Demonstrantin im Wandel der Zeit

Notat to go – Barbara Schenck


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„Wir haben sie immer ein bisschen belächelt, die friedensbewegten Altvorderen, die runden Männer mit grauem Rauschebart und Strickpulli, die wettergegerbten Frauen mit Batikschal“, schreibt ein jüngerer Kollege, der ausging, das Demonstrieren zu lernen, gegen Pegida in Köln. Es gibt so Momente, da fühle ich mich uralt,...

... älter, als ich laut Personalausweis bin. Ja, ich gehöre auch zu denen, die in der Friedensbewegung politisiert wurden. Mein Batik-Schal war ein selbstgestrickter Pullover mit Friedenstaube. Damals war ich Gymnasiastin. Meine Laufbahn als Demonstrantin begann aber einige Jahre früher - auf dem Schulhof der Grundschule. Ein Müllcontainer versperrte den Schüler die Fahrradständer. Als der Wortprotest nichts half, wurden wir handgreiflich, entfernten den störenden Metallklotz – mit nachhaltigem Erfolg!

Dann, mitten im Abitur,  die Anti-AKW-Demo 1986 in Bremen, kurz nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl.
Als Studentin in Göttingen wurde weiter marschiert. Zugegeben, es ist kein gutes Gefühl, in einem Kessel zu stehen, wenn behelmte Polizisten beginnen, mit Schlagstöcken auf ihre Schutzschilder zu trommeln.

Die Demos, denen heute meine Solidarität gilt, sind die, auf denen auch das politische Establishment demonstriert und Mahnwache hält: in Paris, in Berlin, in Dresden.
Ein Pfarrer aus Dresden erzählt mir, die Pegida-Anhänger würden einfach nichts mehr von der Politik erwarten. Jetzt weiß ich, was meinen jugendlichen Protest auszeichnete: Ich wollte etwas von den Regierenden. Und bei aller Kritik am Establishment war ich schon in den 80er Jahren überzeugt: Eine andere Politik ist möglich.

Heute richtet sich mein Protest gegen Bürgerinnen und Bürger, die gegen eine Bundesregierung auf die Straße gehen, die ihrerseits – mittlerweile recht klar – sagt: „Der Islam gehört zu Deutschland.“

Meine Identität als demonstrierende Protestantin hat sich verändert. Da suche ich Halt bei den Altvorderen. Also: Von neuem lesen, was mein Lieblingstheologe zum Verhältnis Kirche – Staat sagt, sprich Karl Barth in »Christengemeinde und Bürgergemeinde«, in »Rechtfertigung und Recht«. In Barths Plädoyer für einen von Christen gewollten Rechtsstaat, der die Freiheit des Wortes Gottes nicht bedroht, gefällt mir heute dieser Gedanke besonders:
„Wenn der Staat anfängt, Liebe zu fordern, dann ist er immer schon im Begriff, zur Kirche eines falschen Gottes und damit zum Unrechtsstaat zu werden. Der Rechtsstaat braucht keine Liebe, sondern nüchterne Taten einer entschlossenen Verantwortlichkeit. Eben diese sind es, die ihm durch die Kirche der Rechtfertigung gewährleistet werden.“

Quellen:
Der oben zitierte jüngere Kollege ist Pastor Holger Pyka in seinem Blog "Kirchengeschichten" mit dem Beitrag "
Erfolgreich quergestellt, oder: Als meine Generation das Demonstrieren lernte".
Karl Barth, Rechtfertigung und Recht (1938), Christengemeinde und Bürgergemeinde (1946), Evangelium und Gesetz (1935), Theologischer Verlag Zürich 1998; Zitat aus Rechtfertigung und Recht, 41.

Barbara Schenck, 14. Januar 2015