Religiöse Perspektive plus politisches und ökonomisches Urteilen

Heute in einem Jahr trifft sich die Weltgemeinschaft reformierter Kirchen (WGRK) in Leipzig.


Rev. Dr. Jerry Pillay, Foto: A. Detmers

Ein Interview mit WGRK-Präsident Dr. Jerry Pillay. Südafrika. Die Fragen stellte Sabine Dreßler, Referentin für reformierte Ökumene, Hannover

Sabine Dreßler: Dr. Pillay, genau heute in einem Jahr, am 29. Juni 2017, beginnt die 26. Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. Sie findet in Leipzig statt und für die Eröffnung haben Sie einen besonderen Ort gewählt, die berühmte Nikolai-Kirche. Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen dem Titel der Versammlung: „Lebendiger Gott, erneuere und verwandle uns“ und dem Ort.

Jerry Pillay: Der Titel, den wir ausgesucht haben, scheint uns in der Tat sehr angemessen. Und für den Ort trifft das genauso zu. Die Kirche erzählt ja selbst von dem, was an Erneuerung und Verwandlung dort stattgefunden hat. Wir kennen die Geschichte dieser Kirche und haben gehört, wie friedvoll es dort zuging, als Tausende von Menschen sich versammelt hatten, um Widerstand zu leisten, um zu protestieren und dadurch Veränderungen herbeigeführt haben.

Dass wir dort sein können – in dieser Kirche mit ihrer Geschichte – das verstehen wir als eine wunderbare Zusammenarbeit hinsichtlich unserer gemeinsamen Überzeugungen. Gleichzeitig sagt es etwas darüber aus, wofür wir als Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen stehen, besonders mit unserem Fokus auf Gerechtigkeit. Gerechtigkeit und Erneuerung sind für uns zentrale und wesentliche Aufgaben und heute in einem Jahr in der Nikolai-Kirche zu sein ist für uns etwas ganz Besonderes. Was die Symbolik als auch die Realitäten angeht, hätten wir keinen besseren Ort finden können.

Wir beschäftigen uns mit großen, weltweiten Themen

Sabine Dreßler: Die Reformierte Welt besteht aus mehr als 80 Millionen Christen überall auf dem Globus. Etwa 1200 Delegierte, Beobachter und Gäste werden an der Generalversammlung teilnehmen und sie mitgestalten. Was ist an brennenden Themen zu erwarten, sowohl für die Diskussion vor Ort als auch für die zukünftige Arbeit der Weltgemeinschaft?

Jerry Pillay: Es wird um das gehen, was in der Welt gegenwärtig passiert, also was die globalen Fragen sind und was die mit unserer Arbeit zu tun haben. Wir beschäftigen uns mit großen, weltweiten Themen, und daran bemisst sich auch unsere Relevanz als Kirche. Unsere Delegierten kommen aus sehr unterschiedlichen Kontexten, und sie werden einbringen, was aus ihrer Perspektive wichtig ist. Dabei wird es Themen geben, die an manchem Ort nicht besonders wichtig sind, während sie anderswo ganz obenauf liegen.

Deshalb gehört es auch zu unserer Verantwortung, die unterschiedlichen Teile unserer Gemeinschaft zusammenzuhalten und zu sehen, wie wir uns gemeinsam mit unseren 230 Mitgliedskirchen aus den verschiedenen Erdteilen auf den Weg machen.

Es wird eine Bandbreite von Themen geben, die wir diskutieren und zu den wir Entscheidungen treffen werden: Zu den großen Fragen gehören Globalisierung und Ökonomie; wir werden die Aspekte von Migration und Flucht ansprechen, und auch das, was gegenwärtig in der Welt geschieht, wenn wir auf den Brexit und auf Europa sehen. Ebenso die Herausforderungen durch religiöse Gewalt: Wie verhalten wir uns aus einer religiösen Perspektive dazu, aber auch: wie beurteilen wir das aus politischer und ökonomischer Sicht?

„Menschliche Sexualität/Lebensformen“ ist weltweit ein großes Thema in den Kirchen und wir müssen darüber reden, und gleichzeitig im Blick haben, wie wir unsere Gemeinschaft zusammenhalten, in der es sehr unterschiedliche Haltungen dazu gibt. Und das alles wird uns nicht nur während der Generalversammlung beschäftigen, sondern weit darüber hinaus. Das betrifft auch weitere Zusammenhänge, wie z.B. Armut und Gerechtigkeit. Die nehmen wir unter drei Gesichtspunkten in den Fokus, wie wir das ja mit Accra-Bekenntnis aus dem Jahr 2004 begonnen haben: unter dem der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, dem der Geschlechtergerechtigkeit und der Ökologischen Gerechtigkeit. Und so, wie die Welt zur Zeit aussieht, fordern diese Probleme uns zu einer sehr ernsthaften Auseinandersetzung heraus.

Ganz wichtig dabei: wir werden mit der Versammlung in einem Jahr eine neue Ausrichtung unserer Arbeit für die nächsten sieben Jahre festlegen. Sicher werden die Aspekte, die ich eben genannt haben, weiterhin dazugehören, für lange Zeit.

Sabine Dreßler: Wenn in Deutschland 500 Jahre Reformation erinnert und gefeiert werden, dann ist das natürlich sehr mit dem Leben und Werk Martin Luthers verbunden. Wie werden sich Protestanten in der Tradition Johannes Calvins und anderer einbringen? Und was wird der „Mehrwert“ sein, den die reformierte Familie beitragen wird?

Interessante Frage: Viele Leute wundern sich tatsächlich, wie das gehen soll: wie kann, wenn doch an die Reformation durch Luther erinnert wird, die Weltgemeinschaft der Reformierten daran beteiligt sein und dies gleichzeitig für sich selbst zu einem besonderen Ereignis werden lassen?

Reformation ist mehr als ein Event

Aber Reformation ist mehr als ein Event, sie war ein Prozess, der von der Vielfalt verschiedener Aspekte geprägt ist. Der Anteil Luthers war dabei einer, doch Reformation bedeutet eine große Vielfalt: Johannes Calvin, Zwingli, John Knox und andere. Es gehört die Wahrnehmung der Vielzahl verschiedener Einflüsse und Beiträge dazu, um die Reformation in ihrer Gesamtheit zu verstehen.

Und wir als Reformierte wollen die Reformation in all ihrer Ganzheit annehmen und ja, wir verstehen Luther dabei als den einen Teil, der zugegebenermaßen nicht der wichtigste Fokus für uns ist, aber natürlich ein ganz gewichtiger für die Reformation insgesamt.

Unser Beitrag zu diesem Jubiläum ist damit die Wahrnehmung der gesamten protestantischen Bewegung in all ihrer Komplexität und Verschiedenheit. Unser besonderer Beitrag ist dann auch der, dass wir unsererseits schon die große Vielfältigkeit so vieler reformierter Kirchen in das Jubiläum einbringen.

„Ubuntu“ – Ich bin, weil Du bist

Kommen wir schließlich auf die Gegenwart zu sprechen: Haben Sie in diesen Tagen ein Wort der Stärkung, der Ermutigung für ein gestörtes Europa und für die Rolle, die die Kirchen einnehmen sollten?

Südafrika war ein sehr gestörtes Land, die Menschen waren durch Apartheid voneinander getrennt, aber auch durch ihre wirtschaftliche und soziale Situation und ihre politischen Haltungen.

Um ein neues Südafrika zu schaffen, war es nötig, dass Menschen Trennungen und Grenzen überwinden, um sich zu einer Nation zu vereinen. Wenn Sie also dies meinen mit Blick auf das derzeitige Europa und das Streben nach Selbstschutz und Bewahren des Eigenen, wenn Sie auf die Wahlentscheidung der Briten schauen, die Europäische Union zu verlassen, dann ja: all dies alarmiert uns sehr. Wir glauben, dass der Weg im Leben, um vorwärts zu kommen, ein Weg in Einheit ist, von Gemeinschaft, des Zueinandergehörens. Das afrikanische Prinzip von „Ubuntu“ sagt, dass ich bin, weil Du bist, wir gehören zusammen, weil es um uns beide geht. Und es kennzeichnet das Bedürfnis von Menschen, zusammen zu leben, ob es sich dabei um eine einzelne Gesellschaft handelt oder um die internationale Gemeinschaft.
In theologischer Perspektive meint dies die Integrativität der Gemeinschaft der Menschen insgesamt. Auch wenn wir in einem bestimmten geografischen Kontext leben, dürfen wir nie vergessen, dass wir in eine viel größere Gemeinschaft eingebunden sind. Wenn wir also die gegenwärtigen Störungen von dieser Warte aus betrachten, dann sehen wir mit Sorge zunehmend Indizien für Vereinzelung und Abgrenzung, für Unabhängigkeitsstreben und Selbstabsicherung. Wir müssen nach den Gründen für diese Entwicklungen fragen, denn während manches im Willen nach Selbstbestimmtheit gründet, müssen wir gleichzeitig aufpassen, dass es nicht aus Engstirnigkeit geschieht. Sondern, dass einem dabei das Gesamtbild dessen, was geschieht, vor Augen steht und nicht nur das, was uns selbst gerade widerfährt.

Hannover, den 29. Juni 2016

Im US-amerikanischen Grand Rapids ist heute (15 Uhr Ortszeit; 23 Uhr MESZ) die Generalversammlung des Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen eröffnet worden. Zu der Vollversammlung des weltweit größten Zusammenschlusses evangelischer Christen kamen etwa 1000 Teilnehmer in den Bundesstaat Michigan. Während der Generalversammlung schließt sich der Reformierte Weltbund (RWB) mit dem Reformierten Ökumenischen Rat zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) zusammen. Zu der dann neu gegründeten Weltgemeinschaft gehören mehr als 80 Millionen Christen aus mehr als 200 Kirchen weltweit.

ÖRK begrüßt die Entstehung einer neuen Weltgemeinschaft

Olav Fykse Tveit: ''historisches Ereignis für die reformierte Kirchenfamilie und für die Kirche Christi in der ganzen Welt''
Am 18. Juni werden sich der Reformierte Weltbund (RWB) und der Reformierte Ökumenische Rat (REC) unter dem Namen Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WRK) zusammenschließen. Das neue ökumenische Gremium umfasst 227 Mitgliedskirchen, die 80 Millionen Christen in 108 Ländern vertreten.

Pressemitteilung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), 17. Juni 2010

WGRK: Bei Gott ist alles möglich

Setri Nyomi: ''Wir begeben uns in eine neue Zukunft ...''
Grand Rapids, 20. Juni 2010. „Wir sind gerufen in eine unmöglich erscheinende Zukunft, in der wir uns in einem Bund für Gerechtigkeit engagieren - Gerechtigkeit für alle Frauen und Männer, Gerechtigkeit für alle Rassen und Kasten, Gerechtigkeit in der Wirtschaft und Klimagerechtigkeit. Es gibt Kräfte, die erklären, dies sei unmöglich und die versuchen werden, unsere Theologische und spirituelle Entschlossenheit herabzuwürdigen und ideologisch zu brandmarken. Aber wir können nichts anderes tun als auf die ruhige, klare Stimme unseres Hernn Jesus Christus zu hören, der sagt, dass dies für sterbliche Wesen als unmöglich erscheint, aber bei Gott ist alles möglich.“

www.reformedchurches.org

Reformierte Frauen versammeln sich in Grand Rapides

''Komm mit Jesu auf die Straßen''
In dieser Woche führt die Vor-Versammlung der Frauen etwa 150 Delegierte, Frauen und einige Männer aus der ganzen Welt, in Grand Rapids in Michigan zusammen.

Esther R. Suter, Grand Rapids, 15. Juni 2010; Übersetzung: Stefan Maser

USA: Die Reformierte Kirche in Amerika (Reformed Church in America (RCA)) übernimmt Belhar Bekenntnis

Anti-apartheid document finds new life in US Reformed Church Washington DC
(ENI/RNS). For some 400 years, the small Reformed Church in America has relied on only three confessional statements of belief, all of them forged in the crucible of the Reformation. This week, they'll add a fourth, and its unlikely origins - apartheid-era South Africa - speak volumes about the changing nature of global Christianity and its impact on one of America's oldest denominations, Religion News Service reports.

bs

Eine Bewegung gegen den Strom: zwei weltweite Kirchennetzwerke schließen sich zusammen

Hauptauftrag der neuen Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen: Einheit der Kirchen und soziales Engagement
Die beiden größten Netzwerke protestantischer Kirchen der reformierten Tradition treffen sich vom 18 bis zum 28. Juni 2010 in Grand Rapids im Nordosten der Vereinigten Staaten; um eine neue Organisation zu bilden. Das drückt einen neuen Stand der Beziehungen zwischen zwei Kirchenfamilien aus, die einst auch voneinander getrennt waren.

Kristine Greenaway (WARC), Genf (gekürzt), 7. Juni 2010; Übersetzung: Stefan Maser

Schweiz / SEK: Globalisiert reformiert

Wipf: ''Gemeinschaft sein ohne hierarchische Struktur''
«In Grand Rapids fällt ein historischer Entscheid: Aus der weltweiten Allianz der Reformierten wird eine theologisch fundierte Gemeinschaft», sagte Thomas Wipf, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK, an der Tagung der Schweizer Reformierten vom 27. Mai 2010. Damit haben sie sich auf den Gründungsakt der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen WRK vom 18. bis 27. Juni 2010 in Grand Rapids (Michigan, USA) vorbereitet.

Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK, Medienmitteilung, Bern, 28.5.2010
A respected American Indian religious educator and cultural consultant is to be a featured speaker at an international gathering of Reformed churches in the United States this June. Richard Twiss, a member of the Rosebud Lakota/Sioux Tribe, will address the founding meeting of the World Communion of Reformed Churches (WCRC) in Grand Rapids.

Reformierter Weltbund, 22. April 2010

WRK: Bibelarbeiten ''Das ist unsere Familie''

''Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens''
Fünf Bibelarbeiten zur Vorbereitung auf die gemeinsame Generalversammlung des Reformierten Weltbundes (RWB) und des Reformierten Ökumenischen Rates (REC) zur Bildung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WRK) in Grand Rapids, Michigan, USA vom 18. bis 27. Juni 2010. Als PDF zum Download auf www.reformedchurches.org

Barbara Schenck