto:

Bank: MagNet Magyar Közösségi Bank
Kontoinhaber: Kalunba Nonprofit Kft.
IBAN: HU55 1620 0223 1002 3112 0000 0000
BIC: HBWEHUHB


Das Interview führte Isabel Metzger

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