Armuts-Forscher Butterwegge: »Es fehlt nicht an Daten, sondern an Taten«

Thema Armut: Politikertagung der Evangelischen Kirche von Westfalen


Von links: Dr. Christoph Butterwegge, Präses Annette Kurschus, NRW-Minister Rainer Schmeltzer und Klaus Breyer. Foto: EKvW

Eine Politik, die gegen Armut kämpft, muss idealistisch und realistisch zugleich sein. Diesen scheinbaren Widerspruch hat Präses Annette Kurschus am Freitagabend (2.9.) auf der Politikertagung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) in Schwerte-Villigst beschrieben.

Ein Gemeinwesen dürfe sich weder von Sachzwängen lähmen lassen noch die Bodenhaftung verlieren, sagte die leitende Theologin der EKvW. Diese Balance ist biblisch begründet: »Es soll überhaupt keine Armen geben unter euch« und »Es wird allezeit Arme bei euch geben« – zwei Sätze, die in unmittelbarer Nähe im Alten Testament stehen.

Angesichts steigender Armutszahlen in NRW warnte die Präses davor, dass das Interesse an Politik bei Armen sinkt. Wenn Menschen von der Politik nichts erwarten, drohe die Gefahr, dass andere sich dieses Gefühl zunutze machen und »Zielscheiben aufstellen für Frust und Wut« und »Feindbilder ausrufen, auf die sogar diejenigen, die selbst ganz unten sind, noch herabschauen können«. Das sei gefährlich für die Kultur und Struktur unseres Gemeinwesens.

Professor Dr. Christoph Butterwegge von der Universität Köln prangerte eine Politik an, »die das Land in mehr Reichtum und mehr Armut spaltet«. Armut sei nur die extremste Form sozialer Ungleichheit: »Armut und Reichtum sind zwei Seiten einer Medaille.« Durch die Senkung des Spitzensteuersatzes oder die Abschaffung der Erbschaftssteuer für Unternehmen würde Reichtum systematisch steuerlich begünstigt und gefördert.

Nach Überzeugung des Politologen ist Armut in der kapitalistischen Hochleistungsgesellschaft politisch gewollt: »Sie soll zeigen, wie es einem ergeht, wenn man nicht funktioniert. Soziale Marktwirtschaft ist nur der Kosename für neoliberale Finanzpolitik.« Zu den regelmäßigen Armutsberichten erklärte er: »Es fehlt nicht an Daten, sondern an Taten.«

Solche Taten präsentierte Rainer Schmeltzer, nordrhein-westfälischer Minister für Arbeit, Integration und Soziales. Zum Beispiel die Landesinitiative »NRW hält zusammen … für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung«. Die im Jahr 2014 gestartete Initiative »bündelt die Kräfte aller Ressorts. Und sie ist langfristig angelegt, denn die Reduzierung von Armut und sozialer Ausgrenzung braucht einen langen Atem.«

Das Land unterstütze mit dem Programm »Starke Quartiere – starke Menschen« benachteiligte Stadtviertel. Doch der Kampf gegen Armut beginne bei einer entsprechenden Bundesgesetzgebung. »Das gilt beispielsweise für Arbeitsmarktreformen, aber auch für Reformen bei der Rente. Und ganz wesentlich ist natürlich die Frage der Verteilungsgerechtigkeit, zum Beispiel bei der Erbschaftssteuer und der Vermögenssteuer.«

Der Minister lobte die Rolle der Kirchen bei der Armutsbekämpfung: »Denn sie sind nah an den Menschen.« Für Lutz Lienenkämper, den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion NRW, hat die Sozialpolitik des Landes nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Das zeige der Anstieg der Armutsquote, besonders der Kinderarmut gegen den Bundestrend.

Pressemeldung der EKvW, 2. September 2016