Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1519 - 1580)
Catherine, Baronin Willoughby de Eresbury (1519-1580) war in erster Ehe mit dem Herzog von Suffolk, Charles Brandon verheiratet. Unter Edward VI. wurde sie überzeugt evangelisch. Sie war befreundet mit Reformatoren wie Martin Bucer und Johannes a Lasco, während diese in England weilten. Als Maria Tudor den Thron nach Edward VI. bestieg und den Katholizismus in England wiedereinführte, flüchtete sie mit ihrem zweiten Gatten, Richard Bertie, und ihrer Tochter nach Wesel. Von dort ging die Reise nach Weinheim (Pfalz) und weiter nach Litauen, dank der Fürsprache Johannes a Lascos, der für sie beim polnischen König eintrat. Nach der Thronbesteigung Elizabeths I. kehrte sie mit ihrem Mann und zwei Kindern nach England zurück. Sie unterstützte bis zu ihrem Tod puritanische Pfarrer.
1. Eine katholische Kindheit und erste Ehe
2. Evangelische Witwe
3. Eine neue Familie. Flucht
4. Puritanerin in England
5. Würdigung
6. Die Herzogin von Suffolk in der Kunst
Anhang / Literatur
1. Eine katholische Kindheit und erste Ehe
Catherine Willoughby wurde 1519 geboren in einer Ehe zwischen einem adeligen Engländer, William Willoughby, Baron Willoughby de Eresby, und Maria de Salinas, einer spanischen Hofdame der Königin Katharina von Aragon. Die Eheschließung wurde wohlwollend von der königlichen Familie begleitet, Heinrich VIII. nannte eine seiner Kriegsschiffe „Mary Willoughby“ und er schenkte dem Ehepaar Ländereien. Die kleine Catherine verlor früh (1526) ihren Vater, und da sie eine sehr reiche Erbin war – in der Familie Willoughby besaßen auch Frauen das Erbrecht – wurde sie Mündel der Krone. Die Vormundschaft wurde dann wie üblich weiterverkauft, und so wurde die kleine Catherine Mündel des Charles Brandon, Herzog von Suffolk, der damals mit der Schwester des Königs, Mary Tudor, verheiratet war (Richardson). Wenn nicht in London, wohnte das Paar auf dem Gut Westhorpe in Suffolk, und Catherine wurde mit deren fast gleichaltrigen Töchtern Frances – die Mutter von Jane Grey – und Eleanor, und mit dem Sohn Henry, erzogen.
Am 24. Juni 1533 starb Mary Tudor nach längerer Krankheit. Catherine Willoughby war vermutlich bis dahin dem Sohn des Hauses als Braut angedacht, aber der Witwer Charles Brandon heiratete sie selbst im September 1533. Catherine war mit 14 Jahren gerade heiratsfähig, während ihr „Verlobter“ nur zehn Jahre alt war und damit noch zu jung für eine Eheschließung. Charles Brandon hatte gute Gründe sich die Hand Catherines zu sichern:
Charles Brandon hatte in der Ehe mit Mary Tudor Einnahmen von Ländereien sowohl in England als auch in Frankreich. Mary Tudor war in erster Ehe kurz - drei Monate lang - mit Ludwig XII. von Frankreich vermählt gewesen. Nach dessen Tod ging sie eine Liebesehe mit Charles Brandon ein. Deswegen hatte sie Lehen in Frankreich und England, die jedoch nach ihrem Tod an die Krone zurückfielen. Catherine Willoughby dagegen besaß Ländereien in Lincolnshire, welche es Charles Brandon möglich machten, sich dort einen großen zusammenhängenden Gutsbesitz zu beschaffen (Gunn).
1535 und 1537 brachte sie zwei Jungen zur Welt, Henry und Charles. Brandons Sohn Henry aus der ersten Ehe war 1534 gestorben, und es war üblich, nachgeborene Kinder nach ihren toten Geschwistern zu nennen.
Catherine war gut katholisch erzogen. Ihre Mutter war nach ihrer Ehe immer noch der Königin Catherine von Aragon eng verbunden. Als diese in Ungnade fiel, musste Charles Brandon die für ihn unangenehme Aufgabe erfüllen, ihr mitzuteilen, dass ihr Hofstaat gekürzt und ihre Bediensteten entlassen wurden. Sie wurde in die Provinz verbannt, und durfte nur mit Erlaubnis des Königs Besuch empfangen. Als es sich herumsprach, dass sie sehr krank sei, erkämpfte sich Maria de Salinas, Lady Willoughby, den Zutritt zu ihrem Schlafgemach. Wenige Tage später starb die Königin in ihren Armen. Sie wurde in der Kathedrale von Peterborough begraben, und im Trauerzug ging Catherine Brandon (Read 40f).
Als Magnat in Lincolnshire bekam Brandon 1536 die Aufgabe, die Aufstände in Lincolnshire in Verbindung mit dem nördlichen Aufstand gegen die Krone, die „Pilgrimage of Grace“ genannt, niederzuschlagen. Dies tat er schnell und effektiv und wurde dafür mit dem Schloss Tattershall und mehreren Kirchengütern belohnt. Die folgenden Jahre verbrachten er und seine Familie auf Schloss Tattershall. Brandon war 35 Jahre älter als seine Frau, aber die Ehe schien glücklich. 1539 war Catherine unter den vornehmen Frauen, die Anne von Kleve in England empfingen (Read 45f). Als Heinrich VIII. 1541 nach York reiste, um den schottischen König zu treffen, besuchte er die Brandons auf dem Gut Catherines, Grimsthorpe. Das war eine große Ehre, und Brandon ließ das Schloss umbauen, um den Majestät würdig empfangen zu können. Später war Catherine Brandon mit Catherine Parr befreundet. Sie war unter den sehr wenigen Hochzeitsgästen bei der Vermählung Catherine Parrs mit Heinrich VIII. im Jahr 1543.
Charles Brandon war zu Ruhm und Ehre gekommen, weil er ein Freund und Kumpel Heinrichs VIII. war. Wenn er religiöse Überzeugungen hatte, hielt er sie verborgen, und folgte den Anweisungen des Königs (Gunn). Unter seinen Kaplänen und Hauslehrern waren Männer, die zum neuen evangelischen Glauben neigten, aber es ist unsicher, ob Charles Brandon das überhaupt bemerkte. Es kann sein, dass Catherine durch sie die neue Lehre kennenlernte. Als ihr Mann noch lebte, verschaffte sie sich aus Übermut und vielleicht aus religiöser Überzeugung einen mächtigen Feind, Stephen Gardiner, Bischof von Winchester und Lordkanzler. Bei einem Abendessen schlug Brandon Damenwahl vor, und Catherine sagte laut, dass, wenn sie nicht ihren Gatten wählen dürfte, sie den Mann nähme, den sie am wenigsten möge, nämlich Gardiner. Er verzieh es ihr nie. Ähnliche Sticheleien betrieb sie wohl auch in jungen Jahren: sie nannte ihren Hund Gardiner und hatte einen Riesenspaß, wenn sie ihm „Sitz“ oder „Bei Fuß“ kommandierte. Der Hund wurde zudem im Bischofsornat gekleidet und in Prozession getragen. Viele Jahre später hat Gardiner an diese Beleidigungen erinnert. Es ist unsicher, wann genau sie stattgefunden haben, aber es scheinen doch die Späße einer sehr jungen Frau gewesen zu sein. Diese Anekdoten wären belanglos, hätte Gardiner sich nicht so gekränkt gefühlt.
2. Evangelische Witwe
Erst als sie sich nach dem Tod ihres Gatten 1545 mehr am Hofe aufhielt, als Hofdame für Catherine Parr, wurde ihre evangelische Gesinnung offenkundig. Sie gehörte zu dem evangelischen Kreis, den Catherine Parr um sich scharte. Zusammen hörten sie evangelische Predigten und studierten die Bibel in den Gemächern der Königin.
1546 wurde eine evangelische Adelsfrau namens Anne Askew der Ketzerei angeklagt. Sie hatte öffentlich in London gepredigt und dabei eine zwinglische Abendmahlslehre verbreitet. Askew wurde zweimal verhört und für schuldig befunden. Aber bevor sie den Tod auf dem Scheiterhaufen erleiden konnte, wurde sie noch einmal im Tower verhört und zwar von sehr hochrangigen katholischen Mitgliedern des „Privy Councils“, des Geheimrats des Königs. Sie wollten wissen, welche Kontakte Anne Askew zum Hofe hatte, und fragten besonders nach dem Kreis der Damen um die Königin. Viele von denen waren mit evangelisch gesinnten Höflingen verheiratet. Wäre es nur um sie gegangen, könnte man sich einen Angriff Gardiners gegen die evangelischen Ratsherren im Geheimrat vorstellen. Aber die Witwe Catherine Brandon wurde in der Befragung erwähnt. Es ist möglich, dass Gardiner sich den Frauenkreis vornahm, weil er damit die Königin der Ketzerei überführen wollte – Foxe berichtete von einem anderen Versuch Gardiners, die Königin zu beseitigen, der misslang. Aber selbst unter schlimmster Folter gab Anne Askew keine Namen preis. Wenige Tage danach wurde sie sitzend in einem Stuhl verbrannt, da sie nicht mehr stehen konnte (Foxe, 1563 edition, Book 3,732).
1547 starb Heinrich VIII. Er hinterließ eine Witwe und drei Kinder: Maria, Elizabeth und Edward. Edward war als männlicher Erbe der Thronfolger; er war von evangelischen Humanisten erzogen worden und von evangelischen Ratsherrn umgeben. Möglicherweise um das königliche Supremat über die Kirche zu erhalten, ließ Heinrich kurz vor seinem Tod Gardiner entmachten. Edward Seymour, sofort zum lord protector (Vormund des Königs) und Herzog von Somerset ernannt, übernahm die Regierung. Er war ein überzeugter Anhänger des neuen Glaubens. Thomas Cranmer, Erzbischof von Canterbury, schuf mit ihm die Agende: „Book of Common Prayer“ für den evangelischen Gottesdienst.
Catherine Brandon war jetzt in ihrem Element. Sie unterstützte einen evangelischen Drucker und Verleger namens John Day (King 1982, 2002). Eine Reihe von Büchern erschien nach 1548 mit ihrem Wappen, unter anderem ein Andachtsbuch Katherine Parrs. William Cecil, später erster Minister Elizabeths I., jetzt noch Sekretär des Herzogs von Somerset und Nachbar Catherine Brandons, schrieb dazu das Vorwort. Cecil blieb ihr Leben lang ein treuer Freund. Catherine Brandons Briefe an ihn sind eine vergnügliche Lektüre, ihre witzige, direkte Art kommt hier gut zum Vorschein. John Day druckte außerdem die Predigten Bischof Latimers mit einer Widmung an Catherine Brandon.
Bischof Hugh Latimer war eine Entdeckung Anna Boleyns. Schon 1530 predigte er die Fastenpredigten am Hofe. Er war Bischof von Worcester bis Heinrich VIII. gewisse katholische Dogmen für alle verbindlich machte, u. A. die Transsubstantiationslehre (Act of the Six Articles, 1539, Loades 2010, 21f). Latimer stellte seinen Bischofssitz dem König zu Verfügung. Eine Weile verbrachte er im Gefängnis und erst mit der Thronbesteigung Edwards VI. kehrte er zurück zum Hofe und predigte für den König und in London.
Latimer wurde der geistige Berater Catherine Brandons. Von 1552 bis 1554 wohnte er oft auf ihrem Gut Grimsthorpe und predigte dort. Eine Predigtreihe über die zehn Gebote entstand dort. Latimers Predigten kann man immer noch mit Vergnügen lesen. Er war wortgewandt, witzig, ein Meister der gut angebrachten Anekdote und von tiefer Frömmigkeit. In einer seiner Fastenpredigten von 1549 verglich er den Glauben mit einer wunderschönen Herzogin – zu der Zeit gab es in England zwei: die Herzogin von Suffolk und die von Somerset; Latimer nannte keinen Namen. Die Herzogin (der Glaube) hat einen „gentleman usher“, der ihr vorangeht und für sie den Weg bahnt – das ist die Sündenerkenntnis. Danach folgen die Hofdamen – das sind die guten Werke. Damit beschrieb er für alle anschaulich den Glauben als zentral, während Sündenerkenntnis und gute Werke vorher und nachher ihren Platz haben. Selbstverständlich wird angenommen, dass er von Catherine Brandon sprach (Harkrider, 70f).
Nach der Thronbesteigung Marias wurde Latimer mit den anderen evangelischen Bischöfen gefangengenommen. Catherine Brandon unterstützte ihn im Gefängnis mit Essen, Kleidung und Geld, das in den Tudor Gefängnissen benötigt wurde, um zu überleben (Read 96f). 1554 fing der Ketzerprozess gegen ihn an und im Oktober 1555 wurde er auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
In seinem Bestreben, die Englische Kirche zu reformieren, lud Erzbischof Cranmer Reformatoren nach England ein, und nach dem Augsburger Interim folgten viele seinem Ruf. Nach dem Tod Heinrichs 1547 konnte Cranmer mit der Kirchenreformation anfangen und die Edwardianische Kirche bekam eine deutliche reformierte Prägung. Viele englische Theologen waren in der Regierungszeit Heinrichs geflohen und oft reisten sie nach Zürich. Durch sie konnte Bullinger Einfluss auf die Ereignisse in England ausüben. Zürich und allmählich auch Genf wurden die Vorbilder der englischen Reformation. Die Altäre und Bilder verschwanden aus den Kirchen und stattdessen wurden Abendmahlstische aufgestellt. Ein Streit entbrannte über die Ornate der Pastoren.
Die Theologen, die als Glaubensflüchtlinge jetzt nach England kamen, waren berühmte Gelehrte ihres Faches und namhafte Reformatoren: Von Italien kamen Bernardino Ochino und Petrus Martyr Vermigli. Aus Straßburg folgten der Hebraist Paul Fagius und Martin Bucer. Cranmer ließ die beiden Italiener nach Oxford rufen, während Fagius und Bucer Professoren in Cambridge wurden (Brecht, 233-256).
Catherine Brandon ließ ihre beiden Söhne in Cambridge im St. John`s College einschreiben, mitsamt ihrem Tutor, Thomas Wilson (Harkrider, 81, Rex). Sie selbst kaufte sich ein Haus in der Nähe. Bald verband sie mit Bucer eine herzliche Freundschaft, er besuchte sie auf Grimsthorpe und sie schenkte ihm eine Kuh mit Kalb – letzteres wohl damit er Milch hatte. Ihr Verhältnis wurde so innig, dass Fagius durch den Sekretär Bucers in Straßburg, Conrad Hubert, Wibrandis Rosenblatt wissen ließ, dass sie schleunigst zu ihrem Gatten reisen sollte: „…sagend, Herrn Martinus Hausfrau, sie soll sich bald auf die Fahrt machen, oder er wird eine andere kriegen, die Herzogin von Suffolk will ihn haben, ist jetzt eine Wittfrau.“ (Bainton, 96)
Wibrandis Rosenblatt kam nach Cambridge mit der Familie, und als sie wieder wegfuhr, blieb Agnes Capito und kümmerte sich um Bucer. Ihm ging es jedoch gesundheitlich nicht gut. Als Wibrandis Rosenblatt 1550 nach England zurückkam, musste sie ihn im Winter pflegen. Catherine Brandon half ihr, aber trotz ihrer gemeinsamen Anstrengungen starb Bucer im Februar 1551. Catherine Brandon wurde von Edward VI. als Testamentsvollstreckerin an Rosenblatts Seite gestellt. Wibrandis Rosenblatt war jedoch mit den Engländern nicht zufrieden: „Ouch wussen, das mir der Bischof nit mer denn XXXX Lb. fur die Bucher geben hat. Er sagt die Frow (Herzogin Katharina von Suffolk) hab die besten; so hab der Kunig das geschrieben Ding; sin Theil sy zu thur. Ich hab recht genumen, was man mir geben hat; ich kann mich wider sy nit setzen.“ (Zimmerli-Witschi, 120)
Nach dem Tod Bucers wurde für ihn eine Gedenkschrift der Universitätsangehörigen in Cambridge herausgegeben. Darin waren beide Söhne von Catherine Brandon mit Beiträgen vertreten (Collinson 1983, 34). Diesen vielversprechenden jungen Männer war leider kein langes Leben vergönnt. Im Sommer 1551 brach der „Schweiß“ in Cambridge aus. Der sogenannte „Englische Schweiß“ war eine Infektionskrankheit, die innerhalb von kürzester Zeit ihre Opfer wegraffte. Die Brüder wurden sofort aus Cambridge weggebracht, starben aber innerhalb von Stunden, bevor es ihrer Mutter möglich war, zu ihnen zu kommen. Catherine Brandon war untröstlich. Es dauerte lange, bevor sie wieder anfangen konnte, Freude am Leben zu haben (Read).
Nicht nur Gelehrte flüchteten nach England, auch Handwerker und Handelsleute suchten einen Ort, wo sie ihre evangelische Überzeugung ausleben konnten. Für Cranmer war es eine Möglichkeit, reformierte Gemeinden zu gründen. In Canterbury entstand eine Französische Gemeinde (Pettegree 1986, 52f), wie in Glastonbury, wo viele wallonische Weber arbeiteten. In London entstanden gleich zwei Ausländergemeinden: eine französische und eine flämische, mit Johannes a Lasco als deren Superintendent. Zusammen mit den humanistischen Lehrern des Königs unterstützte Catherine Brandon die Gründung der Ausländergemeinden mit einer Bittschrift an den König und mit einer Bürgschaft (Pettegree 1986, 31). Für a Lasco waren es gute Jahren in London, mit Unterstützung vom König und von Cranmer und mit weitreichenden Freiheiten, ein reformiertes Gemeindeleben zu gestalten (Rodgers, Jürgens). Er zeigte sich später Catherine Brandon gegenüber dankbar.
3. Eine neue Familie. Flucht
Unter Edward VI. konnte Catherine Brandon ihre evangelische Gesinnung ausleben. Ihr alter Intimfeind Stephen Gardiner verbrachte diese Jahre im Tower of London und als sie ihn im Vorbeigehen sah, bemerkte sie mit lauter Stimme: „Es ist lustig für die Lämmer, wenn der Wolf weggesperrt ist.“ (Foxe, 1583 edition, Book 12, 2102-2105)
Die kirchlichen Reformen galten vor allem dem Gottesdienst und den Kirchengebäuden (MacCulloch 1999). Die alte katholische Ausstattung wurde aus den Kirchen verbannt, versteckt, verkauft oder verbrannt. Catherine Brandon, die in Lincolnshire Patronatsrechte für viele Kirchen besaß, hatte früher oft Pfründe an von ihren Klöstern vertriebene Mönche vergeben. Jetzt gab sie die Pfründe an verheiratete Männer mit Universitätsausbildung und gründete Schulen (Harkrider 84-94).
Auf Grimsthorpe hatte sie immer Kaplane mit evangelischer Gesinnung – und Hugh Latimer predigte dort als Dauergast.
Ein paar Jahre nach dem Tod ihrer Söhne heiratete sie einen Mann, den sie gut kannte und der ihre Religion teilte: Richard Bertie (1517-1582), ihr „gentleman usher“. Er war vom Adel, aber der niedere Adel tat beim Hochadel Dienst, sowie der Hochadel dem Königshaus diente. Sie heiratete einen Mann, der gebildet war, mehrere Sprachen beherrschte und ihr im Alltag treu zur Seite stand. Der „gentleman usher“ war eine Art Zeremonienmeister und er regelte vermutlich ihren Haushalt. Dennoch heiratete sie unter ihrem Stand. Anscheinend fühlte sie sich nach dem Tod ihrer Söhne frei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Es war wohl Hugh Latimer, der sie 1553 auf Grimsthorpe traute (Read 92). Während Catherine Bertie im Jahr danach schwanger wurde und 1554 eine Tochter, Susan, gebar, starb Edward im Sommer 1553. Seine Schwester Maria bestieg den Thron. Sie war immer katholisch gewesen, hatte in den vergangenen Jahren deswegen Streit mit ihrem Bruder gehabt und war überzeugt, dass sie das Werkzeug Gottes war, um England wieder zum katholischen Glauben zurückzuführen. Zuerst wurde die Messe wiedereingeführt. Die Gemeinden versuchten, ihre Kirchen so auszustatten, dass sämtliche Riten durchgeführt werden konnten – die Gemeinden, die vorher ihr Inventar versteckt hatten, konnten sich glücklich preisen (Loades 2010).
Sehr viele Engländer waren ohne Zweifel froh, zu den alten Sitten und Ritualen zurückzukehren. Andere hatten sich an die Gottesdienste in der Landessprache gewöhnt, lasen ihre Bibel auf Englisch und sahen die Messe als Götzendienst an. Diese Leute – vor allem in London – trafen sich heimlich zu Gottesdienst und Gebet.
Die ersten, die den Ernst der Lage spürten, waren die Ausländergemeinden. September 1553 bestieg a Lasco mit einem Teil seiner Gemeinde drei Schiffe und fuhr nach Dänemark. Im lutherschen Land war die Gruppe als reformierte nicht willkommen und sie setzte ihre Reise nach Emden und schließlich nach Frankfurt fort. Gardiner, der Lordkanzler Marias geworden war, entwickelte eine Technik, um Ketzer loszuwerden: er lud sie zum Gespräch ein! Meistens wurden diese ob dieser Einladung so erschrocken, dass sie sofort England verließen (Pettegree 1986, 115f).
Ostern 1554 erging dann die Einladung Gardiners an Richard Bertie. Gardiner listete alle die Kränkungen, die Catherine Bertie ihm zugefügt hatte, auf und fragte, wie Catherine es mit der Messe hielt. Die Königin wollte Philipp von Spanien heiraten und bei der Gelegenheit könnte Catherine Bertie – immer noch Herzogin von Suffolk – Anstoß erwecken: sie hatte immer noch nicht die Messe auf Grimsthorpe eingeführt und konnte bei den Hochzeitsfeierlichkeiten nicht teilnehmen, obwohl ihre Mutter dem spanischen Hochadel angehört hatte. Als ihr Gatte war Bertie für sie juristisch und religiös verantwortlich. Er verteidigte ihre Gewissensfreiheit und schlug vor, er solle Geld, das der Kaiser Charles Brandon schuldete, bei Karl V. eintreiben. Dafür erhielt er eine Ausreisegenehmigung und versuchte, Asyl für Catherine und Susan, die im selben Jahr geboren worden war, zu finden. Im Herbst 1554 wurden die mittelalterlichen Ketzergesetze wieder in England eingeführt mit Wirkung vom 20. Januar 1555. Anfang Januar 1555 verließ Catherine Bertie in der Nacht ihr Haus in London mit dem Kind und ein paar Dienstboten (Foxe, Hrsg. Cattley 1839, Bd.8, 569-572).
Maria Tudor hatte vorerst die wichtigsten Geistlichen im Visier: die Bischöfe Cranmer, Ridley und Latimer waren schon in Gefängnis. Am 28. Januar wurde Anklage gegen andere leitende Evangelische erhoben. Alle starben den Märtyrertod – was seitens der Regierung vielleicht nicht vorgesehen oder gar erhofft war (Loades 2010, 81-96). Viele Mitglieder der Oberklasse, vor allem die Schwester der Königin, Prinzessin Elizabeth (http://www.frauen-und-reformation.de/?s=bio&id=115) und William Cecil, der Freund Catherine Berties, blieben in England und gingen zur Messe. Andere ergriffen die Flucht (Garrett).
Catherine Bertie hatte eine abenteuerliche Reise in die Niederlande vor sich. Den Ärmelkanal im Winter zu überqueren erwies sich als schwierig. Nach Wochen erreichte sie endlich Land, wurde von Richard Bertie (Garrett, 87-89) empfangen und nach Xanten gebracht. Sie wussten, dass sich die wallonische Flüchtlingsgemeinde aus London mit ihrem Pfarrer François Perussel im benachbarten Wesel aufhielt, und wollten auch dorthin. Xanten war katholisch und dort konnten sie nicht bleiben. Während sie noch in Xanten ihren Asylbescheid abwarteten, erfuhren sie, dass sie erkannt worden seien, und beschlossen, zu Fuß nach Wesel zu laufen ohne Bedienstete und Gepäck, nur sie drei, als ob sie einen Spaziergang machten. Es war kalt und frostig und während sie unterwegs waren, regnete es auf den gefrorenen Boden. Völlig durchnässt kamen sie in Wesel an. Keine Herberge wollte sie hereinlassen und am Ende suchten sie Schutz unter dem Vordach der Kirche (St. Willibrord?). Richard Bertie suchte nach Feuerholz und fand mit Hilfe einiger Schuljungen, die mit ihm Latein sprechen konnten, das Haus, wo Pastor Perussel gerade zu Abend aß. Groß war die Freude des Wiedersehens. Die Berties erhielten trockene Kleider und am nächsten Tag wurde ihnen vom Stadtrat Asyl gewährt (Foxe 1839, Bd. 8, 572-574).
Wesel hatte schon 1545 eine Gruppe wallonischer Weber aus Tournai aufgenommen. Man konnte die Handwerker gut gebrauchen und versicherte sich nur, dass die keine Wiedertäufer waren. Sie konnten Predigtgottesdienste in eigener Sprache halten, aber Sakramentsverwaltung wurde ihnen nicht zugestanden. Sie mussten mit der lutherschen Stadtgemeinde die Sakramente empfangen. Sie suchten Rat bei Calvin und er ermahnte sie zur Besonnenheit (CO 20, 419ff, Nr.4169; Weseler Konvent, 28ff). Als Perussel im Herbst 1553 mit den Wallonen aus England ankam, wiederholten sich die Probleme. Die Flüchtlinge hatten in England weitgehende Selbständigkeit genossen. Wieder schrieb Calvin an sie und mahnte zur Geduld (13.3.1554, CO 15, 78ff; a.a.O. 31f). Perussel schrieb allerdings auch an a Lasco und wurde von ihm unterstützt, Selbständigkeit für seine Gemeinde einzufordern. Das ging natürlich nicht gut. Melanchthon wurde um ein Gutachten gebeten, aber die Stadt entschied für sich, dass die Flüchtlinge weiterziehen mussten. Im März 1557 verließen die Engländer Wesel, nachdem sie sich beim Rat für den Aufenthalt bedankt hatten. Sie zogen nach Bern, wo sie sich im Aarau (Garrett, 353-356) niederlassen durften. Perussel zog mit einer Gruppe nach Frankfurt (Denis, 161-222).
Catherine und Richard Bertie waren schon längst nicht mehr in Wesel. Am 12. Oktober 1555 hatte Catherine einen Sohn, Peregrine (Lat. Peregrinus = Fremdling) geboren und ihn am 14. Oktober in St. Willibrord taufen lassen. Sehr viele Engländer hatten im Laufe des Jahres sich ihnen angeschlossen und durften englische Gottesdienste (ohne Sakramentsfeier) abhalten. Zwei frühere Bischöfe waren unter ihnen: Miles Coverdale, der Tyndale`s Bibelübersetzung vervollständigt hatte (Garrett, 132-134), und William Barlow (Garrett, 80). Im Herbst 1555 setzte sich Miles Coverdale beim Pfalzgrafen und Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken für die Berties ein. Coverdale hatte durch die Empfehlung von Conrad Hubert, Bucers Sekretär, eine Stelle als Schulmeister in Bad Bergzabern inne. 1555 kehrte er dorthin als Kaplan zurück. Dadurch war er dem Pfalzgrafen bekannt. Dessen Vetter, der Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz, bot der Herzogin sein Schloss Weinheim als Wohnung an (Harkrider).
Dort kam im Juli 1556 ein Kurier von Maria Tudor an. Im Herbst 1555 hatte das Parlament in London einen Gesetzesvorschlag Marias zu Konfiskation des Besitzes der Glaubensflüchtlinge abgeschmettert. Nach geltendem Recht wurde nur der Besitz von verurteilten Schwerstverbrechern und Aufrührern konfisziert. Das Parlament lehnte es ab, diese Gesetzgebung auf die Glaubensflüchtlinge zu erweitern (Loades 2007, 45f). Maria hatte jedoch im folgenden Jahr Briefe an wohlhabende Glaubensflüchtlingen geschrieben, und ein gewisser John Brett als Kurier sollte sie überreichen. In seinem Report über seine Reise vermied Brett es sorgfältig, sich zum Inhalt der Briefe zu äußern. Ihrerseits wollten die Adressaten sie gar nicht entgegennehmen. In Frankfurt klagten sie über Brett beim Bürgermeister, in Weinheim vertrieben ihn die Dienstboten der Herzogin mit Steinen. Sie verklagte ihn beim Kurfürsten und er verbrachte einiger Zeit in Heidelberg im Gefängnis. In Straßburg schließlich wurde er von einem bewaffneten Mann von den Flüchtlingen ferngehalten (Brett). Unverrichteter Dinge musste Brett zurück nach England.
In Weinheim hatte Catherine Bertie große Ausgaben: sie sollte ihren Lebensstil aufrechterhalten und den Haushalt bezahlen (Harkrider, 109). Es muss sich herumgesprochen haben, dass ihr Geld knapp wurde. In Polen hörte Johannes a Lasco davon (vielleicht stand er immer noch in Verbindung mit Frankfurt?) und ersuchte König Sigismund II. Augustus um Hilfe für sie. Der Wojwode (=Pfalzgraf) von Vilnius, Mikolai Radziwill, selbst überzeugter Reformierter, sorgte dafür, dass der König ein an die Krone heimgefallenes Lehen in Kraziai in Litauen den Berties schenkte.
Dieses königliche Hilfsangebot erfreute die Berties sehr. Sie wagten jedoch nicht das Angebot ohne weiteres anzunehmen, sondern schickten den früheren Bischof von Bath und Wells, William Barlow, nach Polen. Dieser hatte schon für sie in Weinheim die Verhandlungen mit John Brett geführt, da die Berties, wie die anderen Flüchtlinge auch, direkten Kontakt mit Brett und seinen Briefen vermieden. William Barlow wurde auf seiner Reise von John Burcher (Garrett, 100f) begleitet, einem Kaufmann, der angeblich lernen sollte, in Krakau Bier zu brauen, der aber in seinen Briefen an Bullinger von Johannes a Lascos Wirken in Krakau erzählte (Cross). Diese Erkundungsreise war erfolgreich, und die Berties mit ihren Kindern setzten sich in Bewegung. Nördlich von Frankfurt trafen sie Soldaten des Landgrafen (Philipp von Hessen?) und der kleine Spaniel der Herzogin griff sie an. Die Soldaten durchbohrten die Karosse mit ihren Bärenspießen und Bertie mit den Hauskerlen verteidigten sie. Im Kampfgetümmel wurde das Pferd des Kapitäns getötet und die Soldaten waren überzeugt, dass diese Wallonen ihren Kapitän umgebracht hatten. Bertie ritt in die nächste Stadt, um die Angreifer von der Karosse wegzulocken. Dort suchte er Schutz im obersten Stock eines Hauses, wo er sich mit seinem Degen verteidigen konnte, bis der Bürgermeister kam, der Latein sprach. Bertie ergab sich ihm. Am nächsten Tag trafen sowohl die Herzogin als auch der Graf von Erbach ein. Der Graf kannte die Herzogin von früher und verneigte sich tief vor ihr - zum Staunen der Bürger (Foxe, 1839, Bd. 8, 574-576).
Ihre weitere Reise verlief ohne Zwischenfälle. Die nächsten zwei Jahre verbrachten sie in Litauen auf ihrem Gut. Im Winter 1558/59 erfuhren sie die Nachricht vom Tod Marias und der Thronbesteigung Elizabeths. Catherine Bertie schrieb an Elizabeth und beglückwünschte sie. Außerdem schickte sie ein kostbares Neujahrsgeschenk. Mit solchen Geschenken zeigte die Königin ihr Wohlwollen und die Untertanen bezeugten ihre Treue. Bald verstand Catherine Bertie jedoch, dass die so sehnsüchtig erwartete Königin mit äußerster Vorsicht vorging: es war nicht ihre Absicht, eine reformierte Kirche nach dem Vorbild von Genf und Zürich einzuführen. Enttäuscht schrieb die Herzogin an ihren Freund Cecil, dass die Englische Kirche weder katholisch noch reformiert sei. Sie lobte Maria Stuart für ihre konsequente Verteidigung der Messe: Sie habe wenigstens Haltung gezeigt! (Read, 132ff, Bainton, 273f)
4. Puritanerin in England
Im Sommer 1959 fuhren die Berties zurück nach England – Fürst Radziwill kaufte das Lehn von ihnen zurück und machte damit die Heimreise möglich. Bei ihrer Ankunft gab Elizabeth der Herzogin alle ihre Güter zurück und bürgerte den kleinen Peregrine ein. Sie wohnten fortan auf Grimsthorpe.
Miles Coverdale, zurück aus Genf, wo er an der englischen Bibelübersetzung („the Geneva Bible“) mitgewirkt hatte, zog vorerst nach Grimsthorpe. Später siedelte er nach London um.
1562 wurde eine neue Ausgabe von den Predigten Latimers verlegt, und in der Widmung an die Herzogin schrieb der Herausgeber Augustin Bernher, der Assistent Latimers, dass sie alles aufgegeben habe, um „ein Flüchtling für Christus und sein Evangelium zu werden“. Sie sei ohne Zweifel vom Exil zurückgebracht worden, „um die Verzweifelten zu trösten und um ein Werkzeug zu werden, damit sein heiliger Name gepriesen sein soll und sein Evangelium verbreitet“ (Goff 238f, Übersetzung M.N.). Damit hatte Bernher den Wunsch geäußert, Catherine Bertie möge den Puritanern beistehen. In der folgenden Ausgabe der Predigten aus dem Jahr 1578, schrieb Bernher in seiner Widmung: „An etliche gab der gnädige Gott eine solche Tapferkeit (= valiant spirit), dass sie alles aufgegeben haben und geduldig in fremden Ländern reisten…“ (Goff, 317). Für Reformierte wie Bernher war die Flucht, um den Glauben woanders bekennen zu können, eine mutige Handlung. Er selbst war zur Regierungszeit Maria Stuarts in London geblieben, um die heimlichen reformierten Gemeinden pastoral zu betreuen. Seine Ablehnung galt den Personen, die in England geblieben waren und zur Messe gingen. Man denke an Cecil und an Elizabeth. (Vollständige Zitate in der Originalsprache im Anhang.)
In den folgenden Jahren bildete sich in der Englischen Kirche ein reformierter Flügel aus Theologen und Laien, die fanden, die Elizabethanische Kirche sei ungenügend reformiert. Diese Gruppierung wurde Puritaner genannt, aber selbst bezeichneten sie sich als „the godly“ = die Frommen. Selbst die von Elizabeth ernannten Bischöfe meinten, man solle die Kirche weiter reformieren („ecclesia semper reformanda“), wurden aber von der Königin zurückgepfiffen.
Vornehme Familien am Hofe – die Sidneys, die Dudleys und die Russells – gehörten zu den Puritanern, aber Catherine schloss sich diesen Kreisen nicht an. Vielleicht wagte sie es nicht, sich mit Elizabeth anzulegen. Während Robert Dudley, Favorit Elizabeths und Graf von Leicester, puritanische Geistliche im ganzen Königreich untergebrachte, konzentrierte Catherine sich auf Lincolnshire (Harkrider, 115-135).
Viele puritanische Landadelige lebten ihre religiöse Überzeugung im häuslichen Rahmen vor. Andachten, Bibellesungen und eine strenge Lebensführung prägten ihren Tagesablauf. Darüber hinaus versorgte Catherine die Kirchen, wo sie Patronatsrecht hatte, mit an der Universität ausgebildeten Pastoren. Die wichtigste Anforderung an einen puritanischen Pastor war die Predigt – die früheren katholischen Priester waren ja vor allem Messpriester und Sakramentsverwalter gewesen. In London war der Bischof vorsichtig bei der Berufung von Puritanern; um 1565 herum entbrannte ein Streit mit diesen Pastoren, weil sie sich weigerten, Messgewändern zu tragen. Einige wenige Kirchen waren frühere Klosterkirchen und standen somit nicht unter der Aufsicht des Bischofs. Catherine Bertie besaß in London das alte Klarissenkloster The Minories und in der dazugehörigen Kirche Holy Trinity ließ sie ihre Kaplane predigen. Diese Gottesdienste wurden von den Puritanern in London besucht (Collinson 1967, 50, 68, 86, Collinson 1983, 259f, Bainton 275f).
Die puritanische Überzeugung der Herzogin minderte nicht ihren Ehrgeiz für ihre Familie. Sie hatte ja noch Zugang zum Hofe durch Cecil, später Lord Burghley. Zuerst versuchte sie Richard Bertie zu Baron Willoughby de Eresby ernennen zu lassen. Das gelang nicht. Dann wollte sie ihrem Schwiegersohn den Titel des Grafen von Kent zuerkennen. Damit hatte sie Erfolg: zwar lebte der Schwiegersohn nicht lange, aber die Tochter Susan wurde Gräfin. Schließlich wurde ihr Sohn Peregrine Baron Willoughby de Eresby.
1550 hatte der Herzog von Somerset ihr vorgeschlagen, seine Tochter mit ihrem ältesten Sohn, Henry Brandon, zu vermählen. Es war ein ehrenvolles Angebot, aber sie schlug es aus mit der Begründung, die jungen Menschen sollten abwarten, ob sie sich lieben könnten (Bainton, 255f). Als Peregrine dagegen im heiratsfähigen Alter war, verliebte er sich in Lady Mary de Vere. Diese Ehe passte nun der Herzogin gar nicht. Die Familie de Vere neigte eher dem Katholizismus zu („…our religions agree not“ Goff 309) und der Bruder Marys, der Graf von Oxford, hatte seine Frau, die Tochter Cecils, sehr schlecht behandelt. Wie dem auch sei, die Herzogin verbrachte ihre letzten Jahren in Klagen über ihre missratenen Kinder und Schwiegertochter. Erst als Catherine Bertie 1580 starb, wurde die Ehe Peregrines anscheinend glücklicher. Er und seine Frau bekamen sieben Kinder und er leistete erfolgreich Militärdienst für Elizabeth. Susan heiratete 1581 in zweiter Ehe einen Offizier, Sir John Wingfield, der für seine Tapferkeit bekannt war.
In Spilsbys Kirche steht ein imposantes Grabmal für Catherine und Richard Bertie mit Büsten von ihnen und biblischen Texten. Die Inschrift lautet: „Sepulchrum D. Ricardi Bertie et Catherinae Ducissae Suffolkiae, Baronissae de Willoby de Eresby, coniug. ista obiit XIX Septemb. 1580. Ille obiit IX Aprilis, 1582“: Das Grab von Herrn Richard Bertie und von Catherine, Herzogin von Suffolk, Baroness de Willoughby de Eresby, seine Gattin. Sie starb am 19. September 1580. Er starb am 9 April 1582.
5. Würdigung
Das Leben der Catherine Willoughby/Brandon/Bertie war von ihrer hohen Abstammung und großem Reichtum bestimmt. Als Witwe behielt sie den Titel ihres ersten Gemahls und war lebenslänglich als die Herzogin von Suffolk bekannt. Nach dem Tod Heinrichs VIII. spielte sie eine herausragende Rolle in der Regierungszeit Edwards V, war eine Vollstreckerin der königlichen Anordnungen und pflegte wichtige Freundschaften (nur mit Wibrandis Rosenblatt haperte es mit der Freundschafft!).
Sie nahm sich das Recht heraus, aus Liebe zu heiraten. Der jakobitische Bühnenautor John Webster schrieb seine etwas blutrünstige Tragödie „The Duchess of Malfi“ über dieses Thema: eine junge Frau, die trotz ihrem hohen Stand es wagt, ihr Liebesglück nachzustreben.
Catherine Bertie wurde in „The Book of Martyrs” von John Foxe aufgenommen, nicht weil sie auf dem Scheiterhaufen landete, sondern weil sie als Flüchtling Zeugnis ihres Glaubens ablegte. Die Quelle für John Foxe ist zweifelsohne Richard Bertie, der Episoden erzählte, in welcher er selbst eine vorteilhafte Rolle spielte. Bertie diente der Herzogin treu und ergeben. Er blieb nicht ohne Kritik. Goff berichtet (S.215), dass auf seinem Porträt auf Grimsthorpe jemand geschrieben hat: „Cendre Bien delguise Toutefois Cendre“: Selbst gut verkleidet bleibt Asche nur Asche. Das war Richard Bertie gegenüber sehr unfreundlich. Die Rechnungen für das Gut Grimsthorpe zeigen, dass er im feinsten Zwirn gekleidet war (Read 149f).
Die Zeit auf der Flucht war von viel Hilfe geprägt. Der Pastor Perussel, die früheren Bischöfe Coverdale und Barlow, die Pfalzgrafen, Johannes a Lasco und Fürst Radziwill – alle halfen sie der Herzogin und ihrer Familie. Gewissermaßen war sie immer von einer schützenden Hülle umgeben. Die Zeitgenossen bewunderten ihren Mut und Bereitschaft, England für ihren Glauben zu verlassen und in fremden Ländern zu leben.
Trotz aller Frömmigkeit verdarb sie sich ihre letzten Jahre mit ihrem Familienzwist. Sie war nie umgänglich gewesen, ihre „heats“ (= hysterische Anfälle) waren berüchtigt und gefürchtet, und sie kränkte nicht nur Stephen Gardiner. Andererseits blieben Bedienstete bei ihr über Generationen hinweg und ihre Briefe an Cecil zeigen eine sehr charmante Frau.
6. Die Herzogin von Suffolk in der Kunst
Das Schicksal der Herzogin inspirierte Dichter und Regiseure: Thomas Deloney (1543-1600) schrieb eine Ballade: „The most Rare and Excellent history of the Dutchess of Suffolk and her Husband Richard Berties Calamities”.
1624 verfasste Thomas Drue (Drew) ein Schauspiel: „The Life of the Duchess of Suffolk“. Es ist abgedruckt in Goff und von mäßigem Interesse.
John Webster´s oben erwähnte Tragödie: „The Duchess of Malfi“ ist von ihr inspiriert, ohne auf historische Fakten Rücksicht zu nehmen.
In der Fernsehserie „The Tudors“ wird sie Catherine Brooke genannt. Nicht nur was den Namen anbelangt hat die Figur mit der historischen Catherine Willoughby nichts gemeinsam. Auch die erste Ehe von Charles Brandon mit Mary Tudor hat mit historischen Tatsachen wenig zu tun.
Die historische Wirklichkeit ist genauso spannend.
Anhang:
Originaltext von Latimer´s Sermons, Widmung von 1562:
„I have set forth these sermons, made by this holy man of God (scil. Latimer), and dedicated them to your Grace, partly because they were preached in your Grace´s house at Grimsthorpe by this reverend father and faithful prophet of God, whom you did nourish, and whose doctrine you did most faithfully embrace, to the praise of God and unspeakable comfort of all Godly hearts, the which did, with great admiration, marvel at the excellent gifts of God, bestowed upon your Grace, in giving unto you such a princely spirit, by whose power and virtue, you were able to overcome the world, to forsake your possessions, lands and goods, your worldly friends and native country, your high estate and estimation with which you were adorned and to become an exile for Christ and his Gospel´s sake; to choose rather to suffer adversity with the people of God than to enjoy the pleasures of the world with a wicked conscience, esteeming the rebukes of Christ greater riches than the treasures of England, whereas the worldings are far otherwise minded; for they have their pleasures among the pots of Egypt, they eat, drink and make merry, not caring what became of Christ, or his Gospel; they be so drunken with the sweet delicates of this miserable world that they will not taste of the bitter morsels, which the Lord has appointed and prepared for His chosen children and especial friends. Of the which he did make you most graciously to taste, giving unto your Grace His spirit that you were able in all the turmoils and grievances the which you did receive, not only at the hands of those who were your professed enemies but also at the hands of them who professed friendship and good-will but secretly wrought sorrow and mischief; to be quiet and patient and in the end, brought your Grace home again to your native country, no doubt to no other end but that you should be a comfort to the comfortless and an instrument by which His Holy name should be praised and his Gospel propagated and spread abroad: to the glory of His Holy name and your eternal comfort in Christ Jesus, into whose merciful hands I commit your Grace with all yours eternally.” (Goff, 238f)
Latimer´s Sermons, Widmung von 1578: „Unto some, the self same most gracious God gave such a valiant spirit that they were able, by His Grace, to forsake the pleasures & commodities of this world, & being armed with patience, were content to travel into far & unknown countries, with their families & households, having small worldly provision, or none at all, but trusting in His providence, who never forsake them that trust in Him.” (Goff, 317)
Literatur:
Quellen:
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»Gleichmacherei der Testamente«
Michael Servets Auseinandersetzung mit dem Judentum und mit Calvins Israellehre
I.
Das Profil des Genfer Reformators Calvin ist unlöslich verbunden mit dem Schicksal des spanischen Arztes und Religionsphilosophen Michael Servet (1509/11-1553). Kaum eine Veröffentlichung, in der Calvin nicht mit dem Zusatz bedacht wäre: "der 1553 in Genf bekanntlich den Antitrinitarier Servet hinrichten ließ". Stefan Zweig hat mit seinem Buch über Castellio das Bild von dem Genfer Diktator und Tyrannen maßgeblich in das historische Gedächtnis der Nachwelt eingeschrieben. Selbst renommierte Historiker lassen sich in ihrem Urteil immer wieder von diesem polemischen Zerrbild Calvins leiten.
Der jüdische Historiker Solo W.Baron z.B. glaubt in einer Tagebuchnotiz des Juden Josel von Rosheim den Hinweis auf eine Begegnung mit Calvin gefunden zu haben. Josel von Rosheim berichtet dort von der Frankfurter Fürstenversammlung von 1539 und erwähnt einen heftigen Disput mit einem übermäßig streitsüchtigen Christen. Für Baron steht fest, dass es sich bei diesem Hitzkopf um den späteren Genfer Despoten Calvin gehandelt haben muss. In welcher Sprache sich der Jude aus Mittelbergheim und der Franzose Calvin gestritten haben sollen, ist dabei für Baron nicht weiter von Belang. Zusammen mit dem 'Fall Servet' wird für ihn diese vermeintliche Begegnung zu einem Indiz, dass Calvin es auch den Juden gegenüber an Toleranz habe fehlen lassen.
Die amerikanischen Historiker Louis Israel Newman und Jerome Friedman gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie behaupten, Servet sei in Genf wegen seiner judaisierenden Ansichten hingerichtet worden. Oder um es etwas drastischer zu formulieren: Der Philosemit Servet wird in Genf von dem potentiellen Antisemiten Calvin hingerichtet. Was ist an diesem Vorwurf dran? Ist es ein erneuter Versuch, Calvin mit unlauteren Mitteln zu diskreditieren? Oder ist es nur ein Hinweis darauf, dass der Genfer Reformator nun einmal ein Kind seiner Zeit war?
Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, sich die Israel-Lehre Servets vor Augen zu führen, vor allem sein Verhältnis zum Judentum. Einen ersten Hinweis finden wir in der Institutio Calvins. Calvin wirft Servet dort vor, er denke über das Volk Israel "nicht anders als über eine Herde Schweine, die von dem Herrn (...) ohne alle Hoffnung auf das ewige Leben gemästet worden sei" (Inst. II,10,1). Eine Behauptung, die, wenn sie stimmt, ganz und gar nicht zu dem Bild des judaisierenden Servet passen würde. Und in der Tat. Servet betont in seinen Werken durchweg die substantielle Minderwertigkeit des atl. Gottesglaubens.
"Niemals war einer der Juden [d.h. Israeliten] erwählt oder in der Weise durch die Erwählung vorherbestimmt, wie Gott uns vorherbestimmt hat (...). Gott ist nun offenbar, einst war er es nicht."
Der Sündenfall durch Adam ist für Servet so gravierend, dass der Mensch erst wieder im Neuen Bund durch Wasser und Geist wiedergeboren werden könne. Die Erlösung im Alten Bund dagegen hält er für durch und durch defizitär:
"Im Zeitalter der Juden gab es kein Bad der Wiedergeburt, weil Christus damals noch nicht wiedererweckt war. Jene konnten weder im Leben noch nach dem Tod ins Paradies aufgenommen werden; wir dagegen können es. Niemals war irgendeiner der Juden im Reich der Himmel, weil das Reich Gottes noch nicht gekommen war. Niemals war jener wiedergebärende Geist der hyiothesia in ihnen, sondern sie waren mit der fleischlichen Kindschaft behaftet."
Für Servet bleiben im gesamten Alten Bund die Gottesverehrung und die Verheißungen dem Fleischlichen verhaftet. Das Gesetz erlaube den Männern Vielweiberei und Scheidung, es kenne keine Feindesliebe, und die Sündenvergebung sei profan und wirkungslos gewesen. Das Sinai-Gesetz wird für Servet sogar zu einer Art 'zweitem Sündenfall', weil es wegen der nun möglichen Erkenntnis der Sünde nicht nur den leiblichen Tod, sondern auch den geistlichen Tod herbeiführe.
Es gibt fast nur einen einzigen Punkt, an dem Servet positiv an das Alte Testament anknüpfen kann, nämlich die alttestamentliche Einheit Gottes. Weil die apostolische Verkündigung einem jüdischen Kontext entstamme, sei auch die neutestamentliche Gottesvorstellung auf dieser Basis zu interpretieren. Doch dieser Ansatz dient ihm keineswegs dazu, eine jüdische Gottesvorstellung einzufordern. Es geht ihm lediglich darum, seine modalistische Trinitätslehre unter Beweis zu stellen.
Dieser Zusammenhang ist allerdings der einzige, in dem Servet so etwas wie eine Einheit der beiden Testamente voraussetzt – und dies auch nur in seiner Erstlingsschrift De Trinitatis erroribus von 1531. In den drei Schriften des Folgejahres tritt dieser Aspekt bereits zurück. Servet ist nun bemüht, die fundamentale Differenz zwischen Altem und Neuem Bund herauszustellen. Er wendet sich damit gegen Bucers These von der Einheit des Bundes, mit der der Straßburger Theologe die Kindertaufe zu rechtfertigen suchte. Servet hält dem entgegen:
"Diejenigen, die durch derartige Gleichmacherei die Testamente durcheinanderbringen, irren somit nicht unerheblich; sie schmälern die Gnade der Ankunft Christi, indem sie die Juden uns gleich machen."
Servet geht es darum, im Kontrast zur altestamentlichen Erlösung das Besondere der christlichen Rechtfertigung herauszustellen. Seine spiritualistisch-präsentische Eschatologie, vor allem die Wiedergeburt und Vergöttlichung des Menschen im Geist, soll dadurch gegen Angriffe abgesichert werden. Versuche, einen eschatologischen Vorbehalt geltend zu machen, kann Servet nur als einen Rückfall in die unerlöste Zeit des Judentums, dem Reich der Hölle ("regnum inferorum"), disqualifizieren.
II.
Aufgrund des bisher Gesagten wäre es verwunderlich, wenn Servet dem Judentum gegenüber eine positive Haltung einnehmen würde. Dennoch aber wird von den meisten Forschern genau diese These vertreten. Im einzelnen werden folgende Argumente aufgeführt: Servet sei von seinen Gegnern als Judaisierer bezeichnet worden und vermutlich converso-jüdischer Abstammung gewesen (a). Außerdem habe er sich intensiv mit jüdischen Quellen vertraut gemacht und deren Argumente zur Bekämpfung der Trinitätslehre herangezogen (b). Schließlich habe er das Verständnis des Neuen Testaments auf die alttestamentlich-hebräische Wurzel zurückgeführt und das Alte Testament nicht christustypologisch interpretiert, sondern konsequent den historischen Kontext berücksichtigt (c). Diese Argumente gilt es nun zu prüfen.
a. Zur converso-jüdischen Abstammung Servets ist zu sagen, dass es weder der bisherigen Forschung noch der seit 1532 mit Servet befassten spanischen Inquisition gelungen ist, eine Converso-Abstammung Servets nachzuweisen. Diese Vorhaltung beruht vielmehr allein auf der Tatsache, dass in den Werken Servets Argumente der jüdischen Apologetik Berücksichtigung finden. Servet selbst aber gibt in Genf zu Protokoll, dass seine Vorfahren einem altehrwürdigen christlichen Geschlecht entstammten.
b. Wenngleich also eine converso-jüdische Abstammung Servets bezweifelt werden muss, so wird doch mit Sicherheit davon auszugehen sein, dass Servet nicht unbeeinflußt geblieben ist von den polemisch-apologetischen Argumenten, die die spanische Diskussion um die Converso-Juden mit sich gebracht hat. Er selber beruft sich denn auch auf konvertierte Juden wie etwa "Petrus Alphonsus, Paulus Burgensis, et plerique alii ex Judaeis ad Christum conversi".
Von einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den jüdischen Argumenten kann bei Servet allerdings nicht die Rede sein; soweit diese Argumente überhaupt Berücksichtigung finden, bedient sich Servet ihrer vorwiegend, um eigene Anschauungen zu untermauern: Von den zwölf Stellen, an denen er 1531/32 auf jüdische Aussagen verweist, beziehen sich sechs auf relativ nebensächliche exegetische Fragen. An einer Stelle beklagt er die dilettantischen Versuche, David Kimchi zu widerlegen, und eine weitere Stelle befasst sich kritisch mit dem Versuch des Maimonides, das Problem der alttestamentlichen Anthropologismen herunterzuspielen.
An den übrigen Stellen nennt Servet zwar durchaus zustimmend die jüdischen Argumente gegen die Trinitätslehre und die christologische Deutung der Psalmen, aber die Argumente sind nur sehr flüchtig wiedergegeben und dienen keineswegs dazu, die Trinitätslehre oder die christologische Deutung generell in Frage zu stellen. Im Gegenteil, ihm geht es vornehmlich darum, Fehlentwicklungen in der christlichen Dogmatik aufzuzeigen, um durch eine Rückkehr zu den apostolischen Anfängen die Juden um so besser für den christlichen Glauben gewinnen zu können:
"Die Hebräer werden durch so viele Autoritäten gestützt, dass sie sich zu Recht wundern über die so große, mit dem Neuen Testament eingeführte Zerteilung der Götter; und sie halten unser Testament für ketzerisch, wenn sie sehen, wie sehr wir von ihrem Gott abweichen. Wenn wir uns auf eine Disputation einlassen müssen, ist es darum nötig, dem apostolischen Vorbild zu folgen, nämlich, dass wir ihnen vor Augen führen, dass dieser Jesus der Christus ist und der Sohn Gottes".
1553 vermehrt Servet seine Zitate aus der jüdischen Literatur um etwa 25 Belege. Die meisten stammen aus den Bereichen Schöpfung, Engellehre und Anthropologie und dienen vor allem dazu, Servets neuplatonische Ideenlehre zu veranschaulichen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei den jüdischen Aussagen von der Präexistenz der Weisheit und des Messias; hier geht es Servet besonders darum, mit Hilfe der Präexistenz des Logos seine Anschauung von Christus als dem Urgrund aller Dinge und allen Seins unter Beweis zu stellen.
D.h. also: Weder 1531/32 noch 1553 kann bei Servet von einem "extraordinary interest in Judaica" (J.Friedman 1978) die Rede sein. Denn Servet bedient sich nur sehr sporadisch jüdischer Argumente und dies vor allem in einem spezifisch apologetischen Zusammenhang, der den jüdischen Texten fremd ist. Dadurch geraten diese Texte entgegen ihrer Intention zu einer Rechtfertigung von Servets Logos-Christologie und seiner modalistischen Trinitätslehre.
Außerdem nennt er die Rabbiner in einem Atemzug mit den Sophisten, polemisiert gegen die Kabbala und scheint davon auszugehen, dass sich im Talmud Lästerungen gegen den christlichen Glauben befinden.
c. Während also die Verwendung jüdischer Quellen keineswegs schon auf eine projüdische Haltung Servets rückschließen lässt, so zeigt er doch in seiner historisch-philologischen Arbeit eine gewisse Offenheit für die jüdischen Anfragen an den spezifisch christlichen Umgang mit dem Alten Testament. Besonders in seinem Vorwort zur Pagninus-Bibel (1542) unterstreicht Servet die Bedeutung des historischen Kontextes für das Verständnis der alttestamentlichen Verheißungen. Servet ist zwar zurückhaltend gegenüber jeder vorschnellen christologischen Vereinnahmung des Alten Testamentes, aber er behält die typologische Interpretation des Alten Testamentes durchaus bei und betont lediglich, dass nur ein tatsächliches Ereignis der Geschichte die ausreichende Basis für eine typologische Interpretation abgeben könne. Ihm geht es vor allem darum, mit Hilfe historisch-philologischer Arbeit zu einer Auslegung zu kommen, die sich den Juden gegenüber verantworten lässt, ohne dabei allerdings sein spezifisch christliches Anliegen zu verleugnen:
"Den Juden geben wir den sensus literalis zu, dennoch erinnern wir daran, dass ein Geheimnis vom künftigen Messias darunter verborgen liegt (...). Nach diesem Grundsatz müssen wir wie Christus gegen die Juden disputieren, damit sie das darin verborgen liegende Geheimnis der Zusammenhänge erkennen."
Die Diskussion der anfangs genannten Argumente hat gezeigt, dass von einer projüdischen Einstellung Servets nur insofern die Rede sein kann, als er begründete jüdische Anfragen an eine christologische oder trinitarische Vereinnahmung des Alten Testamentes in gewissem Rahmen gelten lässt. Insgesamt aber bestätigt sich der Eindruck, dass die theologische Abwertung des alttestamentlichen Gottesglaubens eine abwertende Einschätzung des zeitgenössischen Judentums mit sich bringt. Denn von Anfang an steht für Servet außer Frage, dass extra Christum keine wahre Gotteserkenntnis möglich ist. Die Juden verweigerten die Gotteserkenntnis in Christus und erweisen sich für Servet als verblendet, verworfen und in ihrem fleischlichen Dasein verhaftet.
Auch der Tempel und die jüdische Synagoge gelten ihm als durch Christus verworfen, und über Jerusalem laste der Fluch Gottes. Und als besonders schwere Versündigung gilt ihm, wenn jemand nach erfolgter Taufe zum Judentum oder Heidentum zurückkehrt. Offensichtlich haben hier negative Erfahrungen mit spanischen Conversos Servets Verhältnis zum Judentum nachhaltig geprägt.
III.
Abschließend soll nun die Frage geklärt werden, wie es zu dem Judaismus-Vorwurf gegen Servet gekommen ist und welche Rolle dieser Vorwurf im Genfer Prozeß 1553 gespielt hat:
Beim Judaismus-Vorwurf ist für das 16. Jahrhundert zu bedenken, dass er inhaltlich nur wenig Aussagekraft besitzt, da er relativ willkürlich dazu benutzt werden konnte, gegnerische Auffassungen als einen Rückfall ins Judentum zu disqualifizieren. Erstmalig wird der Judaismus-Vorwurf gegen Servet 1530/31 von Oekolampad in väterlich ermahnender Weise geäußert; offenbar hat der Basler Reformator sich durch Servets Rückgriff auf jüdische Kritik an der christlichen Trinitätslehre dazu veranlasst gesehen.
Dieser Vorwurf mag im Blick auf die Erstlingsschrift Servets noch eine gewisse Berechtigung haben, aber schon für das Folgewerk gilt, dass Servet sich zunehmend vom jüdischen Glauben distanziert und nun selbst dazu übergeht, anderen diesen Vorwurf zu machen, so dass der Vorwurf Servet nur noch bedingt trifft. Im Genfer Prozess gegen Servet spielt der unmittelbare Vorwurf des Judaisierens interessanterweise kaum eine Rolle. Sehr viel umstrittener dagegen ist die bleibende Bedeutung des Alten Testamentes für den christlichen Glauben. Und hier ist es vor allem Servet selbst, der Calvin schon vorab in seinen Briefen und sodann im Prozessverlauf des Judaisierens bezichtigt:
"Hör' endlich auf, Calvin, uns zu plagen mit jenem Gesetz und so gewaltsam auf dessen Einhaltung zu drängen, auch wenn du mit den Juden erzwingen musst, dass Gott, der sich im Gesetz fortwährend der Juden erbarmt hat, sich deiner erbarme."
Calvin weist diesen Vorwurf entschieden zurück und versucht die Ansichten Servets zur Minderwertigkeit des alttestamentlichen Gottesglaubens zu widerlegen:
"Du wirfst mir vor, dass ich in fleischlicher und in jüdischer Weise über das leibliche Geschlecht Abrahams urteile. (...) Aber Paulus erörtert im 9. und 11. Kapitel an die Römer den Gnadenbund, indem er versichert, dass jener Bund in dem tatsächlichen und natürlichen Geschlecht Abrahams verbleibt. Ich bin allerdings nicht so stumpfsinnig, dass ich jeden, der dem Fleische nach von Abraham abstammt, zu den Söhnen Abrahams rechnen wollte. Es waltet nämlich die freie Erwählung Gottes, die die rechtmäßigen von den unrechtmäßigen Söhnen unterscheidet, d.h. die geistlichen von den fleischlichen. (...) Es ist nämlich offensichtlich, dass Gott sie deshalb erwählt hat, damit jener Bund, den Gott mit Israel geschlossen hat, dennoch wirksam bleibt. Dies beides trifft also zu: Dass nicht alle, die ihre leibliche Abstammung von Abraham herleiten, auch Söhne Abrahams sind, und dass dennoch nicht vergeblich dem Geschlecht Abrahams gesagt ist: 'Ich werde euer Gott sein', und dass auch die Gnade des Bundes, mit dem Gott den Israeliten seine Treue versichert hat, nicht hinfällig ist."
Auch hier geht es Calvin keineswegs darum, eine allzu moderne (oder gar jüdische) Bibelexegese zurückzuweisen. Vielmehr kritisiert er, dass Servet zwar vorgibt, das christliche Anliegen gegenüber den Juden verteidigen zu wollen; tatsächlich aber stelle er die Kontinuität der Sündenvergebung im Alten Testament in Frage und somit die Grundlegung des christlichen Heils überhaupt. Außerdem missbilligt Calvin Servets Auffassung, dass die Israeliten aufgrund mangelnder Gotteserkenntnis Engel angebetet hätten; und er bemängelt den willkürlichen Umgang Servets mit hebräischen Begriffen und jüdischen Lehrmeinungen, um damit seine eigenen Anschauungen zu belegen. Calvin kann ihn deshalb auch einen "bonus Rabbinus" nennen.
Das bedeutet also: Einer der wesentlichen Differenzpunkte zwischen Calvin und Servet liegt in den Voraussetzungen ihrer Israel-Lehren begründet. Während Calvin sich israeltheologisch als 'Einheitstheologe' erweist, ist für Servet die 'Trennungstheologie' kennzeichnend. Von diesem Umstand her ist es zu erklären, dass der Vorwurf des 'Judaisierens' von Servet selbst gegen Calvin erhoben wird, im Genfer Prozess gegen Servet aber kaum eine Rolle spielt. Lediglich zu Beginn des Prozesses wird Servet vom procureur général, Claude Rigot, darüber befragt, ob seine Vorfahren einer jüdischen oder anderen Religion angehört hätten, ob er jemals mit Juden über religiöse Fragen diskutiert habe und ob er mit seiner Rechtfertigung jüdischer und islamischer Kritik deren Anschauungen verteidigen wolle.
Alle diese Fragen beantwortet Servet mit Nein, und sie spielen dann im weiteren Verlauf des Prozesses keine Rolle mehr. Aufgrund dieses Befundes muss also die Behauptung zurückgewiesen werden, wonach Servet in Genf wegen seiner judaisierenden Ansichten hingerichtet worden sei. Die Quellen belegen diese These nicht. Wie auch die Anklageschrift und die Urteilsbegründung zeigen, wird Servet in Genf nicht wegen Judaisierens hingerichtet, sondern weil seine Ausfälle gegen die Trinitätslehre und die Kindertaufe als eine Gefährdung für den Bestand der christlichen Gesellschaft eingeschätzt wurden.
Nichtsdestotrotz vermögen natürlich auch diese Gründe das Genfer Todesurteil nicht zu rechtfertigen.
(ausführlicher dargestellt und mit Nachweisen der Belegstellen in: A. Detmers, Reformation und Judentum. Israel-Lehren und Einstellungen zum Judentum von Luther bis zum frühen Calvin, Judentum und Christentum 7, Stuttgart u.a. 2001, 216-235)
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P.Schaff, History of the Christian Church, Vol. VIII Modern Christianity The Swiss Reformation, 681ff.
Achim Detmers
Hat Johannes Calvin den Tod Michael Servets auf dem Scheiterhaufen zu verantworten?
Die Postkarte 'Todesstrafe' als PDF