Der reformierte Blick auf die Bilder. Gedanken zu einer theologischen Ästhetik

Von Andreas Mertin - in 10 Kapiteln auf reformiert-info


Kunstaustellung in der ursprünglich hugenottischen Karlskirche in Kassel während der documenta 2007.

Von Ulrich Zwingli, Johannes Calvin und Karl Barth geschult wirft Andreas Mertin einen reformierten Blick auf die Kunst von ihrem Anfang in steinzeitlichen Höhlen bis zur Gegenwart. Der Medienpädagoge und Ausstellungskurator nimmt das Bilderverbot als Kultbilderverbot ernst. Das zweite Gebot sei jedoch kein Kunstverbot.

überarbeitete Fassung der 10 Kapitel Ästhetik als PDF

Das Bilderverbot habe dementsprechend auch keine Relevanz für die imago-dei-Lehre, der Gottebenbildlichkeit des Menschen nach Genesis 1,26, so Mertin.
Am Beispiel der Niederlande zeigt er, wie der reformatorische Bildersturm die „Profanität der Künste und die Privatisierung der Kunstaneignung“ beschleunigte. Die „Andachtsfunktion“ der Bilder mit biblischen Motiven wich der „Unterhaltungsfunktion“ von Kunstwerken, die nicht explizit für Kirchen in Auftrag gegeben werden.
Nach seinem Durchgang durch die Kunstgeschichte im 21. Jahrhundert angekommen, sieht Mertin im Ausstellungskonzept des White Cube eine Chance auch für reformierte Kirchen Bilder in ihren Räumen auszustellen und plädiert für eine Ethik der Gastfreundschaft gegenüber der zeitgenössischen Kunst.
Die Geste des weißen Raums eröffne Menschen einen Frei-Raum. Sie können von der Mehrdeutigkeit eines Bildes lernen, „dass es eine Chance und Bereicherung sein kann, mehr als nur eine Verstehensmöglichkeit wahrzunehmen“. 

Seine „reformierte Ästhetik“ entfaltet Andreas Mertin als Beitrag zum Reformationsdekandenjahr „Bild und Bibel“ in zehn auf einander folgenden Kapiteln auf reformiert-info:

01 - Am Anfang

02 – Du sollst Dir kein Kultbild machen

03 – Christus, die Befreiung der Künste zur Profanität

04 – Eine reformierte Kunsttheorie avant la lettre

05 – Bildersturm – Kein dunkles Kapitel

06 – Zwingli und Calvin und die Folgen für die Kunst

07 – Reformierte Ästhetik als neues Kulturparadigma

08 – The White Cube: Glaube gewinnt Raum

09 – Holzwege: die Gefahr der Erstarrung

10 – GeistesGegenwart: Zeitgenössische Kunst

 

Andreas Mertin, Dr. phil. h.c., geb. 1958 in Hagen/Westfalen,
Studium der Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte,
freiberuflich tätig als Medienpädagoge und Ausstellungskurator.
Herausgeber der Internet-Zeitschrift
Tà katoptrizómena - Magazin für Theologie und Ästhetik.
Mehr Infos: www.amertin.de

bs, Februar 2015

Theologische Ästhetik von Andreas Mertin. Teil I

Der reformierte Blick auf die Bilder setzt 40.000 Jahre vor unserer Zeit ein. Er blickt in eine Höhle irgendwo im Norden Spaniens oder im Süden Frankreichs – wo genau, da streiten die Experten noch. Der Mensch der damaligen Zeit ist noch sehr stark der Natur ausgeliefert, aber er hat schon einiges gelernt. Er verfügt über die Fähigkeit, Feuer zu kontrollieren, Werkzeuge anzufertigen und natürlich zu gebrauchen, er kann sprechen – auch wenn es bis zur Vervollkommnung der Sprache noch 20.000 Jahre dauern wird. Der Mensch dieser Zeit verfügt bereits über einen rudimentären Totenkult – zwar werden nicht alle Angehörigen seiner Gruppe beerdigt, aber doch einige Ausgewählte. Und er verfügt über die Fähigkeit, sein Leben zu verschönern, er schmückt die Werkzeuge, mit denen er arbeitet und die Wohnwelt, in der er lebt.