Zwingli und Deutschland

von Achim Detmers

Huldrych Zwingli (1484-1531)

wird immer als der »Schweizer Reformator« bezeichnet – so als sei sein Einfluss auf die Schweiz begrenzt geblieben. Doch mindestens für Deutschland lässt sich eine unmittelbare Wirkungsgeschichte seines Handelns aufzeigen. Als Zwingli am 1. Januar 1519 seinen Dienst als Leutpriester in Zürich aufnahm, betrat er als weiterer wichtiger Reformator neben Luther und Melanchthon auch die Bühne der deutschen Reformation. Bis zu seinem gewaltsamen Tod im Jahre 1531 wurde Zwingli mit seiner Theologie und seinen Kirchenreformen nicht nur in der Schweiz, sondern vor allem in Oberdeutschland zu einem der maßgebenden Reformatoren.

Konflikt mit Luther

Zwingli sah sich zu Beginn seiner Tätigkeit im Einklang mit Luther. Er war durch dessen frühe Schriften mitgeprägt und bemühte sich um deren Verbreitung. Je länger um so mehr entwickelte er jedoch einen eigenständigen reformatorischen Ansatz, der sich u.a. aus den besonderen Herausforderungen der Zürcher Stadtreformation ergab. Dieser eigenständige Ansatz führte vor allem in der Abendmahlslehre zu einer heftigen theologischen Auseinandersetzung mit Luther, die auch bei einem gemeinsamen Treffen in Marburg 1529 nicht beigelegt werden konnte. Fortan gab es in der reformatorischen Bewegung mindestens zwei Richtungen, die die 1517 angestoßene Reformation der Kirche theologisch und organisatorisch unterschiedlich umsetzten: die Wittenberger Reformation und die oberdeutsch-schweizerische Reformation.

Urvater des reformierten Protestantismus

Durch den frühen Tod wurde Zwinglis Einfluss in Deutschland jedoch zurückgedrängt. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die Verurteilung der Abendmahlslehre Zwinglis in der Confessio Augustana (1530), durch das Augsburger Interim (1548) und den Ausschluss des ›Zwinglianismus‹ vom Augsburger Religionsfrieden (1555). Gleichwohl wurden wesentliche Grundgedanken Zwinglis im ›Calvinismus‹ aufgenommen. Dessen Wirkung nahm in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Deutschland zu. Insofern kann Zwingli als der »Urvater des reformierten Protestantismus« (P. Opitz) bezeichnet werden. Sein Amtsantritt in Zürich 1519 stellt also obendrein ein wichtiges Datum der deutschen Reformationsgeschichte dar.

Zwinglis Wirken in Deutschland

Wie vielschichtig Zwinglis Wirken und seine Kontakte nach Deutschland waren, zeigt folgende Auflistung:

  •  Zwingli führte einen intensiven Briefwechsel mit zahlreiche Akteuren aus dem Römischen Reich Deutscher Nation (z.B. Blarer, Bucer, Capito, Eck, Erasmus, Fagius, Luther, Schwenckfeld, Landgraf Philipp von Hessen, Markgraf Philipp von Baden, Herzog Ulrich von Württemberg).
  • Schon zu Lebzeiten Zwinglis wurden dessen Schriften regelmäßig übersetzt, entweder vom Lateinischen ins Deutsche oder umgekehrt. Der größte Teil der Schriften wurde in Zürich gedruckt, einige Nachdrucke erfolgten aber auch in Straßburg, Ulm, Augsburg und Breslau. Rezipiert wurden seine Schriften neben der Schweiz vor allem im oberdeutschen Raum.
  • Die erste reformatorische Übersetzung der gesamten Bibel in (ober-)deutscher Schriftsprache von 1530 geht auf die wissenschaftliche Tätigkeit von Zwingli und seinen Schülern in der Zürcher Hohen Schule (sog. ›Prophezey‹) zurück. Die Zürcher Bibel ist bis heute neben der Lutherbibel und der Einheitsübersetzung eine der renommiertesten Bibelübersetzungen in deutscher Sprache.
  • Die von Zwingli begründete Zürcher Hohe Schule wurde zum Prototyp reformierter Akademien, so z.B. für die Hohe Schule Herborn, das Gymnasium illustre in Burgsteinfurt, das Akademische Gymnasium Danzig, das Casimirianum Neustadt, die Hochschulen in Bremen, Zerbst, Marburg, Hanau, Duisburg, Hamm und Lingen (Ems).
  • Reisen ins Römische Reich Deutscher Nation waren für Zwingli hochgefährlich, da er durch römisch-katholische Gebiete reisen musste, wo er als Ketzer galt. Dies betraf die katholischen Kantone der Schweiz und die habsburgischen Erblande, die sich bis ins Oberelsass erstreckten. Gleichwohl konnte Zwingli 1529 unter hohen Sicherheitsmaßnahmen zum Religionsgespräch nach Marburg reisen. Diese Reise führte ihn u.a. über Straßburg, Zweibrücken, Lichtenberg/Pfalz, Meisenheim und St. Goar.
  • Anlässlich des Marburger Religionsgespräches traf Zwingli mit den deutschen Reformatoren Luther, Melanchthon, Martin Bucer, Jakob Sturm, Caspar Hedio, Justus Jonas d. Ä., Andreas Osiander, Johannes Brenz und Stephan Agricola zusammen. Außerdem hielt Zwingli in der Schlosskirche vor Landgraf Philipp von Hessen, Luther u.a. eine Predigt über die Vorsehung, die der Landgraf später von Zwingli erbat.
  • Zusammen mit Philipp von Hessen bemühte sich Zwingli um ein Bündnis der reformierten Eidgenossen mit Hessen, Straßburg, Konstanz und dem abgesetzten Herzog Ulrich von Württemberg. Diese Bemühungen scheiterten jedoch spätestens mit dem Tod Zwinglis bei der Schlacht von Kappel, die die Vorherrschaft der katholischen Orte in der Eidgenossenschaft besiegelte.

Stärker als Luther

Letztlich war die Reformation, wie der Kirchenhistoriker Bernd Moeller gezeigt hat, im süddeutschen Raum (Oberdeutschland) stärker durch Zwingli und Bucer geprägt als durch Luther. Die Reformation der oberdeutschen Städte (Augsburg, Biberach, Isny, Kaufbeuren, Kempten, Konstanz, Lindau, Memmingen, Ravensburg, Ulm u.a.) ist ohne eine Würdigung Zwinglis undenkbar; dies gilt vor allem für die oberschwäbischen Reichsstädte, wo der Einfluss Zwinglis bis in die 70er Jahre des 16. Jahrhunderts hinein sichtbar war (z.B. in den kirchlichen Gebräuchen, Gottesdiensten und Zuchtordnungen sowie in der Gestaltung des Kirchenraumes). Die reformierten Kirchen in Bad Grönenbach, Herbishofen und Theinselberg führen ihre Entstehung bis heute direkt auf Zwinglis Wirken zurück. Aber auch in der Pfalz und in Ostfriesland lässt sich der Einfluss der Reformation Zwinglis nachweisen.

 

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