Die erste reformierte Generalsynode von Duisburg 1610 - Erbe und Auftrag

ein Vortrag von Pfr. i.R. Heiner Süselbeck

Auf der außerordentlichen Tagung der Synode des Kirchenkreises Jülich, hat Pfarrer i.R. Heiner Süselbeck am 19. Juni 2010 in Düren über die Generalsynode 1610 in Duisburg gesprochen. Der Vortrag ist online auf reformiert-info nachzulesen.

"Me has dado la libertad que no tiene el solitario.
Me enseaste a dormir en las camas duras de mis hermanos."
Du hast mir die Freiheit geschenkt, die nicht der Einsame hat.
Du lehrtest mich in den harten Betten meiner Brüder schlafen.
(Pablo Neruda, An meine Partei)

„Tradition, das sind die Lebensmittel, die die Toten uns hinterlassen haben“ (F. Steffensky)

Vor einigen Jahren gehörte ich einem Ausschuss der EKiR an, in dem die Ordnung für das zweite Theologische Examen neu beraten wurde. Dabei wurde der Vorschlag laut, das Fach Kirchengeschichte mit seinem Schwerpunkt rheinische Kirchengeschichte aus dem Prüfungskanon für die Kandidatinnen und Kandidaten zu streichen. „Was trägt die Kenntnis von regionaler Kirchengeschichte aus, wenn es um Lebensfragen und Überlebensfragen evangelischer Gemeinden von heute geht?“- wurde gefragt. Vielleicht sind Ihnen ähnliche Gedanken gekommen, als Sie die Einladung zu dieser Sondersynode ihres Kirchenkreises in Händen hielten.

Von daher ist es sinnvoll, sich im Blick auf bestimmte Bildungsangebote und Forschungsvorhaben an Schulen und Hochschulen Rechenschaft zu geben, wenn gefragt wird: „Warum noch das Fach Geschichte?“ Und dann in unserem Fall schärferer: „Warum Kirchengeschichte?“ Und, um den Kreis noch enger zu ziehen: „Warum um alles in der Welt „Rheinische Kirchengeschichte?“

Es gibt keinen Arzt, der, wenn er heilt, nicht einen Blick auf die Krankengeschichte seines Patienten wirft, um zu verstehen, wen er vor sich hat. Oder mit Worten von Fulbert Steffensky:

„Die Tradition, das sind die Lebensmittel, die uns die Toten hinterlassen haben…Man muss sich nicht nur an der eigenen Wärme wärmen…In den Geschichten… von gestern berge ich meinen Glauben unter der Maske der Toten. Ich stehe nicht allein. Nicht einmal für meinen Glauben. Ich glaube den Toten ihren Glauben… Wer Tote hat, steht auf ihren Schultern.“2

In diesem Sinn möchte ich Sie für ein Stück Geschichte unserer Landeskirche interessieren, - nicht zuletzt für die Tradition, die Ihren Kirchenkreis besonders auszeichnet und ihm über seine Grenzen hinaus die Sendung verliehen hat, mit seinen Abgesandten für die EKiR ein markantes sozialethisches Gewissen zu sein.

Dabei wird es nicht darum gehen, diese Tradition ungefragt zu übernehmen, oder noch einmal mit dem nun vervollständigten Zitat von Fulbert Steffensky: „Wer Tote hat, steht auf ihren Schultern und er muss ihnen vergeben, wie auch unsere Kinder uns einmal vergeben müssen.“3

Kirchenbildung ohne „Gewissen noch Exercitio zu turbieren, noch zu molestieren und zu betrüben“

Nach diesen ersten Vorberlegungen möchte ich mit kurzen Hinweisen an die Zeit heranführen, die die Duisburger Generalsynode von 1610 ermöglichen und prägen konnte. Dies soll geschehen, indem ich Ihnen Zeitzeugen von damals vorstelle. Da ist zunächst Caspar Sibelius.4 Er war der erste Prädikant von Jülich.

Er wirkte in Randerath und Jülich von 1611-1617 und hinterließ eine Autobiografie von 1300 handschriftlich verfassten Seiten. 160 Seiten beschäftigen sich mit seiner Zeit in Jülich. Er ist ein wichtiger Zeitzeuge für unser Thema, weil er die Voraussetzungen veranschaulicht, die die Beschlüsse von 1610 ermöglichten. Caspar Sibelius schreibt:

„Nach der Eroberung Jülichs, genossen die Herzogtümer Jülich, Kleve, Berg und die dazu gehörigen Nachbargebiete einen so tiefen und seligen Frieden, dass ich oft 80-90jährige Greise beteuern hörte, dass sie derartiges seither nicht gekannt hatten. Mord, Brand und Verwüstung hatten ebenso aufgehört, wie die schier unerträgliche Schinderei, unter der die Bauern zu leiden hatten. Nun wurden die Äcker bestellt, es blühten die Gärten, es grünten die Saaten und reiften in goldenem Schein, fröhlich weideten die Herden. Städte und Dörfer erhoben sich aus Asche und Trümmern, Kirchen wurden gebaut. Die erschöpften Mittel wuchsen wieder, es blühten die Gesetze, die öffentliche Zucht stand im Flor. Religiöser Eifer war vorhanden. Billigkeit und Menschlichkeit erhob sich wieder. Die Künste der Künstler blühten, reicher war der Erwerb der Armen, üppiger die Lebensverhaltung der Reichen. Unter glückverheißendem Sterne standen junge Paare, beglückte Mtter eines werdenden, wie man hoffte, ebenso glücklichen Geschlechts. Dass ich`s mit einem Worte sage: es herrschte Friede allenthalben unter den Menschen; es saß, um dieses Bild zu gebrauchen, jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum“5

Wie ist es zu dieser Blütezeit, auch für die Reformierten im n‚ördlichen Rheinland, gekommen?

Bereits die erste Zeile im Bericht von Caspar Sibelius gibt dazu den entscheidenden Hinweis, wenn es heißt: „ Nach der Eroberung Jülichs“: Festung und Stadt Jülich waren 1609 durch Amtmann Johannes von Rauschenberg zu einem Vorposten des katholischen Habsburg geworden. Kaiser Rudolf II. versuchte, mit der Stadt Jülich die Gebiete von Jülich-Cleve als verfallenes Reichslehen zu Gunsten der Habsburger Krone neu für den katholischen Glauben und sein Haus einzuziehen. Es gelang ihm, mit den Truppen des zu diesem Zweck entsandten Erzherzogs Leopold Jülich zu besetzen. Das Kaiserhaus leistete entschlossen Widerstand gegen den Vertrag von Dortmund.

In diesem Vertrag vom 10.Juni 1609 hatten sich die beiden Fürstenhäuser von Kurbrandenburg und Pfalz Neuburg geeinigt, dass sie die ererbte Herrschaft über die Gebiete der ehemaligen Herzogtümer Kleve, Jülich und Berg gemeinsam antreten wollten. Ihre Übereinkunft klingt religionspolitisch modern. Sie führte zu dem sogenannten „Reversale“ vom 14.7. 1609, in dem sich beide Regenten auf eine tolerante Religionspolitik in den ihnen neu zugewachsenen Territorien verständigten. Es wurde beschlossen, ich zitiere wörtlich:

„Die Catholische Römische, wie auch alle andere christliche Religion, wie sowohl im Römischen Reich als den vorstehenden Fürstentumb Cleve und Graffschaft von der Marck in öffentlichen Gebrauch und Übung auch in diesem Fürstentumb Julich an einem jeden Ort offentlich zu üben und zu gebrauchen, zuzulassen, zu continuiren und zu mantinuiren, und daruber Niemand an seinem Gewissen noch Exercitio zu turbieren, zu molestieren noch zu betrüben“.6

Diese Proklamation einer Politik der konfessionellen Toleranz für unsere Region sollte jedoch durch militante, machtpolitische Präsenz der Altgläubigen in Jülich unterhöhlt werden. Als unser Zeitzeuge Sibelius von Elberfeld nach Randerath reiste, um sich dort am 11. Dezember der Gemeinde für seine Wahl zum Prediger der Gemeinde vorzustellen, konnte er Randerath nur, wie er schrieb, „per summa pericula“ (unter größter Gefahr) erreichen7.

Die marodierenden Habsburger Soldaten von Erzherzog Leopold - seines Zeichens auch Bischof von Straßburg und Passau- machten die Gegend unsicher. Sie versuchten mit einer Art „low–level- war“, dh. ausgehend von Jülich mit nadelstichartigen militärischen übergriffen gegen die Zivilbevölkerung den Einfluss des Kaisers und damit die katholische Sache in der Region machtpolitisch stützen. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen setzte der damalige Befehlshaber der Jülicher Garnison sogar einen Preis von 3000 Talern auf den Kopf des Randerather Prädikanten Sibelius8 aus, nachdem der seine Pfarrstelle in der dortigen reformierten Gemeinde angetreten hatte.

Man kann sich vorstellen, welch persönlicher Mut dazu gehrte, dass sich ein junger Prädikant unter solchen Bedingungen auf seine für damalige Verhältnisse ausgedehnten Pastoratsreisen machte. Ohne sicheres Geleit begab Sibelius sich zu Fuß oder mit Pferd und Wagen auf den Weg, um z.B. in Geilenkirchen und an vielen anderen Orten hier Dienst zu tun. Die Besetzung Jülichs war ein Anschlag gegen den in Dortmund für Jülich, Kleve und Berg ausgerufenen Religionsfrieden.

Die beiden Fürstenhuser Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg brachten darum mit Hilfe der holländischen Truppen von Moritz von Oranien eine Armee zusammen. Sie konnte im Mai 1610 Erzherzog Leopold bei Randerath besiegen. Kurz darauf wandten die Sieger sich gegen Jülich. Nachdem das Belagerungsheer durch holländische Truppen unter Prinz Moritz von Oranien noch einmal verstärkt worden war, ergaben sich am 1. September Stadt und Festung. Bischof Leopold musste das Land verlassen. Die politische Herrschaft war hier nun wieder evangelischer Konfession. Nachdem mit Unterstützung des Hauses Oranien Jülich gefallen war, konnte sie völlig in die Hände von Brandenburg und Pfalz-Neuburg gegeben werden.

Damit setzte die glückliche Friedenszeit ein, die Sibelius in unserem anfänglichen Zitat schildern konnte. Sozusagen noch unter dem Donner der Geschütze der Belagerung von Jülich traten zwei weitere Persönlichkeiten in das Licht der Rheinischen Kirchengeschichte. Ihre Absichten und ihren Einfluss auf die Tatsache, dass auch wir heute hier zusammen gekommen sind, kann man kaum überschätzen.

Es handelte es sich um Feldprediger, Militärpfarrer würde man heute sagen, die dafür sorgten, dass eine presbyterial-synodale Kirchenordnung vom Niederrhein ausgehend bis in unsere Tage hinein kirchenbildend wirken sollte. Der eine war Johannes Pütz genant Fontanus. Johannes Pütz wurde 1545 in Sollar bei Düren geboren. Er promovierte nach Studien in Genf und in Heidelberg zum Dr. theol. bei Zacharias Ursinus, dem Mitverfasser des Heidelberger Katechismus.

Pütz besaß das Vertrauen der holländischen Seite, da er bereits 1578 als Feldprediger Wilhelms von Oranien für die Sache der Generalstaaten gegen die Besetzung der Niederlande durch Spanien eintrat. Später wurde er Pfarrer in Arnheim sowie Kurator der Universität von Harderwijk. Pütz besaß darüber hinaus das Vertrauen des pfälzischen Kurfürsten, da er zuvor 14 Jahre in der Pfalz am Wort gedient hatte. Nunmehr in Holland tätig, vermochte „Moritz von Oranien … den fast 65 jährigen noch einmal neu zu überreden, wieder in den Dienst eines Feldpredigers ein zu treten“9.

Der andere Militärpfarrer bzw. Feldgeistliche - Abraham Scultetus (= „Schulze“) - war mit seinen 44 Jahren 20 Jahre jünger als Fontanus. 1566 in Schlesien geboren, hatte er in Wittenberg und Heidelberg studiert. Er schloss seine Studien als Doktor der Philosophie ab und wurde 1595 von Kurfürst Friedrich IV. zu dessen Schlossprediger nach Heidelberg berufen. Scultetus hatte Erfahrung in - wie man heute sagen würde - „Gemeindeberatung“. Nachdem sein Landesherr ihn ins Rheinland entsandt hatte, war er z.B. bei einem innergemeindlichen Konflikt in Duisburg zu Beratungen herangezogen worden. Nach der Teilnahme an einer Synode in Elberfeld am 6.Juli 1610 predigte er in Düsseldorf als Feldgeistlicher für die Soldaten, die in den Kampf gegen die Habsburger auszogen, um die Truppen von Bischof Leopold in Jülich bzw. Randerath zu stellen. Dabei predigt er über Psalm 60 („Mit Gott wollen wir Taten tun. Er wird unsere Feinde niedertreten“ v14).10

Bei der dann erfolgenden Belagerung Jülichs geriet er selbst mehrfach in Lebensgefahr, so z.B. als er mit einem (späteren Kritiker der Erwählungslehre Calvins) Johann Uytenbogaert sich die Beine vertrat und anschließend wieder zu seinen Unterstand unterwegs war. Bereits dreimal hatte eine Kanonenkugel ihn knapp verfehlt. Über das vierte Mal schreibt er:

„Alss ich wieder nach meiner Hütten gehen wolte, nicht weit vom Gericht, auß Gülich auf mich und meinen Gefehrdten Joan Utenbogardum geschoßen und kaum ein Schritt gefehlet ward. Darum preise ich dich mein Gott und will dich preisen in Ewigkeit“ 11.

Man kann davon ausgehen, dass die Begegnung von Pütz und Scultetus anlässlich der Belagerung von Jülich kein „reiner Höflichkeitsbesuch“12 gewesen war: Die beiden setzten sich bewusst den damit verbundenen Gefahren aus, um sich - mit ihren Fürstenhusern im Rücken - in die endlich zu erwartende Neuformung der Kirchenorganisation in unserer Region einzuschalten.

Noch während der Belagerung von Jülich verständigte man sich auf eine Zusammenkunft mit weiteren niederrheinischen Synodalvertretern. Am 17.August 1610 fand deshalb der „Dürener Konvent“ statt.

Hier beriet man Tagesordnung und zahlenmäßige Zusammensetzung der wenige Wochen später stattfindenden Duisburger Generalsynode vom 7.- 11.9.1610.13 Gemäß Rücksprache mit Duisburger Ratsherren einigte man sich auf die Salvatorkirche als Tagungsort. Nach der Eroberung Jülichs bestand offensichtlich auch innerprotestantisch eine „ungeklärte politische Lage“.14 Der Einfluss Brandenburgs, der niederländischen Generalstaaten und Pfalz-Neuburgs auf das den Habsburgern gemeinsam genommene Gebiet war offen. Er bot im Blick auf die weitere Zukunft Anlass zu weiteren politischen Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Fürstenhusern. Deswegen einigte man sich in Düren darauf, dass in Duisburg „nur Kirchensachen“ behandelt werden sollten.15

Unter diesen Umständen wundert es nicht, dass in 7 der Dürener Vorberatung ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Teilnahme von Fontanus und Scultetus als Feldprediger der Generalsstaaten bzw. Kurbrandernburgs und Pfalz–Neuburgs besonders vereinbart wurde. Beide erscheinen auf dem Dürener Protokoll als Erstunterzeichner, dann erst folgen die Namen der hiesigen Gemeindevertreter.16 Weil wir hier in der Synode Jülich sind, möchte ich deren Namen ausdrücklich nennen: Theodor Hordäus (Sittard), Daniel Telones (Düren), Werner Lachius aus Wassenberg.und Johannes Luneschlot aus Heinsberg.17

Diese Namen sind ebenfalls wieder auf der Duisburger Generalsynode von 1610 vertreten.18 Dazu kamen dann drei Wochen später in Duisburg aus unserer Region Servatius Kuchenius, Presbyter aus Düren, sowie Leonhart Hanemann Presbyter aus Linnich hinzu.19

Im nun folgenden Teil meines Vortrags möchte ich einige Bemerkungen zur grundsätzlichen Bedeutung von Duisburg 1610 machen.

Kirche ist ein für Christus auf Gemeindebasis verbindlich vernetztes und ökumenisch gelebtes Bekennen, aber kein „religiöser ALDI“

Duisburg 1610 provoziert zu einem kritischen Umgang mit dem, was Paul Tillich einmal das „ Protestantische Prinzip“ genannt hat. Demnach gehört es zu den problematischen Eigenarten der evangelischen Konfession, sich mit permanent prophetischer Kritik gegen jegliche irdisch begrenzten Machtansprüche – auch innerhalb der Kirche - zu wenden. Form und Gestaltung religiösen Lebens unterliegt - besonders unter den Vorzeichen einer protestantisch geprägten Kultur – einer grundsätzlichen und permanenten Skepsis, vor allem wenn sie traditionell auferlegt wird und sie nicht individuell - „persönlich“ gewachsen ist.

Ich sage hier nichts Neues, wenn ich daran erinnere, dass in unseren Reihen in einem solchen Klima ein ungebremster Kongregationalismus (= Kirchturmdenken) mit seiner Anfälligkeit für Personenkult, Individualismus und Subjektivismus bestens gedeihen kann. Ein Konvertit, der von der katholischen zur protestantischen Konfession wechselte, hat mir seinen Schritt darum einmal mit der lakonischen Bemerkung kommentiert: „Ich kam aus der Kirche des Papstes und kam in die Kirche der Päpste.“

Um es mit Tillichschen Kategorien auszudrücken: Weil Gott begegnet als „das was unbedingt angeht“ hat das, was bedingt begegnet „eigentlich“ nichts mehr mit Gott zu tun. lassen, dass hinter den Männern damals viele Frauen standen, die entscheidend zu dieser Entwicklung mit beitrugen. Bereits 1910 hat Bockmühl einige Frauen namentlich genannt, die in den konfessionellen Wirren von damals ihre Fahnen nicht nach dem Wind hängten, zu ihren evangelisch bzw. reformiert orientierten Überzeugungen standen und nach ihren Möglichkeiten Verfolgten mutig Schutz boten.

Es wäre lohnenswert, den Biografien der von Bockmühl genannten Frauen näher nach zu gehen. Bockmühl nennt aus dem Haus Jülich – Kleve – Berg: die Schwestern Magdalena, Sybilla, und Maria Eleonore, um deren „Glaubensmut“ hervorzuheben. (Bockmühl 27). Ebenso sei an die zweite Gemahlin von Fürst Wolfgang Wilhelm erinnert, die dem katholischen Einfluss am Hof ihres römisch-konvertierten Gatten widerstand. Herzogin Katharina Charlotte von Pfalz – Zweibrücken bewahrte z.B. Pastor Lünenschloss davor, als Gefangener nach Düsseldorf gebracht zu werden.

Sie lud ihn in ihren Wagen ein, um ihn unter ihrem Schutz ihrem Gemahl als Beispiel für Glaubensstärke am Düsseldorfer Hof vorzustellen. „Sie war namentlich für die Dsseldorfer Gemeinde, trotzdem sie fast wie eine Gefangene im Fürstenschloss behandelt wurde, eine Stütze und Zuflucht in schwerer Drangsalszeit geworden…“ (Bockmühl, 88). In dem Zusammenhang sei an einen Brief erinnert, den Johannes C a l v i n an wegen ihres Glaubenszeugnisses inhaftierte Frauen in Paris schrieb:

„Und wenn sie aus dem Geschlecht oder äußerem Stand Anlaß nehmen, ganz besonders über uns herzufallen (wir sehen ja, wie sie über Frauen und einfache Handwerker spotten, als käme es denen nicht zu, von Gott zu reden und ihr Seelenheil zu kennen!), so müssen wir sehen, wie Gott täglich wirk, durch das Zeugnis von Frauen und seine Feinde bestürzt macht.“ „ Da es …Gott gefallen hat, Euch zu berufen, so gut wie die Männer ( denn vor ihm gilt nicht Mann noch Weib), so müsst Ihr auch Eure Pflicht tun … und dürft… nicht feige sein.“ „Da wir alle zusammen unser Heil haben in ihm, mssen wir einmütig, Mnner wie Frauen , seine Sache führen.“ (zit. n. R. Schwarz, Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen, Neukirchen 1961, 916)

Solche Briefe hatten Wirkung. Sie weckten das „Bewusstsein unbedingter Verantwortlichkeit“ mit dem Calvin den Reformierten auch in unserer Region „unbeugsamen Siegeswillen ins Herz geschrieben hat.“ (Bockmühl, 32)

Daraus hat ein Vulgärprotestantismus, das geheime Dogma gemacht: „Gott Ja, Kirche nein.“ Paul Tillich wäre nicht Paul Tillich, wenn er dies nicht auch als die offene Flanke das Protestantismus erkannt hätte. Ihm war bewusst, dass die Geltung des Unbedingten einer Vermittlung bedarf, die sich des Bedingten - zum Beispiel in Symbolen - bedient und damit im Bündnis steht, ohne dass dabei jedoch die Symbole ihren Symbolcharakter verlieren.20 Vor kurzem hat Fulbert Steffensky in seinem weit beachteten Vortrag „Was liebe ich am Protestantismus?“21 dieses protestantische Prinzip noch einmal neu beschrieben, indem er seine Grundsätzlichkeit auf die reformatorische Rechtfertigungslehre zurckführt:

„Protestantismus sagt in letzter Radikalität: Jener Blick der Güte (Gottes H.S.), der unsere Ganzheit und Liebenswürdigkeit in uns hineinsieht, genügt. Nichts, aber auch gar nichts sonst (natürlich außer der Gerechtigkeit, die vom Menschen verlangt wird) kann noch irgendeine Heilswirklichkeit beanspruchen. Es gibt keine religiössubstantiellen Materialien mehr: Kein Priestertum, ausgestattet mit einer speziellen Macht, keine Amtsgewalt, die speziell an das Geschlecht des Mannes gebunden ist; kein Papsttum mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit; keine apostolische Sukzession, in der durch eine materielle Manipulation die Weitergabe des Geistes garantiert wird. Nichts, aber auch gar nichts außer dem Blick der Güte hat Heilsbedeutung. Das Prinzip der Gnade hat eine zersetzende Kraft. Es zersetzt alles, was sich außer dem Zeugnis der Gnade noch als substanziell wichtig aufspielen will. Es zersetzt die religiösen Selbstversuche. Protestantismus ist karger in der religisen Äußerung und in religiösen Verlässlichkeiten. Sie kennen keine Heilsmittel und deren feierliche Ausstattung. Protestanten sollten endlich lernen, diese Kargheit als einen Reichtum und eine Schönheit zu empfinden und nicht dauernd mit einem neidischen Auge auf römische Fälle zu schielen.“22

So faszinierend und richtig diese Beobachtungen auch sein mögen: als Gemeindepfarrer ist mir die „protestantische Kargheit“ auch in Besorgnis erregenden Spielarten begegnet: „Evangelische unterscheiden sich von Katholiken dadurch, dass sie nicht in die Kirche gehen müssen“ habe ich von KonfirmandInnen als erstes gehört, wenn ich sie nach dem Unterschied zwischen den großen Konfessionen fragte.

Die Lehre von Duisburg 1610 für evangelisch kirchliche Lehre heute

Neuerdings lässt sich das Protestantische Prinzip hier und da auch so vernehmen: „Evangelische Spiritualitt akzeptiert keine Dogmen und erst recht keine Katechismen.“ Diese Haltung macht, wie die jüngste Debatte über die Heilsbedeutung des Todes Jesu zeigte, vor zentralen Äußerungen des Neuen Testamentes nicht Halt.

Das hat einen die evangelische Konfession bis ins Mark hinein erschütternden Grund: Die Schrift ist in ihrer Kanonizität für sie kaum noch „Heilige“ Schrift zu nennen. Das heißt: Der biblische Kanon hat die Funktion einer das Leben der Kirche bestimmenden Orientierung eingebüßt. Er ist nicht mehr die „norma normans“ und droht unter den Diktaten historischer Sichtweise seine bestimmende Kraft zu verlieren.23

Die reformatorische Lösung des Kanonproblems, die Schrift als Hinweis auf Christus zu lesen und diese ihre Mitte mit begrifflicher Anstrengung zu systematisieren, verliert an Durchschlagskraft. Die damit notwendigen theologischen Auseinandersetzungen werden vielfach gescheut und nur mit gedämpfter Stimme in Angriff genommen. Evangelische Glaubensinhalte drohen von daher in der „Diktatur eines“ noch nicht einmal mehr thematisierten „Relativismus“24 zu versanden.

Sogar die von Fulbert Steffensky schön beschriebene „Rechtfertigung des Gottlosen allein aus Gottes Gnade“ droht ihre Selbstverständlichkeit und zentrale Stellung für unsere Kirche zu verlieren, wenn sie nicht mehr, - wie noch auf der Duisburger Generalsynode von 1610 (!!) - als verbindliche Lehre anerkannt bzw. neuen kritischen Fragen ausgesetzt wird. Damit deutet sich wie eine dunkle Wolke am Horizont an, dass die Evangelische Kirche die Bibel als „norma normans“ (= bestimmende Grundlage für aktuelles Bekennen) und damit auch ihre Bekenntnisse als „Normae normatae“ (= von der Schrift her bestimmte Glaubensinhalte) verliert. Demgegenüber ist mit neueren theologischen Ansätzen25 zu diesem Problem festzuhalten: Die Gabe der Endgestalt der Schrift entbirgt die Wahrheit des Evangeliums im Hin und Her der jeweiligen Aspekte ihrer Zusagen.26

Bereits die Duisburger Generalsynode formulierte die Bedeutung dieser innerbiblischen Spannungen, für ihre eigene Zeit, in dem sie sich zur Lehre des Heidelberger Katechismus bekannte. „Für eine immerhin als möglich erachtete Fortbildung des Katechismus“27 band sie Gemeinden, in denen Zweifel an den geltenden Lehraussagen aufgekommen waren, „an das Handeln der Synoden“28 Gleichzeitig öffnete sie sich einer kommenden innerprotestantischen Ökumene, indem sie erklärte, dass ihre Bindung an den Heidelberger Katechismus als Auslegungsnorm „anderen Kirchen in und außerhalb teutscher Nation mit Gottes Wort und also dieser Bekenntnis in keinem Wege nichts praejudicirt haben“.

Ich schließe mich in der Deutung dieses Satzes Bockmühl in dessen Festschrift zur Duisburger Synode aus dem Jahr 1910 an, wenn er urteilt, dass sich die Synode „bescheidentlich“ damals nicht zur „Richterin z.B. ‚ber die Kirche lutherischen Bekenntnisses“ aufwerfen wollte, sondern der Augustin zugeschriebenen Regel „Im Notwendigen Einheit, in Mitteldingen Freiheit, aber in allem die Liebe“ folgte.29 (In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas: Im Notwendigen herrsche Einmütigkeit, im Zweifel Freiheit, aber in allem die Liebe“) In dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass für die Reformierte Kirche im Unterschied zur Lutherischen Konfession die Lehr- und Bekenntnisbildung offen und nicht abgeschlossen ist. Damit verbindet sich - je nach kairos (= zeitlich gegebener Gelegenheit)

1. die Herausforderung, synodal vernetzt (mit Blick auf die ˆÖkumene !!) an neuen Katechismen bzw Bekenntnissen30 zu arbeiten.

2. wird es darum gehen, tradierte wie neu formulierte Glaubensinhalte auf breiter Basis für unterschiedliche Altersgruppen und nicht zuletzt bei Mitarbeitenden (z.B. auch durch angekündigte Lehrpredigten von hierzu besonders geeigneten Personen nach dem Muster von Kirchentagen oder dem „Missionale“ ) intensiviert zu verbreiten. Damit verbindet sich die Notwendigkeit, ein neu geordnetes Gemeindekatechumenat (z.B. auch im Blick auf die Begleitung von Kircheneintritten ) zu entwickeln.

Die Lehre von Duisburg 1610 für eine Debatte über die Gültigkeit traditioneller kirchlicher Strukturen in der EKiR heute

Um die Bedeutung der Erinnerung an Duisburg weiter zu unterstreichen, möchte ich den Blick auf einen anderen Punkt richten: Auf Effizienz bedachte Management-Methoden empfehlen, das synodal-presbyteriale Prinzip unserer Landeskirche einer notwendigen Revision zu unterziehen.31 Nicht zuletzt Pfarrer und Pfarrerinnen klagen unter Last ihrer zuweilen als überfordert empfundenen Presbyterien.

Aber nicht nur sie, auch Kreissynodalvorstände und das Landeskirchenamt sehnen sich nach einer zeitgemäßen Konsolidierung ihrer Führungskompetenz. Die Ordnung der EKiR erscheint wie ein lahmer Doppeldecker im Zeitalter von Jets und Raketen, wobei man sich während des nervigen Hin und Hers auf einer Synodaltagung fragt, ob der Treibstoff noch reichen wird, um an die überlebensnotwendigen Destinationen zu gelangen.

Die Strukturen einer kollegialen Kirchenleitung von unten nach oben wird wegen ihrer Schwerfälligkeit nach dem Motto „Viele Köche verderben den Brei“ als Ideologie von vorgestern empfunden. Diese Besorgnisse bestehen m. E. zu Recht, wenn Kirchengemeinden zu langsam oder überhaupt nicht die Zeichen der Zeit (bzw. die sinkenden Zahlen von Gemeindegliedern) erkennen und sich einer notwendigen Zusammenarbeit mit Nachbargemeinden starrsinnig verschließen. Einige Leitungsorgane haben angesichts der Komplexität heutiger Strukturfragen deshalb Unternehmensberatungen um Hilfe gebeten. Die Consulting-Experten der beauftragten Unternehmen schütteln nach kurzer Zeit den Kopf, wenn sie sich mit den Steilkurven und Loopings von Entscheidungsbahnen in unserer Landeskirche konfrontiert sehen.

Von daher bietet Duisburg 1610 die Herausforderung, noch einmal neu den Sinn einer auch in der Vielfalt ihrer Dienste an Schrift und Bekenntnis gebundenen, presbyterial-synodalen Kirchenleitung „von unten“ zu entdecken. Dies ist nicht ohne Chancen, denn die Schrift verheißt: „Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder“ bzw. Geschwister (Mt 23,8b) und „ Wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft …Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit“ (1Kor 12,13,26).

Von daher leitet dieses Jubiläumsjahr speziell unsere Kirche, ihre Synode und unsere Gemeinden dazu an, ihre presbyterial-synodale Kirchenordnung als geistliche Orientierung mit langfristiger Perspektive für ein kompetentes Leben von Kirche und Gemeinde „nahe bei den Menschen“ auf den Prüfstand zu stellen.

Duisburg 1610 und der Geist, aus dem heraus man damals zusammen kam, spricht eine andere Sprache als die Ideologie einer funktionalen Kirchentheorie, die wie eine Verkaufskette von ALDI präsent sein möchte, um Religion als Dienstleistung in unterschiedlichster Form möglichst lukrativ konsumierbar zu halten.

Die Synodalen hatten damals vor Augen: Mission, die Sendung Jesu an seine Jüngerinnen und Jünger kann für die Welt heute gelebt werden, wenn das bei Taufe und Abendmahl unter Gottes Wort verheißene „Priestertum aller Gläubigen“ vor Ort glaubwürdig und in lebendigen Beziehungen vernetzt-solidarisch und in Abstimmung mit anderen Gemeinden in übergreifender Kirchlichkeit ökumenisch offen und von den durch sie berührten Menschen kritisch mitgestaltet wird.

Diese Gratwanderung, die ebenso presbyterial wie synodal verläuft, setzte eine mündige, sprachfähige und geistlich-kompetente Gemeindestruktur in ortsbezogener guter Nachbarschaft mit loyalen Abstimmungsprozessen auf gesamtkirchlicher Ebene voraus. Etwas vereinfacht gesagt: Wenn es in der alten Kirche hieß „Nichts ohne den Bischof“ (so Cyprian von Karthago, 200-258), um die gesamtkirchliche Verbundenheit der Gemeinden vor Ort zu wahren, müsste es nun heißen: „Nichts ohne die Synode“, um nicht in den Tunnelblick eines reinen Kirchturmdenkens zu verfallen.

Ähnlich konnte 1934 die Barmer Theologische Erklärung festhalten, dass die Kirche besonders mit ihrer geschwisterlichen Ordnung als Gemeinde von „Brüdern“ (und Schwestern, wie wir heute hinzufügen) nur in ökumenischer Weite und Verantwortung Zeugnis für Christus gibt. Im Blick auf heute gesagt: Volkskirche mit Zukunft - Ja oder Nein, die Duisburger Generalsynode von 1610 mahnt: Kirche kommt bei Menschen an, wenn ihr Profil lebensnah als Lebensform erkennbar bleibt. Dies ihr „evangelisches“ Profil ergibt sich aus der Einbettung einer gesamtkirchlich wahrgenommenen Verantwortung füreinander in der Gemeinschaft eines an Orte gebundenen und damit jedermann erfahrbar gewordenen geordneten Dienens, in dem nach Phil 2,3 gilt, dass „ …einer den anderen höher achtet als sich selbst.“

Johannes Calvin und Martin Luther waren sich darin einig, dass eine „Kirche als allgemeines Priestertum des Laien“ dazu beruft, dass Getaufte anderen in Freiheit „Christus“32 werden kö‚nnen. Gleichzeitig waren sich beide auch darin einig, dass, wie Luther sagte, „Einsamkeit die Schwester des Teufels wäre“ und christlicher Glaube nur in verbindlicher und - wie Calvin lehrte - ökumenischer Gemeinschaft33 gelebt werden kann.

Oder wie Frere Roger Schutz einmal sagen konnte: „Christus ist Gemeinschaft“.34 In diesem Sinn setzte die Duisburger Generalsynode ein Zeichen, dass synodale Gemeinschaft und achtsame Geschwisterlichkeit in allen Lebensräumen zu den Merkmalen eines authentisch geordneten kirchlichen Lebens gehört. Denn:

„Ohne die Konstitution der christlichen Gemeinde als soziales Subjekt, das in ihm eigentümlicher Weise urteilt, entscheidet, denkt und handelt, verliert die Kirche ihre Vollmacht… In einer Zeit, in der Kirche und Gesellschaft zunehmend auseinander treten, ist darum die Konstitution der Gemeinde in geistlich und weltlich wahrnehmbarer Leiblichkeit die primäre Aufgabe einer evangelischen Theorie und Praxis der Kirche. Diese Leiblichkeit umfasst Gottesdienst und gemeinsames Leben, Verfassung und unscheinbaren Dienst gleicherma߇en. Ohne diese Voraussetzung (eines presbyterial-synodal vernetzten und in umfassenden Bildungsprozessen mitverantworteten Lebensstils H.S.) verfallen die ethisch-politischen Appelle und Programme der Kirche…dem Verdacht, unverbindliche Reflexionsprodukte und abstraktes Raisonnement zu sein. D i e s e Appelle wecken …den Verdacht, die Kirche wolle sich als Gouvernante der Gesellschaft empfehlen, ohne … durch das Beispiel ihrer eigenen Gestalt legitimiert zu sein.“35

Die Lehre von Duisburg 1610 f۟r kirchliche Bildungsverantwortung heute

Aus diesem Verantwortungsbewusstsein für eine in ihren Gemeinden geerdete Kirche erklärt sich auch das Bildungsinteresse der Duisburger Beschlüsse, wenn sie daran festhalten, dass jede Gemeinde neben pastoraler Versorgung, auch mit „notigen Schulen und Schuldiener“ für die Jugend „mochten versehen werden.“36 Wenn Bildungstheoretiker heute fragen: „Wie wird Wirklichkeit angeeignet?“37 lässt sich hier eine Antwort finden. Kirchliche Bildung ist Persönlichkeitsbildung und damit Erziehung zu Freiheit in Leidenschaft für die Würde des Menschen, getragen von Zuwendung und Zuspruch im Leben einer leibhaftig sich versammelnden Gemeinde bzw. ihres mündigen Priestertums aller Gäubigen.

Anders gesagt: Die Duisburger Synode zeigte bereits 1610 in ihrem kirchlichen Gestaltungswillen: Bildung hat dann die Chance zur kritischen Aneignung von Wirklichkeit, wenn die Schecks, die Erziehung ausgibt, vom Leben einer sie umgebenden Gemeinschaft auf authentische Weise gedeckt werden. Ich sage nichts Neues, dass die meisten von uns an Menschen und konkrete soziale Erfahrungen zurückdenken, wenn sie sich darüber Rechenschaft geben, warum sie jetzt Leitungsverantwortung in einer Kirche übernommen haben.

Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen über die Duisburger Synode von 1610 möchte ich nun einzelne Punkte ihres Protokolls ansprechen.

„Und ist also dieser Synodus nach gethaenem Gebet beschlossen“: das Protokoll in genauerer Betrachtung

„Den eigentlichen Schwerpunkt seiner Aussagen hat das Duisburger Protokoll dem Verfassungsaufbau der Kirche vorbehalten.“ 38 Wir finden den Text dazu auf Seite 21ff, 9 in den Punkten 1- 8.39 Die örtlichen Gemeinden verfügten über Presbyterien, die auch Konsistorien genannt wurden. Sie fassten sich in ihrer Region zu einer Art Kirchenkreis, „Klasse“ genannt, zusammen. Das Presbyterium war genötigt, wöchentlich bis vierzehnt„ägig zusammenkommen.40 Die Klasse, oder wir würden sagen „Kreissynode“, sollte zweimal im Jahr zusammentreten.41

Die Klassen wiederum entsandten ihre Abgeordneten zu der sogenannten Provinzialsynode, in der die Klassen jeweils von Jülich, Kleve und Berg einmal im Jahr zusammen kamen. Damit man sich auf den Provinzialsynoden wechselseitig besuchen konnte, war festgelegt, wann die Provinzialsynoden stattfanden (Jülich: dienstags nach Kantate; Kleve am Dienstag nach Trinitatis und Berg am Dienstag nach dem 5 Sonntag nach Trinitatis). Diese Achtsamkeit in der Terminierung sollte dazu dienen, dass die Abgesandten der jeweiligen Provinzialsynode die „bruderliche Correspondenz und Einigkeit“42 unter den Synoden aufrechterhalten konnten. Dies wurde dadurch bestärkt, dass eine Generalsynode für Jülich, Kleve, Berg alle drei Jahre abgehalten wurde.43

Die Leiter der jeweiligen Synoden hatten die nächste einzuberufen. Damit hatten sie aber nicht automatisch den Vorsitz. Jede Synode bestimmte zu Beginn Präses, Assessor und Skriba neu.44 Ansätze zum heutigen Amt der Superintendentin bzw. des Superintendenten finden sich jedoch in der Vereinbarung eines sogenannten „überstehenden Moderamens“45. Denn dem amtierenden Präses und seinem Assessor „wurden nach Schluss der Synodaltagung alle die Generalsynode angehenden Fragen bis zur Wahl ihrer Nachfolger auf der nächsten Generalsynode zu eigener Verantwortung übertragen“ 46. Außerdem hatte jede Klassenversammlung einen „besonderen Inspektor“ zu wählen.47 Ihm oder dem Präses fiel die Aufgabe zu, auf den Synoden zum Thema zu machen,

  • ob die Beschlüsse der letzten Synode zur Ausführung gekommen seien („…ob alles verrichtet seie…“ 9,7.4),
  • wie es mit der Predigt von Gottes Wort in jeder Gemeinde,
  • mit der „Bedienung der Sakramenten“,
  • dem Katechismusunterricht,
  • der Kirchenzucht,
  • der Sozialhilfe bzw. :der „Armenverpflegung“ (!!!!)
  • und der Bildungsarbeit in den Schulen stehe. 48

Auch lutherische Gemeinden fanden sich auf ähnliche Weise in Düren, Dinslaken, Lennep, Bielefeld und Unna zusammen, aber hier waren es nur die Pfarrer, die sich trafen.49 Die typisch reformierte Eigenart der 1610 in Duisburg beschlossenen Verfassung besteht darin, dass hier nicht nur die zum Verkündigungsdienst ordinierten Amtsträger zusammenkamen. Vielmehr bestand die Regel, dass Klasse und Provinzialsynode von Ältesten und Pfarrern grundsätzlich jeweils immer zu zweit (oder zu viert und dann zu zwei und zwei) besucht wurden.49

Ich zitiere aus 9 zu Punkt 4: „Dass zur Besuchung dieser vorschreven Conventen die Deputierten folgender Weise verordnet werden: aus jedem Consistorio ein Prediger und ein Eltister zum Classico Conventu; aus jeder Claß zwei Prediger und zwei Eltisten zum Provinciali Synodo“.50 Weil es schwierig war, neben den intensiven zeitlichen Beanspruchungen für die Zusammenarbeit in Presbyterium, Klasse und Provinzialsynode auch noch Älteste für den regelmäßigen Besuch der Generalsynode zu gewinnen, wurden aus der Provinzialsynode auf die Generalsynode nur jeweils 4 Prediger und zwei Älteste entsandt.51

Ebenso wichtig ist die Regelung der im Duisburger Protokoll zu findenden Subsidiarittsklauseln in 9,6. Sie sicherten, dass die „eigentliche Rechtshoheit der Kirche bei der einzelnen Gemeinde liegt“52, solange sie sich synodal bindet und im Bereich ihrer synodal festgelegten Zuständigkeiten und Pflichten handelt. Andernfalls hätte die Rechtshoheit der Ortsgemeinde hinter den Beschlüssen der Synode zurückzutreten.

Dieser auf einem gleichberechtigten Miteinander von Predigern und Ältesten beruhende Aufbau einer Kirche von unten nach oben ist auf dem bereits zu Anfang erwähnten Priestertum aller Gläubigen gegründet. Auf Frage 32 im Heidelberger Katechismus „Warum wirst Du ein Christ genannt?“ heißt die Antwort: „Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi bin und dadurch an seiner Salbung Anteil habe“.53 Das heißt: Christin und Christ haben kraft ihres Glaubens Anteil am dreifachen Amt Christi. Sie sind mit ihm dazu berufen, „Prophet, Priester und Knig“ zu sein, damit sie „mit freiem Gewissen in diesem Leben gegen die Sünde und den Teufel streite(n)“54 Um dieser Berufung willen knnen alle Glieder von Kirche und Gemeinde in gleicher Verantwortung füreinander einstehen.

Hierzu ein weiterer Rückgriff auf grundlegende Äußerungen zu einem reformierten Kirchenverständnis bei Johannes Calvin:

Johannes Calvin sah in seiner Institutio von 1559 (4.6.9) Christus als einziges Haupt der Kirche, weil die Gläubigen „unter dessen Herrschaft … alle miteinander verbunden sind: “Von dieser Voraussetzung her steht die Kirche unter der Verheißung, dass ihre Getauften am dreifachen Amt Christi teilhaben. Aufgrund dessen bestritt Calvin energisch, dass „ein einziger Mensch der ganzen Kirche vorstehe“.55 Monarchie sei bereits in der bürgerlichen Welt ein „absurdissimum“, aber erst Recht in der Kirche ein „Riesenunrecht“ (insignis iniuria) gegen Christus (4.6.9).

In diesem Sinn wird für Calvin gemäß 1. Kor 1, 1 in ihrem Miteinander jede Gemeinde zur Kirche Gottes und darf sich nicht die „Vorherrschaft und Beherrschung gegenüber einer anderen anmaßen.“ (so im Genfer Katechismus bei W. Niesel, Bekenntnisschriften, und Kirchenordnung der nach Gottes Wort reformierten Kirche, Zürich 1938,S.75: „Premierment que nulle Eglise ne pourra pretendre principaute ou domination sur l autre“.) Diese Grundsätze wurden vom Weseler Konvent 1568, (3. November) sowie den Synoden von Bedburg (3./ 4.Juli) und Emden (4.-13 Oktober) im Jahr 1571 als maßgeblicher Grundsatz reformierter Kirchenordnung festgehalten.

An dieser Stelle möchte ich zur Hauptaussage meines Vortrags kommen:

Vielfach wird behauptet, Duisburg 1610 sei ein Durchbruch für bürgerliche Freiheit und Demokratie in der Kirche. Aber eine solche Kennzeichnung trifft das Ereignis und seine Bedeutung nur an der Oberfläche. Die Duisburger Generalsynode von 1610 bekannte sich mit der Verankerung des Gleichgewichts zwischen presbyterialer Verantwortung und ordiniertem Amt zur Bedeutung der Taufe als Berufung zum Priestertum aller Gläubigen. Anders gesagt: „Der Alltag ist… der Raum, in welchem Glaube sich zu bewähren hat, und Gottesdienste sind …Zurüstung für den christlichen Alltag.“

So gesehen war Duisburg 1610 ein Meilenstein auf dem Weg zu der Gestalt eines Christentums, von dem gilt: Wer nicht – wie auch immer – an der „Mission“ bzw. Sendung des Glaubens für Welt und Leben teil hat, „wird nicht als Christ gelten.“ Darum gilt es bei den heute anstehenden Debatten zur Überprüfung der bleibenden Bedeutung der presbyterial-synodalen Struktur kirchlicher Verfassungen daran festzuhalten: „Wir werden trotz aller Risiken und unvermeidbaren Pannen“ im Blick auf unsere derzeitige Kirchenordung vom Blick auf den Alltag der Gläubigen in unseren Gemeinden her „jene Unruhe wecken, unterstützen und ausrichten müssen“, mit der es eine ebenso global wie lokal vernetzte Sendung bzw. Mission von Glaube und Kirche nur geben kann.56

Ich erinnere in solcher Breite daran, um zu unterstreichen, dass aus diesem Geist heraus die Duisburger Generalsynode 1610 „Ausgangspunkt“ einer genuin reformierten Verfassungsentwicklung für die evangelischen Kirchen am Niederrhein und in Westfalen wurde. Durch sie wurden die „Grundsätze des synodalen Kirchenaufbaus in die Verfassungsneubildung der deutschen und evangelischen Landeskirchen nach 1815 hinübergereicht und damit zu einem bis in unsere Gegenwart gestaltungskräftigen Wirkfaktor“.57 Diese „Wirkkraft“ ist m.E. auf folgende geistliche Motive zurück zu führen:

1. Sozialethik und Lebensstil im Hören auf das Evangelium bedeutete kirchliches Leben und Zusammenleben, das in presbyterial-synodaler Gemeinschaft stand. So wurde z.B. vom jeweiligen Pr„äses zum TOP erhoben, wie es in den Gemeinden mit der „Armenverpflegung“ stnde.

2. achtete man den Gottesdienst als Mitte des Gemeindelebens. Um dem gottesdienstlichen Leben seine „Redundanz“ bzw. Vertrautheit und Wiedererkennbarkeit zu belassen, wurden Prediger und Gemeinden auf eine einheitliche und „sich-wiederholende“ liturgische Praxis verpflichtet, auch wenn das den Kompromiss bedeutete, zwei Gottesdienstordnungen unterschiedlichen Herkommens nebeneinander bestehen zu lassen.58

3. Kirchliches Leben bedeutete mündige Gemeinde!! Deshalb verpflichtet man sich auf den Heidelberger Katechismus als geltende Laiendogmatik. Seine Lehre war der entscheidende Schlüssel, um der Gemeinde ein kritisches Verstehen der Schrift offen zu halten. Die Verpflichtung auf den Heidelberger sollte jedoch bei Lehrenden wie Lernenden ein „servitus conscientarum“ (Unterdrückung der Gewissen ) vermeiden.

Gleichzeitig wurde jedoch die „licentia novitatum“ (Erlaubnis zu neuer kirchlicher Lehre) nicht dem subjektiven Belieben anheim gestellt. Wer Aussagen des Heidelbergers als Gewissensbelastung empfand, sollte damit nicht gleich auf die Kanzel gehen, „sondern sich davon freundlich und bruderlich mit seiner Classe besprechen.“ Allerdings so ihm dies „nit gnug geschehe sol mans zur Synodo gelangen lassen.“ Bei ihr lag dann die endgültige Entscheidung über die Duldung abweichender Lehre.59

4. Ähnlich verhielt es sich mit der „disciplina“, der sogenannten Kirchenzucht. Ihre Praxis schloss sich Mt 18 an. Ich lese sie heute als Mahnung, bei schwerwiegenden Konflikten in Kirche und Gemeinde mehr miteinander, als übereinander zu reden. Dh. bei Beschwerden über das Verhalten eines Gemeindegliedes sollte die Angelegenheit zunächst versuchsweise persönlich unter vier Augen geregelt werden. Gelang dies nicht, war der Konflikt einem kleinen Kreis vorzutragen.

Gab es dabei kein Einvernehmen, entschieden die Leitungsorgane der Gemeinde. Wurde deren Urteil nicht angenommen, musste ein synodales Urteil über die zeitweise Suspendierung von der Teilnahme am kirchlichen Leben ausgesprochen werden.60 Auch hier sei ein Seitenblick erlaubt: Die Dürener Theologische Erklärung wurde demgegenüber Patin des heute in der EKiR geltenden grundsätzlichen Verzichts auf jegliche Kirchendisziplin nach reformierter Tradition. Es heißt: Wer z.B. „den Auftrag der Gemeinde verleugnet…oder die soziale Herkunft seines Mitmenschen missachtet, trennt sich selbst von der Gemeinde.“61 Duisburg 1610 hält jedoch daran fest, dass man dies ihm gegenüber seitens Kirche und Gemeinde verbindlich aussprechen sollte und es nicht eigenem Gutdünken individuell und isoliert überlassen bleibt.

5. Das Bemühen um mündige Gemeinde setzt Investitionen in deren Sprachfähigkeit und Bildung voraus. Zu einer Zeit, in der Schulbildung für Heranwachsende keineswegs selbstverständlich war, verpflichteten sich die Gemeindevertreter auf der Duisburger Generalsynode dazu, dass an ihren Orten die finanziellen Mittel für Lehrer und Schulen bereitgestellt wurden.62

6. Die Duisburger Generalsynode war nicht nur durch Respekt vor dem Presbyteramt bestimmt. Sie bekundete auch außerordentliche Hochachtung für ihre ordinierten Prediger. Das ordinierte Amt war der öffentliche Ernstfall des allgemeinen Priestertums. Es erfreute sich auf der Duisburger Synode eines besonderen Schutzes. Noch war nicht erkennbar, wie und ob die jeweiligen Landesherren zur Versorgung von Pfarrstelleninhabern beitragen würden. Deren Unterhalt und Dienst sollte jedoch durch Gemeinderessourcen ausreichend sichergestellt werden.

Die Verpflichtung zur Fürsorge ihrer Pastoren erstreckte sich auch auf deren Witwen. Wo einzelne Gemeinden dazu nicht in der Lage waren, mussten auf Kirchenkreisebene solidarische gemeindeübergreifende Regelungen gefunden werden. Eine Pfarrwahl war darum nicht nur Sache der einzelnen Gemeinde vor Ort. Sie musste mit der Kreissynode bzw. der jeweiligen Klasse abgestimmt werden, so dass „auch gemelte Gemeinden in Berufung ihrer Diener mit Vorwissen und Gutachten ihrer Class verfaren“ sollten.63 Das im Pfarramt öffentlich wahrgenommene Priestertum aller Gläubigen verlangte im Einzelfall für den jeweiligen Pastor den Nachweis von zwei Voraussetzungen.

a) mussten Pastoren in der Lage sein, die Inhalte von Schrift und Bekenntnis wissenschaftlich relevant und „geschickt“ bzw. öffentlichkeitsfähig zu kommunizieren. Dass sie dazu „tüchtig und bequem seint“ hatten sie durch Zeugnisse von Universiätten und Hochschulen „da sie studiret“ nachzuweisen.64

b) Gleichzeitig mussten sie im Blick auf ihren moralischen Wandel Kompetenz durch Glaubwürdigkeit belegen. Dies stellten die beizubringenden Leumund – Zeugnisse unter Beweis, gleichgültig, ob Pastoren vorher in anderen Gemeinden am Wort gedient hatten oder Berufsanfänger waren.

7. Eine besondere Hochschätzung erfuhr der Akt der „Ordination“ selbst. Durch Kriegswirren bedingt gab es Prediger, die frei und voraussetzungslos den Dienst am Wort in ihren Gemeinden versahen. Sie mussten aufgrund der Duisburger Beschlüsse, vor Gremien der Provinzialsynode (nicht der Klasse!!!) nachgeprüft „und nach befundener Geschicklichkeit“ in ihrem Dienst bestätigt (confirmirt), und „ordinirt“ werden. In diesem Sinn wurde auf der Duisburger Synode Pastor Peter Wachendorf für seinen weiteren Dienst in Linnich geprüft und ordiniert. Seine gemeindliche Investitur wurde „confirmirt“, in sein Amt aber wurde er ad personam übergemeindlich (nach-)ordiniert.65

8. konnte man nur Pfarrer in den Gebieten von Jülich, Berg und Kleve sein, wenn man die Duisburger Vereinbarungen von 1610 bejahte und dies durch eine ausdrückliche Erklärung mit persönlicher Unterschrift bestätigte, selbst wenn man bereits jahrelang zuvor in einer Gemeinde Dienst getan hatte. Wer diese Unterschrift nicht leistete, durfte nicht mehr Pastor sein - ebenso wenig wie „Kriegsknechten und anderen, die auf Jesuitischen Schulen seint“66 Sie mussten aus ihren Pfarrstellen entfernt werden.

9. Für manche Leserinnen und Leser von heute mag es verwundern, dass das Duisburger Protokoll den Gemeinden einen einheitlichen Termin zur Einhaltung eines gemeinsamen „Fast- und Bettages in allen Kirchen“ für den ersten Advent festlegte.67 Ich gehörte zu den Theologen, die z.B. den Buß- und Bettag seinerzeit nicht hoch schätzen konnten. Ich vertrat die Auffassung: Weil Martin Luther in den 95 Thesen gesagt hatte, dass das ganze Leben eines Christen anhaltend Bemühung um Umkehr und Buße sei, sei die Einrichtung eines besonderen Tages zu diesem Zweck verfehlt und eine theologisch problematische Erfindung des 19.Jahrhunderts. Ein Blick in die Protokolle und Akten reformierter Gemeinde am Niederrhein zur Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts hat mich eines besseren belehrt: Nicht nur zu bestimmten, immer wiederkehrenden Terminen des Kirchenjahres hielten die Gemeinden gemeinsame Fast- und Bettage ein, sondern besonders auch dann, wenn Pfarr- und Presbyteriumswahlen anstanden.68

Neben Johannes Calvin, der in Genf versuchte, einen wöchentlichen Fast- und Bettag einzuführen, war es für unsere Region wiederum ein Landeskind, der aus den Kirchen reformierter Gemeinden am Niederrhein - wir würden heute sagen -: ein „Haus der Stille“ machte. Johann Badius wurde 1548 oder 1549 in Rödingen bei Jülich geboren. Nach Studien in Köln und Heidelberg und Pfarramt in der Pfalz kehrte er 1577 ins Rheinland zurück.

Er verfasste im Auftrag des Kölner Konsistoriums eine Schrift, die auch Gemeinden ohne Prediger eine Begehung des Fast- und Bettages ermöglichen sollte. Für ihn waren in Erinnerung an Traditionen der alten Kirche und an die Bußtheologie Calvins Fastentage „des gebetts flgel“69. Gleichzeitig unterstrichen seine Überlegungen, dass solche Tage gemeinsam zu begehen seien. Dazu bot seine Schrift eine den Tag füllende gemeinsame Ordnung für eine Zusammenkunft der gesamten Gemeinde in der Kirche an.

Weitere Synoden nach 1610 belegen, dass ein solches „Gemeindefest für Askese und Meditation“ in reformierten Gemeinden ein verbreiteter Brauch war. Es fällt auf, wie sehr im Gefolge der Duisburger Synode sich weitere Synoden in den folgenden Jahren um Einheitlichkeit bei der Durchführung solcher Tage bemühten Sie sollten für Gott und die Menschen ein sichtbares Zeichen eines umfassend unabhängigen und freien Zusammenstehens sein, das im Blick auf biblische Fasten- und Gebetspraxis der Gemeinde insgesamt Umkehr durch Gebet und Gebet durch Umkehr ermöglichte.

10. Eine problematische Formulierung enthält das Protokoll der Duisburger Synode, wenn sie die Befassung kirchlicher Zusammenkünfte sowohl auf presbyterialer wie auch synodaler Ebene mit politischen Themen ausdrücklich ausschließt: „Dass auf allen …Beikumpsten und Synoden allein Kirchensachen nach christlicher Weise, und keine politischen Dinge fürbracht und verhandelt…werden.“70.

Wer nach reformierter Lehrtradition die Herrschaft Christi über Kirche und Welt bekennt, kann auf diese Regelung zunächst nur mit Irritation reagieren. 1571 z.B. hatte die Bedburger Synode Philipp Marnix als Stellvertreter Wilhelm von Oraniens angehört. Anschließend unterstützte man einvernehmlich eine Erklärung zum Widerstandsrecht Oraniens gegen die Spanier. Gleichzeitig beschloss man den (gewaltsamen!!) Freiheitskampf der Niederländer mit kirchlichem Geld zu unterstützen, um einer entsprechenden Bitte Wilhelms bzw. seines Emissärs nachzukommen. Wer das Bedburger Protokoll nachliest, wird bemerken, dass die Synode zwar so beschloss, aber die Sammlung des Geldes selbst den Gemeinden überließ.

Dem lässt sich entnehmen, dass die finanzielle Unterstützung des Freiheitskampfes der Niederlande mit kirchlichen Geldern ein ebenso kirchlich wie politisches heißes Eisen war, das Synodale in Gewissensnöte und Loyalitätskonflikte brachte. Prompt setzte die Emder Synode 1571 diese Frage von der Tagesordnung ab. Die Kölner Gemeinde schließlich focht den Bedburger Beschluss „als zu politisch“ an (vgl. zum Ganzen Goeters 14). Wie sehr die Synode hierüber gespalten war, geht es aus der Tatsache hervor, dass es über die Bedburger Beratungen zwei Protokolle gab, ein niederländisches und ein deutsches. Die deutschen Synodalen weigerten sich, den Bedburger Beschluss in ihr Protokoll aufzunehmen. J.F.G. Goeters kommentiert vor diesem Hintergrund den Duisburger Politikverzicht mit den Worten:„… das niederrheinische Reformiertentum hat den Weg in die Politisierung, wie wir sie aus der Hugenottenkirche kennen, n i c h t beschritten“ 71.

Mit dem grunds„ätzlichen Ausschluss von Tagespolitik aus synodalen Beratungen hat die Duisburger Synode ihre Weigerung unterstrichen, sich nicht auf zu erwartende politische Spannungen zwischen ihren politischen Schutzherren bzw. deren Begehrlichkeiten einzulassen. Sie setzte so ein Zeichen für die Tatsache, dass Kirche aus anderen Quellen als alltäglicher Machtpolitik lebt. Ihre Eitelkeiten können nicht das Schicksal einer Kirche bestimmen, die dem Auferstandenen gehört.

Wenn sie das ihr aufgetragene politische Wächteramt ausübt, dann urteilt sie nicht, um sich machtpolitischen Spektren zuzuordnen. Sie gibt stattdessen an die Gemeinden weiter, wie sie vom Evangelium überwunden wurde, um im Namen Jesu Christi für Vergessene und Verlorene die Stimme zu erheben, auch wenn das fälschlicherweise zu Identifikationen kirchlicher Äußerungen mit dem einen oder anderen politischen Lager führen sollte.

11. Dass die Duisburger Synode zu dieser wie auch zu all den anderen von ihr angesprochenen Fragen nicht ein letztes Wort hat sprechen wollen, wird deutlich, wenn es heit: „Und ist diese ganze Beratschlagung auf ein Interim gestelt…“72 (10.2). Man kann diese Formel so interpretieren, dass Duisburg 1610 nur ein vorläufiges Notrecht vereinbaren wollte, bis sich die „gnedigen Landsfürsten“ der Gestaltung einer zukünftigen kirchlichen Ordnung verbindlicher annehmen würden.

Vielleicht beruht diese Formulierung aber auch auf dem Willen zu einer grundsätzlichen Flexibilität, die davon ausgeht, dass nicht nur Konzilien, sondern auch Synoden irren können. Wie dem auch sei. Wir stehen heute in der Erinnerung an die Generalsynode von Duisburg aus dem Jahr 1910 vor der Tatsache, dass durch deren Beschlüsse „Synoden in den deutschen Landeskirchen … zu Zentren der innerkirchlichen Willensbildung und des Bewusstseins von der Eigenständigkeit kirchlichen Handelns wurden“73. Aus meiner Erfahrung mit der Lektüre des Protokolls von Duisburg möchte ich hinzufügen: Ich habe ihm Hinweise entnommen, die mich im Blick auf den Weg meiner Landeskirche neu nachdenklich gemacht haben. Vielleicht gelingt es auch Ihnen, die eine oder andere Aufgabenstellung für kirchliche Leitungsverantwortung heute neu zu entdecken.

Dazu möchte ich einige abschließende Bemerkungen machen, die zu einer weiteren Aussprache für Sie untereinander überleiten sollen:

1. Wir können uns im Blick auf die Duisburger Beschlüsse eines Erbes erfreuen, dass sich unsere Kirche einer kollegialen Leitung ihrer verschiedenen Dienste verdankt, ohne dass ein Dienst über den anderen herrscht. Insbesondere die Einbindung kirchlicher Dienste vor Ort in eine presbyteriale Leitungsstruktur fördert ein Klima gemeindlicher Präsenz, das vor Personenkult und der Diktatur einsamer Entscheidungen bewahrt.74 Die reformatorische Unterscheidung von Person und Werk ermöglicht und ermächtigt, in der Sache schärfste Auseinandersetzungen zu führen, ohne dabei den Wert und Rang der hierbei beteiligten Personen in Frage zu stellen. Ein solcher Stil für kirchenleitendes Handeln hat vom Neuen Testament her die Verheißung, Charismen und Ressourcen „ohne Ansehen der Person“75 gemäß Mt 23, 876 „nahe bei den Menschen“ zu koordinieren.

2. Die synodale Komponente der in Duisburg 1610 formulierten Verfassungsgrundsätze beinhalten die Warnung : „Als Gemeinden macht ihr es alleine sicher falsch.“ Allein schon die beschwerlichen weiten Wege, zu denen man sich damals verpflichtete, um die eigenen Dienste in einer übergreifend-verpflichteten Kirchengemeinschaft zu verankern, zeigen an, dass man sich eigener geistlicher Schwächen bewusst und bereit war, sich deswegen synodal korrigieren und zur Ordnung rufen zu lassen. Dies galt für Fragen der Lehre, der Liturgie, der Bildung, der Diakonie und der pastoralen Arbeit. Auch indem man erklärte, sich zu politischen Fragen nicht synodal zu positionieren, setzte man ein unübersehbares politisches Zeichen. Dies mahnt heute dazu, die synodale Vernetzung unserer Gemeinden nicht aufs Spiel zu setzen und - vergleicht man Mobilität damals mit der von heute - weltweit verpflichtete ökumenische Gemeinschaft zu suchen, auch wenn dabei eigene Lehrtraditionen noch einmal neu herausgefordert werden bzw. einer möglichen Revision oder Relativierung ausgesetzt werden.

3. In den Duisburger Beschlüssen zeigt sich ein engagierter Bildungswille. Wenn man hierfür heute an Mitteln sparen würde, würde man sich an der Zukunft seiner Kinder und ihrer Kirche schuldig machen. Bildung bettete sich damals in ein Gemeindeleben ein, dessen Basis und diakonische Kultur für jedermann vertraut und fassbar waren. Wir haben heute von daher den Auftrag, noch einmal neu Kinderarmut und benachteiligte Jugendliche in die Mitte unseres Gemeindelebens zu stellen.77

4. Ein so an der Basis gewachsener und ankommender Lebensstil verleiht sozialethischen Positionierungen und Zielvorgaben Kompetenz und Glaubwürdigkeit, weil sie vor- und mitgelebt, nicht nur dekretiert werden. „Erbarmen, Menschlichkeit, Anteilnahme, Fürsorge, Freundlichkeit, Wertschätzung, Integration sind die Antriebskette Gottes in einer solidarischen Gesellschaft. Und ich bin ein Glied in dieser Kette.“78 Selbstverpflichtungen wie die zur „kofairen Beschaffung im Kirchenkreis“ haben von daher Ausstrahlung mit Breitenwirkung. Sie interpretieren die traditionellen Vorstellungen äber Kirchenzucht auf neue Weise. Sie propagieren nicht nur einen Lebensstil, sondern erklären auch die Bereitschaft sich um Christi willen auf seine Ziele gemeinsam hin zu verpflichten. Wer sich so einsetzt, setzt sich aus und macht sein individuelles Bekenntnis verbindlich bzw. sozial befragbar.

1 Die Kurzfassung dieses Vortrages hielt Pfarrer i. R. Heiner Süselbeck auf der au߇erordentlichen Tagung der Kreissynode des Kirchenkreises Jülich am 19. Juni 2010 im „Haus der Gemeinde“ zu Düren.

2 Kollage aus: F. Steffensky ,Was liebe ich am Protestantismus, Vortrag (maschinenschriftlich) am 8.3.2010 in der ev. reformierten Gemeinde Schaffhausen, 3-6

3 Ebd. ,6

4 Ich danke Herrn Pfr.iR. Johannes de Kleine für die …Überlassung eines maschinenschriftlichen Entwurfs aus den „Materialien zur Geschichte des Kirchenkreises Jülich und seiner Gemeinden 01/08“ hg. v. Kirchenkreis Jülich .(Synodalbeauftragter für die Archivpflege: Heinz W.Homrighausen) In ihm findet sich der Aufsatz von C.F.M. Deelemann, Caspar Sibels Bedeutung für die reformierte Kirche des Rheinlands, dargestellt nach seiner Autobiographie, zitiert: Deelemann

5 Deelemann, 11f

6 Zitiert nach: Ludwig Keller, Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein. Actenstcke und Erl„äuterungen.III.Teil. Leipzig 1895 (Publikationen aus den K.Preu߇ischen Staatsarchiven 62),144, gefunden in der sehr schö‚n einzusetzenden Power- Point- Dokumentation von K.Gorka, , A.K.Nowak. B.E.Fink, E.St‚ve, Die Duisburger Generalsynode von 1610, Duisburg, 2002

7 Deelemann,9

8 Ders,10

9 Dies mit einer vorhergehenden Kurzfassung seines Lebenslaufes bei : H. Frost, Gedanken ber das reformierte Kirchenverfassungsrecht am Niederrhein zwischen Emden (1571) und Duisburg (1610), in Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes,23 Jg.1974, 36 (weiter zitiert als : Frost)

10 Für eine Kurzbiografie von Scultetus vgl Frost,36 und die Beschreibung seines eigenen Lebens: Die Selbstbiographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566-1624),Ver‚öffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evangelischen Landeskirche in Baden, Karlsruhe 1966, für unser Thema besonders die Seiten 50-54. (zitiert als : Benrath) Der Hinweis zur Düsseldorfer Predigt über Psalm 60 im Juni 1610 („alles zubereitet zur Glichschen Rei‡… damit ich mein Ambt nicht unterlie‡ße, habe ich denen, so zur Bel„gerung auszogen anstatt des Zehrpfennigs in offentlicher Predigt commendiert den 60.Psalm…“ (Benrath,52)

11 Benrath,53

12 Frost,36

13 Text in: A. Rosenkranz, Generalsynodalbuch, Die Akten der Generalsynoden von Jülich, Kleve, Berg und Mark 1610-1793,1.Teil, Düsseldorf 1966,15f (zitiert als Rosenkranz )

14 Frost,37

15 ebd; bei Rosenkranz ,16 Π8

16 Vgl. Frost,36 Anm 261

17 Rosenkranz,16; eine ausführliche Darstellung der Lebensl„äufe auch der Teilnehmer aus Jülich findet sich in P. Bockmhl, Gedenkbuch zur 300 j„ährigen Gedä„chtnisfeier der ersten, in Duisburg am 7- 10. September 1610 gehaltenen Generalsynode…,Duisburg 1910, 78-89,weiter zitiert als: Bockmühl

18 Rosenkranz,17

19 Meist wird bedauert, dass F r a u e n für die Kirchwerdung der EKiR in dieser Zeit so gu

20 Zu Paul Tillich und seinem Verst„ndnis des Protestantischen Prinzips vgl neuerdings: E.Sturm, Protestantismus und Protestantisches Prinzip in der philosophischen Theologie Paul Tillichs, in: Theologische Revue, 102 (2006),443-458

21 Siehe Anm 1

22 Steffensky,8

23 U. Luz hat hierzu 1997 in der EvTh einen „Hilferuf für das protestantische Schriftprinzip“ ausgesto‡ßen. Darin hei߇t es: Der „auf die Schrift gegründete Protestantismus ist in zahllose Konfessionskirchen, Freikirchen, Bewegungen, Richtungen zerfallen. Seine Geschichte scheint eine einzige Widerlegungsgeschichte des protestantischen Schriftprinzips zu sein ... Das protestantische Schriftprinzip trug mit seiner Loslö‚sung von der ,heterogenen‘ Autorit„t des kirchlichen Lehramts den Keim der Aufl‚sung bereits in sich“ (U. Luz, Ein Hilferuf für das protestantische Schriftprinzip, in: Evangelische Theologie 57, 32). Er bezeichnet es als die schwierigste Frage für evangelische Lehrbildung, „ob es heute noch mö‚glich ist, beim protestantischen Schriftprinzip zu bleiben“ (a.a.O. 28)

24 Ich greife bewusst eine Formulierung Benedikt XVI. auf, ohne seinem r‚mischen Verst„ändnis kirchlicher Lehrautorit„t zu folgen. Die Duisburger Synode weist ihr gegenüber auf die notwendige Gratwanderung zwischen „licentia novitatum“ und „servitus conscientiae“ hin. Ein synodaler Prozess kann nicht die Lö‚sungen voraussetzen, die er gemeinsam „confusione hominum - providentia Dei“ suchen muss bzw. darf.

25 Demnach ist nicht die zu eruierende Urgestalt eines Textes die ma‡ßgebliche Basis kirchlicher Verkündigung, sondern dessen Endgestalt unter Berücksichtigung des theologischen Gefä„lles in seinem Werden. (zum weiteren Verst„ändnis des sogenannten „canonical approach“ vgl die Arbeiten zB von G. Steins zum NT und K. Butting zum AT.

26 Ein positives Beispiel für synodale Verstä„ndigung über Anfragen an einen zentralen biblischen Sachverhalt ist mE die vor kurzem von Abtlg II des LKA der EKiR herausgegebene und im Auftrag des stä„ndigen Theologischen Ausschusses der EKiR herausgegebene Orientierungshilfe „Aus Leidenschaft für uns, Zum Verst„ändnis des Todes Jesu“. Sie interpretiert die Vielfalt biblischer Aussagen zu ihrem Thema im Blick auf deren heutige Relevanz ohne sie zu eliminieren.

27 Frost, 38

28 Frost, ebd

29 Bockmhl, 62, anders Rosenkranz: „Unter anderen Kirchen…kö‚nnen nur r e f o r m i e r t e…verstanden werden“ ( aaO, 19 ,Anm 1)

30 Als Beispiele seien die Barmer Theologische Erkl„ärung, die Arnoldshainer Erkl„ärung und das Bekenntnis von Belhar genannt.

31 Vgl etwa den Seufzer von Pr„äses N. Schneider im Pr„äsesbericht auf der LS 2006: Die presbyterial-synodale Ordnung „sollte auf Ver„änderungsmö‚glichkeiten hin betrachtet werden, die schnellere, gleichzeitig sachadä„quate und dem Verstä„ndnis unserer Ordnung entsprechende Entscheidungsprozesse ermö‚glichen“ zit n H. Bewersdorff, Die Kraft kommt aus den Wurzeln…, Vortrag auf der Kreissynode Duisburg am 30./31.Mai 2008, 1 (weiter zitiert als : Bewersdorff)

32 „…gegen meinen Nachsten auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist und nichts mehr tun, denn was ich nur sehe, das ihm not, netzlich ist…ich mus auch einen Glauben und Gerechtigkeit fer meinen Nachsten vor Gott hingeben, seine Senden zu decken auf mich nehmen und nicht aners tun, denn als waren sie mein eigen, eben wie Christus uns allen getan hat.“ M.Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Punkt 27 bzw 29;“ Und Johannes Calvin: “Denn wer Gerechtigkeit erlangt hat, besitzt Christus… Wo immer sich also diese Glaubensgerechtigkeit findet, die wir als ein Geschenk der Gnade verkündigen, dort ist auch Christus. Wo aber Christus ist, da ist der Geist der Heiligung, der die Herzen zu neuem Leben umschafft. Und umgekehrt: Wo sich der Eifer nach Uneigennützigkeit und Heiligung nicht regt, dort ist auch weder Christi Geist noch Christus selbst (in seinem „Brief an Kardinal Sadolet“ und ö‚fter)

33 Calvins europaweite Korrespondenz und seine Bemhungen um theologischen Konsens durch Rückgriff seiner lehrhaften ŠÄu߇erungen auf Konzilien der alten Kirche belegen, dass seine Ekklesiologie von ‚ökumenischer Weite bestimmt ist. Durch seinen Lebensweg als Flüchtling war ihm – anders als Luther deutlich geworden, - dass Kirche nur Welt- und niemals nur Landeskirche sein kann.

34 Vgl .J.Calvin: “In erster Linie müssen wir beachten, wozu wir auf der Welt sind und warum wir miteinander leben: weil Gott eine Gemeinschaft unter allen Menschen gestiftet und gleichsam mit seiner Weihe versehen hat. Gewiss bilden die Menschen dann viele besondere Gemeinschaften (societés) untereinander; aber dennoch können wir dieser allgemeinen Bindung, die Gott unter allen Menschen begründet hat, nicht entfliehen...Dies aber kann nur geschehen, wenn bei uns jene Gerechtigkeit gilt, von der Paulus spricht. Sie ist also das Band der Eintracht, das die Einheit der Menschen festhalten und die Menschheit bewahren soll…Aber was kann uns dahin bringen? Der Glaube und die Fr€ömmigkeit.“ Predigt vom 17.3.1555 über 1.Tim 6,9-11 zit nach: Predigten ber das Deuteronomium und den 1.Timotheusbrief (1555/1556) ,Eine Auswahl , in Calvin –Studienausgabe Bd. 7, hg. v. E. Busch, M. Freudenberg, A. Heron, Chr. Link, P.Opitz, E. Saxer, H. Scholl, Neukirchen 2009,306

35 So der Synodale Dr. K. A. Bauer am 7.Januar 1974 vor der Rheinischen Landessynode in seinem Referat „Erwä„gungen zur Ordnung und Gestalt der Evangelischen Kirche im Rheinland“,10

36 Œ 3.5 und ö‚fter ( Rosenkranz 18)

38 Frost,40

39 Rosenkranz, 21-23

40 „Dass die Presbyteria allen acht oder 14 Tagen (nach Gelegenheit und Notturft) gehalten werden“ Œ 9,2 (Rosenkranz 21)

41 Rosenkranz,21 Hierbei ist zu bedenken, dass es keine Autos und keinerlei ˆPNV gab, und man bestenfalls mit Pferd und Wagen, oft aber nur zu Fu߇ auf Feldwegen unterwegs war. Ebenso wird die Abwesenheit von Familie und Beruf für die meisten Synodalen bei ihren kirchlichen Zusammenkünften einen merklichen Einschnitt bedeutet haben. Es bleibt jedoch soziologisch zu fragen, ob die „Demokratie“ dieser frü€hen synodalen Strukturen nicht eine „Aristokratie“ war. Denn eine konstante Teilnehme an so vielen zeitintensiven kirchenleitenden Prozessen konnten sich damals offensichtlich nur die leisten, deren Verhä…ltnisse es ihnen erlaubten, so oft und so lange von ihren Erwerbst…ätigkeit fern zu bleiben. Anders gesagt: reformierte Gemeindestrukturen entstanden dann und dort, wo sie als Projekt religiƒös-bü€rgerlicher Emanzipation eine entsprechende kulturelle und gesellschaftliche Basis finden konnten. Stadtkultur, („Stadtluft macht frei“) aber auch Landschaften mit Gro„bauern („Wir gehen nur ü€ber eigenes Land zur Kirche“) und fr€ühindustrielles, selbst…ändiges Unternehmertum waren der neue sozioöƒkonomische Nä…hrboden einer auf diese Weise sich ausbildenden Kirchlichkeit.

42 Π9,2 Rosenkranz, 21

43 ebd

44 Π9,7.3 , Rosenkranz,22

45 Frost,42

46 Frost , ebd

47 Π9,8 (Rosenkranz ,22)

48 So der Katalog in Π9,7, 1-10 (Rosenkranz 22)

49 Frost , 47

50 Rosenkranz, 21

51 Ebd, zur Erkl„ärung des Ungleichgewichts auf der Generalsynode vgl. Frost,42

52 Frost, 41 (b b)

53 Zitiert nach EG ,1337

54 ebd

55 Zur Aktualit„ät dieser Mahnung vgl, den Bericht des Superintendenten aus dem Jahr 2007, wenn es dort hei߇t: „Schlechte Aussichten fü‚r die Zukunft, wo dem Pfarramt neben den klassischen Aufgaben Gottesdienst, Seelsorge und Verkü‚ndigung ein immer grö߆er werdendes Aufgabenspektrum mit Management, Gemeindeleitung, Personalfü‚hrung, Projektentwicklung oder Fund-Raising zugewiesen wird. Wir haben den Fehler gemacht, fast alle im Neuen Testament genannten Charismen strukturell im Pfarramt zu verankern. Ein Pfarrbild, das diesem Amt immer neue und andere Funktionen zuschreibt und immer mehr Kompetenzen von den Amtsinhabern und Amtsinhaberinnen verlangt, wird nicht zukunftsf€ähig sein.“

57 Frost , 43f

58 Der Gottesdienst l‚öste sich nicht wie z.B. in der „Dürener Theologischen Erkl„rung“ (1969) in das Leben der Gemeinde auf, („Wir bekennen, dass da Leben der Gemeinde best„ändiger Gottesdienst ist“ (Dürener Theologische Erkl„rung 4 , zit nach Evangelisch in Düren , Festschrift 50 Jahre Christuskirche, Berlin 2004 (weiter zitiert als :“Düren“) sondern war Versammlung unter Wort und Sakrament die Mitte der Gemeinde. Vgl auch die kritische Bemerkung von D.Siedler zum Gottesdienstverst„ändnis der Dürener Theologischen Erkl„ärung: „…so kö‚nnen mE der der kultische Gottesdienst und der Gottesdienst im Alltag nicht gegeneinander ausgespielt werden.“ (Düren ,164)

59 Π4,Rosenkranz, 18f

60 Œ 5 ( Rosenkranz 19) ringt darum, dass solche in der Regel alltä„glichen Konflikte gewaltsamweltlichem Polizeihandeln entzogen und in einer Art Tä„ter-Opferausgleich im Gemeindeleben seelsorglich bzw „mediatorisch“-zivil handhabbar blieben. Dafr sollten die „Prediger daran sein und bei ihrer Obrigkeit mit gebuerender Bescheidenheit dahin sich bearbeiten…“

61 Düren ,104

63 Œ6, Rosenkranz, 20

64 Π9 , Rosenkranz 19 f

65 Œ 10, Rosenkranz, 23 : „ Ist auch Petrus Wachendorpius auf Anhalten der Kirchen zu Linnich examinirt und ordinirt worden.“

66 Π11,Rosenkranz, 23

67 Π10,1, Rosenkranz,23

68 Vom 3.-6..Mai 1611 tagte die Provinzialsynode in Linnich.. Sie beschloss, „ dass vor und zu der Wahl der Eltisten und Diaconen ein gemeinsamer Vast- und Bettagh zuvor angekundiget und gehalten“ werde. Zitiert nach : H. Jeude, 1586- 1986: 400 Jahre „Combinierte Reformirte Gemeinden Hnshoven und Teveren, maschinenschriftliches Manuskript, 5

69 Ich folge in diesem Abschnitt Hinweisen, die ich durch ein Dissertationsprojekt von Frau Pfarrerin M. Neumann erhalten habe.

70 Œ9,6, Rosenkranz, 22

71 Dies und die Interpretation des gesamten Hintergrundes von Œ 9, 6 des Duisburger Protokolls bei J.F.G. Goeters, „Wie war das eigentlich mit den Reformierten?“ Manuskript eines Vortrages, maschinenschriftlich, ohne Jahrgang, 14

72 Π10,2 Absatz 3 , Rosenkranz, 23

73 Frost,49

74 Es sei aber auch eine Gefahr dieser Kirchenverfassung nicht verschwiegen: Sie kann einer Diktatur des Mittelma߇es unterliegen. Die Berufung auf Kollegialitä„t von Entscheidungsprozessen wird zur bequemen Ausrede, wenn Prä„sides, SuperintendentInnen, PfarrerInnen u.a. es vermeiden, ihrer Kirche gegebenenfalls mutig und entschlossen voran zu gehen, um ihrer “Herde“ Weideplä„tze für gute Nahrung zu zeigen. Auch das ist Bestandteil der Mahnung von 1.Petrus 5, 2 an kirchliche Leitungsgremien, wenn es hei‡ßt „W e i d e t die Herde Gottes.“ Es sei in dem Zusammenhang daran erinnert, dass die Grunds„ätze der Kirchenordnung von 1610 ausschlie߇lich Parochien und deren Zusammenschluss als kirchliche Lebensform anerkennen. Das ist eine Verkürzung, schaut man auf die reformerische Bedeutung von Orden und Kl‚östern für die Alte Kirche und die Kirche des Mittelalters. Es zeigt sich spä„testens heute auch für die evangelische Kirche die Notwendigkeit, das Innovationspotenzial ihrer bergemeindlichen Lebensformen konstitutionell einzubinden, z.B. im Blick auf: Bruderschaften, Mutterh„äuser, Anstalten, Missionsh„äuser, Kommunit„äten, Gemeinden ausl„ändischer MitbürgerInnen ev. Bekenntnisses, den Dt. Ev. Kirchentag und nicht zuletzt auf die Trä„gerkreise von City-Kirchen, H„äusern der Stille und die Sozialgestalt kirchlichen Lebens in übergemeindlichen Initiativgruppen (so mehrfach z.B. W. Huber). Der G e i s t der Duisburger Generalsynode von 1610 leitet dazu an, für die Integration solcher Gestalten von Gemeinde in kirchliche Leitungsstrukturen die Augen zu ‚öffnen und sie nicht konsequent zu verschlie߇en.

75 R‚m 2,11, Apg 10,34

77 Vgl Mt 18,5 : „Wer ein Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf“ und dazu den Bericht des Superintendenten 2009: „Kinder brauchen unsere Untersttzung. Kinder brauchen starke Beziehungsgeflechte, die ihre Zukunft ernst nehmen und gegen wachsende Kinderarmut ankä„mpfen.“

78 Aus dem Bericht des Superintendenten 2009.

79 So die reformierte Variante des Grundsatzes des Kirchenvaters Cyprian: „Nichts ohne den Bischof“. ֈkumenisch zielführend ist in diesem Sinn die reformierte Kirche Ungarns, wenn sie den Pr„äses ihrer Synode „Bischof“ nennt.


Johannes de Kleine