'Dieses Gotteshaus ist kein Versöhnungszeichen'

Interview mit der Initiative 'Christen brauchen keine Garnisonkiche'


Screenshot des Online-Auftritts der Initiative 'Christen brauchen keine Garnisonkirche'

Bis Herbst 2018 sammelten Teilnehmer der Initiative Stimmen gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu Potsdam. 'Wir wollen dem Eindruck entgegentreten, alle Christinnen und Christen würden dem Vorhaben einhellig zustimmen" heißt es in einem offiziellen Statement. reformiert-info.de sprach mit zwei Akteuren der Initiative, Hans Misselwitz und Uta Brux. Im Interview erklären sie, welche Alternative sie sich wünschen.

reformiert-info.de: Seit 2014 kämpfen Sie mit der Initiative „Christen brauchen keine Garnisonkirche“ gegen deren Wiederaufbau in Potsdam. Seit Oktober 2017 laufen die Bauarbeiten. Ist Ihre Mission damit hinfällig?

Hans Misselwitz: Unsere Kritik gilt weiter, unabhängig vom Start der Bauarbeiten. Es handelt sich ja nicht einfach nur um einen steinernen Bau. Mit der Rekonstruktion verbunden ist der Geist einer höchst belasteten Kirche, die sich mit Militarismus geradezu geschmückt hatte, bevor sie zerstört wurde. Natürlich werden wir nicht fordern, das Gebäude abreißen zu lassen. Wir werden uns aber einmischen in weitere Planungen.

reformiert-info.de: Daran schien auch das Kuratorium interessiert. Der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms sprach sich im Herbst zumindest für einen Dialog mit den Gegnern der Garnisonkirche aus. Spüren Sie von diesem Dialog etwas?

Misselwitz: Vor Baustart gab es tatsächlich Ansätze das Vorhaben noch einmal gemeinsam zu besprechen. Dieses abschließende Gespräch hat es aber nie gegeben. Zu Fragen und Kritik an diesem Projekt erhielten wir bislang noch keine hinreichende Auskunft.

reformiert-info.de: Welche Fragen bleiben aus Ihrer Sicht offen?

Misselwitz: Unbeantwortet bleibt die Frage nach der Einordnung in die Kirchenidentität. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche bedeutet die Einladung in eine Tradition, von der wir hoffen sie als Christen überwunden zu haben.

Uta Brux: Die Zeit des Nationalsozialismus wird in der Öffentlichkeitsarbeit bislang nur kurz erwähnt. Einiges aus der Zeit der Weimarer Republik bleibt ausgeklammert. Der „Geist von Potsdam“, der einen großen Teil der Prägung ausmacht, wird nicht tiefgreifend reflektiert. Die Kirche erscheint mehr als historischer Schauplatz, etwa für die Bildung der Union von Reformierten und Lutheranern.

reformiert-info.de: Die Historikerin Anke Silomon, von der Stiftung beauftragt mit der Untersuchung der historischen Hintergründe der Garnisonkirche („Pflugscharen zu Schwertern – Schwerter zu Pflugscharen“), sagte in einem Interview mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten dass man die Geschichte der Garnisonkirche nicht zu sehr auf die Militärgeschichte einengen sollte. Ist es übertrieben, sich bei einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges zu konzentrieren?

Misselwitz: Die Argumentation ist uns bekannt. Manche Leute sagen: Was sind schon zwölf Jahre im Vergleich zu 300 Jahren Gesamtgeschichte? Unsere Auffassung ist es aber, dass diese zwölf Jahre nicht zufällig waren. Die Vorgeschichte des Gebäudes führte zum sogenannten „Pakt von Potsdam“. Allein die Verbindung von Machthaber und Kriegsführer auf der einen Seite und Kirche auf der anderen Seite in Form einer spezifischen Militärkirche sehen wir als Problem. Gerade in der preußischen Geschichte spielt diese Nähe eine zentrale Rolle. Der Kurfürst als Baumeister war eng mit der Kirche verbunden. Die Zerstörung der Garnisonkirche im Zweiten Weltkrieg ist daher als symbolisch zu verstehen.

reformiert-info.de: Das spräche durchaus für eine Nutzung der Garnisonkirche als Ort der Erinnerung. In einem offenen Brief an den Schirmherrn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) schrieben Sie aber, dass die Kirche nicht dem Anspruch genügen könne, um „Lehren aus einer wechselvollen Geschichte“ zu ziehen. Warum?

Misselwitz: Für Frieden und Versöhnung diese Kirche wieder aufzubauen, das ist für uns ein Paradoxon. Versöhnung muss ausgehen vom Opfer, nicht vom Täter. Dieses Gotteshaus ist kein Versöhnungszeichen. Es schreit nach Vergebung – und damit Rechtfertigung. Zwar gab es einzelne Gemeindemitglieder, die Widerstand leisteten. Den Ort als Gedenkstätte des militärischen Widerstands zu präsentieren hielte ich aber für eine Anmaßung. Die Kirche gerät damit leicht in eine Opferrolle. Auch die Sprengung der Ruine 1968 wird so zum Akt eines feindlichen SED-Regimes. Dabei fand die Zerstörung schon vorher, zum Ende des Zweiten Weltkrieges statt.

Brux: Wenn man das Gebäude wieder genauso aufbaut wie es war, dann muss man ständig versuchen historisch gegenzuarbeiten und das Ganze zurechtzubiegen. Am Ende fehlt das schlüssige Konzept. Als Kirchenmitglied beschämt mich das: Was für ein Bild wird da nach außen getragen? Ich war selber früher in der Friedensarbeit engagiert. Nach außen möchte ich meine Kirche nicht so erleben. Bei Besuchern kann eine Rekonstruktion der Kirche leicht zu Missverständnissen führen.

reformiert-info.de: Vor welchen Missverständnissen haben Sie Angst?

Brux: Laut Stiftung handelt es sich um ein Symbol nationaler Bedeutung. Dann muss man allerdings auch feststellen, dass es dort im Nationalsozialismus eine unschöne Verwicklung von Kirche und Staat gab. Die Stiftung muss Kontroversen auch kontrovers darstellen, wenn sie sich als Träger der Bildung versteht. Die Öffentlichkeitsarbeit sehen wir derzeit nicht kontrovers.

Misselwitz: Wir erleben momentan einen neuen Rechtsruck in der Gesellschaft. Es ist eine Generation, die sich ganz anders mit dem deutschen Militär und der deutschen Geschichte auseinandersetzt. Björn Höcke (AfD) sprach in Bezug auf die Garnisonkirche von „wiedererstandenen Fassaden“: ein Wink mit dem Zaunpfahl. Eine solche Reaktion war absehbar. Das Gebäude soll identisch wieder aufgebaut werden. Eine kritische Hinterfragung historischen Hintergrundes fehlte.

reformiert-info.de: Welche Alternative hätten Sie sich gewünscht?

Misselwitz: Keinen Wiederaufbau – sondern etwas komplett Neues. Wenn man diese Kirche original wieder aufbaut, dann hat das etwas Paradoxes: Eigentlich will man sagen, dass das Haus eine Belastung ist – errichtet es aber wieder. Was soll dort hinein? Eine Wehrmachtausstellung?

Brux: Der Fehler liegt in der Reihenfolge. Zuerst wünscht man sich, eine Kirche wieder original aufzubauen. Erst dann kommt die Frage auf: Was könnten wir mit dieser Kirche machen? Dabei müsste man doch umgekehrt vorgehen: Was wollen wir inhaltlich und konzeptionell erreichen? Erst dann kann man sich auch Gedanken darüber machen, wie sich das architektonisch umsetzen lässt.

reformiert-info.de: Wie aber würde eine solche architektonische Lösung aussehen, können Sie Beispiele nennen?

Brux: In der Geschichte der Garnisonskirche gibt es extreme Brüche. Diese historischen Brüche müsste man auch in der Architektur sichtbar machen. Die Berliner Gedächtniskirche oder auch die Kathedrale von Coventry sind gute Beispiele. Dort finden wir Reste des Altbaus – aber auch einen architektonisch deutlich abgetrennten Neubau. Das ist architektonische Auseinandersetzung mit geschichtlichen Brüchen. In der Umsetzung bedeutet das manchmal auch Dinge wegzulassen.

reformiert-info.de: Was würden Sie an der Garnisonkirche weglassen?


Brux: Der barocke Kirchturm hat zum Beispiel eine eigene Wirkung: Die Außenfassade steckt voller militärischer Symbolik. Das Original spricht also eine architektonische Sprache, die der Friedensarbeit entgegensteht. Wir errichten damit ein Bauwerk, gegen das wir im Nachhinein mit Programm und Innenausstattung anarbeiten müssen, um den geschichtlichen Hintergrund zu klären. Für die Planung ist das wenig sinnvoll.

reformiert-info.de: Ließe sich die Geschichte der Garnisonkirche nicht mit entsprechender Bildungsarbeit vor Ort veranschaulichen?

Brux: Touristen laufen oft an solchen Gebäuden vorbei, machen ein paar Fotos und fertig. Sie betreten die Innenräume oft nicht einmal. Diese Besucher werden wir deshalb gar nicht erreichen. Die Außenwirkung wird maßgeblich durch den historischen Turm bestimmt.

Misselwitz: Heute haben wir noch dazu eine jüngere Generation, die Krieg und Nachkriegszeit nie erlebt hat. Man muss deshalb konkret werden. So ein Bauwerk lässt sich nicht mit einem breiten Rundumschlag über die Geschichte von 300 Jahren abhandeln. Man muss dezidiert auf die geschichtlichen Ereignisse und das Ende der Geschichte hinweisen.

reformiert-info.de: Welche Perspektiven sehen Sie jetzt nach der Start der Bauarbeiten noch mit Ihrer Initiative?

Brux: Mit unserer Initiative zeigen wir, dass nicht alle in der Kirche das gutheißen. Für unsere Erklärung „Wir brauchen keine Garnisonkirche“ sammelten wir rund 800 Stimmen. Dazu beobachten wir mit großem Interesse alternative  Bewegungen wie die einer neuen Profilgemeinde in Potsdam. Noch bleibt uns Zeit. Selbst der Turm ist bislang nur rudimentär und ohne Dekoration finanziert. Bis die Kirche aufgebaut ist, fließt noch viel Wasser.


Das Interview führte Isabel Metzger
Was Befürworter und was Kritiker der Wiedererrichtung der Garnisonkirche zu Potsdam sagen

Die Wiedererrichtung der Garnisonkirche Potsdam sorgt nach wie vor für Diskussionen. reformiert-info.de sprach mit verschiedenen Beteiligten und Interessenten.
Ein umstrittenes Bauprojekt

Seit Oktober 2017 laufen Bauarbeiten zur Errichtung der Garnisonkirche zu Potsdam. Bis 2020 soll die Turmmauer des historischen Gebäudes in weiten nahezu originalgetreu wiederaufgebaut werden. Doch gegen das Projekt erhebt sich vehemente Kritik. Als Schauplatz für den sogenannten 'Tag von Potsdam' im März 1933 ist die Kirche eng verbunden mit NS-Regime. Wie kann Friedensarbeit hier funktionieren?