Herrnhuter arbeiten ihre Vergangenheit auf

Brüdergemeine: »Sklaven als Menschen gesehen«

Im Rahmen einer internationalen Konferenz zu »150 Jahre Sklavenbefreiung in Surinam« bekennt sich die Glaubensgemeinschaft zu Fehlern in der Vergangenheit, weist aber auch auf ihre Erfolge hin.

"Ja, Herrnhuter Missionare haben in Surinam Sklaven besessen«, sagte Professor Dr. Humphrey E. Lamur bei einer Konferenz der Evangelischen Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeine im niederländischen Mennorode, die am 21. Oktober zu Ende ging. »Und trotzdem ist die Brüdergemeine bei den Nachfahren der Sklaven beliebt".

Die Ambivalenz der Herrnhuter Brüdergemeine im Umgang mit der Sklaverei in Surinam kam auf der internationalen Konferenz, zu der sich 80 Teilnehmer aus den Niederlanden, Surinam und Deutschland im Konferenzzentrum Mennorode (Elspeet, Niederlande) trafen, zur Sprache. Unter den Konferenzteilnehmern waren Nachfahren von Missionaren und Nachfahren von Sklaven; aus beiden Gruppen gibt es intensive Bemühungen, sich der Vergangenheit zu stellen und einen gemeinsamen Weg in die Zukunft zu finden.

Einerseits hat die Brüdergemeine bis weit ins 19. Jahrhunderts hinein die Sklaverei akzeptiert, andererseits haben die Herrnhuter Missionare viel für die surinamische Gesellschaft getan. Vor allem in der Bildung und im Gesundheitswesen war die Arbeit der Brüdergemeine bahnbrechend. »Auch wenn nur zwei Kinder da waren, haben die Herrnhuter eine Schule für sie gegründet«, erläutert Humphrey E. Lamur, ehemaliger Professor für Anthropologie an der Universität Amsterdam, den guten Ruf der deutschen Missionare.

Edgar Loswijk, Theologe und Kirchenhistoriker aus Paramaribo (Surinam), sieht den Grund für die Wertschätzung der Brüdergemeine darin, dass sie »die Sklaven als Menschen ansahen«. Im 18. und 19. Jahrhundert, als Surinam eine Plantagenkolonie der Niederländer und der Engländer war, »wurden Sklaven nicht als Menschen, sondern als materielle Güter gesehen«. Auch den Beitrag der Herrnhuter Missionare zur Entwicklung einer eigenständigen Sprache hob Loswijk hervor: »Unser Sranantongo ist von der Brüdergemeine zu einer literarischen Sprache gemacht worden«.

Brüdergemeine arbeitet ihre Vergangenheit auf

Trotz allem weist die frühe Missionsarbeit der Brüdergemeine in Surinam Spuren der Inkonsequenz und Ambivalenz auf. Der Standpunkt im Umgang mit Sklaven, Sklavenbesitzern und Kolonialmächten war nicht immer konsistent. Aus heutiger Sicht wirken Entscheidungen und Einstellungen zaghaft, widersprüchlich, fragwürdig. Rolle und Wirken der Brüdergemeine in Zusammenhang mit der Sklaverei harren einer weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung und Bewertung. Dieser Aufgabe stellt sich die Brüdergemeine im Vorfeld des 150-jährigen Gedenkens an die Abschaffung der Sklaverei.

Als am 1. Juli 1863 die Sklaverei offiziell abgeschafft wurde und ab 1874 Vertragsarbeiter aus Indien, China und Indonesien nach Surinam kamen, weitete die Brüdergemeine ihre pädagogische und kirchliche Arbeit auch auf diese Ethnien aus. Bis heute lebt die surinamische Brüdergemeine in dem Spannungsfeld verschiedener kultureller Identitäten und Hintergründe ihrer Mitglieder. Vor allem durch ihre Schularbeit leistet sie einen anerkannten Beitrag zur Nationenbildung in dem südamerikanischen Land.

Die Evangelische Brüdergemeine in Surinam (Evangelische Broedergemeente in Suriname, EBGS) geht auf die Herrnhuter Missionsarbeit in diesem südamerikanischen Land ab 1735 zurück. Heute ist die EBGS Teil der weltweiten Brüder-Unität. In über 80 Gemeinden und Stützpunkten in Surinam und auf den Niederländischen Antillen gehören ihr 45.000 Mitglieder an. Die Brüdergemeine in den Niederlanden hat etwa 9.500 Mitglieder; davon haben 95 Prozent ihre Wurzeln in Surinam.

Die Konferenz »…werdet ihr wirklich frei sein« in Mennorode bildete den Auftakt zum Gedenken an die Abschaffung der Sklaverei in Surinam (»Keti koti«/»Zerbrochene Ketten«), die sich am 1. Juli 2013 zum 150. Mal jährt.

Die Brüder-Unität ist eine selbstständige ökumenisch offene Kirche. Sie ist weltweit in 25 Provinzen gegliedert. In Europa gibt es drei Provinzen – Großbritannien, Tschechien und Kontinentaleuropa (Deutschland, Niederlande, Schweiz, Dänemark, Schweden, Estland, Lettland und Albanien) – mit zusammen etwa 23.700 Mitgliedern.

Die Brüder-Unität entstand Mitte des 15. Jahrhunderts aus der böhmischen Reformation heraus. Anfang des 18. Jahrhunderts kam es in Herrnhut (Oberlausitz) zur Neugründung unter Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Bis heute gehören viele ihrer Mitglieder zugleich auch der evangelischen Kirche an.