Elija, der vielgesichtige Prophet

Predigt zu 1. Buch der Könige, 1-16, zum 7. Sonntag nach Trinitatis


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Von Gudrun Kuhn

Liebe Gemeinde,

Propheten haben es schwer. Prophetinnen auch. Kassandra, die die Trojaner vor dem Pferd und dem Untergang ihrer Stadt durch die Griechen warnt, wird verlacht und später von den Sie­gern vergewaltigt und verschleppt. Jeremija, der vor der Niederlage Jerusalems durch die  Babylonier warnt, entgeht nur knapp der Lynchjustiz seiner aufgebrachten Landsleute. Kri­ti­kern und Kri­tikerinnen von zeitgenössischen Despoten in Belarus oder Saudiarabien und an vielen wei­te­ren Orten drohen lange Haftstrafen oder der Tod.

Pro­pheten haben es schwer. Sie müssen sich politisch positionieren. Aber über die Wahrheit ihrer Haltung entscheidet die Nachwelt. Die kann sie zu Freiheits­helden erheben oder zu Staats­­feinden. Wie es der Ideologie der jeweils aktuellen Machthaber entspricht. Diet­rich Bonnhoeffer, der Prophet und Märtyrer, erfährt gerade eine solche Vereinnahmung. Evangelikale Trump-Anhänger machen ihn zum nationalreaktionären Ge­sin­nungs­genossen. Geschichten über Propheten und Prophetinnen sind schwierig. Ihre Worte sind meist nur fragmentarisch über­lie­fert. Ihre Schriften lassen sich in willkürlicher Auswahl lesen. Ihr Leben wird erzählt in Legenden.

Um eine Prophetenlegende geht es im heutigen Predigttext. Oder genauer, um mehrere. Um die Vereinnahmung einer – vielleicht – historischen Person aus dem 9. Jh. v. Chr. Um einen jüdischen und christlichen Heiligen: um Elijahu, Elias – das heißt ‚mein Gott ist JHWH‘. Sein Name ist bereits das Motto für die Geschichten, die von ihm erzählt werden. Mein Gott ist JHWH – das bedeutet: andere haben andere Götter. So war das im antiken Syrien. Und so war das im antiken Palästina. Die Durchsetzung des Ein-Gott-Glaubens am Jerusalemer Tempel ist nicht vor dem 5. Jahrhundert anzusetzen. Doch die Verfasser und Redaktoren der bib­­lischen Geschichtserzählungen ver­legen die Anfänge des  ‚Monotheismus‘ in eine is­rae­li­ti­sche Frühzeit. Andere religiöse Vorstellungen gelten nicht als gleichzeitige Alternative, son­dern als Abfall von der Wahrheit.

Wirkmächtige Er­zäh­lun­gen sollen helfen, den Jahwe-Glauben zu stützen. Wirkmächtige Erzählungen von wirkmächtigen Propheten. Heute also Elija. Seine literarische Figur – zusammengesetzt aus den unterschiedlichsten in sich wider­spre­chen­den Motiven – ist diffus. Er wird als Verfolgter gezeichnet. Und als Verfolger. An uns liegt es, welcher Deutung wir uns anschließen.

1. Der Regenmacher

Die frühesten Erzählmotive schildern Elija als Regenmacher, als Schamanen. Mit archaischen Prak­tiken befreit er sein Land von einer lebensbedrohlichen Dürre. Freilich kann er dies nur in Ein­heit mit einer Gottheit vollbringen, die dafür zuständig ist. Deren gibt es im Vorderen Orient al­lerdings mehrere: Jahwe ist einer davon. Ba-Al  ein anderer. Sein Namensteil Al ist erhalten in Allah und Elohim. Und es gibt da noch etliche Kollegen. In poetischen Hymnen und Erzählungen ist uns ihr Kult überliefert. Sie sind Sieger über die Chaos-Schlange, Bewässerer der Erde, Bewahrer oder auch Zerstörer des Lebens. In Psalm 29 hört sich das so an:

3Die Stimme des Herrn erschallt über den Wassern,der Gott der Ehre donnert, der Herr, über großen Wassern. 4Die Stimme des Herrn ergeht mit Macht, die Stimme des Herrn ergeht herrlich. 5Die Stimme des Herrn zerbricht Zedern, der Herr zerbricht die Zedern des Libanon. ... 10Der Herr thront über der Flut; der Herr bleibt ein König in Ewigkeit.

Die Verse sind aus den Gesängen für die Gottheiten des Nordlandes Ugarit in die Bibel übernommen. Dort werden sie alleine auf Jahwe übertragen. Denn in der nachexilischen Bibelredaktion – also auch der Zusammenstellung der Elija-Legenden – gilt es zu unterscheiden: Nur einer soll künftighin herrschen über Israel. Und natürlich beweist Jahwe seine Macht durch ein Wunder, nachdem Elija ihn angerufen hat.

38Da fiel das Feuer des Herrn herab und verzehrte das Brandopfer und das Holz und die Steine und die Erde, und auch das Wasser, das im Graben war, leckte es auf. 39Und das ganze Volk sah es, und sie fielen nieder auf ihr Angesicht und sprachen: JHWH, er ist Gott! JHWH, er ist Gott!

Elijas Mitstreiter, 450 Priester des Ba-Al, waren zuvor weniger erfolgreich gewesen. Ihr Gott hatte das Wunder nicht vollbringen können. Also: Weg mit ihnen.

40Und Elija sprach [...]: Ergreift die Propheten des Baal! Keiner von ihnen soll entrinnen! Und man ergriff sie, und Elija führte sie hinab an das Bachtal des Kischon, und dort schlachtete er sie.

So überzeugend kann Mission sein... Der Regen kommt freilich noch nicht gleich. Denn zuvor fügen die Redaktoren des Elija-Stoffs eine andere Geschichte ein.

2. Der Königtumskritiker

Diese Rolle kennen wir von Propheten. Sie bringen die Verfehlungen der Herr­schen­den ans Licht. Und in den biblischen Geschichtsbüchern geht es dabei immer um die Sünde schlechthin: den Abfall von Jahwe. So auch bei Ahab und Ise-Bel, den Herrschern, mit denen sich Elija anlegt. Vor allem Königin Ise-Bel zürnt dem Propheten wegen der Hinrichtung der Priester Ba-Als. Wie ihr Name Ise-Bel, Tochter des Königs Et-Baal von Sidon, verrät, ist sie eine Anhängerin des Ba-Al-Kults. Und ihr wird unterstellt ihren Mann dazu verleitet zu haben, ein Heiligtum für Ba-Al und eine Statue der Göttin Aschera zu errichten.

32Und [Ahab] ...  tat mehr, um den Herrn, den Gott Israels, zu reizen, als alle Könige Israels, die vor ihm gewesen waren.

Das Motiv ist bekannt. Es sind die ausländischen, fremdgläubigen Frauen, die die Herrscher vom rechten Weg abbringen. Das warf man schon Salomon vor. Und nach der Rückkehr aus dem Exil und dem Wiederaufbau des Tempels mussten in Judäa alle Ehen mit sogenannten fremden Frauen aufgelöst werden. (Vgl. Esra 10) Sie wurden mit ihren Kindern fortgeschickt. Um des wahren Jahwe-Glaubens willen.

Dies wird in der Figur der Königin Isebel gespiegelt. Am Ende werden sie und Ahab nicht an der Macht bleiben. Elija und die Gegenkönige, die er ernennt, werden zuletzt den Sieg behalten. Der Prophet – ein gewalttätiger und siegreicher Kämpfer für den richtigen Glauben. Elija, der Verfolger ... Aber so weit sind wir noch nicht. Kombiniert werden diese Elija-Legenden nämlich mit Geschichten, die einen ganz anderen Gottesmann zeigen: Elija, den Verfolgten. Verbindungsglied bleibt dabei das Dürre- und Regenmotiv.

3. Der Gottesmann als Gesegneter und Segen Bringender

Dazu der Beginn der Elija-Episoden aus dem 1. Buch Könige:

171Und Elija, der Tischbiter aus Tischbe im Gilead, sprach zu Achab: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, vor dem ich diene: In diesen Jahren wird kein Tau fallen und kein Regen, es sei denn auf meinen Befehl! 2Und das Wort des Herrn erging an ihn: 3Geh fort von hier und wende dich nach Osten. Halte dich verborgen am Bach Kerit, der jenseits des Jordan fließt. 4Und aus dem Bach kannst du trinken, und den Raben habe ich geboten, dich dort zu versorgen. 5Und er ging und handelte nach dem Wort des Herrn. Er ging und blieb am Bach Kerit, der jenseits des Jordan fließt. 6Und die Raben brachten ihm am Morgen Brot und Fleisch und auch am Abend Brot und Fleisch, und aus dem Bach trank er. 7Nach einiger Zeit aber trocknete der Bach aus, denn es fiel kein Regen im Land. 8Da erging an ihn das Wort des Herrn: 9Mach dich auf, geh nach Zarefat, das zu Sidon gehört, und bleibe dort. Sieh, einer Witwe dort habe ich geboten, dich zu versorgen. 10Und er machte sich auf und ging nach Zarefat. Und als er an den Eingang der Stadt kam, sieh, da sammelte dort eine Witwe Holz. Und er rief ihr zu und sagte: Hole mir doch einen Krug mit etwas Wasser, damit ich trinken kann! 11Und sie ging, um es zu holen, und er rief ihr nach und sagte: Hole mir doch auch einen Bissen Brot. 12Sie aber sagte: So wahr der Herr, dein Gott, lebt, ich habe nichts vorrätig, außer einer Handvoll Mehl im Krug und ein wenig Öl im Krug. Und sieh, ich bin dabei, zwei, drei Stücke Holz zu sammeln; dann werde ich gehen und für mich und für meinen Sohn zubereiten, was noch da ist, und wir werden es essen, dann aber müssen wir sterben. 13Da sagte Elija zu ihr: Fürchte dich nicht. Geh, tu, wie du es gesagt hast; doch bereite davon zuerst einen kleinen Brotfladen für mich zu und bringe ihn mir heraus; für dich aber und für deinen Sohn kannst du danach etwas zubereiten. 14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Krug wird nicht ausgehen, und der Ölkrug wird nicht leer werden, bis zu dem Tag, an dem der Herr dem Erdboden Regen gibt. 15Da ging sie und handelte nach dem Wort Elijas, und sie hatten zu essen, sie und er und ihr Haus, tagelang. 16Das Mehl im Krug ging nicht aus, und der Ölkrug wurde nicht leer, nach dem Wort des Herrn, das dieser durch Elija gesprochen hatte.

Die historischen Legenden – hier werden sie durch Märchenelemente abgelöst. Von Tieren durchgefüttert wird der Prophet. Und genährt aus dem Krug, der nie leer wird. Das sind andere Segensbeweise Jahwes. Kein Feuer vom Himmel. Aber auch noch kein Regen. Elija muss erst Kraft sammeln, er muss lernen, sich auf seinen Gott zu verlassen. Wir kennen auch dieses Motiv. Selbst Jesus geht in den Erzählungen der Evangelisten in die Wüste, bevor er öffentlich auftritt. Für Elija wird die Witwe aus Sidon dabei zur Gegenfigur zu Ise-Bel, der Königstochter von Sidon. Sie vertraut den Worten des Propheten, sie hofft auf Jahwe und sichert damit das Überleben für alle drei. Und ihr Gottvertrauen wird belohnt. Elija vermag ihren Sohn aus dem Tod zu retten:

21 [Er] beugte sich dreimal über das Kind, rief zum Herrn und sprach: Herr, mein Gott, lass doch das Leben zurückkehren in dieses Kind! 22Und der Herr hörte auf die Stimme Elijas, und das Leben kehrte zurück in das Kind, und es wurde wieder lebendig.... Und Elija sprach: Sieh, dein Sohn lebt. 24Da sagte die Frau zu Elija: Nun weiß ich, dass du ein Gottesmann bist und dass das Wort des Herrn in deinem Mund wahr ist.

Wirklich, eine ganz andere Perspektive auf den Propheten ist das: Er überzeugt nicht durch Gewalt. Niemand muss wegen eines falschen Glaubens sterben. Denn Elijas Gott ist ein Gott des Lebens und für das Leben. Es verwundert nicht, dass das frühe Christentum die Prophetenlegende als Vorverweis auf Jesus gesehen hat. Auch die Körbe bei der Speisung der 5000 werden nicht leer. Und der Heiland bringt Tote wieder ins Leben zurück. So spiegeln die Geschichten der Evangelisten die Elja-Geschichten, die ihre Leserinnen und Leser gut kannten. Sie erfahren daraus: Gott ist die Fülle des Lebens. Und einer, der seine Gesandten nicht alleine lässt. Das zeigt auch die letzte Elija-Episode, die noch bedacht werden muss. Und der Regen muss endlich strömen ...

4. Der Flüchtling, dem sich Gott offenbart

Ja, der Regen kommt. Siebenmal sendet Elija seinen Burschen auf den Berg, um Ausschau zu halten. Und endlich ruft der: „Sieh, eine Wolke, klein wie die Hand eines Mannes, steigt auf aus dem Meer.“ Danach verfinsterte sich der Himmel „mit Wolken und mit Sturm, und ein gewaltiger Regen setzte ein.“ Werden jetzt alle zu Jahwe aufsehen und ihm vertrauen? Nein. Der Gewaltakt Elijas gegen die Priester des Ba-Al wendet  sich gegen ihn selbst und seinen Missionswillen. Er muss vor den Nachstellungen des Königshauses und seiner Unterstützer fliehen. Und er hadert mit seinem Gott. „Es ist genug, Herr, nimm nun mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren.“ Aber der Herr versorgt ihn wieder auf wunderbare Weise mit Speis und Trank und gewährt ihm eine ganz außerordentliche Begegnung am Berg Horeb.

Und sieh - da ging der Herr vorüber. Und vor dem Herrn her kam ein großer und gewaltiger Sturmwind, der Berge zerriss und Felsen zerbrach, in dem Sturmwind aber war der Herr nicht. Und nach dem Sturmwind kam ein Erdbeben, in dem Erdbeben aber war der Herr nicht. 12Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, in dem Feuer aber war der Herr nicht. Nach dem Feuer aber kam das Flüstern eines sanften Windhauchs. 13Als Elija das hörte, verhüllte er sein Angesicht mit seinem Mantel.

Mit dieser Szene würde ich gerne die Elija-Geschichten enden lassen. Mit Elija, dem Verfolgten, dem Gott zeigt, dass seine Macht nicht im Sturm und nicht im Erdbeben und nicht im Feuer liegt, sondern im „Flüstern eines sanften Windhauchs.“ Mit dieser Verheißung würde ich gerne die Elija-Geschichten enden lassen. Und nicht mit dem Vergeltungskrieg gegen Ahab und Ise-Bel, der im 1. Buch der Könige darauf folgt.

Wie gesagt: An uns liegt es, welcher Deutung wir uns anschließen. An uns, die wir das Unheil von Zwangsmissionierungen auch in unserer Christentumsgeschichte voller Scham bedenken müssen. An uns, die wir das Schicksal von Menschen beklagen müssen, die wie Elija verfolgt werden. Durch Hassmails und Drohungen, durch Folter und Mord. Ja, durch Mord sogar in unserem Land.

Die Antwort darauf kann nicht erneute Gewalt sein. Das lernen wir aus der Geschichte. Und das lernen wir aus den Prophetenerzählungen, die ein Teil der Geschichte sind. Die Antwort auf Gewalt sollten wir bei dem suchen, der als sanfter Windhauch Gottes lebte und wirkte. Der der Gewalt trotzte, indem er ihr seine gewaltfreie Lebensweise entgegenstellte. Und die Konsequenz des Todes am Kreuz auf sich nahm. Ihm sind wir verpflichtet, aktiv um friedliche Lösungen zu ringen. Damit wir in Seinem Namen Gott bezeugen. Das ist unsere Mission...
AMEN

Gott – du bist lebendig und machst lebendig.

Lass uns deine Nähe spüren.

Wir suchen dich in Sturm und Feuer und Erdbeben.
So sehr wünschen wir uns, dass du kommst und dreinschlägst,
dass du Ungerechtigkeit und Menschenhass und tödlichen Streit beseitigst.

Wir erzählen von dir als Bezwinger des Chaos.
So sehr wünschen wir uns, dass du kommst und aufräumst,
dass du Dürre und Flut und Pandemien beendest.

Wir feiern dich in unseren alten Liedern als König.
So sehr wünschen wir uns, dass du kommst und alles neu machst.

Aber du kommst nicht, wie wir es uns wünschen.

Lass uns deine Nähe im Säuseln des Windhauchs nicht überhören.
Lass uns als friedfertige Prophetinnen und Propheten wirken
an dem Ort, an den du uns hinstellst.
Bewahre uns vor Resignation und Verbitterung.
Gib uns gute Ideen und mutige Antriebe.
Hilf uns es zu ertragen, wenn unser Alltag mühselig und unser Einfluss schwach wird.

Sei und bleibe unser Trost im Leben und im Sterben.
AMEN


Gudrun Kuhn