Kraft, Liebe und Besonnenheit

Zur Situation in Minsk (Belarus)


© Reiner Kuhn

Von Pastor Reiner Kuhn, Ev.-ref. Kirche Hamburg

Seit nunmehr 18 Jahren verbindet uns eine Partnerschaft mit der kleinen reformierten Gemeinde in Minsk. Mit finanzieller Hilfe von unserer und anderen Gemeinden konnte eine neue Kirche gebaut werden, die die Holzhütte als Versammlungsort ersetzt. Im Herbst 2018 berichteten wir von der Eröffnung der Kirche und der damit verbundenen Freude. Das totalitäre Regime unter Präsident Lukaschenko ließ nur wenig Spielraum zu, evangelisches Gemeindeleben ungestört auszuüben. Nicht nur das religiöse, auch das gesellschaftspolitische Leben stand unter strengster Überwachung; Opposition wurde im Keim erstickt.

Die Wahlen am 9. August wurden vom Volk nicht anerkannt. Angeblich soll Lukaschenko erneut mit über 80% gewonnen haben. Auf die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja sollen nur knapp 10% der Stimmen gekommen sein. Seitdem ist das Land in Aufruhr. Kein Tag vergeht, ohne dass in Minsk und anderen Städten zu Tausenden demonstriert wird. Man fordert Neuwahlen und die Absetzung von Lukaschenko. Der Protest ist tief im Volk verwurzelt. Zu lange schon sehen sich die Belarussen ihrer Rechte beraubt: wirtschaftlich und politisch sollen nun endlich Reformen umgesetzt werden. Dabei ist die Orientierung hin zum Westen nicht maßgeblich; auch weiterhin will das Land in guter Nachbarschaft und Verbindung zur Sowjetunion seinen Platz in Mittelosteuropa einnehmen. Es geht um Selbstbestimmung und um das Recht auf eine demokratisch fundierte Entwicklung des Landes. Auch religiöse Selbstbestimmung gehört dazu. Bisher kennzeichnet die Opposition das Streben nach Gewaltlosigkeit, Entschlossenheit und Einigkeit. Auch eine Flügelbildung ist bisher ausgeblieben. Und das macht den Protest so stark und unbeugsam.

Die reformierte Gemeinde in Minsk zeigt sich mit der Protestbewegung solidarisch. Einzelne Gemeindeglieder befinden sich auf der Straße und unterstützen den Widerstand. So schreibt Irina (übersetzt durch V. Futorjanski): „Wir kämpfen! Viele aus den Polizeireihen sind schon für uns! Es ist unglaublich, was hier passiert! Wir haben selbst nie gedacht, dass dies möglich ist! Wir stehen mit Alaskiej in einer lebendigen Kette der Solidarität! Wr sind bei der Demo und machen alles, was wir können. Wir haben Erste Hilfe Pakete vorbereitet und am Straßenrand versteckt, weil viele nach der Demo verschwunden waren. Wir haben DemonstrantInnen von der Polizei und Sondereinheit befreit, einfach aus den Händen gerissen! Die Solidarität in diesen Tagen ist unglaublich groß!“

Und Alaksiej fügt in seiner Nachricht hinzu: „Wir benötigen euer Gebet für die Befreiung des belarussischen Volkes vom unrechtmäßigen Herrscher! Es ist wichtig, unsere neue Präsidentin Swetlana Tichanowskaya anzuerkennen, die von der Mehrheit des Volkes gewählt wurde, und gleichzeitig den Rechtsbrecher und seine Junta (Polizei, Sondereinheiten, Sicherheitsmänner) zu belangen. Sie mißhandeln friedliche DemonstrantInnen mit Schlägen und Knüppeln. Ein Protestlied, ein Wort, ein Gebet und eine Versammlung reichen schon, um Menschen abzutransportieren und zu mißhandeln. Über 10 Tausend Menschen sind inhaftiert!“

Eine Möglichkeit ist, über Europa und Berlin politisch Druck auszuüben. Ob und inwieweit unsere Regierung auf Mittel der Wirtschaftssanktionen und eine Anerkennung von Tichanowskaya als neuer Präsidentin zurückgreift, ist fraglich. Ebenso offen bleibt die Frage, wie wirksam diese Maßnahmen wären. Aber es wäre ein starkes Zeichen der Solidarität. Ich hoffe für alle Menschen in Belarus, vor allem für unsere mutigen Schwestern und Brüder aus der Gemeinde in Minsk, dass ihr Protest Erfolg hat. Und ich möchte mit einem Gebet enden:

Gott, du schaffst Recht und Gerechtigkeit!
Du richtest auf und schenkst Freiheit!
Wir beten für unsere Schwestern und Brüder in Minsk!
Stärke ihren Glauben und Mut! Schenke Geduld!
Bewahre vor blindem Zorn und Gewalt! Wandle Unrecht in Recht und Wahrheit!
Schenke Kraft, Liebe und Besonnenheit!

Amen


Reiner Kuhn