Sexualisierte Gewalt: ''Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden''

Vizepräses Bosse-Huber: ''Dass Menschen im Schutzraum Kirche und auch in Einrichtungen unserer Kirche und Diakonie Opfer geworden sind, das beschämt mich persönlich und meine Kirche zutiefst.''

Zehn Jahre nach der Einführung eines geordneten Umgangs mit Fällen sexualisierter Gewalt hat die rheinische Kirche ihr Verfahren und íhre Information darüber weiter entwickelt.

"Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden" - so heißt auch die zweite Auflage der Handreichung mit den Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Zeit heilt keineswegs alle Wunden - "Das stimmt", schreibt Vizepräses Petra Bosse-Huber im Vorwort. Zugleich jedoch ist ihr wichtig, dass Opfer sexualisierter Gewalt Heilung erfahren. "Ihr Leben ist anders, als es ohne diese Erfahrung gewesen wäre." Aber es sei kein Leben zweiter Klasse. Und auch wenn die Prozesse der Heilung  lange dauerten, gingen die Betroffenen doch "mit Kraft und großer Würde" daraus hervor, wie Petra Bosse-Huber in der Pressekonferenz zur Vorstellung der Broschüre betonte.

Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, brauchen nicht nur Begleitung durch Familie, Freundinnen und Freunde, sondern auch durch Fachkräfte in Beratung, Therapie und Seelsorge, können oft erst Jahre später über das Geschehene sprechen und damit beginnen, die traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, so Bosse-Huber. Die Wege zu Hilfe, Beratung, Therapie zu finden - auch dazu dient die Broschüre "Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden".

"Das Thema sexualisierte Gewalt ist leider ein bleibendes Thema geblieben", sagte die Vizepräses. "Dass Menschen im Schutzraum Kirche und auch in Einrichtungen unserer Kirche und Diakonie Opfer geworden sind, das beschämt mich persönlich und meine Kirche zutiefst."

"Verstoß gegen Gottes Gebote"

Wer Amt oder Funktion in Kirche und Diakonie missbrauche, wer seine damit verbundene Macht und Autorität missbrauche und Menschen seelische und körperliche Gewalt antue, "der lästert Gott und verspottet die Menschen". Weiter sagte die Vizepräses in der Pressekonferenz: "Wer das tut, verstößt gegen Gottes Gebote, verkehrt das Evangelium von der Liebe Gotte ins Gegenteil und verrät den Auftrag der Kirche."

Und dann stellt sie klar: "Darüber sehen wir nicht hinweg." Sie wolle Betroffenen Mut machen, die Hilfsangebote unserer Kirche anzunehmen, damit Heilung beginnen kann. Der Kniff: Trennung der Ansprechstellen. Betroffene haben in der Sozialpädagogin Claudia Paul eine direkte Ansprechpartnerin. Völlig unabhängig von der ermittelnden Juristin Landeskirchenrätin Katja Wäller, die für Verfahren zur Ahndung jeglicher Fälle sexualisierter Gewalt zuständig ist.

Broschüre geht an alle Gemeinden

Bei der Vorstellung der neuaufgelegten Broschüre, die nun an alle Kirchengemeinden, Kirchenkreise, Ämter, Werke und Einrichtungen der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) versandt wird, wurden auch Zahlen gennannt:  An die Beauftragte der EKiR für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, Claudia Paul, haben sich seit ihrem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren 61 Menschen gewandt, 41 von ihnen als Betroffene, andere beispielsweise, um als Vorgesetzte von Beschuldigten Rat zu holen. Knapp die Hälfte der Betroffenen beklagte aktuelle Übergriffe, die anderen sind Menschen, die vor mehreren Jahrzehnten Opfer wurden und sich erst jetzt trauen, darüber zu sprechen.

Nach Angaben von Landeskirchenrätin Katja Wäller wurde in den vergangenen zehn Jahren gegen 24 Pfarrer und Kirchenbeamte disziplinarrechtlich ermittelt, mit verschiedenen Konsequenzen. Drei Täter sind demnach aus dem Dienst entlassen worden, andere erhielten Verweise oder Geldbußen. 

"Zeit heilt keineswegs alle Wunden", Informationen und Download der Broschüre

Quelle (bearb.): ekir.de / neu / 15.01.2013