Vom Partnerschaftsfonds: ein anderer Ort ist möglich

von Páraic Réamonn

Simon war 17, schien aber für sein Alter von kleiner Statur. Seine Körperbewegung war erstaunlich geschmeidig. Wenn man ihm zusah, dachte man an Maradonna beim Balldribbeln. Seine Augen waren die eines alten Mannes. Nur selten leuchtete aus ihnen ein Hoffnungsschimmer.

Von seinem Vater hatte er gelernt, wie man bewaffnete Überfälle ausübt. Als sein Vater in den Knast musste, gab er Simon seine Pistole – „einen tadellosen 38er, ein Meisterwerk”. Von seiner Mutter hatte er gelernt, den Tag mit Marijuana, Klebstoff und paco durchzubringen. Paco ist die Droge von Argentiniens verarmten Stadtbewohnern.  Sie besteht aus Resten der Kokainproduktion, vermischt mit Giftstoffen und Glaspulver und hat den Vorteil, tödlich billig zu sein. Als seine Mutter erkrankte, erklärten Simons Grosseltern, das sei Simons Schuld, und sie verweigerten ihm den Zugang zu ihrem Krankenbett im Spital. Nur mit Mühe konnte er sich das Recht erkämpfen, sie vor ihrem Tod noch einmal wiederzusehen.

Simon ist einer der zahlreichen Jugendlichen  der Slums von San Fernando y Tigre, im Grossraum von Buenos Aires, für die sich die Evangelische Kirche vom La Plate, die seit 1991 Mitglied der WGRK ist, einsetzt .

Um die Jahrhundertwende gründete die Kirche ein ökumenisches Sozialaktionsprogramm in San Fernando, eines der fünf Projekte eines umfassenden Plans zum Miteinanderteilen des Evangeliums mit den Armen. Das unter der Verantwortung von Pastor Sabino Ayala stehende Programm hat seinen Standort in einem Tageszentrum, genannt Otro Lugar es Posible („ein anderer Ort ist möglich”). Sein Zielpublikum sind die am meisten verletzlichsten Menschen: Kinder, Frauen und Jugendliche. 2012 unterstützte der Partnerschaftsfonds der WGRK diese Arbeit mit einem Zuschuss von USD 33,000.

Das Programm umfasst Schul- und Lernhilfen, Hilfe zum permanenten Schulbesuch und auf Probezeit für Jugendliche, pastorale Unterstützung für Familien; Makramé, Töpferei und Theaterateliers; Sommerlager; eine Guitaristengruppe und ein Jugendorchester; regelmässiger Kleiderverkauf – und psychiatrische Beratung.

Das passierte auf folgende Weise. Sabino Ayala war bei einer besonders komplizierten Familie zu Besuch. „Pastor,” sagten sie aus Jux, „hier sind alle verrückt. Sie müssen uns einen Psychologen herbringen.”

Und so brachte er ein Team von Psychanalytikern in den Slum, die ihre Konsultationen auf der Coach aufgaben und sie in ihrem Auto, später im Tageszentrum durchführten. Sie wollten damit demonstrieren, dass schlecht zu leben und schlecht zu sterben nicht schicksalhaft sein muss, dass es selbst für Menschen, die in Shantytowns leben, einen anderen „Ort” gibt, dass sie arbeiten, studieren und ein Familienleben beginnen können.

Nicht lange nach dem Tod seiner Mutter erschien Simon im Tageszentrum.  „Wie laufen die Dinge daheim?“ fragte ihn Sabino. Hatte er und seine Schwestern genug zu essen? Er antwortete, er „lese zusammen“, was sich so finden lies, durch Gartenarbeit oder irgendeine Beschäftigung auf dem Gemüsemarkt. „Ich will mein Leben nicht vergeuden.”

Plötzlich fragte Simon: „Weisst Du eigentlich, was ich letzte Woche gemacht habe?”

„Ich habe den 38er verkauft. Das war eine harte Sache, mich dazu durchzuringen. Das war ein Meisterwerk und es hatte meinem Vater gehört.”

Das war vor drei Jahren. Letztlich hörte Sabino, Simon habe die Rehabilitierung hinter sich gebracht, eine Freundin gefunden und habe eine Beschäftigung.

Nicht alle Geschichten in den Slums enden positiv – vielleicht nicht einmal die Simons. Doch  Sabino und sein Team im Tageszentrum bleiben am Ball und demonstrieren in Wort und Tat, dass ein anderer Ort möglich ist, dass eine andere Welt sich auftun kann.

Der Partnerschaftsfonds gewährt Zuschüsse, um Mitgliedskirchen der WGRK zu erlauben, missionarische oder diakonische Projekte durchzuführen, die sie nicht allein zu finanzieren imstande wären. Gesuche von Kirchen, die bisher noch keine Projektfinanzierung erhielten, werden mit Vorzug behandelt. Für Informationen zur Gesuchstellung wenden Sie sich bitte an folgende Adresse: partnership@ wcrc.ch Alle Gesuche bedürfen der Unterstützung durch eine WGRK-Mitgliedskirche.