Flucht und Asyl als Herausforderung der Kirchen

Bilanz einer Tagung mit 75 Kirchenvertretern in Emden - Interview mit Achim Detmers und Jan-Gerd Heetderks


Jan-Gerd Heetderks (links) und Achim Detmers (rechts)

In der vergangenen Woche vom 16. bis 20. Februar fand in Emden die internationale Tagung „Fremde(s) aushalten - Migration und Aggression in Europa“ statt. 75 Kirchenvertreter aus den acht europäischen Staaten Italien, Österreich, Ungarn, Schweiz, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Deutschland sowie Südafrika diskutieren in der Johannes a Lasco Bibliothek, wie Migration, Exil und Asyl die reformierte Theologie geprägt haben und wie eine menschenwürdige Migrationspolitik aussehen muss.

Eingeladen hatten das europäische Gebiet der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und der Reformierte Bund in Kooperation mit der Evangelisch-reformierten Kirche und der Johannes a Lasco Bibliothek.

Eine Bilanz von Jan-Gerd Heetderks, Präsident der Europäischen Gebiets der Weltgemeinschaft und Pastor der Protestantischen Kirche der Niederlande, und von Achim Detmers, Generalsekretär des Reformierten Bundes.

Welche Botschaft haben Sie von der Tagung in Ihre zukünftige Arbeit mitgenommen?

Jan-Gerd Heetderks:
Die Tagung hat bei mir noch einmal die Überzeugung verstärkt, dass die Haltung der Kirche zur Flüchtlingsfrage mit dem Wesen der Kirche verbunden ist. Es geht nicht um eine Frage, die am Rand gestellt werden kann, bei der diskutiert werden kann, ob man die Kirche so oder so einrichtet: Es geht um die Frage, ob wir im Angesicht des Fremdlings oder des Flüchtlings Gott erkennen.
An zweiter Stelle wurde für mich deutlich, dass wir als Kirche auch immer wieder den Auftrag haben, zu verstehen und deutlich zu machen, dass wir selber Fremde oder Fremdlinge sind. Wir können uns nicht mit unserer Welt und unseren Gesellschaften identifizieren. Unser Herr hatte keinen Platz in dieser Welt. Das lernen wir in dieser Zeit vor Ostern wieder ganz besonders. In dem Sinne teilen wir in gewisser Weise die Identität des Fremden, der zu uns kommt.
Zum dritten: Wir müssen als Kirche in unsern Gesellschaften mitdenken über die Frage, wie Integration gut gestaltet werden kann. Wir leben in einer Gesellschaft mit unaufhebbaren Werten. Dennoch müssen diejenigen, die zu uns kommen, sich nicht einfach an uns anpassen. Wir dürfen aber auch nicht ohne Berührung einfach nebeneinander herleben.

Achim Detmers:
Es herrscht an der Basis eine große Ratlosigkeit, wie man mit der fremdenfeindlichen Stimmung umgehen soll. Ich glaube, hier hilft eine starke theologische Tradition, die das mit den Fremden im Land anders sieht. Genauso wichtig ist aber auch, die fremdenfeindlichen Tendenzen nicht zu verstärken, indem wir lautstark dagegen argumentieren und damit vielfach nur die Argumente der anderen ins Licht rücken. Hilfreich ist es, darauf zu achten, welche Begriffe wir gebrauchen: Wenn es eine Obergrenze gibt, gibt es auch eine Mindestgrenze? Also: Wie viele Menschen müssen wir mindestens aufnehmen, um unserer humanitären Verpflichtung nachzukommen?
Oder Flüchtlingskrise. Stellen wirklich die Geflohenen das Problem dar und nicht kriegerische Konflikte, politisches Versagen und fremdenfeindliche Attacken?

Welche Informationen konnten die Tagungsteilnehmer aus den anderen europäischen Staaten vermitteln, also die nicht aus Deutschland und den Niederlanden kamen?

Detmers: Wir hatten die Tagung ganz bewusst „Migration und Aggression in Europa“ genannt. Und wir konnten deutlich erkennen, dass es in Europa sehr unterschiedliche Erfahrungen gibt. In Italien, wo die Herausforderung schon seit vielen Jahren besteht, haben sich die Kirchen eine große Kompetenz angeeignet, die sie auch politisch einsetzen können. In Ungarn und anderen Staaten Ostmitteleuropas wird das Thema durch Regierungspropaganda zum Teil missbraucht. Dies erschwert die Orientierung und die Arbeit der Kirchen vor Ort deutlich.

Heetderks:
Dabei ist die Flüchtlingsarbeit der reformierten Kirche in Ungarn schon ein Protest gegen die offizielle Regierungspolitik. Beeindruckt hat mich ein Beispiel aus Italien, das Schule in ganz Europa machen könnte: Dort ist es den Kirchen gelungen, ein – natürlich beschränktes – Programm zu etablieren, dass Flüchtlingen eine legale Einreise ermöglicht und sie damit nicht mehr Schleppern überlässt.

Sie haben in der Einladung zur Tagung die Frage formuliert, ob es eine reformierte Migrantentheologie gibt. Was zeichnet diese aus?

Detmers:
Es war schon sehr erstaunlich zu sehen, wie deutlich Calvin und andere die Fluchtsituation der Hugenotten vor Augen hatten und zu einem Dreh- und Angelpunkt ihrer Theologie machten. Calvin entfaltete sogar ein staatsrechtliches, sozialethisches und seelsorgerliches Programm, das ganz auf die Herausforderungen abgestimmt war. Man kann seine Texte 450 Jahre später lesen, als hätte er sie für heute geschrieben – erstaunlich!

Heetderks:
Wenn man sagen kann „Wir waren Fremde in Ägypten“ hat das Folgen für das Denken über Migration und Flucht. Dabei ist für mich Migrantentheologie immer mehr eine Theologie von Migranten oder eine Theologie von Menschen, die wissen was Migration bedeutet. Sie ist weniger eine Theologie für Migranten.

Tausende Menschen engagierten sich in den Kirchengemeinden aktiv in der Flüchtlingsarbeit, viele haben darüber erstmals wieder Kontakt zur Kirche bekommen. Was sagen Sie diesen Menschen nach dieser Tagung?

Heetderks:
Wir können vor allem von den Ländern am Rand Europas, dort wo die Flüchtlinge ankommen, viel lernen. In diesen Ländern wird besonders deutlich, dass ein Engagement für Flüchtlinge mit dem Wesen unseres Verstehens der christlichen Botschaft zu tun hat.

Detmers:
Menschen, die sich jetzt engagieren und die Kirche als Schutzraum für die Verfolgten erleben, bekennen sich zu einer Kirche, die sich vom Evangelium her erneuert und damit gegen populistische Forderungen immun wird. Das Engagement für Geflohene wird unsere Kirchen und unsere Verkündigung verändern. Es gerät immer stärker ins Bewusstsein, dass auch wir hier auf Erden nur Gäste sind, Vertriebene aus dem Paradies. Es stellen sich Fragen, wie wir von Gott reden können angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen wir direkt und indirekt beteiligt sind? Sind wir als sogenanntes christliches Abendland glaubwürdig, wenn wir über die Begrenzung des Familiennachzugs streiten, aber ausblenden, dass viele Geflohene ihre Familien bereits im Krieg oder auf der Flucht verloren haben?

Leer, 23. Februar 2016
Ulf Preuß, Pressesprecher

 

«Einheit feiern» – mit diesem Motto zelebrierte die Vereinigende Generalversammlung der am Freitag frisch gegründeten «Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen» (WRK) in einem feierlichen Gottesdienst am Sonntagnachmittag in Grand Rapids, Michigan, ihre Entstehung bzw. die Überwindung der bisherigen Trennung in zwei reformierte Verbände.

WGRK: Keine Einheit ohne Gerechtigkeit

Von Jan-Gerd Heetderks, VGV-Korrespondent
„Die Kirche lebt nicht für sich, sie existiert nicht in ‚splended isolation’, sondern inmitten einer Welt, die sich nach Gerechtigkeit sehnt, tagtäglich, stündlich, überall. Die Kirche Jesu Christi ist Teil dieser Welt, in der niemand Gerechtigkeit für sich alleine beanspruchen kann, weil eine solche Gerechtigkeit keine wäre, stattdessen vollkommen sinnentleert existierte.“
Mehr als 80 Millionen reformierte Christen in 108 Laendern wurden zusammengeschlossen, als am Freitag der Reformierte Weltbund und der Reformierte Oekumenische Rat ihre Vereinigung zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen beschlossen.

Jerry van Marter, Grand Rapids; Uebersetzung: Stefan Maser
Hannover/Leer, 19. Juni 2010 – Die parallel tagenden Generalversammlungen von Reformiertem Weltbund (RWB) und Reformiertem Ökumenischen Rat (RÖR) haben am Freitag, 18. Juni 2010, in Grand Rapids (USA) einstimmig die Vereinigung ihrer beiden Organisationen beschlossen. Unter dem neuen Namen Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) ist ein Zusammenschluss reformierter, presbyterianischer, kongregationalistischer und unierter Kirchen entstanden, zu dem mehr als 80 Millionen Mitglieder aus über 200 Kirchen weltweit gehören.
Im US-amerikanischen Grand Rapids ist heute (15 Uhr Ortszeit; 23 Uhr MESZ) die Generalversammlung des Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen eröffnet worden. Zu der Vollversammlung des weltweit größten Zusammenschlusses evangelischer Christen kamen etwa 1000 Teilnehmer in den Bundesstaat Michigan. Während der Generalversammlung schließt sich der Reformierte Weltbund (RWB) mit dem Reformierten Ökumenischen Rat zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) zusammen. Zu der dann neu gegründeten Weltgemeinschaft gehören mehr als 80 Millionen Christen aus mehr als 200 Kirchen weltweit.

ÖRK begrüßt die Entstehung einer neuen Weltgemeinschaft

Olav Fykse Tveit: ''historisches Ereignis für die reformierte Kirchenfamilie und für die Kirche Christi in der ganzen Welt''
Am 18. Juni werden sich der Reformierte Weltbund (RWB) und der Reformierte Ökumenische Rat (REC) unter dem Namen Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WRK) zusammenschließen. Das neue ökumenische Gremium umfasst 227 Mitgliedskirchen, die 80 Millionen Christen in 108 Ländern vertreten.

Pressemitteilung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), 17. Juni 2010

WGRK: Bei Gott ist alles möglich

Setri Nyomi: ''Wir begeben uns in eine neue Zukunft ...''
Grand Rapids, 20. Juni 2010. „Wir sind gerufen in eine unmöglich erscheinende Zukunft, in der wir uns in einem Bund für Gerechtigkeit engagieren - Gerechtigkeit für alle Frauen und Männer, Gerechtigkeit für alle Rassen und Kasten, Gerechtigkeit in der Wirtschaft und Klimagerechtigkeit. Es gibt Kräfte, die erklären, dies sei unmöglich und die versuchen werden, unsere Theologische und spirituelle Entschlossenheit herabzuwürdigen und ideologisch zu brandmarken. Aber wir können nichts anderes tun als auf die ruhige, klare Stimme unseres Hernn Jesus Christus zu hören, der sagt, dass dies für sterbliche Wesen als unmöglich erscheint, aber bei Gott ist alles möglich.“

www.reformedchurches.org

Reformierte Frauen versammeln sich in Grand Rapides

''Komm mit Jesu auf die Straßen''
In dieser Woche führt die Vor-Versammlung der Frauen etwa 150 Delegierte, Frauen und einige Männer aus der ganzen Welt, in Grand Rapids in Michigan zusammen.

Esther R. Suter, Grand Rapids, 15. Juni 2010; Übersetzung: Stefan Maser

USA: Die Reformierte Kirche in Amerika (Reformed Church in America (RCA)) übernimmt Belhar Bekenntnis

Anti-apartheid document finds new life in US Reformed Church Washington DC
(ENI/RNS). For some 400 years, the small Reformed Church in America has relied on only three confessional statements of belief, all of them forged in the crucible of the Reformation. This week, they'll add a fourth, and its unlikely origins - apartheid-era South Africa - speak volumes about the changing nature of global Christianity and its impact on one of America's oldest denominations, Religion News Service reports.

bs

Eine Bewegung gegen den Strom: zwei weltweite Kirchennetzwerke schließen sich zusammen

Hauptauftrag der neuen Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen: Einheit der Kirchen und soziales Engagement
Die beiden größten Netzwerke protestantischer Kirchen der reformierten Tradition treffen sich vom 18 bis zum 28. Juni 2010 in Grand Rapids im Nordosten der Vereinigten Staaten; um eine neue Organisation zu bilden. Das drückt einen neuen Stand der Beziehungen zwischen zwei Kirchenfamilien aus, die einst auch voneinander getrennt waren.

Kristine Greenaway (WARC), Genf (gekürzt), 7. Juni 2010; Übersetzung: Stefan Maser