Halleluja - Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!

Predigt über Psalm 150 von Okko Herlyn

''Wenn ich unseren alten Psalm richtig verstanden habe, dann kann jeder von uns – Panikorchester hin oder her – mindestens ein Instrument zu Gottes Lob virtuos und unverwechselbar spielen: sich selbst.''

Halleluja!
Lobet den Herrn in seinem Heiligtum;
lobet ihn in der Feste seiner Macht!
Lobet ihn für seine Taten;
lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!
Lobet ihn mit Posaunen;
lobet ihn mit Psalter und Harfen!
Lobet ihn mit Pauken und Reigen;
lobet ihn mit Saiten und Pfeifen!
Lobet ihn mit hellen Zimbeln;
lobet ihn mit wohlklingenden Zimbeln!
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
Halleluja!

Liebe Gemeinde,
In ganzen sechs Versen werden wir sage und schreibe elfmal aufgefordert, Gott zu loben. „Lobet, lobet, lobet …“ Halleluja nicht mit eingerechnet. Es scheint fast so, als würde ein großes Orchester aufgeboten, um in das Lob Gottes einzuladen: Posaunen und Harfe, Trommel und Pfeife, Zimbel und Reigen … ja, es darf sogar getanzt werden. „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“
Doch schon höre ich Einwände: Moment mal, „alles, was atmen kann, lobe den Herrn!“ – das klingt mir nun doch ein wenig zu sehr nach Kirche, nach Pastor, nach frommem Augenaufschlag und Hallelujazwiebel. O. k., wenn ich so drüber nachdenke, habe ich manchmal schon Grund dankbar zu sein. Aber dazu muss ich doch nicht gleich den Herrn loben und am Ende noch jeden Sonntag in die Kirche rennen. Das überlasse ich dann doch lieber den Frommen und Überzeugten.
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
Vielleicht mag ein anderer einwenden: Ich würde ja gerne mal Gott loben, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie. Mir fehlen oft die Worte, ich fühle mich unbeholfen, brumme mehr, als ich singe, und außerdem kann ich keine Posaune spielen. Ja, unser Pastor, der kann gut formulieren, findet immer das richtige Wort und hat zudem eine super Stimme. Dagegen komme ich mir, ehrlich gesagt, oft ziemlich mickerig vor. Sicher, ich könnte das ein oder andere aus einem Buch ablesen. Aber ich selbst mit meinen beschränkten Möglichkeiten sehe mich da doch ziemlich weit weg von den großen Tönen dieses Psalms.
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
Und vielleicht mag wieder eine andere einwenden: Gott loben? Wenn ich ehrlich bin, ich wüsste z. Zt. nicht, warum. Die Sorge um meine Gesundheit, um meinen Arbeitsplatz, um den Fortbestand meiner Beziehung. Da soll ich nun lauthals Loblieder singen? Die zunehmende Gewalt auf Straßen und Schulhöfen, die immer neuen Kriege irgendwo auf der Welt. Wieder ein Anschlag im Irak, wieder ein Selbstmordattentat in Afghanistan. Das skandalöse Arm-Reich-Gefälle. Jeden Tag über 10.000 Kinder, die den Hungertod sterben. Die bedrohlichen Klimaveränderungen überall auf der Erde. Da soll ich nun vollmundig in lauten Jubel ausbrechen? Klagen – ja. Gerne auch regelmäßig und ausführlich. Aber loben, Gott loben? Wenn ich ehrlich bin: nein danke.
Liebe Gemeinde, das sind alles sehr gewichtige Einwände, die man nicht einfach mit ein paar frommen Worten wegwischen kann. Doch ich habe den Eindruck, dass unser Psalm genau für solche Leute geschrieben ist. Für Leute, die unsicher geworden sind. Für Leute, die gerade nicht wissen, wie, wo und warum um alles sie Gott loben sollen. Für Leute, die mit ihrem Glauben und ihrem Zweifel, mit ihrem Mut und ihrem Kleinmut, wenn sie ehrlich sind, irgendwie an eine Grenze gekommen sind. Also vielleicht auch für Leute wie dich und mich. Ich habe den Eindruck, als ob uns unser Psalm hier Schritt für Schritt behutsam an die Hand nimmt, damit wir – Fromme oder weniger Fromme, Überzeugte oder Verunsicherte, Beter und Zweifler – vielleicht noch einmal ganz neu lernen, was es heißt, Gott zu loben.
Schauen wir doch noch einmal ein wenig genauer hin. Der Psalm beginnt mit den Worten – wir hörten es – „Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht!“ Aha, so könnten nun manche sagen: So ähnlich haben wir uns das ja gedacht! Gott loben, das ist doch eher etwas für die religiös Begabten, für die Frommen und Kirchgänger. Ist hier nicht ausdrücklich von „Heiligtum“ die Rede? Also von Tempel, Kirche und Gottesdienst am Sonntagmorgen?
Nein, sagt der Psalm, ihr irrt. Gottes Gegenwart ist nicht an irgendwelche heiligen Gemäuer gebunden. Seine Herrschaft beschränkt sich nicht auf religiöse Wagenburgen und fromme Zirkel. „Lobet ihn in der Feste seiner Macht!“ Die Feste, ihr erinnert euch vielleicht, die kommt in der berühmten Schöpfungsgeschichte vor: „Und Gott sprach: Es werde eine Feste … und er nannte die Feste Himmel“, das große Firmament über die ganze Erde.
Gott loben, das geht also überall, weil sein Reich an allen Orten, eben in der „Feste seiner Macht“ sichtbar werden soll: in Häusern und Straßen, in Familien und Vereinen, in Kirchen und Kantinen, in Fabriken und Büros, in Kindergärten und Schulen, im Persönlichen wie im Öffentlichen und Politischen. So leicht, sagt der Psalm, könnt ihr es euch nicht machen, dass ihr Gott in irgendwelche vermeintlich heiligen Nischen abdrängt. Wer wirklich Gott, also den Schöpfer Himmels und der Erden, lobt, der wird die Tür manch verrammelter Kirche und auch die Tür manch eines engen Herzens und vielleicht sogar die Tür manch einer christlichen Borniertheit entschieden aufzureißen haben: „Lobet ihn in der Feste seiner Macht!“ In solch einem Satz atmet die herrliche Freiheit des Glaubens – gegen alles religiöse Muckertum.
Und weiter: „Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!“
Lobet ihn! Wie befreiend allein das für uns, die wir so häufig unter dem unerträglichen Zwang stehen, uns ständig selber loben zu müssen. Für unsere Taten, für unsere – angeblichen – Herrlichkeiten. Wie viel Marktgeschwätz, wie viel Stammtischgerede, wie viel Small Talk ist nicht voll von Lobeshymnen vor allem auf uns selbst! Wie man wieder irgendwo gut dagestanden hat. Wie man es wieder jemandem so richtig gezeigt hat. Was für ein toller Hecht man doch ist. Und welch erfolgreichen Kinder und Enkelkinder man aufzubieten hat. Von irgendwem muss der Bursche doch seine Begabung, seine Intelligenz, sein blendendes Aussehen oder seinen umwerfenden Charme haben. Selbstlob – auch uns nicht ganz fremd, wenn wir ehrlich sind.
Halt, sagt auch hier unser Psalm. „Lobet ihn!“ Es ist wie ein rotes Stoppschild: Haltet mal einen Moment inne mit eurer Selbstbeweihräucherung! Nehmt doch bitte einen Augenblick mal Abstand von euch selbst und schaut auf einen anderen: „Lobet Gott für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!“
Gottes Taten? Die Bibel lässt uns nicht lange darüber im Unklaren, was sie unter Gottes Taten versteht. Es ist – um es kurz zu machen – zunächst ganz schlicht seine Schöpfung. Dass Himmel und Erde, Wasser und Pflanzen, Tiere und Menschen kein Zufallsprodukt sind, das ist seine Tat. Es ist alsdann seine Zuwendung zu seinem Volk Israel. Dass er sich diesen kleinen, unscheinbaren Haufen zum Eigentum erwählt und ihn aus Unterdrückung und Sklaverei befreit, das ist seine Tat. Es ist dann aber vor allem die Geschichte Jesu Christi, in der er selbst sichtbar zur Welt kommt, Menschen ohne Ansehen der Person aufhilft an Leib und Seele, ja für sie stirbt und aufersteht. Das ist seine Tat. Es ist schließlich das Geschenk seines Heiligen Geistes. Dass er auch uns nahe ist, auch heute noch Menschen sammelt und in Bewegung bringt, sie tröstet und ermahnt, ermutigt und stärkt, ihnen Halt, Orientierung und eine Hoffnung gibt, das alles ist seine Tat.
„Lobt Gott für seine Taten!“ Wer wollte da noch sagen, er wisse nicht, warum er Gott loben soll? Sieh auf dein Leben. Überlege, dass auch du aus seiner Hand kommst. Dass auch du mannigfach bewahrt wurdest. Denke daran, wo er dich – vielleicht auch einmal gegen deinen erklärten Willen – geführt hat. Wo er dir nahe war in dunklen Stunden. Wo er dich neu versehen hat mit Liebe und Zuversicht, mit Gemeinschaft und Geborgenheit. Und da willst du noch sagen, du habest keinen Grund, ihn zu loben?
Aber da bleibt noch die Sache mit den Instrumenten. Wir hörten: „Lobet ihn mit Posaunen; lobet ihn mit Psalter – eine Art Leier – und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen; lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln; lobet ihn mit wohlklingenden Zimbeln!“
Bei Lichte besehen wahrlich kein Symphonie-, sondern eher ein Panikorchester. Posaune und Harfe, Pauke und Pfeife, Zimbel und Leier … Man hat fast den Eindruck: Hier kann eigentlich jeder mitmachen. Und nun kommen sie schon wieder, die Einwände, wie alte Bekannte: Ich bin aber gar nicht musikalisch. Und Harfe kann ich schon gar nicht spielen.
Und abermals scheint uns der Psalm zurückzufragen: Muss es denn unbedingt ein Musikinstrument sein? Vielleicht kannst du ja ein ganz anderes Instrument spielen. Vielleicht kannst du mit einem guten Wort Gott loben. Vielleicht auch mit deinen Händen oder deinen Füßen. Vielleicht mit deinen freundlichen Augen und deinen aufmerksamen Ohren. Vielleicht mit deinem Verstand oder deinem Gefühl. Vielleicht mit deiner Logik oder deiner Fantasie. Vielleicht mit deiner Sachlichkeit oder deiner Zärtlichkeit. Vielleicht mit deiner Fachkompetenz oder deinem Einfühlungsvermögen. Instrument zum Lobe Gottes kann doch offensichtlich alles sein, was nur irgend geeignet ist, von uns weg auf einen anderen, auf ihn, den Schöpfer Himmels und der Erden hinzuweisen. „Jedem Kind ein Instrument“ – eine löbliche politische Forderung. Zu Gottes Lob sind uns die Instrumente bereits in die Wiege gelegt.
Liebe Gemeinde, müssen wir zu dem allem besonders fromm sein, besonders religiös veranlagt oder auch nur besonders kirchlich geprägt? Brauchen wir zu dem allen eine besondere spirituelle Antenne?
Hören wir ein vorläufig letztes Mal auf unseren Psalm: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ Alles! Ja wer kann nicht alles atmen? Jeder lebendige Mensch kann es, egal ob klein oder groß, jung oder alt, gesund oder krank, dumm oder schlau, reich oder arm, schwarz oder weiß.
„Alles, was atmen kann.“ Vielleicht sogar die Tiere, Vieh und Gewürm, die Pflanzen, Blumen und Bäume, Wasser und Luft, Sonne und Regen, Hagel, Holz und Stein, ich weiß es nicht. Die Bibel jedenfalls fordert nicht selten die ganze Schöpfung auf, jedes Geschöpf auf seine Weise, Gott zu loben, also ein vernehmbarer Hinweis auf seine Herrlichkeit zu sein.
Posaune und Harfe, Zimbel und Leier, Trommel und Reigen. Gitarre und Keyboard, Schifferklavier und Dudelsack, Rockband und Symphonieorchester.
Kantate und Gospel, Bachtrompete und Lagerfeuergeklampfe, vollmundiger Gesang und stilles Seufzen – was uns als Panikorchester erscheinen mag, in Gottes Ohr ist es vielleicht längst ein lieblicher Wohlklang.
Kind oder Greis, Frau oder Mann, Verkäuferin oder Schalterbeamter, Schölleraner Jung oder Mädchen mit Migrationshintergrund, Deutscher oder Afrikanerin – was uns manchmal wie ein wirres Farbengemisch vorkommt, in Gottes Auge ist es vielleicht längst ein fein durchkomponiertes Bild, selbst wenn wir das in unserer christlichen oder vielmehr unchristlichen Kleinkariertheit noch nicht erkannt haben. Das Anderssein des anderen nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfinden – das wäre es doch. Warum sonst: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“
Beten und Arbeiten, Glaube und Zweifel, Nachdenken und Ärmelaufkrempeln, Kontemplation und Kampf für eine gerechtere Welt – was auf uns oft wie ein kirchliches Sammelsurium, gar wie ein unversöhnlicher Widerspruch wirkt, bei Gott gehört es vielleicht längst zusammen, ist dort vielleicht längst versöhnt und zu verborgener Harmonie gebracht. Warum sonst: „Alles, was Odem, lobe den Herrn!“
„Lobt Gott mit der Kraft eurer Hände“, heißt es z. B. in einem modernen Psalm. Und weiter:
„Lobt Gott mit der Schärfe eurer Gedanken.
Lobt Gott mit euren Fragen,
lobt ihn mit euren Fehlern.
Lobt Gott mit eurer Offenheit,
lobt ihn mit eurer Gastfreundschaft.
Lobt Gott mit den Worten fremder Völker,
lobt ihn mit den Klängen ferner Länder.
Lobt Gott mit eurem Schweigen.
Lobt Gott mit allen Stimmen, mit eurem Atem.
Lobt Gott mit euren Körpern.
Alt und Jung lobet den Herrn.“ (Uwe Seidel)
Wenn ich unseren alten Psalm richtig verstanden habe, dann kann jeder von uns – Panikorchester hin oder her – mindestens ein Instrument zu Gottes Lob virtuos und unverwechselbar spielen: sich selbst.
Amen.


Predigt von Prof. Dr. Okko Herlyn, Predigt im Gottesdienst in der Evangelisch-reformierten Kirche Schöller am 6. Mai 2012