Haifa

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 64. Kapitel


Die "Tajellet" - die Promenade über den Dächern Haifas - ist bei Brautpaaren besonders beliebt.

Von Tobias Kriener

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Eigentlich war der Plan, heute die Geschichte mit dem israelischen Führerschein zu regeln. Aber bei der Tour durch Masra'a gestern mit Jussef traf ich unseren Fahrlehrer Tarik, der mir mitteilte, dass das "Misrad HaRishui" heute geschlossen ist wegen - Streik!

Auch das ist etwas, was sich geändert hat seit meiner Zeit als Freiwilliger und Student vor 30 - 40 Jahren: Dies ist der erste Streik, der mir seit letztem Jahr begegnet. Damals dagegen hat eigentlich immer jemand gestreikt: Die Piloten von El AL, das Bodenpersonal am Flughafen, die Busfahrer von Egged, die Úni-Professoren, die Lehrer ... Erst jetzt, wo uns dieser lästige Streik erwischt, merke ich, dass in Israel gar nicht mehr gestreikt wird ... Nun, dieser Streik ist erst mal nur für einen Tag ausgerufen. Wir wollen mal hoffen, dass es dabei bleibt, und ich meinen Führerschein noch rechtzeitig bis zum 7. Novembe bekomme.

Jedenfalls gibt mir das die Zeit, kurz von unserem Study-Trip vorgestern nach Haifa mit Gaby Zohar zu erzählen. Gaby stammt aus Evron, dem Kibbuz zwischen Nes Ammim und Naharijah. Er erinnert sich noch gut an die Gespräche im Kibbuz, die er als Junge mitbekommen hat, über diese komischen Christen, die da eine Siedlung gründen wollten - und er ist persönlich verheiratet worden von dem mythischen Oberrabbiner von Naharijah, Aharon Keller, der sich vom Wortführer der Gegener des Projekts Nes Ammim zu seinem Befürworter gewandelt hatte. Gaby ist ein Fan von Nes Ammim - wie er auch ein Fan von Haifa ist wegen des Zusammenlebens der vielen verschiedenen Gemeinschaften und Gruppen in Haifa.

Stationen waren zunächst ein Geheimtipp von ihm - ein Aussichtspukt weit im Osten von Haifa unter dem Technion, von wo aus man mal einen ganz anderen Blick auf die Stadt hat.

Dann haben wir eine sehr spezielle muslimische Gemeinschaft besucht: Die Achmadiyya, die in Israel hauptsächlich in Kababir leben - früher ein Dörfchen an der Südseite des Karmel, heute in Stadtteil von Haifa. Der freundliche Herr Falach, der uns begrüßte, erzählte, dass die Ahmadiyya davon überzeugt sind, dass der Mahdi - eine messianische muslimische Gestalt - im 19. Jahrhundert in Indien erschienen sei. Sie sind damit natürlich in den Augen der großen Mehrheit der Muslime Häretiker - sehen sich von daher in einer gewissen Parallele zum Christentum als einer Gruppe, die - entgegen der Auffassung der Mehrheit der Juden - daran glauben, dass der Messias bereits gekommen ist, und stellen sich ansonsten als eine betont friedliche und auf Verständigung mit anderen Religionen bedachte Form des Islam dar. Zusammen mit den Bahai (auch ein Phänomen des 19. Jahrhundert) - die ja bekanntlich Haifa das bedeutendste Zentrum ihrer Religionsgemeinschaft haben: die wunderschönen Gärten am Nordabhang des Karmel über dem "Deutschen Viertel", der alten Templeransiedlung - gehören die Ahmadiyya zu dem äußerst vielfältigen Mix von Gemeinschaften, die das besondere Flair Haifas ausmachen.

Ja - dann sind wir natürlich zur "Tajellet" - der Promenade oben auf dem Karmel mit dem Blick über die Stadt und die Bucht und die Ebene bis hin zum Gallil, an dem ich mich noch lange nicht satt gesehen habe. (Weil es hier so schön ist, wimmelt es von - in der regel arabischen - Brautpaaren, die sich hier für's Fotoalbum ablichten lassen.) Diesmal war die Sicht nach Naharijah und Rosch HaNikrah durch schwere Regenwolken behindert: In Nes Ammim hat es geschüttet - während wir den ganzen Tag bestet Wetter hatten. Von dort oben hat uns Gaby einiges zur Geschichte und Bedeutung der "Templer" für Israel erzählt - u.a. dass sie den Orangenanbau eingeführt und das Markenzeichen der Jaffa-Orange erfunden haben. Um die Schiffe, die die Orangen nach Marseille exportiert haben, nicht leer nach Haifa zurückkehren zu lassen, haben sie auf dem Rückweg die für die Templerhäuser typischen roten Ziegel importiert, die darüber dann allgemein Eingang in die Architektur des Landes gefunden haben.

Dann ging's zur Stella Maris - dem westlichsten Ausläufer das Karmel -, wo sich oban auf dem Berg die christliche Elia-Höhle findet (die jüdische liegt am Fuß des Karmel - haben wir diesmal nicht gesehen). Gabys Version der Elia-und-die-Propheten-des-Baal-Geschichte war ein bisschen eigenwillig - es würde nicht schaden, wenn er noch mal 1. Könige 18 aufschlägt ...

Wir haben uns dann nicht die Zeit genommen, den Sonnenuntergang auf der Stelle Maris zu betrachten - wäre angesichts der Regenwolken über dem Mittelmeer wohl auch nicht sehr eindrücklich gewesen. Daduch haben wir dann aber das Deutsche Viertel am Fuß der Bahai-Gärten noch bei Tageslicht zu sehen bekommen - und vor allem die daran anschließende arabische Unterstadt. Während das Templerviertel ja mit öffentlichen Geldern sehr hübsch hergerichtet wurde und jetzt mit seinen Restaurants und Läden das eigentliche Stadtzentrum für die Arrivierten darstellt (speziell am Abend ist diese Sichtachse vom Hafen die Straße durchs Templerviertel entlang bis hinauf zu den illuminierten Bahai-Gärten ja auch wirklich eine Pracht!) fängt es wenige Meter davon entfernt an, so richtig interessant zu werden: Die teils abenteuerlich erweiterten und aufgestockten Häuser bilden einen krassen Kontrast zu den dahinter aufragenden Glasbetonhochhäusern einerseits und den sorgfältig restaurierten und eben doch gentrifizierten Templerhäusern andererseits. Das Ergebnis ist im Zeitalter von Kunststoff und Ytong-Blöcken ästhetisch grausam - aber man stelle sich vor, diese Anbauten und Balkone und Erker und Außentreppen wären in der Zeit gebaut worden, als als Baustoffe nur Naturstein und Holz zur Verfügung standen: dann hätte Haifa eine phantastische orientalische Kasbah. Jedenfalls ist das sehr lebendig - und es macht große Lust, wieder her zu kommen und umher zu streifen.

Zum Schluss führte Gaby uns in der arabischen Unterstadt noch zu dem - natürlich! - besten Falafelstand in ganz Israel. Ich bin nach diesem Tag zwar ein noch größerer Bewunderer Haifas, als ich das ohnehin schon war - aber der beste Falafelstand Israels - der steht immer noch in Naharijah - dabei bleibe ich!


Tobias Kriener