Kurzmeldungen




Tiere in der Bibel V: Der Geier

Heilig' Tier - Mit Tieren Gott preisen, von Tieren lernen - Eine sommerliche Kolumne in sieben Folgen. Von Barbara Schenck

Foto: Juan Lacruz / CC BY-SA 3.0

„Wo Aas ist, da sammeln sich die Geier“. Der Spruch aus Matthäus 24,28 ist nur ein Wort von vielen, das den Geier brandmarkt als moralisch unwürdiges Tier.

Geier und Gier, das klingt schon wie ein vertrautes Zwillingspaar. Der lange nackte Hals des Gänsegeiers ist die Bild gewordene bloße Gier nach mehr und sei es noch so aasig. Der Geier bleibt ein wenig gewürdigtes Tier, ganz egal wie elegant, ja adlergleich sein Flug anmutet, ganz egal, wie relevant seine Rolle im Ökohaushalt ist.

Dieses Schicksal tut dem Tier Unrecht. Ihm gebührt eigentlich die Würde des Königs der Lüfte, zumindest wenn’s nach der Bibel geht. Die dort gepriesenen Adlerflügel sind nämlich Geierflügel:
Die Bezeichnung נֶשֶׁר næšær, „die die Lutherübersetzung fast immer mit Adler wiedergibt, steht wohl an der Mehrzahl der Belegstellen ebenfalls für den Geier bzw. den großen Raubvogel an sich, zumal Adler und Geier, wenn sie hoch am Himmel fliegen, leicht verwechselt werden können. Für die Wiedergabe von נֶשֶׁר næšær mit Geier spricht vor allem Mi 1,16, wo die Kahlheit seines Kopfes und Halses erwähnt werden, eine Eigenschaft, die sich beim Adler nicht findet.“ – So Peter Riede im WiBiLex.

Auch die neue Zürcher Bibel hält daran fest, Gottes Schutzmacht mit Adlerflügeln zu vergleichen:
Und der HERR rief ihm vom Berg her zu: So sollst du zum Haus Jakob sprechen und den Israeliten verkünden: Ihr habt selbst gesehen, was ich Ägypten getan und wie ich euch auf Adlersflügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe.
Der hebräische Text in 2. Mose 19,4 meint aber die Flügel des Geiers.
Die biblischen „Könige der Lüfte“ waren Geier. Sie boten ein gutes Bild für die babylonischen und ägyptischen Herrscher (Ezechiel 17,3.7).
Die Hieroglyphenschrift des alten Ägyptens nutzte den Schmutzgeier als Zeichen für den Lautwert Alef und weit verbreitet waren die schützenden, mächtigen Geierflügel als Symbole von Göttinnen.

Der Schützende braucht Schutz

So furchterregend der Gänsegeier in unseren Augen aussehen mag, so ist er doch ein richtiges Sensibelchen im Vergleich zum Menschen. Allergeringste Spuren des Schmerzmittels Diclofenac, das etwa im Voltaren enthalten ist, führt beim Geier zum Nierenversagen.
Seit 2014 ist Diclofenac in der EU als Bestandteil von Tierarzneimitteln zugelassen, seine Überreste in Tierkadavern sind für die europäischen Geier Todesfallen. Das Sinnbild der schützenden Flügel ist in Gefahr.

bs, Juli 2016

 

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