Klare Antworten, schwierige Fragen, ferne Lösungen

Von Beate Sträter, Bonn


Bourg-en-Bresse, 11. Janaur 2015; Foto: Benoît Prieur (Agamitsudo), Cc-by-sa-4.0

Eine politische Einschätzung nach den Anschlägen in Paris von der Beauftragten des Reformierten Bundes für das christlich-islamische Gespräch Dr. Beate Sträter.

Die gemeinsame Reaktion der jüdischen, christlichen und muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland auf die Terrorakte in Paris war in ihrer Klarheit und Geschlossenheit die einzig mögliche, und in gutem Sinne eine einfache Antwort auf die Attentate. Es wurde ausgesprochen, was eigentlich selbstverständlich ist, aber einen besonderen Wert dadurch bekommt, dass alle es gemeinsam getan haben. Neben der Übereinkunft über die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Deutschland und Europa bringen hier die Religionsgemeinschaften ihr Eigenes ein: Gerade aus unserem christlichen, jüdischen und muslimischen Glauben heraus werden wir nicht Hass mit Hass beantworten. Dahinter gibt es kein Zurück und jede Relativierung ist an dieser Stelle unangebracht.

Dieser Konsens gibt allerdings noch keine Antwort auf viele der offenen Fragen und Konflikte, die seit langem in den europäischen Gesellschaften mit ganz unterschiedlicher Ausprägung schwelen. Und es wäre auch sicher eine Überforderung, dies in der gegenwärtigen Situation zu erwarten.

Während Deutschland bisher von politisch schlagkräftigen rechtspopulistischen Parteien verschont blieb, wie dem Front National in Frankreich oder UKIP in England, haben gerade die Pegida-Demonstrationen gezeigt, dass auch bei uns der gesellschaftliche Konsens brüchig ist. Der Kampf gegen den Islam, oder das, was von den Protagonisten dieser Bewegung als Islam verstanden wird, scheint ein einigendes Band der disparaten politischen Unzufriedenheiten zu sein. In der sog. Mitte der Gesellschaft ist bei jüngsten Umfragen (Religionsmonitor Bertelsmannstiftung 2014) eine manifeste Ablehnung des Islam von über 60% auszumachen, wobei es hoffen lässt, dass die Zahlen bei der jüngeren Generation deutlich niedriger liegen: Vermutlich leben jüngere Menschen sehr viel selbstverständlicher mit gleichaltrigen Muslimen zusammen. Nicht von ungefähr hat Pegida dort die meisten Erfolge, wo der Anteil von Muslimen und damit die konkrete Erfahrung des Zusammenlebens am geringsten sind.

Der Konsens über die Grundlagen unserer Gesellschaft kann auch die Frage nicht lösen, wie wir eigentlich mit den meist jungen Menschen umgehen sollen, die sich radikalisieren und für die Extremismus und Gewalt eine so verlockende Alternative zu unserem Gesellschaftsentwurf werden, dass sie bereit sind zu morden und ihr Leben wegzuwerfen. Wie die Pariser Attentäter sind auch muslimische Extremisten in Deutschland Kinder unserer Gesellschaft, hier geboren und aufgewachsen. Wie kommt es, dass eine radikale Ideologie, die in Fanatismus mündet, für sie soviel attraktiver wird, als die Werte eines friedlichen und respektvollen Zusammenlebens? Kann es sein, dass diese Werte für sie wertlos geworden sind, weil sie anderes erfahren haben? In Frankreich ist die soziale und gesellschaftliche Integration einer großen Zahl von Muslimen gescheitert, bietet das Leben in den Banlieus keinen Anlass, auch nur die Spur von Vertrauen zu entwickeln, dass es sich lohnt, auf diese Werte zu setzen. Sie werden täglich entwertet durch Ausgrenzung, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit. Analysen und Erklärungen gibt es mittlerweile genug, nur fehlt es an politischem Willen und wirksamen Strategien, den Ursachen zu begegnen. Stattdessen entsteht eine wachsende politische Kraft am rechten Rand, die durch ihre Rhetorik den Graben noch tiefer macht. Das antireligiöse Ressentiment, in Frankreich historisch bedingt noch ausgeprägter, verbindet weite Teile auch anderer politischer Lager und setzt damit die proklamierten Werte und den gesellschaftlichen Zusammenhalt einer Zerreißprobe aus.

In Deutschland sind wir zum Glück noch nicht an diesem Punkt, sollten es dahin aber auch nicht kommen lassen: Es müssen nicht nur Räume eröffnet werden, in denen auf Augenhöhe ausgehandelt werden kann, was diese Werte konkret für das Zusammenleben bedeuten, es müssen auch Taten folgen, die erfahrbar machen, warum Freiheit, Anerkennung von Vielfalt und Gerechtigkeit als Grundlage für ein lebenswertes Leben nicht nur proklamiert werden, sondern dieses auch schaffen.

Der Konsens über die Werte unserer westlichen Gesellschaften wird zudem ungehört verhallen bei denjenigen, die sich davon längst abgewendet haben. Auch wenn die Attentate in Paris gezielt die französische Gesellschaft getroffen haben, indem sie sich nicht nur gegen Prinzipien dieses Landes, sondern gegen Menschen richteten, die für eine Generation Symbolfiguren für diese Freiheit waren, so ist damit doch auch der Krieg, der an anderen Orten geführt wird, nach Europa getragen worden. Gestorben und gemordet wird nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch hier bei uns. Die Terrorakte in Paris haben uns schonungslos wie selten zuvor vor Augen geführt, was es bedeutet, in einer globalisierten Welt zu leben. Es ist eine Illusion, dass die Gewalt draußen bleibt, genauso wenig wie es eine Illusion ist, dass die Opfer der Gewalt, sei sie kriegerisch oder wirtschaftlich, auf Dauer draußen gehalten werden können. Die Werte, die der Westen als ein moralisches Kapital immer hochgehalten hat, sind zudem von ihm selbst desavouiert und unglaubwürdig gemacht worden: Sei es durch Kriegsführung, sei es durch doppelte Standards, sei es durch zu langes Wegsehen und Dulden von Diktaturen.

Mit der ungelösten Frage nach der Zukunft des Nahen und Mittleren Ostens, zudem einer Region in unserer Nachbarschaft, werden wir noch lange beschäftigt sein. Diese Region ist dabei kein Land der Barbaren und damit verloren zu geben: Auch dort gibt es z.B. Karikaturisten, Satiriker, Schriftsteller und Filmemacher, Helden der täglichen Solidarität, die für die Freiheit ihre Kritik zu äußern, täglich ihr Leben riskieren. Dies wahrzunehmen kann uns davor bewahren, einem Kampf der Kulturen das Wort zu reden: Werte wie Freiheit und Menschrechte werden beileibe nicht nur in unserem Teil der Welt geschätzt, auch wenn sie an vielen Orten mit Füßen getreten werden, so gibt es doch auch dort Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen und dafür viel riskieren.

Der Konsens über die Grundlage unseres gemeinsamen Zusammenlebens kann allerdings eine große Chance sein: Wenn er sich nicht nur in der aktuellen Krise  bewährt, sondern selbst zu einem neuen tragfähigen Fundament wird: Um Antworten zu finden auf die anstehenden Fragen nach Gleichheit und Gerechtigkeit, nach Anerkennung und Mitmenschlichkeit, nach Solidarität mit den Opfern von Konflikten, an deren kriegerischer Eskalation auch die westlichen Länder nicht unbeteiligt waren.

Die große Hilfsbereitschaft vieler Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen, wenn es um die Aufnahme und Unterstützung von Flüchtlingen geht, ist ein Zeichen der Hoffnungen, dass sich auch etwas zum Guten ändern kann.

Dr. Beate Sträter, 11. Januar 2015